Hubmaier, Balthasar

geb. 1480/85 in Friedberg/Bayern, gest. am 10. März 1528 in Wien, Österreich; Theologe, Mitbegründer des Täufertums in der Schweiz, in Süddeutschland und Mähren.

Balthasar Hubmaier wurde im bayrischen Friedberg geboren und besuchte die Lateinschule im nahe gelegenen Augburg, 1503 nahm er sein Studium an der Universität in Freiburg (Breisgau) auf, wurde dort zum Priester geweiht und erwarb den Doktorgrad der Theologie 1512 an der Universität in Ingolstadt. Sein wichtigster Lehrer war Johannes Eck, dem er von Freiburg nach Ingolstadt gefolgt war und der später zum entschiedenen Gegner der Reformation wurde. In Ingolstadt predigte Hubmaier an der Marienkirche, lehrte Theologie und leitete vorübergehend als Prorektor die Geschicke der Universität. Von 1516 bis 1520 war er Domprediger in Regensburg, wo er die treibende Kraft hinter der Vertreibung der jüdischen Gemeinde war, der ältesten und größten in Deutschland, und als wortgewaltiger Wallfahrtsprediger weithin bekannt wurde. Seine antijudaistische Haltung legte er auch in späteren Jahren als Anführer der Täufer nicht ab.

Zu Beginn des Jahres 1521 nahm Hubmaier einen Ruf an die Marienkirche im vorderöstereichischen Waldshut am Bodensee an, einer Stadt an der Grenze zur Schweiz mit ungefähr eintausend Einwohnern. Hier nahm er bald auch Verbindung mit humanistischen Reformern in der Schweiz auf: mit Johannes Ökolampad in Basel, Sebastian Hofmeister in Schaffhausen, Joachim Vadian in St. Gallen und Huldrych →Zwingli in Zürich. Im Oktober 1523 war er als auswärtiger Prädikant an der Leitung einer der Zürcher Disputationen mit beteiligt, die der Reformation zum Durchbruch verhalfen. Als die Stadt sich der Forderung der vorderösterreichischen Regierung widersetzte, ihn gefangen zu setzen und wegen Ketzerei, d. h. wegen seines Einsatzes für die Reformation, anzuklagen, wurde er im Dezember 1523 vom Waldshuter Rat in Schutz genommen. Im Mai 1523 traf Hubmaier den Zürcher Reformator, und wie beide sich erinnerten, waren sie sich darin einig, dass Kinder nicht getauft werden sollten, bevor sie nicht ins Alter gekommen wären und im christlichen Glauben hätten unterrichtet werden können (→Taufe). Zu dieser Zeit vertraten beide ein biblisches Verständnis, das sich ganz auf das Neue Testament konzentrierte, wie Zwingli es aus seinen Studien der exegetischen Arbeit des →Erasmus gewonnen hatte. Der Hauptunterschied zwischen beiden war zunächst nur, dass Zwingli weniger biblizistisch dachte als Hubmaier. Tatsächlich gab es kein ausdrückliches Gebot im Neuen Testament, Kinder zu taufen, wohl aber segnete Jesus die Kinder, was die Bibel aber nicht ausdrücklich unter Verbot stellte, meinte Zwingli, sei erlaubt. Darin wich Hubmaier also von Zwingli ab. Er vertrat den Grundsatz der reformgesinnten Gegner Zwinglis, der wohl von Andreas →Karlstadt übernommen worden war: „Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht pflanzte, die werden ausgerissen“ (Mt. 15,13). Anfang des Jahres 1524 diskutierte Hubmaier mit den Reformatoren in der Nachbarschaft: mit Ökolampad in Basel und Hofmeister in Schaffhausen. Er glaubte ihr Einverständnis zu besitzen, dass es keine zufriedenstellende Rechtfertigung der Kindertaufe im Neuen Testament gäbe.

Die reformatorischen Bemühungen in Waldshut wurden gegen die Unterdrückungsmaßnahmen der vorderösterreichischen Regierung von auswärtigen Sympathisanten unterstützt. In Gebieten des Schwarzwaldes, die an Waldshut grenzten, begannen Bauern eine Art Generalstreik gegen geistliche und weltliche Herrschaften auszurufen, und Schwarzwälder Bauern trafen sich im Sommer 1524 zu Beratungen in Waldshut. Auch zogen „Freiwillige“, die von den eifrigsten evangelischen Gruppen in Zürich ausgesandt worden waren, im Oktober desselben Jahres nach Waldshut und halfen, die Stadtbefestigungen zu verstärken. Nach dem Vollzug der ersten Glaubenstaufen in Zürich erschienen Täuferführer wie Konrad →Grebel und →Wilhelm →Reublin für einige Wochen in Waldshut. Um seine angefochtene Stadt nicht zusätzlich in Gefahr zu bringen, wollte Hubmaier auf keinen Fall Zwingli und den Zürcher Rat verprellen, mit deren Hilfe gegen die Österreicher er eigentlich rechnete. Im März 1525 beschloss Waldshut, sich unter die Schirmherrschaft der drei nordschweizerischen Städte zu stellen, die aus ihrer Neigung zur Reformation keinen Hehl machten: Zürich, Schaffhausen und Basel. Da diese Städte aber keinen Krieg mit Österreich riskieren wollten, lehnten sie das Schutzbegehren ab. Ohne politische Rücksichten nehmen zu müssen, fühlte sich Hubmaier jetzt frei, in religiösen Angelegenheiten allein nach Vorstellungen zu verfahren, die er für richtig hielt. Am Ostersonnabend, dem 15. April 1525, taufte Reublin den Stadtpfarrer Hubmaier und sechzig andere Waldshuter, und am Ostersonntag, begann Hubmaier selbst, seine Gemeindeglieder zu taufen. In wenigen Tagen hatte er dreihundert Menschen, die Mehrheit der Waldshuter Bürger, getauft, darunter auch die meisten Mitglieder des Rates.

Zunächst war Hubmaier nur von Grebel und Reublin ins Gespräch gezogen worden, mit seiner Taufe wurde er selbst aber zum theologisch gebildetsten Anführer der Täufer. Im Juli veröffentlichte er zwei Traktate, die das Kirchenverständnis der beginnenden Täuferbewegung darstellten. Eine Summe eines ganzen christlichen Lebens (1525) entwirft das Leben der Gläubigen in fünf Schritten. Der erste Schritt ist Reue, die aus ernsthafter Selbstprüfung folgt. Der zweite Schritt ist Glaube, der nach dem Ergreifen der Verheißungen Christi entsteht. Der dritte Schritt ist die Wassertaufe, und, mit ihr verbunden, die Unterordnung des Getauften unter die Disziplin der Gemeinde. Der vierte Schritt ist die gute Frucht eines wahrhaft christlichen Lebens, das zumeist in Verfolgung und Todesnot geführt wird. Der fünfte Schritt ist schließlich das dankbare Feiern des Abendmahls mit den Brüdern und Schwestern in der Gemeinde. Zehn Tage nach dieser Summe erschien die Schrift Von der christlichen Taufe der Gläubigen (1525), eine mehr oder weniger unpolemische Antwort auf Zwinglis erste explizit antitäuferische Schrift Von der Taufe, von der Wiedertaufe und von der Kindertaufe. In dieser Zeit unterstützte Hubmaier auch die militärische Verteidigung Waldshuts, das sich mit den bewaffneten Bauern des Schwarzwalds verbündete. Im Verhör erklärte Hubmaier später, dass „er der Bauern Artikel, so ihm von ihnen aus dem Höre [Oberschwaben] zukomen seind, dieselbigen ihnen erweitert und ausgelegt und denselbigen solchs eingebildet“ habe, „die anzunehmen als christlich und billich“ (Urgicht, 1528). Eine Analyse der erschienenen bäuerlichen Artikel legt nahe, Hubmaier als den Autor des Artikelbriefs anzusehen, in dem die Forderung ausgesprochen wurde, die Gegner der Bauern in den „weltlichen Bann“ zu legen. Möglicherweise war Hubmaier auch der Herausgeber der Schwarzwälder Version der Bundesordnung, einer regional angepassten, verbindlichen Ordnung, wie die bäuerlichen Haufen zu organisieren seien (→Bauernkrieg).

Nach der Schlacht bei Griessen im November 1525, in der österreichische Truppen die Bauern aus dem Klettgau und die Städter aus Waldshut besiegt hatten, wurde Waldshut besetzt und rekatholisiert. Hubmaier floh nach Zürich, wo er jedoch sogleich verhaftet und einer Behandlung ausgesetzt wurde, die er später als Zwinglis Versuch beschrieb, ihm eine theologische Lektion durch die Folter zu erteilen. Nach erzwungenem Widerruf durfte er Zürich im April 1526 verlassen. Im späten Frühjahr oder im Frühsommer dieses Jahres begab er sich nach Nikolsburg (jetzt Mikulov) in →Mähren, wohin ihn eine Gruppe humanistischer Reformer eingeladen hatte. Er gewann die reformatorisch gesinnten Geistlichen der Nikolsburger Herrschaft, ebenso den Grundherrn der Stadt, Leonard von Liechtenstein, für die Glaubenstaufe und wirkte hier ungefähr ein Jahr lang ausgesprochen erfolgreich. Hier verfügte er auch über einen eigenen Drucker, Simprecht Sorg, einen Neffen des Zürcher Buchdruckers Christoph Froschauer. Sorg war Hubmaier nach Mähren gefolgt. Die sechszehn Schriften, die Hubmaier in Nikolsburg veröffentlichte, handelten von der Taufe, dem Abendmahl, dem Bann, dem freien Willen und der Schwertgewalt. Mit ihnen entstand eine täuferische Theologie, in der Hubmaier seine frühere Ausbildung in scholastischer Theologie (via moderna) mit Ideen verband, die er von Karlstadt, Luther, Zwingli und Erasmus übernommen hatte. Hubmaiers Führungsposition wurde von Spannungen zwischen der etablierten deutsch sprechenden Gemeinde, die er für das Täufertum gewonnen hatte, und einer wachsenden Zahl täuferischer Flüchtlinge aus der Schweiz und Süddeutschland in Mitleidenschaft gezogen. Im Mai 1527 besuchte überdies der apokalyptisch gesinnte, in Oberdeutschland wirkende Missionar Hans →Hut, einst Schüler Thomas →Müntzers, Nikolsburg. Hubmaier fühlte sich durch Huts Version eines apokalyptisch-gewalttätigen Täufertums herausgefordert und zwang Hut zu einer Disputation. Unmittelbar danach musste Hut fliehen, um einer Haft auf dem Nikolsburger Schloss zu entgehen. In seiner letzten Nikolsburger Veröffentlichung, dem Traktat Von dem Schwert (1527), setzte Hubmaier sich mit der Idee der Schweizer Täufer auseinander, wie sie in den Schleitheimer Artikeln (1527) formuliert wurde, dass es nämlich keinen Platz für eine das Schwert führende Obrigkeit in der Gemeinde gäbe. Selbst in seiner Waldshuter Zeit hat Hubmaier keine Sympathie für die Trennung von christlicher Kirche und weltlicher Obrigkeit gezeigt. Er glaubte vielmehr, dass nur Christen in der Lage wären, obrigkeitliche Ämter verantwortungsbewusst auszuüben. Obwohl Hubmaier die traditionellen Strukturen der Zuordnung von Obrigkeit und Geistlichkeit in Waldshut und Nikolsburg bewahrte, war doch die Entscheidung zur Glaubenstaufe offensichtlich ins Belieben eines jeden einzelnen Gemeindegliedes gestellt worden. Wie auch immer, als die Nikolsburger Herrschaft im späten 16. Jahrhundert rekatholisiert wurde, zeigte sich, dass zahlreiche Einwohner nicht getauft waren.

Hubmaiers Karriere endete abrupt, als er im Juli 1527 nach Wien überstellt wurde. Ferdinand von Österreich, Hubmaiers alter Feind aus Waldshuter Tagen, hatte die Königskrone Böhmens und Mährens erlangt, kurz nachdem Hubmaier in Nikolsburg eingetroffen war, und um nicht den Anschein zu erwecken, er würde als neuer Regent die althergebrachten religiösen Freiheiten Mährens verletzen, bezogen sich die Vorwürfe gegen Hubmaier denn auch ausdrücklich nur auf die aufrührerischen Aktivitäten in Waldshut. Kaum war Hubmaier jedoch inhaftiert, wurde er zu seinen Abweichungen von der katholischen Rechtgläubigkeit verhört. Er versuchte, in der an König Ferdinand gerichteten Rechenschaft des Glaubens eine theologisch versöhnliche Position einzunehmen. Doch seine Hinrichtung war schon beschlossene Sache, als er den Habsburger Behörden in die Hände gefallen war. Er wurde am 10. März 1528 in Wien verbrannt, seine Frau wurde drei Tage später in der Donau ertränkt.

Balthasar Hubmaier war der herausragendste Theologe des frühen Täufertums, und seine Schriften genossen Autorität unter den Täufern in der Schweiz, in Süddeutschland und Mähren. Von seiner Taufe im April 1525 bis zum Ende dieses Jahres war er der bedeutendste Anführer des schweizerisch-süddeutschen Täufertums und verlieh seiner Ekklesiologie Gestalt. Im Jahr 1526 brachte er diese Ekklesiologie nach Mähren mit und führte die mährischen Täufer durch das erste Jahr.

Quellen

Gunnar Westin und Torsten Bergsten (Hg.), Balthasar Hubmaier, Schriften, Bd. 9: Quellen zur Geschichte der Täufer, Gütersloh 1962. - Wayne H. Pipkin und John H. Yoder (Hg.), Balthasar Hubmaier. Theologian of Anabaptism, Bd. 5: Classics of the Radical Reformation, Scottdale, Pa. 1989.

Literatur

Rollin S. Armour, Anabaptist Baptism. A Representative Study, Scottdale, Pa. 1966. - Torsten Bergsten, Balthasar Hubmaier. Seine Stellung zu Reformation und Täufertum, 1521 – 1528, Kassel 1961. - Johann Loserth, Doctor Balthasar Hubmaier und die Anfänge der Wiedertaufe in Mähren, Brünn 1893. - Walter I. Moore, Jr., Catholic Teacher and Anabaptist Pupil. The Relationship between John Eck and Balthasar Hubmaier, in: Archiv für Reformationsgeschichte 72, 1981, 68 – 97. - Heiko A. Oberman, The Roots of Anti-Semitism in the Age of Renaissance and Reformation, Philadelphia, Pa., 1984. - Martin Rothkegel, Die Nikolsburger Reformation 1526 – 1535. Vom Humanismus zum Sabbatarismus. Unveröffentl. theol. Diss., Prag 2000. - Tom Scott, Reformation and Peasant´s War in Waldshut and Environs: A strucural Analysis, in: Archiv für Reformationsgeschichte 69, 1978, 103 – 131; 70, 1979, 140 – 168. - Gottfried Seebass, Artikelbrief, Bundesordnung und Verfassungsentwurf. Studien zu drei zentralen Dokumenten des südwestdeutschen Bauernkrieges, Heidelberg 1988. - C. Arnold Snyder, The Birth and Evolution of Swiss Anabaptism, 1520 – 1530, in: Mennonite Quarterly Review 80, 2006, 501 – 645. - C. Arnold Snyder, Swiss Anabaptism. The Beginnings, 1523 – 1525, in: John D. Roth und James M. Stayer (Hg.), A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521 – 1700, Leiden 2007, 45 – 81. - James M. Stayer, Anabaptists and the Sword, Lawrence, Kans. 1976. - James M. Stayer, The German Peasants´ War and Anabaptist Community of Goods, Montreal 1991. - David C. Steinmetz, Reformers in the Wings, Philadelphia 1971, 197 – 208. - Henry C. Vedder, The Leader of the Anabaptists, New York 1971. - Christoph Windhorst, Täuferisches Taufverständnis. Balthasar Hubmaiers Lehre zwischen traditioneller und reformatorischer Theologie, Leiden 1976. - Ders., Balthasar Hubmaier. Professor, Prediger, Politiker, in: Hans-Jürgen Goertz (Hg.), Radikale Reformatoren. 21 biographische Skizzen von Thomas Müntzer bis Paracelsus. München 1978, 125 – 136.

James M. Stayer

 
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