Roosen, Geeritt

(Rosen, Rose, Roose, Rooze), (Gerrit, Gerhard, Gerard), geb. 1612 in Altona, gest. 1711 in Hamburg, Deutschland, Kaufmann, Diakon, Prediger und Ältester.

Geeritt Roosen war eine bedeutende Führungsgestalt in der Mennonitengemeinde zu Hamburg und Altona im 17. Jahrhundert. Als Altona unter dänische Herrschaft geriet, siedelte er nach Hamburg über, wo er eine Familie gründete und es zu einem recht wohlhabenden Kaufmann brachte. Über seine kaufmännischen Aktivitäten ist wenig überliefert, ganz anders als über seine Laufbahn als Leiter der Mennonitengemeinde zu Hamburg und Altona. Als sein Vater 1649 starb, übernahm er dessen Pflichten als Diakon in der „flämischen“ Gemeinde, der größten Mennonitengemeinde in der Hamburger Region. 1660 wurde er Laienprediger und im Juli 1663 erklärte er sich bereit, das Amt des Ältesten zu übernehmen, d. h. auch zu taufen und das Abendmahl auszuteilen. Er war bis zu seinem Lebensende in der Gemeindearbeit tätig und unterhielt aktive Beziehungen zu Taufgesinnten in Holstein, Preußen, Süddeutschland und in den Niederlanden.

Das meiste, was Historiker über die frühe Geschichte der Mennoniten zu Hamburg und Altona herausgefunden haben, geht auf Quellen zurück, die Roosen aufbewahrt oder selber zu Papier gebracht hatte. Während seiner Amtszeit schuf er ein kleines, aber bedeutendes literarisches Werk. Besonders bedeutsam sind seine Predigten, von denen eine beachtliche Anzahl gemeinsam mit seinem Predigttagebuch (mit Predigtthemen und -terminen, auch mit Terminen seiner Besuchsreisen zu anderen Gemeinden) zu den Beständen der Mennonitengemeinde gehört und jetzt im Staatsarchiv Hamburg aufbewahrt werden. Roosen führte auch das Gemeindebuch. Die frühesten Eintragungen des ältesten Gemeindebuchs der Mennonitengemeinde zu Hamburg und Altona sind von seiner Hand; er hat auch über die Einnahmen und Ausgaben der Gemeinde Buch geführt. Roosen war ein praktisch veranlagter Ältester, dem es darum ging, pastorale Probleme zu lösen. Seine anderen Schriften behandelten recht eklektische Themen: Katechismen und Glaubensbekenntnisse, Familien- und Politikgeschichte (Geschichte der Kriegsereignisse), polemische Traktate zu theologischen und ethischen Fragen, Stellungnahmen zu verschiedenen Themen wie Wehrlosigkeit, Habgier, konfessionsverschiedene Ehen, zum modischen Perückentragen und zur Verbesserung des Kachelofens. Seine Anliegen waren, weit gefasst, den überkommenen Glauben vor Ort und über die Stadt hinaus zu verteidigen und sich zugleich dafür einzusetzen, dass Mennoniten von den protestantischen Herrschaftseliten als gleichberechtigte Christen anerkannt werden.

Roosens Predigtdienst erstreckte sich über einige der schwierigsten Jahre der in Altona ansässigen Gemeinde. Zwischen 1649 und 1656 führten Streitigkeiten zu einer jahrhundertelangen Spaltung der Gemeinde, als eine Gruppe, die später unter dem Namen der Dompelaars bekannt wurde, aus der Gemeinde ausgeschlossen wurde. Dabei ging es um das Ritual der Erwachsenentaufe, die im Sinne der Dompelaars als Untertauch- und nicht als Besprengungstaufe praktiziert werden sollte. Die Dompelaars bestanden auch darauf, das Abendmahl des Nachts mit ungesäuertem Brot nach einer rituellen Fußwaschung zu feiern. Gegen Ende des Jahrhunderts war der Streit zwischen den Flamen, die an der Besprengungstaufe weiter festhielten, und den Dompelaars allmählich abgeflaut, so dass Roosen und andere Leiter der flämischen Gemeinde sich mit dem Gedanken anfreunden konnten, den jüngeren, charismatischen Prediger der Dompelaars, Jacob Denner, einzuladen, in ihrer Gemeinde zu predigen.

Es gab auch andere schwerwiegende Themen, die während Roosens Dienstzeit in der Gemeinde verhandelt wurden. 1659 trat einer seiner Mitprediger in Altona, Baerent Roelifs, zu den →Quäkern über. Die Bekehrung und die missionarischen Aktivitäten, die dazu führten, hatten einen Skandal in der Gemeinde ausgelöst. Im Jahr 1660, in dem der Hamburger Rat einige Quäkermissionare ausgewiesen hatte, veröffentlichte Roosen einen in Amsterdam gedruckten Angriff auf die Ideen und die Praxis der Quäker: den Schriftelick Bericht. In den folgenden Jahren hinterließ die Trennung der Lammisten und Sonnisten, der sogenannte Lämmerkrieg in den →Niederlanden, auch Spuren in Hamburg und Altona. Roosen setzte sich dafür ein, seine Gemeinde an die konfessionell konservativen Sonnisten anzuschließen. Diese Verbindung um die Mitte des Jahrhunderts prägte die theologische Kultur der norddeutschen Gemeinden noch bis ins 19. Jahrhundert hinein. Nichtsdestotrotz durfte Galenus Abrahamsz, der berühmteste Anführer der freisinnigen Lammisten in Amsterdam, 1678 die Gemeinde in Altona besuchen.

In Mennonite Piety through the Centuries (1949) schrieb Robert →Friedmann, dass Geeritt Roosen ein Beispiel dafür gewesen sei, eine allmählich sich vollziehende Anpassung der Mennoniten an individualistische, subjektivistische und spiritualistische Tendenzen erkannt zu haben, die typisch für den Pietismus und den Liberalismus gewesen sein sollen. Dieses Urteil hilft jedoch nicht recht, die historische Bedeutung Geeritt Roosens zu verstehen. Er war weniger die Stimme einer neuen Generation „moderner“ oder „angepasster“ Taufgesinnter als vielmehr ein Verteidiger dessen, was er unter dem mennonitischen Erbe verstand. Er war tatsächlich davon überzeugt, dass seine Gemeinde und seine Familie eine besondere Beziehung zum Erbe des Menno →Simons unterhielten, der seine letzten Jahre unweit Hamburgs auf dem Lande in Holstein verbracht hatte, wo auch Roosens Vorfahren sich im frühen 16. Jahrhundert angesiedelt hatten. In einem Teil seines Buches Unschuld und Gegenbericht (1702) stellte er nicht nur die Geschichte der Mennoniten in Hamburg und Altona, sondern auch die Geschichte der Gemeinde des Menno Simons bei Oldesloe dar. Damit verfolgte er die Absicht, die mennonitischen Gemeinden gegen den lang andauernden Vorwurf zu verteidigen, sie seien aus dem Täuferreich zu Münster hervorgegangen. So war Roosen einer der intellektuellen Vorgänger der apologetischen Geschichtsschreibung der Mennoniten, wie sie von Robert Friedmann und Harold S. Bender gepflegt wurde.

Roosens Anschauungen zu theologischen und ethischen Fragen bewegten sich ganz auf der Linie der meisten konfessionell konservativ eingestellten Taufgesinnten (besonders der Sonnisten) im frühneuzeitlichen Norddeutschland und in den Niederlanden. Zum Beispiel reagierte Roosen 1694 auf einige mennonitische Kaufleute, die ihre Schiffe in Kriegszeiten mit Kanonen ausgerüstet hatten, indem er ihnen sagte, dass diese Praxis weder bibelgemäß noch nützlich sei. Doch wie viele andere Anführer der Taufgesinnten (inklusive Menno Simons) verteidigte er auch das Recht der Obrigkeit – ja ihre Pflicht – ihre Untertanen zu schützen, wenn es sein müsse, auch mit militärischer Gewalt. Roosen war ebenso konservativ, was die Lehre anbelangte, und bemühte sich, über die Reinheit der Lehre unter seinen predigenden Kollegen zu wachen. 1697 warf er dem neuen mennonitischen Prediger Riewart Dircks in Altona vor, er würde antitrinitarische Häresien verbreiten. Dircks wurde nicht offiziell aus der Gemeinde ausgeschlossen, aber er verließ von sich aus Altona. Ein Jahrzehnt später war der Prediger Jacob Cornelis die Zielscheibe für Roosens Zorn, weil dieser behauptet hatte, dass die Glaubenden in Sünde geboren seien und auch weiterhin in ihr verharrten.

Geeritt Roosen lebte ungewöhnlich lange und war sehr einflussreich, mehr als die Hälfte seines Lebens leitete er die Mennonitengemeinde zu Hamburg und Altona. Mit seinem Katechismus, dem Christlichen Gemütsgespräch (ursprünglich in niederländischer Sprache geschrieben: Schriftuerlycke Gemoets t´Samensprecke, 1691), beeinflusste er die Mennoniten über das 18. und 19. Jahrhundert und weit über Hamburg und Altona hinaus. Nach seiner ersten Veröffentlichung 1702 in deutscher Sprache erlebte das Gemütsgespräch in Europa und Nordamerika mehrere Neuauflagen. Roosens Name wurde auch noch im späten 18. Jahrhundert mit einem ebenfalls oft wiedergedruckten Katechismus, dem Auszug aus Gerhard Roosen, in Verbindung gebracht. Trotz des Titels gibt es aber kaum einen historischen Anhaltspunkt dafür, dass Geeritt Roosen selbst diesen Text geschrieben haben könnte.

Schriften (Auswahl)

G[eeritt] Roose[n], et al., Schriftelick bericht over eenige aenmercklijcke puncten der Engelschen die Quaeckers genoemt worden, Amsterdam 1660. - G[eeritt] R[oosen], Nutzbahrer und Gründlicher Unterricht Von dem jetzo gewöhlichen Brauch und Art Der Unrahtsahmen Kachel-Ofen, Hamburg 1695. - Gerh[ard] Roosen, Unschuld und Gegen-Bericht der Evangelischen Tauff-gesinneten Christen, Ratzeburg 1702. - Geeritt Roosen und seine Geschichte der Kriegsereignisse seiner Zeit, in: Germania 1899, 363–374, 446–452, 527–537, 589–599, 659–668 und 725–734. - Gerhard Roosen to Friends in Alsace, in: Letters of the Amish Division: A Sourcebook, hg. und übers. von John D. Roth, Goshen 1993, 67–71. - Siehe auch die ungedruckten Schriften G. Roosens im Staatsarchiv Hamburg, Bestand Mennonitengemeinde, 246b und 248.

Literatur

Berend Carl Roosen, Gerhard Roosen, Hamburg 1854. - Ders., Geschichte der Mennoniten-Gemeinde zu Hamburg und Altona, Hamburg 1886 [Teil 1], 1887 [Teil 2]. - Ders., Geschichte unsres Hauses, Privatdruck, 1905. - Hermannus Schyn und Gerardus Maatschoen, Geschiedenis der Mennoniten, Bd. 3, Amsterdam 1745, 320–431. - Robert Dollinger, Geschichte der Mennoniten in Schleswig-Holstein, Hamburg und Lübeck, Neumünster 1930. - Robert Friedmann, Mennonite Piety through the Centuries: Its Genius and Its Literature, Goshen, Ind., 1949, Teil II, Kap. 4. - Ernst Schepansky, Mennoniten in Hamburg zur Zeit des Merkantilismus, in: Mennonitische Geschichtsblätter 1980, 54–73. - Michael D. Driedger, The Extent Writings of Geeritt Roosen, in: Mennonite Quarterly Review 2000, 159–169. - Ders., Zuflucht und Koexistenz. 400 Jahre Mennoniten in Hamburg und Altona, Bolanden-Weierhof 2001. - Ders., Obedient Heretics: Mennonite Identities in Lutheran Hamburg and Altona during the Confessional Age, Aldershot 2002.

Lexikonartikel

G. Arthur Roosen und Nanne van der Zijpp, Art. G. Roosen, in: Mennonite Encyclopedia, Bd. 4, 357. - G. Arthur Roosen, in: Mennonitisches Lexikon, Bd. 3, 533–534.

Michael D. Driedger

 
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