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Rothmann, Bernhard

geb. ca. 1495 in Stadtlohn, Deutschland, gest. nach dem Zusammenbruch der Täuferherrschaft in Münster im Juni 1535; Reformator Münsters: 1533 -1534; Publizist der Münsteraner Täuferherrschaft: von Februar 1534 – Juni 1535.

Als wichtigster Reformator in →Münster durchlief Bernhard Rothmann zwei deutlich voneinander unterschiedene Phasen. Die erste Phase begann im Februar 1532, als er seinen Dienst an der Lambertikirche, der Hauptkirche unter den Stadtkirchen Münsters, antrat. Von 1529 bis zum Jahresanfang 1532, nachdem Rothmann als Flüchtling in die Stadt gekommen war, wirkte er als Kaplan an St. Mauritz, einer Kirche außerhalb der Stadtmauern. Im Jahr 1532 schien Rothmann schon ein typischer protestantischer Theologe gewesen zu sein, dem es gelang, sich aus den Streitigkeiten zwischen Lutheranern, Zwinglianern und Täufern über die Sakramente herauszuhalten. Der regierende Rat in Münster geriet unter den Einfluss derjenigen, die Rothmann unterstützten, so dass im August alle Stadtkirchen mit Geistlichen besetzt waren, die sich für die Reformation einsetzten. Eine kurze militärische Auseinandersetzung am Jahresende zwischen der Stadt, die von seinem mächtigen Nachbarn Philip von Hessen unterstützt wurde, und Bischof Franz von Waldeck führte im Februar 1533 zu einem Vertrag, der die Stadt aufteilte: der Dombezirk blieb katholisch, und in den Stadtkirchen wurde das Evangelium gepredigt, wie Rothmann es lehrte.

Die zweite, die radikale Phase begann 1533. Es wäre normalerweise zu erwarten gewesen, dass Münster das Augsburgische →Bekenntnis angenommen hätte und dem Schmalkaldischen Bund der protestantischen Fürsten und Reichsstädte beigetreten wäre. Doch das geschah nicht. Im Juli wurde Rothmanns Entwurf einer Kirchenordnung von den lutherischen Theologen der Universität Marburg zurückgewiesen; in den frühen Augusttagen hatte der Rat Münsters eine Disputation über die →Taufe einberufen, im Verlauf dieser Disputation wies Rothmann die Kindertaufe zurück und stellte sich damit gegen einige seiner evangelischen Kollegen; am 22. Oktober veröffentlichten Rothmann und die Mehrheit der evangelischen Geistlichen in Münster das Bekenntnis von den beiden Sakramenten, Taufe und Abendmahl, das eine zwinglische Position zum →Abendmahl und eine täuferische zur Taufe einnahm. Der Rat der Stadt hingegen hielt an einer lutherischen Sakramentsauffassung fest. Nur dem Schutz der Gilden, die in Münster politisch stark waren, verdankten es Rothmann und seine Anhänger, dass sie nicht aus der Stadt vertrieben wurden. Der Rat lud Geistliche aus Hessen ein, um für Münster eine lutherische Kirchenordnung zu schaffen, wie sie am 30. November 1533 auch schon eingeführt wurde. Mit Sicherheit trugen Einflüsse aus den umliegenden Gegenden dazu bei, die Botschaft Rothmanns zu radikalisieren. Bereits 1532 wurde er als Geistlicher in Münster von Hendrik Roll begleitet, einem Flüchtling aus Jülich, der ein sakramentaristisches Abendmahlsverständnis vertrat. Ein anderer Geistlicher aus Jülich, Hermann Staprade, war der erste unter ihnen, der sich im September 1533 weigerte, Kinder zu taufen. Es ist umstritten, ob diese Prädikanten, die aus Jülich nach Münster gekommen waren, auch zur radikalen Minderheit der Sakramentarier gehörten, die die apokalyptischen Lehren Melchior →Hoffmans angenommen hatten. Wie auch immer, einer der Hoffmananhänger, Jan Bokelson van Leiden, der zukünftige König der Täufer, hatte sich in Münster für einige Wochen im Sommer 1533 aufgehalten, weil er gehört hatte, dass „das Evangelium hier am besten und gewaltigsten gepredigt wurde“. Ende des Jahres 1533 bildeten die Anhänger Rothmanns eine von drei Parteien in Münster. Sie widersetzten sich sowohl der lutherischen Politik der Rates in Münster als auch den katholischen Restaurationsversuchen des Bischofs Franz von Waldeck.

Rothmanns Bekenntnis von beiden Sakramenten wurde Ende 1533 in →Amsterdam in Umlauf gebracht, wo es eine wichtige Rolle beim Aufstieg des Propheten Jan Matthijs spielte. Mattijs erklärte, dass das Ende der Welt nahe sei und dass Christen, die Gottes Barmherzigkeit suchten, sich umgehend als Erwachsene taufen lassen müssten. In der ersten Januarwoche 1534 tauften zwei seiner Sendboten Rothmann und dessen engste Gefolgsleute; gegen Mitte des Monats hielten 1400 neu getaufte Anhänger Rothmanns Versammlungen in Privathäusern ab – das war ein Fünftel der Einwohner Münsters. Die entscheidende Krise, die zur Herrschaft der Täufer in dieser Stadt führte, ereignete sich zwischen dem 9. und 11. Februar, als sich Gerüchte unter Rothmanns Anhängern verbreiteten, dass die Stadt von außen angegriffen und sie getötet werden sollten. Sie griffen zu den Waffen im Zentrum der Stadt, und die lutherischen und katholischen Einwohner, die sich unter der Führung der Bürgermeister auf einem Friedhof versammelt hatten, standen ihnen gegenüber. Diese Situation fand einen überraschenden Ausgang: In der zweiten Februarhälfte verließen ungefähr 2000 Lutheraner und Katholiken die Stadt und ungefähr 2500 Täufer aus den umliegenden Gegenden Westfalens und der →Niederlande strömten in die Stadt, um sich die Freiheit zu sichern, ihren eigenen Glauben praktizieren zu können. Nach den jährlichen Ratswahlen am 23. Februar 1534 bildeten die Anhänger Rothmanns die Mehrheit der Ratsmitglieder, und einer der Bürgermeister war sein enger Gefährte Berndt Knipperdollink.

Seit dem Anfang der Täuferherrschaft verlor Rothmann als Reformator Münsters an Bedeutung und rangierte bestenfalls an vierter Stelle, nach Knipperdollink, dem bedeutendsten der einheimischen Täufer, und den beiden melchioritischen Propheten aus den Niederlanden, Jan Matthijs und Jan van Leiden. Seine immerhin noch beachtenswerte Autorität während des sechszehn Monate lang währenden Täuferregimes bestand darin, das Täufertum zu stabilisieren; aber diese nach innen ausgerichtete Rolle wurde von der publizistischen Tätigkeit in den Schatten gestellt, für die Beziehungen der täuferischen Stadt nach außen zu wirken. Er nahm die Lehren Melchior Hoffmans, denen die Neuankömmlinge folgten, mit einiger Zurückhaltung auf. Seine Flugschrift über das Bekenntnis des Glaubens und Lebens der christlichen Gemeinde zu Münster, die im Juni 1534 geschrieben wurde, übernahm Hoffmans besondere Christologie, die Auffassung vom „himmlischen Fleisch Christi“, aber nicht die melchioritische Eschatologie (→Apokalyptik). Sie wollte vor allem den Soldaten des Belagerungsheeres zeigen, dass Münster gesetzeswidrig und ungerechter Weise angegriffen worden sei, und sie verteidigte die Täufer gegen Gerüchte, dass sie die Monogamie missachteten. Die zweite Schrift, die Restitution rechter und gesunder christlicher Lehre (Oktober 1534), war an Philip von Hessen und auch an Täufer außerhalb Münsters gerichtet. Hier nahm Rothmann Positionen auf, die außerhalb der protestantischen Orthodoxie angesiedelt waren – neben einer Soteriologie, die sowohl auf Werken als auch auf Glauben gründete, bestätigte die Restitution die grundsätzliche Sicht der melchioritischen Propheten aus den Niederlanden, die jetzt Münster beherrschten: Gemeinschaft der Güter (→Gütergemeinschaft), das Recht der Männer, mehr als ein Frau zu ehelichen, und vor allem die besondere Berufung Münsters zum Ort, an dem die Kirche Christi am Vorabend des Weltenbrandes wiederhergestellt wird. Erst in Eyn gantz troeestlich Bericht van der Wrake (Dezember 1534) und in dem Traktat Van Verborgenheit der Schrift (Februar 1525) kam Rothmann mit dem Anspruch Jan van Leidens, der neue König David zu sein, zurecht und erklärte, dass es Davids Rolle sei, den Weg für die Wiederkunft Christi, des friedfertigen Salomo, vorzubereiten. Schließlich wurde die Schrift Von irdischer und zeitlicher Gewalt mit einer Einführung für Philip von Hessen und einer Widmung für die Herrscher der Welt in den letzten Tagen der Täuferherrschaft geschrieben und belehrte diese über ihre Pflichten. Ihr fehlt allerdings die triumphale Note der drei vorangegangenen Schriften, und sie ließ die Möglichkeit offen, auch das täuferische Münster könne unter die Füße des apokalyptischen Tieres geraten.

Rothmanns Leiche wurde nicht unter den Täufern gefunden, die in dem Zusammenbruch des Widerstands gegen die Belagerer am 25. Juni 1435 gefallen waren. Rothmann könnte unter den Verteidigern des Marktplatzes überlebt haben, denen erlaubt worden war, die Stadt unter Führung Heinrich Krechtings zu verlassen, der in Oldenburg Zuflucht fand.

Abgesehen davon, dass Rothmanns Schriften einen Einblick in die Selbstwahrnehmung der Täufer während der sechzehnmonatigen Belagerung Münsters vermittelten, hatten sie auch einen größeren Einfluss auf täuferische Kreise anderswo ausgeübt. Menno →Simons hatte wahrscheinlich Rothmanns Schriften gelesen. Das Bekenntnis von beiden Sakramenten wurde von Pilgram →Marpeck und seinen Gefährten einer Revision unterzogen und 1542 als Vermahnung neu aufgelegt. Die Vermahnung ihrerseits wurde die Hauptquelle für das Schöne lustig Büechlein (1583), eine hutterische Sammlung täuferischer Lehren.

Quellen

Robert Stupperich (Hg.), Die Schriften der Münsterischen Täufer und ihrer Gegner, Bd. 1: Die Schriften Bernhard Rothmanns, Münster 1970.

Literatur

Willem J. de Bakker, Michael Driedger und James M. Stayer, Bernhard Rothmann and the Reformation in Münster, 1530 – 35, Kitchener, Ont. 2008. - Martin Brecht, Die Theologie Bernhard Rothmanns, in: Jahrbuch für westfälische Kirchengeschichte, 78. Jg., 1985, 49 – 82. - Ralf Klötzer, The Melchiorites and Münster, in: John D. Roth und James M. Stayer (Hg.), A Companion to Anabaptism and Spiritualism 1521 – 1700, Leiden 2007, 217 – 256. - Frank J. Wray, The „Vermahnung“ of 1542 and Rothmann´s „Bekenntnisse“, in: Archiv für Reformationsgeschichte, 47. Jg., 1956, 243 – 251.

James M. Stayer

 
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