Inhaltsverzeichnis

Zschäbitz, Gerhard

geb. am 19. November 1920 in Riesa, Deutschland, gest. am 15. Juni 1970 in Leipzig, Deutsche Demokratische Republik; Historiker.

Gerhard Zschäbitz besuchte in seiner Heimatstadt die Volks- und Oberschule. 1939 legte er das Abitur ab. Ehe er eine Berufsausbildung aufnehmen oder studieren konnte, wurde er zum Arbeitsdienst, danach zur Luftwaffe eingezogen. Das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebte er als Fluglehrer in Südwestdeutschland. Nach einer kurzen Gefangenschaft kehrte er, gesundheitlich durch die Kriegsteilnahme gezeichnet, nach Riesa zurück.

Im Oktober 1945 begann er die seinen beruflichen Vorstellungen nahe stehende Tätigkeit als Neulehrer, zunächst an einer Volksschule, dann an der Max-Planck-Oberschule, wo er auch die Vertretung des Direktors übernahm. Zur Vorbereitung auf die zweite Lehrerprüfung immatrikulierte er sich – unter Beibehaltung einer eingeschränkten Lehrtätigkeit an der Schule – im Wintersemester 1947/48 an der Universität Leipzig für die Fächer Geschichte, Germanistik und Geografie.

Die Veränderungen im Hochschulwesen der 1949 gegründeten Deutschen Demokratischen Republik lenkten ihn in die Schlussphase seines Studiums zu einer anderen beruflichen Perspektive. Nach dem Staatsexamen 1951 blieb er als Assistent an dem im gleichen Jahr neu gegründeten Institut für deutsche Geschichte und erhielt einen Lehrauftrag für Geschichte der Frühen Neuzeit. Seine 1956 eingereichte Dissertation, erschienen 1958 unter dem Titel Zur mitteldeutschen Wiedertäuferbewegung nach dem Großen Bauernkrieg, analysierte unter anderem die soziale Zusammensetzung der Täufer um Zwickau, wog ihre militanten und pazifistischen Potenzen ab und ordnete sie in die Nachfolge von →Reformation und →Bauernkrieg ein. Er sah die Täufer als gesellschaftliches, nicht nur als religiöses Phänomen, polemisierte aber, für die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft in der Deutschen Demokratischen Republik bemerkenswert, gegen eine vordergründige Verknüpfung von religiöser Überzeugung des Menschen mit ökonomischen Bedingungen.

Auf die Täuferbewegung kam er nur noch einmal in einem Beitrag zur Tagung der Sektion Mediävistik des Historikerverbandes der DDR 1960 in Wernigerode zurück. In den folgenden Jahren wandte er sich anderen Themen des Spätmittelalters, der Reformationszeit und des Territorialstaates im 16. Jahrhundert zu. 1967 erschien der erste Teil einer kleinen Luther-Biografie (bis 1526).

Im Jahr 1964 habilitierte sich Gerhard Zschäbitz mit der Untersuchung einer von Hermann Haupt 1893 bekannt gemachten Reformschrift aus dem 15. Jahrhundert, dem Buch der Hundert Kapitel und Vierzig Statuten eines unbekannten Verfassers, den der Entdecker der Handschrift als „Oberrheinischen Revolutionär“ bezeichnete. Die Arbeit über die Reformschrift erschien 1967 zusammen mit einer Textedition.

Nach der Habilitation wurde Gerhard Zschäbitz 1965 Dozent, im folgenden Jahr Professor mit Lehrauftrag (a. o. Prof.) und 1970 stellvertretender Direktor der neu geschaffenen, alle historischen Lehrstühle umfassenden Sektion Geschichte der Leipziger Universität. Wenige Wochen später schied er viel zu früh aus dem Leben.

Er hinterließ neben einem substantiellen Opus zur Geschichte des späten Mittealters und zur Reformationszeit vor allem Anregungen zu einer sozialgeschichtlichen Beschäftigung mit der Täuferbewegung. Seine Sicht des Eigenwertes der Religion im Leben der Menschen, historisch auf das 16. Jahrhundert bezogen, enthielt für die damals jüngere Generation der Historiker in Ost und West Anregungen, die bei der Behandlung von Personen und Ereignissen der Frühen Neuzeit in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts zum Tragen kamen (→Täuferforschung).

Werke

Zur mitteldeutschen Wiedertäuferbewegung nach dem Großen Bauernkrieg, Berlin 1958 (Nachdruck: Amsterdam 1971). - Martin Luther. Größe und Grenze (1483 – 1526), Berlin 1967. - Das Buch der Hundert Kapitel und Vierzig Statuten des sogenannten Oberrheinischen Revolutionärs. Edition Annelore Franke, historische Analyse Gerhard Zschäbitz, Berlin 1967. - Zahlreiche Aufsätze.

Literatur

Siegfried Hoyer, Gerhard Zschäbitz (1920–1970), in: Namhafte Hochschullehrer der Karl-Marx-Universität Leipzig 7, Leipzig 1985, 40–45. - Ders., Gerhard Zschäbitz 1920 – 1970, in: Wegbereiter der DDR-Geschichtswissenschaft, hg. von Heinz Heizer u. a., Berlin 1989, 386–393. - Lothar Mertens, Art. Gerhard Zschäbitz, in: Lexikon der DDR-Historiker, München 2006, 666.

Siegfried Hoyer

 
www.mennlex.de - MennLex V :: art/zschaebitz_gerhard.txt · Zuletzt geändert: 2020/05/26 21:45 von bw     Nach oben
© 2010 - 2020 Mennonitischer Geschichtsverein e.V. | Impressum | Kontakt: webmaster@mennlex.de | Umsetzung: Benji Wiebe, mennox.de |
Artikel drucken
| ODT Export | PDF Export