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Frankreich

1. Aufbruch und frühe Entwicklungen

Innerhalb der Grenzen der heutigen Republik Frankreich lässt sich täuferisches Leben bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Die Stadt Straßburg – damals eine Reichsstadt im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation – spielte eine wichtige Rolle in der frühen Reformationsgeschichte und beherbergte eine große Anzahl täuferischer Flüchtlinge – bis sich die Haltung der städtischen Autoritäten 1535 aufgrund der Schreckensnachrichten vom Täuferreich in Münster wandelte. Alle Täufer und Täuferinnen wurden aus der Stadt gewiesen. Einige blieben in ihrer Umgebung oder wichen ins Elsass und nach Lothringen aus oder verhielten sich fortan unauffällig.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts sammelten sich versprengte Täufer im Nordosten Frankreichs. In dieselbe Gegend wanderten ab 1653 Schweizer Täufer ein, weil sie im Kanton Zürich verfolgt wurden. Außerdem lud die protestantische Adelsfamilie Ribeaupierre, die nach dem Dreißigjährigen Krieg die Autorität der französischen Krone über ihr Land anerkannt hatte, Täufer und Täuferinnen aus dem Berner Oberland ein, um ihre kriegszerstörten Besitzungen nahe Sainte-Marie-aux-Mines (Markirch) zu besiedeln und zu bewirtschaften (nach 1671). Im Austausch gegen ihre handwerklichen bzw. landwirtschaftlichen Fähigkeiten und ihr Versprechen, nicht öffentlich über ihren „häretischen“ Glauben zu sprechen, wurden den Migranten aus der Schweiz gewisse Privilegien gewährt, u. a. die Befreiung von jeglicher Form des Militärdienstes.

Bestimmte Schlüsselereignisse Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts sind von großer Bedeutung für die täuferisch-mennonitische Geschichte und →Identität in Frankreich. 1673 besuchte Ludwig XIV. Markirch, um den Katholizismus dort wieder einzuführen und zu stärken. 1685 widerrief der französische König das Edikt von Nantes – die Vereinbarung aus dem Jahr 1598, in der den Calvinisten Toleranz gewährt worden war – und entzog dem Protestantismus das Existenzrecht. Das erhöhte den Druck auf die kleine täuferische Gemeinschaft enorm. Außerdem kam es zu Spannungen unter den Täufern und Täuferinnen schweizerischer Herkunft im Elsass, der Pfalz und der Schweiz. Die Mehrheit der elsässischen Täufer und Täuferinnen folgte 1693 Jakob →Amman und spaltete sich von den →Schweizer Brüdern ab. 1712 wurden die Täufer dann von der französischen Regierung aufgefordert, das Elsass zu verlassen. Einige Familien blieben, andere zogen fort und siedelten in anderen Regionen, insbesondere in der Grafschaft Mömpelgard (Montbéliard), die damals zu Württemberg gehörte und erst 1793 französisch wurde. Dieses Gebiet war hauptsächlich von Täufern aus dem Schweizer Jura besiedelt worden.

Als theologisches Erbe wurde den französischen Täufern die „Trennung von der Welt“ aus der Schweiz mitgegeben, und in den folgenden Generationen verstärkte sich nach Zurückweisung und Verfolgung das Gefühl, anders zu sein als die sie umgebende Gesellschaft. Nicht unerheblich trug dazu auch die amische „Radikalisierung“ täuferischer Überzeugungen bei. Schnell wurden die Täufer zu den „Stillen im Land“ und blieben unter sich. Außerdem trugen ihr deutsch-schweizerischer Dialekt, ihre besondere Kleiderordnung und ihre Vorschrift, nur untereinander zu heiraten, zur sichtbaren Abgrenzung gegenüber ihren Nachbarn bei.

Dennoch wuchsen die täuferischen Gemeinschaften kontinuierlich und erarbeiteten sich den Respekt ihrer Umgebung. Jean Séguy zufolge gab es 1780 ungefähr 1000 Täufer und Täuferinnen im Elsass. Aufgrund ihrer landwirtschaftlichen Fähigkeiten wurden sie beim lokalen Adel und bei den Kommunen, sogar beim katholischen Klerus, besonders geschätzt. Sie hatten keinen rechtlichen Status, wurden aber für gewöhnlich von den Nachbarn toleriert.

2. Von der Großen Revolution zum Ersten Weltkrieg

Mit der Französischen Revolution wurde den französischen Täufern einerseits die Staatsbürgerschaft gewährt und der Erwerb von Grundbesitz ermöglicht, andererseits wurde das labile Gleichgewicht erschüttert, das sich zwischen den Täufern und der weltlichen Obrigkeit eingestellt hatte. Nun gereichten landwirtschaftlicher Erfolg und adelige Vorzugsbehandlung nicht mehr zu ihrem Vorteil. Während der Revolution gab es Bemühungen, die täuferischen Gottesdienste zu verbieten. Einige ihrer Besonderheiten schienen der „égalité“ zu widersprechen, die von der Revolution so vehement vertreten und von den Bürgern gefordert wurde: Die Täufer und Täuferinnen sprachen in der Regel kein Französisch, die Männer trugen Bärte (in einer Zeit, in der katholische Mönche zuweilen gezwungen wurden, ihre Bärte abzurasieren), sie weigerten sich, Eide zu schwören und Waffen zu tragen.

Obwohl die Täufer traditionell nur zögerlich an politischen und öffentlichen Prozessen teilnahmen, sandten sie bereits 1793 – da sie nun französische Bürger waren – eine Delegation nach Paris, die sich für ihre dauerhafte Befreiung vom Militärdienst einsetzte. In einem Schriftstück, das von Maximilien de Robespierre unterzeichnet ist, wird der Befreiung zugestimmt. Diese Befreiung vom Wehrdienst war allerdings nicht von Dauer. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts führte Napoleon zahlreiche Kriege, und seine Armeen brauchten Soldaten. Bis 1829 intervenierten die Täufer aus verschiedenen Anlässen mit Briefen und Delegationen in Paris. Aber die Befreiung wurde nicht erneuert. Als Bürger, gleichberechtigt mit allen anderen Bürgern, waren sie gleichermaßen verpflichtet, mit der Waffe zu kämpfen.

Das folgende 19. Jahrhundert war einschneidend für die täuferisch-mennonitische Identität in Frankreich. Die Täufer bzw. Mennoniten standen vor der Entscheidung, den Militärdienst zu akzeptieren oder auszuwandern. Die Mehrheit blieb, gegen Ende des Jahrhunderts kamen sogar noch Einwanderer aus der Schweiz ins Oberelsass, aber eine große Zahl zog mit vielen anderen europäischen Mennoniten fort, hauptsächlich nach Nordamerika. Jean Séguy spricht von 5000 französischen Täufern und Täuferinnen im Jahr 1850 und von weiteren 3000 zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Diese Zahl schließt die täuferischen Bewohner des Elsass ein, das 1870 deutsch wurde.

Durch die Auswanderung nach Nordamerika und nach Mittelfrankreich sowie den Verlust der elsässischen Gemeinden veränderte sich das französische Täufertum grundlegend. Bestimmte Aspekte der Theologie und Praxis verschwanden zunehmend. Die Nonkonformität gegenüber der Welt wurde individualisiert und weniger korporativ von der Kirche zum Ausdruck gebracht. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts passte sich das Täufertum in Frankreich – wie in ganz Europa – immer mehr an die weitere Gesellschaft an. Bis 1900 verschwanden vierzehn Gemeinden und die übrig gebliebenen unterhielten nur lose Beziehungen zueinander.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts drohte das französische Täufertum ganz zu verschwinden. Eine Wende wurde allerdings von einer Art mennonitischer „Erweckung“ in den Gemeinden herbeigeführt. Einerseits näherten sie sich an den französischen Evangelikalismus an, und andererseits versuchten sie, sich an dem täuferischen Ursprung neu zu orientieren. Beide Tendenzen stehen immer noch in Spannung zueinander und müssen miteinander ausgeglichen werden,

Durch Auswanderung und kulturelle Assimilation verschwanden die amischen Traditionen und Praktiken immer mehr aus dem französischen Täufertum und wurden durch Elemente des freikirchlichen Erweckungs-Evangelikalismus ersetzt. Gemeindeleiter wie Pierre →Sommer (1874–1952) und andere sorgten dafür, dass die französischen Täufer, die sich nach der Konferenz von Ohnenheim 1660 „Mennoniten“ nannten, ihre ethnische Nische verließen und Beziehungen zu anderen französischen Evangelikalen aufnahmen. Diese Beziehungen belebten die Gemeinden wieder. Persönliche Glaubensüberzeugung (Bekehrung) wurde mit der Praxis der Bekenntnistaufe und der Forderung nach einem neuen Lebenswandel verbunden, ebenso wurde über die Trennung von Kirche und Staat zu Beginn des 20. Jahrhunderts heftig gestritten. Der evangelikale Einfluss war nicht ganz neu, da das französische Täufertum sich schon länger dem Einfluss pietistischer Bewegungen geöffnet hatte und dadurch für evangelikale Einstellungen prädisponiert war. Trotz der neuen Kontakte mit den Evangelikalen wurden Verbindungen zu anderen Mennoniten nicht aufgegeben. Pierre Sommer war mit den Organisationen und Strukturen der Mennoniten in der Schweiz und Deutschland vertraut und ermutigte die elf französischen Gemeinden, Beziehungen zu deutschen und schweizerischen Mennonitengemeinden aufzunehmen. Gemeinsame Treffen fanden nun regelmäßig statt und bahnten im Jahr 1901 den Weg zur Gründung der Association des Eglises Evangéliques-Mennonites Françaises (Vereinigung der evangelikal-mennonitischen französischen Kirchen). Im Jahr 1907 wurde die französische mennonitische Zeitschrift Christ Seul (Christus allein) ins Leben gerufen und ersetzte den Rundbrief, in dem bisher die Nachrichten aus den jährlichen Konferenzen veröffentlicht worden waren.

3. Vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg unterbrach diese Entwicklungen abrupt. Von den französischen Mennoniten lebten viele in der Umgebung der Schlachtfelder und erlebten den Krieg aus nächster Nähe. Zahlreiche mennonitische Männer wurden eingezogen und verloren ihr Leben. Im Jahr 1918 fiel das Elsass wieder an Frankreich, und die Anzahl der Mennoniten erhöhte sich hier beträchtlich. So entstanden nun zwei sprachlich unterschiedliche mennonitische Konferenzen.

Wie bereits erwähnt, suchten Mennoniten zunehmend Kontakte zu französischen Evangelikalen wie der Heilsarmee, dem Bibellesebund, auch zum Blauen Kreuz, zu den Baptisten und den Pfingstlern. Die Mennoniten wurden Teil der kleinen, französischen, interkonfessionellen, evangelikalen Welt, die sich gegenüber dem historischen Protestantismus mehr und mehr profilierte und manche Diskussionen um eine eigene mennonitische Identität hervorrief. Für viele war mennonitische Identität mit amischer Gesetzlichkeit, spiritueller Lethargie und ethnischer Abgrenzung verbunden. In der evangelikalen Welt spürten sie dagegen religiösen Enthusiasmus und lebendige Spiritualität.

Es gab allerdings von verschiedener Seite bewusste Bemühungen, doch eine klar definierte mennonitisch-theologische Identität zu pflegen. Mehrere einflussreiche Persönlichkeiten der mennonitischen „Erweckung“ wie Pierre Sommer und Valentin Pelsy hielten bei den französischen Mennoniten mit viel Aufwand die historische Kontinuität zum Täufertum des 16. Jahrhunderts wach und bemühten sich darum, verlorene Elemente mennonitischer Eigenart wiederzubeleben.

Pierre Sommer wollte die französischen Mennoniten an die weitere Gemeinschaft der europäischen Mennonitengemeinden anschließen und nutzte dafür teilweise das bei einem längeren Aufenthalt auf dem Weierhof geweckte Interesse an der täuferisch-mennonitischen Geschichte, das um 1900 das Täufertum im Anschluss an sozialwissenschaftliche und religionssoziologische Untersuchungen in ein positives Licht gerückt hat (vgl. Max →Weber und Ernst →Troeltsch). Christ Seul veröffentlichte von 1912 bis 1914 und von 1927 bis zum Zweiten Weltkrieg eine regelmäßige Artikelserie über die Geschichte der Täufer und Mennoniten. Die mennonitische Identität in Frankreich wurde aber nicht nur durch das Interesse an der Geschichte der eigenen Konfession neu belebt, sondern auch durch Mission, internationale Hilfswerksarbeit und die Gründung der →Mennonitischen Weltkonferenz.

Bereits 1847 wurde von niederländischen Mennoniten die erste Missionsgesellschaft gegründet, die →Doopsgezinde Zendings Vereeniging. Im Laufe des 19. Jahrhunderts brachten sich weitere Mennoniten aus Deutschland, Russland und den Vereinigten Staaten in die Missionsarbeit auf Java ein. Seit 1902 ist die finanzielle Unterstützung der Missionsarbeit durch französische Mennoniten belegt, und bis Ende der 1930er Jahre berichtete Christ Seul regelmäßig über Besuche mennonitischer Missionare in französischen Gemeinden und über die Höhe der finanziellen Beihilfen für das Projekt auf Java, ebenso über die internationalen Hilfswerke, vor allem das →Mennonite Central Committee (MCC), die sich für die russischen Flüchtlinge in den 1920er und 1930er Jahren einsetzten.

Die Mennoniten aus Frankreich, Deutschland, Russland, Kanada und den Vereinigten Staaten fanden sich in den Armeen ihrer Heimatländer auf unterschiedlichen Seiten wieder und mussten um ihre Identität als Nachfahren der Täufer ringen. In Frankreich war – wie anderswo – das traditionelle Prinzip der Wehrlosigkeit bzw. Gewaltfreiheit mehr oder weniger im 19. Jahrhundert aufgegeben worden, so dass die französischen Mennoniten positiv auf die Mobilmachung reagierten und Mennoniten aus dem Elsass, das wieder deutsch geworden war, in die Armeen Hitlers gezwungen wurden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg öffneten sich auch die französischen Mennoniten wieder dem traditionellen mennonitischen Friedenszeugnis. Sie standen unter dem Einfluss von Pierre →Widmer, einem jungen Mennonit aus Frankreich und Reserveoffizier, der fünf Jahre in deutschen Gefangenenlagern verbracht und sich in dieser Zeit dem täuferisch-mennonitischen Pazifismus zugewandt hatte. Als tonangebender Gemeindeleiter und Herausgeber von Christ Seul ließ er sich von der nordamerikanischen mennonitischen Theologie der Nachkriegszeit inspirieren und unterhielt enge Kontakte mit dem Wiederaufbau- und Hilfsbüro des MCC in der Nähe Basels. Das Zusammenspiel der französischen Mennoniten mit ihren nordamerikanischen Partnern im MCC trug zur Veränderung der mennonitischen Identität und des Gemeindelebens in Frankreich bei.

4. Soziale Einrichtungen in der Nachkriegszeit

Ende 1945 verteilten vierzehn MCC-Mitarbeitende Nahrung und Kleidung und engagierten sich in sieben unterschiedlichen Kinderheimen in Frankreich. Bis 1950 hatten siebzig nordamerikanische MCC-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen in Frankreich ihren Dienst versehen. Pierre Widmer und sein Schwager Pierre Sommer (Sohn des oben erwähnten Sommer) gründeten ein französisches Hilfskomitee als verbindende Institution zwischen dem MCC und den Mennoniten in Frankreich.

Die Zusammenarbeit mündete in der Übernahme von zwei MCC-Kinderheimen und der Gründung der ersten beiden sozialen Einrichtungen der französischen Mennoniten in Valdoie (bei Belfort) 1950 und in Mont des Oiseaux in der Nähe der Geisberger Mennonitengemeinde (nördliches Elsass) 1951. Soziale Arbeit durch öffentliche Finanzierung wurde von da an eine Selbstverständlichkeit unter den Mennoniten in Frankreich, sowohl im Osten des Landes als auch in Paris.

5. Mission

Die Nachkriegsjahre waren wichtige Jahre für die mennonitische Missionsarbeit in Europa und für deren Selbstverständnis. 1950 wurden in Deutschland, der Schweiz und in Frankreich mennonitische Missionskomitees gebildet. Gemeinsam mit dem älteren niederländischen Komitee wurde 1952 das →Evangelische Mennonitische Evangelisationskomitee (EMEK) aufgebaut. Die französischen Mennoniten sandten ihren ersten Missionar 1950 aus: Dr. Marthe Ropp ging nach Java, um zusammen mit niederländischen Mennoniten und dem MCC zu arbeiten. So kam es zu einer intensiven Zusammenarbeit europäischer und nordamerikanischer Mennoniten in der Missionsarbeit.

6. Veränderungen im theologischen Selbstverständnis

Diese unterschiedlichen Bemühungen stehen für entscheidende Veränderungen in der Identität des französischen Mennonitentums – Veränderungen, die von einer Wende im theologischen Selbstverständnis begleitet wurden. Es wurde bereits erwähnt, dass eine französische Übersetzung von Harold S, Benders Anabaptist Vision publiziert wurde, die von Dr. Marthe Ropp übersetzt worden war. Darin werden Aufbau- und Missionsbemühungen zu einer selbstbewussten täuferischen Theologie zusammengeführt.

Neben der Wiederbelebung des Friedenszeugnisses und den Bemühungen um eine gemeinsame Missionsarbeit geht auch eine intensive Zusammenarbeit mit der Arbeit des MCC in Frankreich einher. Ein besonders leidenschaftlicher Förderer dieser Zusammenarbeit war Pierre Widmer, der erste Präsident des Comité de Mission Mennonite Française, Herausgeber von Christ Seul und eine Schlüsselperson bei der Gründung des mennonitischen theologischen Seminars auf dem Bienenberg im Jahr 1950. In dieser Zeit lebten außerdem einige junge mennonitische Akademiker aus Nordamerika in Europa, die sowohl mit dem MCC als auch an ihren eigenen Dissertationen arbeiteten. Unter ihnen war auch John H. →Yoder, der einen starken theologischen Einfluss auf die mennonitischen Gemeinden ausübte. Die Erfahrung des Algerischen Krieges (1954–1962) half den französischen Mennoniten ebenfalls, die Frage der Kriegsdienstverweigerung in ihren Gemeinden wachzuhalten.

7. Neuere Entwicklungen und gegenwärtiges Erscheinungsbild

Das gegenwärtige Erscheinungsbild der französischen Mennoniten wurde weitgehend von den Entwicklungen der Nachkriegszeit geformt. Zu sozialer Arbeit, missionarischem Engagement und theologischem Selbstverständnis gehören auch die Beziehungen zu Christen in anderen Kirchen. Die beiden mennonitischen Konferenzen haben sich 1979/1980 zur die Association des Eglises Evangéliques Mennonites de France (AEEMF) zusammengeschlossen. Lokale Gottesdienste und überregionale Zusammenkünfte werden heute fast ausschließlich in französischer Sprache durchgeführt.

Innerhalb der AEEMF gibt es gegenwärtig 33 Gemeinden mit ungefähr 2100 Mitgliedern. Sie haben ihren Schwerpunkt im südlichen Elsass, Montbéliard und Belfort. Diese Gemeinden erstrecken sich von Geisberg im Norden über Strasbourg, Colmar und Mulhouse bis in den Süden nach St. Genis, das an der Schweizer Grenze gegenüber von Genf liegt. Etwas außerhalb befindet sich noch eine Gemeinde in den südlichen französischen Alpen, mehrere in Lothringen und etwas weiter westlich. Drei Gemeinden sind in Paris entstanden.

Dort arbeiteten französische und nordamerikanische Mennoniten seit den 1950er Jahren zusammen, eine Arbeit, die früher vom nordamerikanischen Mennonite Board of Missions getragen wurde und heute von dem Mennonite Mission Network betreut wird. Aus dieser Zusammenarbeit ging die erste urbane französische Mennonitengemeinde in Châtenay-Malabry hervor, einem Vorort in der Region Ile-de-France etwas außerhalb von Paris. Die Pariser Mission Mennonite Française gründete zwei größere Einrichtungen für Menschen, die unter Behinderungen leiden (Amis de l'Atelier und Domaine Emmanuel). Das Foyer Grebel, ein Willkommenszentrum für Studierende aus Afrika, wurde zum Ausgangspunkt einer multikulturellen Gemeinde und entwickelte sich zu einer Schulungseinrichtung des Centre Mennonite de Paris.

Die AEEMF wird von einer Delegiertenkonferenz getragen, die zweimal im Jahr stattfindet und von einem Exekutivausschuss geleitet wird. Die Leitungsstrukturen in den Gemeinden sind nicht einheitlich und variieren je nach Region und lokaler Tradition. Traditionell besteht die Leitung aus Ältesten, Predigern und Diakonen. Zusätzlich verfügen viele Gemeinden über einen Gemeinderat, der für die Verwaltung im Rahmen französischer Rechtsvorschriften zuständig ist. Die Zahl der ausgebildeten und fest angestellten Pastoren in den Gemeinden ist stark angestiegen. Über ein Drittel der Gemeinden wird von voll- oder halbzeitig angestellten Pastoren oder Evangelisten betreut. Mehrere Pastorenstellen werden finanziell von der Vereinigung unterstützt.

Das allgemein angestiegene Ausbildungsniveau hat nach einer besseren Ausbildung der Prediger in Theologie und Seelsorge verlangt. Einen entscheidenden Beitrag zur Ausbildung von Gemeindegliedern und Leitungspersonen hat das CeFoR-Bienenberg (Centre de Formation et de Rencontre →Bienenberg, Ausbildungs- und Tagungszentrum Bienenberg) geleistet. Die Formation Biblique pour le Service dans l'Assemblée (Biblischer Unterricht für den Dienst in der Gemeinde) ist ein Fünfjahresprogramm mit sieben Wochenendkursen jährlich. Seit 1988 wurden durchschnittlich vierzig Studierende im Jahr ausgebildet, und seit 2003 bietet das Programm Études Francophones en Théologie Anabaptiste (Französischsprachige Studien in täuferischer Theologie) ein vierjähriges Hochschulstudium in Theologie aus täuferischer Perspektive an. Weitere mennonitische Studierende lassen sich an das theologische Seminar in Vaux-sur-Seine bei Paris, an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Marc-Bloch-Universität in Strasbourg oder an verschiedenen Bibelschulen in Nogent-sur-Marne, Genf oder St.-Légier/Schweiz („Emmaüs“) ausbilden.

Die AEEMF hat verschiedene Kommissionen eingerichtet, um die Konferenz- und Gemeindearbeit zu koordinieren und zu leiten. Die Commission des Ministères (Kommission der Dienste) hilft den Gemeinden bei Änderungen in Leitungspositionen, bei der Anstellung und Ausbildung von Pastoren und Laien sowie bei der Lösung von Konflikten. Sie betreut den theologischen Nachwuchs und organisiert Praktika. Einen Teil der Aufgaben übernimmt inzwischen ein halbzeitig angestellter Pastor. Die Commission Foi et Vie (Kommission Glaube und Leben) hat die nordamerikanische Confession of Faith in a Mennonite Perspective (Glaubensbekenntnis in mennonitischer Perspektive) übersetzt und für den Gebrauch in den Gemeionden bearbeitet, und die Commission de Réflexion pour la Paix (Friedenskommission) richtet den jährlichen Friedenssonntag der AEEMF aus. Die Commission de Jeunesse (Jugendkommission) organisiert und finanziert nationale und lokale Jugendaktivitäten und wird dabei von einem Pastor für die Jugend und weiteren Jugendpastoren vor Ort unterstützt.

Wichtige Organe, die das Gemeindeleben fördern und den Zusammenhalt der Gemeinden untereinander stärken sind Christ Seul und Editions Mennonites. Die Serie Dossiers de Christ Seul besteht aus drei Heften pro Jahr und bietet Material zur Vertiefung pastoraler, ethischer und theologischer Fragen aus mennonitischer Perspektive. Die 1980 gegründete →Association Française d'Histoire Anabaptiste Mennonite (AFHAM) veröffentlicht die jährliche Zeitschrift Souvenance Anabaptiste/Mennonitisches Gedächtnis mit vielen neuen Forschungen zu französisch/elsässisch-mennonitischer Geschichte. Perspectives anabaptistes ist seit 2001 eine Publikationsreihe zur täuferischen Theologie und Geschichte, die gemeinsam vom CeFoR Bienenberg und dem Centre Mennonite de Paris herausgegeben wird.

Die Verbindungen der französischen Mennoniten zum weltweiten Mennonitentum wurden besonders durch die →Mennonitische Weltkonferenz (MWK) 1984 und die jahrzehntelange Präsenz des Konferenzbüros in Straßburg gestärkt. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts wird an dem Réseau Francophone gearbeitet, einem französischsprachigen Netzwerk unter dem Dach der MWK, das zwischen französischsprachigen Mennoniten in Europa, Afrika und Kanada Beziehungen herstellt und Ressourcen für gemeinsame Aktivitäten bereitstellt.

Die mennonitische Sozialarbeit hat sich seit ihren Anfängen 1950 stark erweitert. Insgesamt gibt es nahezu sechzig Einrichtungen mennonitischen Ursprungs, die mehrheitlich aus den erwähnten Anfängen in Paris hervorgingen und in der Fédération des Associations et Mouvements d'Insertion Sociale zusammengeschlossen sind.

Die Missionsbemühungen im Ausland haben die französischen Mennoniten inzwischen zu Missionskooperationen in unterschiedlichen Ländern wie im Tschad, in Burkina Faso, Senegal, Ruanda, Philippinen, Laos u. a. geführt. Moderne Technologie und Transportwesen erlauben einen Austausch zwischen Personen, Kirchen und Jugendprojekten, wie er in früheren Jahren nicht möglich gewesen wäre. Französische Jugendfreizeiten werden regelmäßig im Tschad, im Kongo, in Burkina Faso und in Quebec (Kanada) veranstaltet. In neuester Zeit ist die Mission in Frankreich selbst vom französischen Missionskomitee übernommen worden, und zwei Gemeindegründungsprojekte werden von den französischen Mennoniten finanziell getragen.

Die mennonitische Hilfsorganisation Caisse de Secours (Hilfskasse) arbeitet mit dem MCC, europäischen mennonitischen Hilfsorganisationen und dem Réseau Francophone zusammen, um die AEEMF und ihre Gemeinden auf die weltweite Not aufmerksam zu machen und Hilfe zu leisten.

Die Beziehungen zu anderen Kirchen sind ebenfalls ein wichtiger Aspekt des mennonitischen Lebens in Frankreich. Für viele Gemeinden ist die Verflechtung mit der evangelikalen Welt normal. Mehrere Gemeinden teilen sich den Kirchenraum seit Jahren mit Reformierten Kirchen. Momentan gehört die AEEMF weder zur nationalen Organisation der Evangelikalen noch zur protestantischen Föderation in Frankreich. Es wird jedoch erwogen, beiden Zusammenschlüssen beizutreten. Die von der Mennonitischen Weltkonferenz geführten Dialoge mit anderen christlichen Kirchen wurden von den französischen Mennoniten gewöhnlich zustimmend begleitet, vor allem die Beratungen zwischen Lutheranern und Mennoniten zwischen 1981 und 1984. Auch die Beziehungen zu Katholiken gestalten sich in einigen Gemeinden immer selbstverständlicher (→Ökumenische Bewegung).

Während die französischen Mennoniten in den letzten Generationen sprachlich und kulturell „französischer“ wurden, entwickelten sie sich doch auch zu größerer Vielfalt. Sie beginnen, sich eher theologisch als ethnisch zu definieren und ein gesteigertes Selbstbewusstsein auszubilden. Sie werden urbaner, ihre berufliche Zusammensetzung breiter, multikulturelle Gemeinschaften und Leitungsgremien sind Realität, und die Präsenz in Gesellschaft und sozialem Dienst ist Konsens. Den französischen Mennoniten wird immer bewusster, dass sie Glieder einer größeren christlichen Familie sind, die sich in einer säkularen Umgebung weltweit zu bewähren hat.

Bibliografie

Claude Baecher, Bibliografie anabaptiste francophone (htpp://www.biblioanab.fr). - Robert Baecher, Les racines alsacienes du mouverment amish (XVIe-XVIIIe siècle, in: Donald B. Kraybill, Les amish, une énigme pour le monde moderne, collection « perspectives anabaptistes », Cléon d'Andran 2004, 11–22. - Von Robert Baecher zahlreiche Aufsätze in Souvenance anabaptiste. - Neal Blough, Contemporary French Mennonite Identity Seen Through Recent French Mennonite Publishing Efforts, in: Mennonite Quarterly Review 66, 1992, 90–98. - Ders., The Anabaptist Vision and its Impact among French Mennonites, in: Mennonite Quarterly Review, 69, 1995, 369–388. - Diether Götz Lichdi, Die Mennoniten in Frankreich, in: Hanspeter Jecker und Alle G. Hoekema (Hg.), Glaube und Tradition in der Bewährungsprobe. Weltweite täuferisch-mennonitische Geschichte, Bd. 2: Europa, Schwarzenfeld 2014, 231–243. - Marc Lienhard und Pierre Widmer (Hg.), Les entretiens luthéro-mennonites (1981–1984), in : Cahiers de Christ Seul 16, Montbéliard 1984. - André Nussbaumer und Michèle Wolff, Histoire des Assemblées Mennonites française à la veille de l'an 2000, Herborn 2003. - Précis d'histoire des Eglises mennonites, Montbéliard 1914. - Jean Séguy, Les Assemblées Anabaptistes-mennonites de France, Paris und La Haye 1977.

Zeitschriften

Christ Seul, Montbéliard 1907 ff. - Les Cahiers de Christ Seul, Montbéliard 1980 ff. - Les Dossiers de Christ Seul, Montbéliard 2000 ff. - Souvenance Anabaptiste/Mennonitisches Gedächtnis, Colmar 1981 ff.

Dossiers von Christ Seul 2/3,2000 (50 ans d'action sociale) ; 3, 2001 (100 ans d'Éditions Mennonites) ; 1,2002 (Mission) ; 2/3, 2002 (Mont Oiseau) ; 3/4,2007 (Pierre Widmer), 4, 2008 (travail social et spiritualité) ; 3,2009 (Neal Blough, Mennonites d'hier et d'aujordhui) ; 1, 2012 (Réseau mennonite francophone).

Websites

Französische Mennoniten: www.menno.fr - Christ Seul: http://editions-mennonites.fr/ - Association des Etablissements du Domaine Emmanuel: http://www.aede.fr/ - Caisse de secours : http://caissedesecours.menno.fr/ - CEFOR/Bienenberg : http://fr.bienenberg.ch/ - Centre Mennonite de Paris : http://www.centre-mennonite.fr/ - Comité de Mission Mennonite Français : http://cmmf.menno.fr/- Fondation des Amis de l'Atelier : http://www.lesamisdelatelier.org/ - Joie et Vie : http://www.joie-et-vie.com/ - Editions mennonites : http://www.christ-seul.fr/index2.asp - Le Mont des Oiseaux : http://www.montdesoiseaux.fr/ - Réseau Mennonite Francophone : https://www.mwc-cmm.org/article/r%C3%A9seau-francophone?language=fr

Neal Blough

 
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