Friedrichstadt (Mennonitengemeinde)

Friedrichstadt wurde 1621 zwischen Eider und Treene in Schleswig-Holstein gegründet und entwickelte sich als ein bemerkenswerter Ort religiöser Pluralität und Toleranz in der frühen Neuzeit. Die Bevölkerung der Stadt setzte sich bald aus →Remonstranten, →Mennoniten, Lutheranern und Katholiken zusammen, hinzu kamen später Juden, →Quäker und zeitweise polnische Sozinianer sowie radikale Pietisten. Die Mennonitengemeinde spielte eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der Stadt wie in der Geschichte des norddeutschen Mennonitentums.

Um ein Handelszentrum zu errichten, das Amsterdam Konkurrenz machen sollte, gewährte Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf den Ansiedlern in Friedrichstadt Zugeständnisse in der Ausübung ihrer religiösen Freiheit. Niederländische Remonstranten und Mennoniten, die nicht nur religiöse Freiheit für sich selbst suchten, sondern auch Toleranz gegenüber anderen als eine prinzipielle Angelegenheit befürworteten, spielten eine bedeutende Rolle bei der Errichtung und Entwicklung der neuen Stadt und waren in der Lage, ihren Stadtrat viele Jahre lang zu kontrollieren.

1. Gründungsschübe und Entwicklungen

Friedrich III. und seine holländischen Mitarbeiter sahen in den erneuten Konflikten zwischen Spanien und den Vereinigten Provinzen 1621 Möglichkeiten für eine aussichtsreiche Entwicklung der neuen Stadt und für den wirtschaftlichen Vorteil Schleswig-Holsteins. Spanien wiederum hatte holländische Schiffe und Kapitäne vom Handel in seinen Häfen ausgeschlossen, und so war die Hoffnung erwacht, eine Konzession für freien Handel mit Spanien könnte diese Männer dazu verlocken, Bürger Schleswig-Holsteins zu werden und ihren Handel von Friedrichstadt aus zu treiben. Das geschah allerdings nur vorübergehend.

Noch weniger erfolgreich war der Plan in den 1630er Jahren, Handel mit Persien aufzunehmen. Seide sollte nach Kiel und weiter durch Schleswig-Holstein bis nach Friedrichstadt und von dort aus überallhin ins westliche Europa verschifft werden. Als die großen wirtschaftlichen Pläne der Gründer scheiterten, sank Friedrichstadt zwar im Gegensatz zur ursprünglichen Absicht zu einem regionalen Handelsplatz ab, aber die Toleranz, die diese Stadt befördern sollte, gewann an Bedeutung. Die Stadt wurde zu einem Ort, wo sich der religiöse Pluralismus in einem Territorialstaat begrenzen und verwalten ließ.

Der eifrigste Berater des Herzogs bei dem Unternehmen war Willem van den Hove, Herr van Wedde, ein unermüdlicher holländischer Mittelsmann, der mehr als jede andere Person die besonderen Merkmale Friedrichstadts in den Jahren vor und nach der Gründung formte. Einige haben vermutet, dass er Mennonit gewesen sei, da er und seine Frau statt eines Eides eine Beteuerungsformel gesprochen hatten (→Eid). Ein Beleg dafür fehlt aber. Friedrichs früheste Entwürfe des Oktrois zur Stadtgründung sind von van den Hoves Hand geschrieben und stammen aus dem Spätsommer des Jahres 1619. Sie sahen die freie Religionsausübung für „Mennonisten“, „Martinisten“ und Remonstranten vor. In der Kanzlei wurde die Erwähnung der Mennoniten jedoch gestrichen, da sich die Meinung durchgesetzt hatte, dass der Herzog sie entweder ganz ausschließen oder ihre Anwesenheit nur dulden, ohne ihnen die öffentliche Religionsausübung zu erlauben, und eine formelle Konzession erst später erwägen sollte. Der holländische Oktroi, den Friedrich III. am 27. September 1619 unterzeichnete, erwähnte die Mennoniten überhaupt nicht.

Nachdem ihm remonstrantische Geistliche, die im Sommer 1621 kurz vor Baubeginn der Stadt mit dem Herzog verhandelten, bedrängten, die Mennoniten als nützliche Förderer der Stadt und ruhige Menschen zuzulassen, war der Herzog bereit, bis zu einem gewissen Grade „durch seine Finger (zu) sehen.“ Aufgrund des Versprechens, die Frage freier Religionsausübung zu entscheiden, nachdem die Stadt sich gefestigt hatte, bestätigte ein erweiterter Oktroi im Mai 1622 die Gleichberechtigung der drei Konfessionen. Und auf Anlass der Ankunft mennonitischer Gerber und Weber, die aus der Grafschaft Jülich 1623 eingetroffen waren, erhielten die Mennoniten ein eigenes Privileg, das 1625 mit Anerkennung ihrer Skrupel gegen das Waffentragen, Eidschwören und die Übernahme von Ämtern erweitert wurde.

2. Struktur der Gemeinde

Die ersten Mitglieder der Gemeinde kamen von der benachbarten Halbinsel Eiderstedt, wo Täufer schon seit Mitte des 16. Jahrhunderts zu finden waren, ebenso aus den Niederlanden, vor allem aus der Provinz Nordholland, und aus Jülich. Während des Pfälzischen Erbfolgekrieges kam eine Gruppe mennonitischer Familien 1693 aus der Pfalz nach Friedrichstadt, aber 1698 sind fast alle wieder zurückgekehrt. Mitglieder der Gemeinde waren besonders als Schiffer und Reeder, Lohgerber, Weber und Tuchhändler tätig.

Der Herzog verhandelte mit den Mennoniten als einer geschlossen Gruppe, aber in den ersten Jahren gab es verschiedene Richtungen, die sich im Laufe des 17. Jahrhunderts zu einer vereinigten Gemeinde zusammenfanden. „Hauskäufer“ und „Contra-Hauskäufer“, also Gruppen der Flamen, kamen relativ früh zusammen und bildeten mit den Waterländern die Flämische Gemeinde, mit der sich die Hochdeutschen 1653 vereinigten. Obwohl die flämisch-hochdeutsche Gemeinde bereits 1670 der friesischen Gemeinde eine Vereinigung angeboten hatte, kam ein Zusammenschluss erst 1698 zu Stande. Zuerst wurde das Versammlungshaus der Friesen gemeinsam genutzt, da es sich aber als zu klein erwies, versammelte sich die Gemeinde ab 1708 (und bis heute) im Haus der flämisch-hochdeutschen Gemeinde, im Anbau der so genannten Alten Münze. In dieser Zeit erreichte die Gemeinde ihren Höhepunkt.

3. Stellung in der Stadt

Im 17. Jahrhundert wurden die Mennoniten zu einer der größten und wohlhabendsten Teile der Stadtbevölkerung, während die Remonstrantengemeinde durch die Rückkehr zahlreicher Gemeindemitglieder nach Holland abnahm (vgl. die jährlichen Steuerlisten). In der Liste für 1635 können etwa zwei Drittel der Steuerzahler in ihrer Religionszugehörigkeit identifiziert werden und die Gruppen der Remonstranten, Mennoniten und Lutheraner sind ungefähr gleich groß. Die Remonstranten zählen zu den reichsten Einwohnern und werden gleich von den Mennoniten gefolgt. Schon 1650 waren 45% Lutheraner, 20% Mennoniten, 16% Remonstranten, worunter die Mennoniten dem Mittelwert nach das höchste Vermögen aller Gruppen aufwiesen. Dieser Trend setzte sich ins 18. Jahrhundert hinein fort: lutherischer und mennonitischer Aufstieg neben remonstrantischem Abstieg.

Angesichts ihrer Anzahl und ihres Wohlstandes überrascht es nicht, dass Mennoniten hier von Anfang an politische Ämter übernahmen, wohl so früh wie sonst nirgends in Deutschland. Francois von der Schagen und Willem van den Hove dienten in der provisorischen Stadtregierung als Assessoren, blieben aber den Gerichtssitzungen des Rates fern. Im ersten regulären Stadtrat, der vom Herzog 1631 ernannt worden war, befanden sich zwei Mennoniten, wovon einer vom Umgang mit gerichtlichen Angelegenheiten explizit befreit worden war. Gleichzeitig gab es auch andere Positionen: 1629 wurde Cornelis de Beer unter Berufung auf das Privileg von 1625 davon befreit, die Aufsicht über das Brotgewicht zu unternehmen. Im 18. und 19. Jahrhundert dienten drei Mennoniten als Bürgermeister.

4. Weitere Entwicklungen

Nach seiner Blüte am Anfang des 18. Jahrhunderts verkleinerte sich die Gemeinde allmählich. Zwischen 1703 und 1803 sank die Zahl der Abendmahlsteilnehmer von 178 auf 36 Gemeindemitglieder ab. Bereits 1713 waren 52 Mitglieder am „schwarzen Tod“ gestorben. Es fehlten begabte geistliche Prediger und Seelsorger, und Besuche von bedeutenden Altonaer Ältesten wie →Geeritt Roosen und Jakob Denner (der 1694–98 die flämisch-hochdeutsche Gemeinde betreut hatte) konnten das nicht ersetzen. Im 19. Jahrhundert folgten wiederholt besonders fähige Prediger Berufungen nach auswärts: Jacob van der Smissen und Jakob Mannhardt 1826 und 1836 nach Danzig, J. C. van der Smissen 1867 nach den USA.

5. Zum heutigen Zustand

Seit den 1920er Jahren wird die Gemeinde von Pastoren aus Hamburg-Altona betreut. Zurzeit halten die etwa 20 Mitglieder vier oder fünf Gottesdienste im Jahr, wobei mindestens ein Gottesdienst ökumenisch gestaltet wird. Das Kirchengebäude, die Alte Münze, gehört mittlerweile der Stadt, die für die Instandhaltung sorgt. Seit den 1960er Jahren hat die dänische evangelisch-lutherische Gemeinde das Mitnutzungsrecht, daher hängt ein Kruzifix an der mennonitischen Kanzel und vor ihr steht ein (mobiler) Altar. Die Ökumene bleibt in der Stadt lebendig: Die fünf noch vorhandenen Konfessionen, evangelisch-lutherisch (deutsch und dänisch), remonstrantisch, mennonitisch und katholisch sowie Vertreter der jüdischen Tradition, veröffentlichen ein gemeinsames Mitteilungsblatt: Kirche in Friedrichstadt.

Literatur (Auswahl)

Christian Neff, Art. Friedrichstadt, in: Mennonitisches Lexikon, Bd. 2, Weierhof 1937, 4–5. - Robert Dollinger, Geschichte der Mennoniten in Schleswig-Holstein, Hamburg und Lübeck, Neumünster 1930. - Sem C. Sutter, Die Anfänge der Mennonitengemeinde in Friedrichstadt (1621–1650), in: Mennonitische Geschichtsblätter 1980, 42–53. - Ders., Friedrichstadt an der Eider: Ort einer frühen Erfahrung religiöser Toleranz, 1621–1727, Friedrichstadt 2012.

Die Akten der Gemeinde befinden sich im Stadtarchiv Friedrichstadt.

Website der Mennonitengemeinde Friedrichstadt: http://www.mennoniten.de/friedrichstadt.html

Sem Sutter

 
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