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Apostolizität

1. Kontinuität und Aufbruch

Der Begriff „Apostolizität“ leitet sich vom griechischen apostolä ab, also Sendung, ein Apostel ist ein Gesandter, ein Bote. Apostolizität bezeichnet die Kontinuität der Kirche zu ihren Anfängen in apostolischer Zeit. Sie antwortet auf die Frage, wie die Kirche Jesu Christi in der Spur bleibt. Schon in den neutestamentlichen Schriften ist das ein Thema, wenn betont wird, dass alle, die neu zum christlichen Glauben kommen, sich treu an die Lehre der Apostel und an die Gemeinschaft halten (Apg. 2, 42). Die Aufzählung der Zeugen der Osterbotschaft, die gleichzeitig Gesandte des Auferstandenen sind, ist die Rückbindung für den Apostel Paulus zu den Anfängen der Urgemeinde (1. Kor. 15, 1-11). Im Johannesevangelium wird stattdessen vom Bleiben im Wort und in der Wahrheit gesprochen (Joh. 8).

Apostolizität ist seit dem Glaubensbekenntnis von Nicäa 381 eine der klassischen vier Kennzeichen der Kirche neben Einheit, Heiligkeit und Katholizität. Der Abdruck dieses Bekenntnisses im Mennonitischen Gesangbuch (2004) zeigt die gestiegene Wahrnehmung für dieses am weitesten verbreitete Bekenntnis der Christenheit für die mennonitischen Gemeinden in Deutschland und der Schweiz.

Aus mennonitisch-täuferischer Sicht wird der Begriff eher wenig gebraucht, obwohl die Treue zum Ursprung der Kirche eine der wichtigsten Anliegen im täuferischen Aufbruch war (→Täufer). Die Wiederherstellung (restitutio) der wahren Kirche war das Ziel, und so werden immer wieder Rückbezüge zu den apostolischen Ursprüngen hergestellt. Ein frühes Beispiel ist der Brief Konrad →Grebels und anderer an Thomas →Müntzer im Jahre 1524. Da wird das Singen in lateinischer Sprache kritisiert, da es ohne göttliche Lehre und apostolisches Beispiel entstanden ist; und in Bezug auf die Taufe sollen die Bräuche der Apostel ans Licht gebracht werden.

In Abgrenzung zu einer institutionellen Sicherung der Apostolizität durch das →Amt haben sich die täuferischen Gemeinden als apostolisch verstanden und dies allein durch das Wort Gottes und den Heiligen Geist garantiert gesehen. Als Nachfolgegemeinschaft ist Kirche durch den Heiligen Geist mit ihrem Ursprung in Jesus Christus und seinen ersten Jüngerinnen und Jüngern verbunden. Dies begründet die Heiligkeit der Glieder.

Für die Täufer war es eine Frage der Glaubwürdigkeit, radikal neu anzufangen, also im wörtlichen Sinne an die Wurzeln (radix) des christlichen Glaubens zu gehen. In der Lektüre der Bibel entdeckten sie neu – oder wieder – das urchristliche Verständnis von der →Taufe nach Bekennen des Glaubens, von der Gemeinde der Gläubigen, vom gewaltlosen Friedenszeugnis. Kontinuität wird so nicht einfach als Fortsetzung und Wiederholung verstanden, sondern gerade die Treue zum apostolischen Ursprung führte zum Aufbruch und Bruch.

2. Ökumenische Dialoge

Bis heute steht dieses Verständnis im Gegensatz zur Lehre der Mehrheit, insbesondere der Katholischen Kirche. Hier wird die Apostolizität durch die Apostolische Sukzession gesichert: die Vermittlung und Weitergabe des Heiligen Geistes durch die Person, die ordiniert, an den Kandidaten. Die Berufung durch Gott ist im Weihesakrament an das Amt des Bischofs gebunden.

Im ökumenischen Dialog (→Ökumenische Bewegung, →Bilaterale Konfessionsgespräche) ist diese Spannung von Freiheit einerseits und Ordnung andererseits weiterhin Gegenstand der Diskussion. Das zeigt sich in den mennonitischen Stellungnahmen zu der Konvergenzerklärung über Taufe, Eucharistie und Amt (Lima 1982). Auf die in einem jahrzehntelangen Prozess erarbeiteten Konvergenzerklärungen von Lima sind von mennonitisch-täuferischer Seite Stellungnahmen erfolgt (vor allem zur Taufe, →Taufe III). Die →Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (VDM) kritisiert besonders den Begriff der „apostolischen Sukzession“. Sie verweist darauf, dass sich die Träger besonderer Aufgaben mit allen anderen Christen in der Nachfolge befinden. Die Kontinuität in der Kirche Jesu Christi wird demzufolge im Evangelium selbst als lebendiges Wort gesehen, nicht im Amt und der apostolischen Sukzession. Die kritische Funktion der apostolischen →Tradition gerade in Bezug zur apostolischen Sukzession wird von den niederländischen Doopsgezinden in ihrer Antwort auf Lima betont.

Im Internationalen Dialog zwischen der Katholischen Kirche und der →Mennonitischen Weltkonferenz 1998-2003 ging es auch um das jeweilige Verständnis von Apostolizität. Während aus katholischer Sicht die Apostolische Sukzession im Weihesakrament festgemacht wird und mit dem Bischofsamt verbunden ist, besteht sie aus täuferisch-mennonitischer Sicht in der Treue zum Zeugnis der Schrift und der Nachfolge. Die katholische Seite wählt ein formales Kriterium und bindet die Apostolizität an die Institution, während die mennonitische Seite auf einer inhaltlichen Füllung der Apostolizität besteht, indem sie das Friedenszeugnis als Teil des apostolischen Glaubens benennt (→Bilaterale Konfessionsgespräche, Abschnitt 5).

Eine institutionell gesicherte Kontinuität allein kann inhaltlich nicht überzeugen. Entscheidend ist eine inhaltliche Bestimmung der Apostolizität durch die Botschaft Jesu Christi. Das Friedenszeugnis gehört untrennbar zur Identität der Kirche Christi, es ist Bestandteil des apostolischen Glaubens.

Können Mennoniten und Katholiken die Apostolizität der jeweils anderen Kirche anerkennen? Diese Frage wird von den Dialogpartnern zum Schluss bejaht, und dieses nachdem Konvergenzen und Differenzen benannt sind.

So führt eine Anerkennung der Verschiedenheit gleichzeitig zu größerer Verständigung; und das ist ein verändertes inklusives Verständnis von Apostolizität, die oft exklusiv – also als ein Ausschlusskriterium – definiert worden ist.

3. Weltweiter Horizont: Katholizität

Neben das Kennzeichen der Apostolizität tritt ergänzend das der Katholizität. Es beschreibt den weltweiten Horizont der Kirche und wird oft mit „allgemein“ oder „christlich“ wiedergegeben, steht also für das Ganze. Christinnen und Christen sind Kosmopoliten, Weltbürgerinnen und Weltbürger. Die Grenzenlosigkeit der Kirche entspricht dem alle Grenzen überwindenden Evangelium, und damit sind Grenzen aller Art gemeint, also national, ökonomisch, sozial, und sexuell (Gal. 3, 28). Die Kirche Christi ist international, nicht provinziell, oder zugespitzt: Gott spricht nicht nur Plattdeutsch. Die Veränderungen auf der mennonitischen Landkarte als Folge der Mission illustrieren dies, die Mehrheit der mennonitisch-täuferischen Glaubensfamilie lebt heute im globalen Süden. Der Weg der Mennonitischen Weltkonferenz mit ihren Vollversammlungen von Winnipeg nach Kalkutta, von Bulawayo nach Asunción zeigt diese Entwicklung deutlich.

Diese Realität gilt es theologisch ernst zu nehmen. Ein Vordenker für eine radikal reformierte Katholizität ist John Howard →Yoder, der die Zentralität einer konkreten Gemeinde und der weltweiten Kirche zusammenbindet. Er versteht Katholizität als einen Prozess des Gespräches, von dem niemand ausgeschlossen sein darf und der die lokale und die globale Dimension der Kirche verbindet.

4. Ausblick

Wo Mennoniten im Dialog mit anderen Kirchen sind, können sie genau diese Verbindung einbringen. Gleichzeitig lernen sie so, wahrhaft katholisch und universal zu sein und in der Spur dessen, der sie gesandt hat, zu bleiben.

Literatur (Auswahl)

Allgemene Doopsgezinde Societeit (ADS), General Mennonite Society, in: Churches respond to BEM, Official Responses to the "Baptism, Eucharist and Ministry" Text, M. Thurian (Hg.), Faith and Order Paper 135, Bd. III, Genf 1987, 289–296. - Bericht über den Internationalen Dialog zwischen der Katholischen Kirche und der Mennonitischen Weltkonferenz, 1998–2003: „Gemeinsam berufen, Friedensstifter zu sein“ in: Fernando Enns (Hg.), Heilung der Erinnerungen – befreit zur gemeinsamen Zukunft. Mennoniten im Dialog, Frankfurt/Main 2008, 29–132. - Heinold Fast (Hg.), Der linke Flügel der Reformation. Glaubenszeugnisse der Täufer, Spiritualisten, Schwärmer und Antitrinitarier, Bremen 1962. - Gerald Mast, J.Denny Weaver, Defenseless Christianity. Telford, PA, 2009. - Hanspeter Jecker (Hg.), Jesus folgen in einer pluralistischen Welt. Impulse aus der Arbeit John Howard Yoders, Weisenheim am Berg 2001. - Nancy Heisey, Particular and Universal, Shaping Twenty-first Centuries´Anabaptist Identitiy, in: Conrad Grebel Review ( Fall) 2004, 11–28. - Andrea Lange, Katholizität und Apostolizität in mennonitischer Sicht, in: Burkhard Neumann und Jürgen Stolze (Hg.), Ursprung und Sendung der Kirche. Apostolizität und Katholizität in freikirchlicher und römisch-katholischer Sicht, Paderborn 2011, 135–152. - Nanne van der Zijpp, Art. Apostolic Succession (193), in: Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online: http://www.gameo.org/encyclopedia/contents/A6734.html. - John Howard Yoder, Catholicity in Search of Location, in: Ders., The Royal Priesthood. Essays Ecclesiological and Ecumenical, hg. Von Michael G. Cartwright, Scottdale, PA, und Waterloo, Ont., 1998, 300–320.

Andrea Lange

 
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