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Kleidung

Die Mennoniten der Gegenwart sind eine weltweite Glaubensgemeinschaft (→Globalisierung) und spiegeln die Verschiedenartigkeit ihrer kulturellen Herkunft in ihren Bräuchen oder Praktiken wider. Im Mai 2012 traf sich die Europäische Mennonitische Regionalkonferenz (MERK) in Sumiswald, einem kleinen Ort in der Schweiz. Zahlreiche Teilnehmer, Jugendliche wie Erwachsene, trugen legere Jeans, T-Shirts oder praktische Kleidung. Zwei Monate später feierten Mennoniten in der Demokratischen Republik Kongo das einhundertjährige Bestehen ihrer Glaubensgemeinschaft. Die Mitglieder des Chores Mille Voix (Tausend Stimmen) traten bei den Feierlichkeiten in gleicher Kleidung auf. Speziell für diesen Auftritt war Stoff mit weißen Tauben auf leuchtend rosa Hintergrund bedruckt und zu Hemden und langen Kleidern geschneidert worden. Sie verkündigen auf farbenfrohe Weise anders als die feierlichen, zumeist dunklen Talare sonst eine Botschaft, nämlich die Verheißung des von weißen Tauben symbolisierten Friedens für die Welt.

1. Kleidung als Statussymbol im Mittelalter

Mit der Kleidung eine besondere Botschaft an die Umwelt zu richten oder einen besonderen Status in der Kirche anzuzeigen, geht auf die frühe Christenheit zurück. Priester, Mönche und Nonnen unterschieden sich in ihrer Kleidung (Chorhemd, Stola, Mönchskutte, Ordensgewand, Soutane) von den Laien – nicht nur in der Feier der Gottesdienste, sondern auch im Alltag auf Straßen und Plätzen, auf Reisen und sogar bei der Feldarbeit. Doch im Mittelalter unterschieden sich von den Laien nicht nur die Vertreter des geistlichen Standes (Klerus), sondern auch die Laien selbst als Mitglieder verschiedener weltlicher Stände voneinander: Adlige, Bürger und Bauern. Alle Stände im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation unterlagen einer verbindlichen Kleiderordnung (seit 1478). So wurde die Kleidung zum Symbol des Standes bzw. zu einem Statussymbol. Entsprechend der hierarchischen Gliederung der Stände nach der Bedeutsamkeit ihrer gesellschaftlichen Stellung wurden die Kleider vom sakral wirkenden Messgewand des Klerus über die prunkvoll ausgestattete Kleidung in Kreisen des Adels und die wertvolle Kleidung der Kaufleute und Bürger bis zum grauen Kittel und einfachen Filzhut des Bauern abgestuft und auf solchermaßen standesgemäße Kleidung streng geachtet.

2. Symbolkraft einfacher Kleidung in der Reformationszeit – Zeichen des Andersseins

In einer Gesellschaft, in der die Kleiderordnung das Leben der Menschen derart stark bestimmt, überrascht es nicht, wenn in Auseinandersetzungen der Stände untereinander nach außen hin die Kleidung zum Problem werden konnte. So wurde im Streit der Laien mit dem Klerus im späten Mittelalter, aber deutlicher noch in den frühen Jahren der Reformation des 16. Jahrhunderts die Prachtentfaltung klerikaler Kleidung angefeindet und in antiklerikalem Affekt Priestern und Mönchen gelegentlich die geistlichen Gewänder vom Leib gerissen. Im Ittinger Klostersturm (1524) war es zu einer geradezu rituellen „Zwangsentkleidung“ der Mönche gekommen (Peter Kamber, Reformation als bäuerliche Revolution, 295). Andreas Bodenstein von →Karlstadt, ein gelehrter Kleriker an der Universität zu Wittenberg, tauschte seinen Gelehrtentalar gegen ein schlichtes Bauerngewand und einen grauen Filzhut zum Zeichen der Kritik am klerikalen Stand und der Solidarität mit dem „gemeinen Mann“ ein. Martin →Luther verwarf das Barrett der Gelehrten, und der Tuchknappe Nikolaus Storch in Zwickau zog die Tracht eines Landsknechts an, um so ein Zeichen seines kämpferischen Einsatzes für die Sache Jesu Christi in aller Öffentlichkeit zu setzen. Ekstatische Täuferinnen im Appenzeller Land demonstrierten mit abgeschnittenem Haar und Gewändern aus grobem Leinen gegen die luxuriöse Mode ihrer Geschlechtsgenossinnen, der Täufer Augustin Bader ließ ein besonderes Gewand unter Berücksichtigung reichsstädtischer Kleiderordnungen für den zu erwartenden Messiaskönig herstellen, und die Täufer in Münster legten sich adlige Gewänder an, um dem Herrschaftsanspruch unter ihrem König Jan van Leiden mit einem standesgemäßen Hofstaat Nachdruck zu verleihen. Thomas Kaufmann hat kürzlich von „vestimentären Konversionen“ unter den Radikalen der Reformationszeit gesprochen und darauf hingewiesen, dass die Kleidung auch für die Täufer „den unverzichtbaren kulturellen Ausdruck einer sei es vollzogenen, sei es gewünschten und geforderten ‚Veränderung' darstellte“ (Thomas Kaufmann, Der Anfang der Reformation, 483). Das mag besonders für einige Gruppen und Gestalten unter den Täufern gelten, allgemein wird es wohl der antiklerikale Affekt gewesen sein, der im Täufertum besonders ausgeprägt war (→Antiklerikalismus) und der dazu angeregt hat, im Gegenzug zum Priester den Habitus des frommen Laien auch in der Kleidung zum Ausdruck zu bringen, einer schlichten Kleidung, die ohne Eitelkeit und Geltungssucht getragen wurde und die Absonderung von den Ungläubigen markieren sollte. So wurden auch die Gottesdienste von Laien ohne Talar oder Ornat gehalten – in Gleichheit mit den übrigen Gemeindegliedern und in aller Alltäglichkeit. Damit entsprachen sie auch der Forderung, die Grenze zwischen Gemeinde und Welt, mehr wohl noch zwischen altem und neuem Leben, in praktischer Bewährung des Glaubens sichtbar werden zu lassen. Offensichtlich legten die Täufer darauf Wert, wie Johannes Keßler in seiner Sabbata bemerkte, dass „ir gang und wandel ganz demuttig“ sei (vgl. Marlies Mattern, Vom Leben im Abseits, 82 f.).

Anders als in den verschiedenen Gruppen der Täufer wurde auf den Bruderhöfen der Hutterer die schlichte Kleidung sogar normiert und für alle Brüder und Schwestern uniform gestaltet. Auf andere Weise gilt das auch später für die Amischen und die Altmennoniten in Nordamerika. Die Männer ersetzten die Knöpfe an ihren Anzügen durch Haken und Ösen, und die Frauen trugen zu ihren schlichten dunklen Kleidern oder langen Röcken kleine weiße Hauben. Heute noch kleiden sich viele Angehörige dieser mennonitischen Gemeinschaften in einem vorgeschriebenen, bescheidenen Stil, der den Geschlechtsunterschied betont, ansonsten aber die Bekleidung einer längst vergangenen Zeit imitiert, besonders die Altkolonier, Mitglieder der Church of God in Christ Mennonite (Holdeman) und auf ihre Weise auch die Hutterer. Auch in den Niederlanden war die Kleidung der Mennoniten zunächst eher schlicht oder unauffällig. Für Krefelder Mennoniten ist bezeugt, dass sie um die Mitte des 18. Jahrhunderts in den tonangebenden Familien ein Wandel eingetreten war: „Jünglinge, die die Welt von mehreren Seiten ansahen, wagten es, von der gewohnten Steifheit abzugehen, die Haare in runde Locken zu legen, Schuhschnallen zu tragen und blaue Röcke nach modischem Schnitte, aber Weste und Hose mußten noch schwarz sein. Auch das junge Frauenzimmer wollte nicht mehr an der Bescheidenheit der Alten festhalten. Die Mützen wurden zu Hauben, diese zierlicher und bandreicher, der Katun lebhafter und großblumiger, überhaupt die Kleidung netter. Nur der sonntägliche Anzug zur Kirche erhielt sich noch lange braun und schwarz“ (Engelbert vom Bruck und seine Selbstbiographie, 2, 145, zit. n. Peter Kriedte, Äußerer Erfolg und beginnende Identitätskrise, 175). Wurde zunächst noch über die Kleiderfrage in der Gemeinde beraten oder gestritten, erlosch das Interesse bald daran. Die Kleidung markierte fortan nicht mehr die Grenze zur Gesamtgesellschaft in der Stadt.

3. Kleidung ohne religiöse Unterscheidungskraft seit dem 19. Jahrhundert

Während des 19. und 20. Jahrhunderts kam es unter Mennoniten in den USA und Kanada zu intensiven Diskussionen über Kleidung als Symbol der Abwendung von der „Welt“ bzw. der biblischen Forderung, sich nicht mit der „Welt“ gleichzustellen (Rö. 12, 2). Dabei ging es vornehmlich um die Kopfbedeckung der Frauen als Unterordnung unter die geistliche Autorität in der Gemeinde (1. Kor. 11, 5 f.). Im Zuge des Akkulturationsprozesses haben sich die meisten Mennoniten von der traditionellen Kleiderordnung allmählich getrennt und sich dem Stil und der Mode der allgemeinen Gesellschaft angepasst (→Akkulturation). Dennoch gibt es konservative Kreise unter den Mennoniten in Nordamerika, in denen eine schmucklose Kleidung als Symbol religiöser und sozialer Identität weiterhin in Gebrauch ist. Von der Außenwelt wird die schlichte Kleidung und zivilisationsfeindliche Lebensweise allerdings oft nur noch als ein Relikt aus ruhigeren Zeiten bestaunt.

Bibliografie (Auswahl)

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Rachel Pannabecker und Hans-Jürgen Goertz

 
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