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Burkholder, J. Lawrence
geb. am 31. Oktober 1917 in West Hill, Pennsylvania, gest. am 24. Juni 2010 in Goshen, Indiana, USA; Professor der Theologie am Goshen College, Indiana, und an der Harvard Divinity School, Cambridge, Mass., USA, Präsident des Goshen Colleges (1971–1984), ein vielbeachteter Gelehrter und Interpret der theologischen Ethik in der mennonitischen Tradition Nordamerikas.
J. Lawrence Burkholder wuchs in Newville auf, einer kleinen Stadt im Zentrum Pennsylvanias, wo sein Vater Henry L. Burkholder am Shippensburg State Teachers´ College Geschichte und Erziehungswissenschaften lehrte. Das Collegestudium beendete J. L. Burkholder 1939 in Goshen. Hier begegnete er Harriet Lapp (1915–2007), mit der er 67 Jahre lang verheiratet war. Sie hatten vier Kinder: Myrna, Howard, Janet (Lauren) Friesen und Gerald (gest. 1981).
Burkholder erwarb 1942 den Grad eines Bachelor of Divinity am Lutheran Seminary in Gettysburg, Pa. In demselben Jahr wurde er zum Prediger in der Croghan Mennonite Church im Norden des Staates New York ordiniert. Später erwarb der den Magister- und den Doktorgrad in Theologie am presbyterianischen Theological Seminary in Princeton, New Jersey (1951/1958). Er schrieb die mit summa cum laude ausgezeichnete Dissertation unter Anleitung des bekannten Theologen Paul Lehmann, der Dietrich Bonhoeffer während dessen Studienaufenthalts am Union Theological Seminary 1930/31 betreut hatte.
Ein Leben lang war Burkholder in der Pastorenausbildung tätig, darüber hinaus war er auch ein vielseitig aktiver Mensch. Schon früh faszinierten ihn Flugzeuge, so dass er bereits im Alter von fünfzehn Jahren den Pilotenschein erwerben konnte. Bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts flog er kleinere Flugzeuge. In der Nachfolge Christi fühlte er sich noch im Zweiten Weltkriegs berufen, einen Ersatzdienst in Indien und China von 1944 bis 1948 zu leisten.
Während der turbulenten sechziger Jahre beteiligte er sich an den Kampagnen für die allgemeinen Menschenrechte in den USA, vor allem in Boston, Mass. Anlässlich eines Aufenthaltes in St. Augustin (Florida), wo er eine Kampagne Martin Luther Kings gegen rassische Ungerechtigkeit unterstützte, war er für kurze Zeit in Haft geraten. Später wurde er vom Präsidenten der Harvard University gebeten, im Gedächtnisgottesdienst für den ermordeten Martin Luther King zu sprechen. 1972 begleitete er Studenten des Goshen Colleges auf einem Protestmarsch in Washington, DC, gegen die Bombardierung Kambodschas.
Diese Erfahrungen bildeten eine wichtige Grundlage für das ethische Denken Burkholders. Schon in China spürte er einige Ungereimtheiten im Absolutheitsanspruch des ethischen Denkens seiner Zeit. Später sagte er: „Meine mennonitische Herkunft hatte mich nur darauf vorbereitet, eindeutige Entscheidungen zu treffen“, d. h. keine Kompromisse einzugehen. Er fragte sich, ob die mennonitische Ethik tatsächlich in der Lage sei, „sowohl mit den wesentlichen Ansprüchen des Christentums als auch den Realitäten des modernen Lebens gleichermaßen umzugehen.“ Seiner Meinung nach seien die Mennoniten nie auf befriedigende Weise mit Gerechtigkeit und Macht als Elementen menschlichen Lebens zurechtgekommen (A. James Reimer, Mennonites and Classical Theology, 279).
Burkholder verstand sein Engagement für soziale Gerechtigkeit als eine Dimension der Nachfolge Christi. In seinen Lehrveranstaltungen und in mehreren Abhandlungen verband er den Begriff der „Nachfolge Christi“ mit den Schriften des späteren Dietrich →Bonhoeffer. So lud Burkholder in sein Seminar an der Harvard University beispielsweise die einstige Verlobte Bonhoeffers, Maria von Wedemeyer, ein, um über Bonhoeffers Nachfolgetheologie zu diskutieren. Er bemühte sich, „Christus zu dienen, indem er den Nächsten mit größerem Verständnis und größerer Nachhaltigkeit in Liebe begegnete“.
Burkholder forderte die Kompromisslosigkeit der mennonitischen Theologie und Ethik heraus und verursachte damit Spannungen in akademischen Mennonitenkreisen. Ältere Wortführer fühlten sich von seiner Dissertation über The Problem of Social Responsibility from the Perspective of the Mennonite Church (1958), die erst 1989 veröffentlicht werden konnte, zutiefst irritiert (vgl. Th. F. Schlabach, Guy F. Hershberger vis-à-vis J. Lawrence Burkholder, Irreconcilable Approaches to Christian Ethics, 9–34). Zahlreiche jüngere Akademiker aber begrüßten sein frisches Denken als belebendes Element in den theologischen Auseinandersetzungen um Fragen der Ethik. Burkholders Wechsel vom Goshen College zur Harvard Divinity School 1961 ermöglichte es ihm, seine Arbeiten zur sozialen Verantwortung als auch seine Forschungen zu Innovationen im kirchlichen Leben fortzusetzen.
Mit Studenten beteiligte sich Burkholder daran, eine neue mennonitische Gemeinde in Boston zu gründen. Auch arbeitete er weiterhin am mennonitischen Church Peace and Social Concerns Committee mit. 1970 nahm er den Ruf an, Präsident des Goshen Colleges zu werden.
Während der dreizehn Jahre seiner Präsidentschaft (1971–1984) sorgte er für eine starke Leitung des Colleges. Vor allem hat er die internationale Ausbildungskomponente des Colleges erweitert, indem er einen Studienaufenthalt in China einrichtete. Mit diesem Programm wurden mehr als 150 Studierende nach Chengdu in der Provinz Szetschwan geschickt. Im Austausch kamen Dutzende von chinesischen Lehrern nach Goshen, um hier die englische Sprache zu erlernen und amerikanische Literatur, Kultur und christliche Theologie zu studieren. Burkholder half, den China Educational Exchange – jetzt Mennonite Partners in China – für mennonitische Missions- und Hilfswerksagenturen zu gründen.
Burkholder war ein Hochschullehrer für Ethik, er verfügte aber auch über ein breites Repertoire an anderen Interessen. Er war ein eifriger Tennisspieler und ein geschickter Angler. Er war eine hervorragende Erscheinung im Rampenlicht der kongregationalistischen Kirchen Neuenglands und zahlreicher Mennonitengemeinden. In Goshen hielt er häufig Ansprachen zu biblischen und zeitgenössischen Themen. Wie er in seinen Lebenserinnerungen The Limits of Perfection (1993) schrieb, verband er seine Lebenserfahrungen mit seinen ethischen Überlegungen, wo immer er sich in der Öffentlichkeit zu Wort meldete.
J. Lawrence Burkholder war eine wichtige Stimme im mennonitischen Leben Nordamerikas von den 1940er bis in die 1990er Jahre. Sein Ringen mit den Realitäten der modernen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik, wie sie im Urbanisierungsprozess für die Mennoniten bedeutsam wurden, half den mennonitischen Gemeinden ihren christlichen Auftrag in einer neuen historischen Situation ernst zu nehmen.
Schriften
The Peace Churches as Communities of Discernment, in: The Christian Century, 4. Sept. 1963, 1072–1075. - Dialogue on Christ´s Resurrection with Harvey G. Cox and Wolfhart Pannenberg, in: Christianity Today, April 1968, 5–11. - Conflict in the Churches, in: Harvard University Bulletin, new series, 2, 1969, 14–20. - Love and Justice in Mennonite Mutual Aid, in: The Compassionate Community, zusammengestellt von H. Ralph Hernley, Scottdale, Pa., 1970, 51–77. - Prophetic Cristicism and Corporate Responsibility. Resource Packet, General Mennonite Church Commission on Home Ministries, Newton, Ks., 1978. - Rethinking Christian Life and Mission in Light of the Chinese Experience, in: James Whitehead, Yu-Ming Shaw and N. J. Girardot (Hg.), China and Christianity: Historical and Future Encounters, Notre Dame, Indiana,1979, 206–229. - How do we do Peace Theology? In: Willard Swartley (Hg.), Essays in Peace Theology and Witness, Elkhart, Ind., 1988, 12–34. - The Problem of Social Responsibility from the Perspective of the Mennonite Church, Elkhart, Ind., 1989. - Zahlreiche Aufsätze und Artikel im Goshen College Bulletin (Rubrik „Sum and Substance“). - Autobiographie: The Limits of Perfection: A Conversation with J. Lawrence Burkholder, hg. von Rodney J. Sawatsky und Scott Holland, mit einem neuen Epilog, 2. Aufl., Kitchener, Ont., 1996. - Deutsche Veröffentlichung: Die Gemeinde der Gläubigen, in: Hans-Jürgen Goertz (Hg.), Die Mennoniten (Die Kirchen der Welt, Bd. VIII), Stuttgart 1971, 53–69.
Bibliografie: Lawrence Burkholder: A Bibliography, zusammengestellt von Karl N. Sutzman, in: Mennonite Quarterly Review, July 2006, 435–453.
Literatur
A. James Reimer, Mennonites and Classical Theology. Dogmatic Foundations für Christian Ethics. Kitchener, Ont., 2001, 277–279 u. ö. - Theron F. Schlabach, Guy F. Hershberger vis-à-vis J. Lawrence Burkholder: Irreconciable Approaches to Christian Ethics, in: Mennonite Quarterly Review 73, 1999, 9–34.- Nachruf von John A. Lapp in: Mennonite Quarterly Review 84, 2010, 485 f.
John A. Lapp