Inhaltsverzeichnis
Hertzler, Richard
geb. am 15. Juli 1907 in Ebertsheim (Pfalz), gest. am 11. Juli 1981 in Kirchheimbolanden, Deutschland; Geschäftsführer des Mennonitischen Hilfswerks.
Richard Hertzler war seit 1935 in erster Ehe verheiratet mit Ilse, geb. Steinmetz (gest. 1955), seit 1955 in zweiter Ehe mit Gertrud, geb. Würtz (gest. 2008). Aus der ersten Ehe gingen zwei Töchter und aus der zweiten Ehe zwei Söhne hervor. Nach dem Besuch der Realschule absolvierte er eine kaufmännische Ausbildung in einer Gießerei. 1928 bis 1933 war er Angestellter im Bereich Werbung und Vertrieb in verschiedenen Firmen in Frankfurt/Main, Dresden und Berlin. 1934 bis 1943 war er Büroleiter und Prokurist einer führenden Weingroßhandlung Norddeutschlands in Berlin. 1943 bis 1945 war er Soldat in der Wehrmacht.
Im Sommer 1947 wurde er Mitarbeiter des Hilfswerks der Evangelischen Landeskirche der Pfalz in Neustadt/W. und Geschäftsführer der Schulkinderspeisung in Ludwigshafen am Rhein. Diese Erfahrungen prägten seinen weiteren Lebensweg. Er beschloss, nicht wieder in der freien Wirtschaft tätig zu werden, sondern im kirchlich diakonischen Bereich zu arbeiten.
Nicht zuletzt durch die Schulkinderspeisung kam er in Kontakt mit nordamerikanischen Mennoniten und dem →Mennonite Central Committee (MCC). In den folgenden zwei Jahrzehnten entwickelte er sich zu einem der wichtigsten Ansprechpartner der nordamerikanischen Mennoniten in Deutschland und wurde so zum Gesicht der deutschen Mennoniten gegenüber den USA. 1953 folgte er einer Einladung zu einer dreimonatigen Rundreise durch nordamerikanische Mennonitengemeinden, um dort von der Aufbauarbeit in Deutschland zu berichten und für die nordamerikanische Wiederaufbauhilfe zu danken. Diese Reise dokumentierte er, genauso wie viele andere Ereignisse und Reisen, mit seiner 16 mm-Schmalfilmkamera; mit diesem damals noch relativ wenig verbreiteten Medium gelangen ihm eindrucksvolle Dokumentationen und Berichte, die seine Vortragsreisen in viele Mennonitengemeinden auf lebendige Weise illustrierten.
Anfang der fünfziger Jahre wurde er Zweiter Vorsitzender des Vereins für die Anstalt am Donnersberg. Mit großem Engagement setzte er sich für die Rückführung und Wiedereröffnung der Weierhöfer Schule ein, die seit der Nachkriegszeit von US-amerikanischen Truppen besetzt war. Dank seiner guten Kontakte zu amerikanischen Mennoniten, die den Kongressabgeordneten Leon H. Gavin als Fürsprecher gewinnen konnten, gelang es schließlich, dass die Schule im November 1958 freigegeben und am 7. April 1959 der Schulbetrieb mit 105 Schülern und Hertzler als deren Wirtschaftsleiter wieder aufgenommen wurde. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch das mennonitische Hilfswerks-Büro auf den Weierhof verlegt, die sogenannte Weierhöfer Stelle.
Das →Hilfswerk der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (HVDM) war formal bereits 1946 gegründet worden. Organisatorisch zunächst noch getrennt nach britischer und französischer Zone erfolgte 1948 der Zusammenschluss – mit einem Büro in Neustadt/W. und später Ludwigshafen/Rh. Ab 1947 wurde Hertzler Geschäftsführer des Hilfswerks. Diese Arbeit wurde für die nächsten 25 Jahre zum Herzstück seines Lebenswerks.
Die diakonische Arbeit der deutschen Mennoniten weitete sich rasch aus und führte, jeweils unter maßgeblicher Beteiligung Hertzlers, zur Gründung weiterer Werke: 1949 wurde der Mennonitische Altersheimverein gegründet (ab 1956 „Mennonitische Heime e.V.“ mit Altersheimen in Leutesdorf, Enkenbach und Pinneberg, später kam das Kinderheim in Bad Dürkheim hinzu). Geschäftsführer des Vereins wurde Richard Hertzler. Aus der Einsicht heraus, dass Flüchtlinge verstärkt in Deutschland angesiedelt und nicht zur Auswanderung bestärkt werden sollten, wurde 1953 die Mennonitische Siedlungshilfe mit Siedlungen in Enkenbach, Backnang, Bechterdissen, Espelkamp, Wedel, Lübeck und Neuwied gegründet. 1951 wurde schließlich der norddeutsche Gemeindeausschuss zur Einteilung von Flüchtlingsgruppen, ihrer Zuweisung zu bestimmten Bezirken und zur Einbindung in die bestehenden Gemeinden ins Leben gerufen. Der Gemeindeausschuss regelte auch die Verteilung und Vergütung von Predigern.
Darüber hinaus setzte sich Hertzler erfolgreich für eine Aufnahme der mennonitischen Prediger in die kirchliche Zusatzversorgungskasse (KZVK) ein und konnte so dazu beitragen, deren Ruhegeld auf eine solide Basis zu stellen.
Wichtige Impulse gab er auch zur Schaffung internationaler mennonitischer Werke. So war er Geschäftsführer des 1954 gegründeten Internationalen Mennonitischen Hilfswerks (IMH), das 1967 dann als Diakoniewerk der Mennoniten (DWM) in der Internationalen Mennonitischen Organisation (IMO) aufging (→Mennonitische Hilfswerke in Deutschland). 1950 war er Mitbegründer des Mennonitischen Freiwilligendienstes (MFD), einer Fortführung der Freiwillingenarbeit des MCC mit dem Ziel, junge Menschen aus verschiedenen Ländern zu diakonischen Arbeitseinsätzen wie der Hilfe bei den Flutkatastrophen 1953 in den Niederlanden und 1962 in Hamburg zusammenzubringen.
Viele Jahre gehörte er der Herausgeberkommission von Der Mennonit an, von 1968 bis 1971 als deren Vorsitzender. Nicht zuletzt war ihm auch die Friedensarbeit ein Anliegen. Er war 1956 einer der Gründer des →Deutschen Mennonitischen Friedenskomitees (DMFK) und deutscher Vertreter und Mitgründer von EIRENE (1957).
Seine Arbeit galt überwiegend den Mennoniten, aber sein Blick reichte darüber hinaus. So war er maßgeblich an der Entscheidung beteiligt, dass sich die Gemeinden der Vereinigung der deutschen Mennonitengemeinden an der Aktion „Brot für die Welt“ zu beteiligen begannen. Mit seinem vielfältigen diakonischen Engagement wurde Richard Hertzler zu einer Schlüsselfigur der deutschen Mennonitengemeinden nach dem Zweiten Weltkrieg.
Literatur
Richard Hertzler und Delbert Grätz,, Zeitzeugen erzählen, in: Gudrun Schäfer (Hg.), Die Speisung der Hunderttausend, Landau 1997, 38 ff. und 82 ff. - Unser Hilfswerk, in: Der Mennonit 11/1960, 129–130. - Entstehung des Hilfswerks, in: Der Mennonit 8, 1957, 101. - Drei Zweige mennonitischer Hilfsarbeit heute, in: Der Mennonit 8, 1957, 108.
Nachrufe
Peter J. Foth, 25 Jahre treuer Dienst. Zum Tod von Richard Hertzler, in: Mennonitische Blätter 9/1981, 143–144. - Horst Gerlach, Richard Hertzler, in: Der Bote Nr. 34, 23. Sept. 1981, 8.
Christoph Hertzler