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Sawatsky, Rodney J.

geb. am 5. Dezember 1943 in Altona, Manitoba, Kanada, gest. am 27. November 2004 in Waterloo, Ont., Kanada; Theologe, Sozialhistoriker und Soziologe, Präsident des Conrad Grebel University College in Waterloo, Ont., Kanada.

Rodney Sawatzky hatte sich früh für eine akademische Laufbahn entschieden. Sie entsprang seiner Verwurzelung in seinem Geburtort Altona in Manitoba und der frühen Erziehung in mennonitischen Schulen der General Conference (Bachelor of Theology am Canadian Mennonite Bible College, wo er kurze Zeit lehrte) und dem Bachelor of Arts am Bethel College, Kansas herausführte und sich auf natürliche Weise mit seiner folgenden Arbeit verband. Schlüsselpositionen seiner Laufbahn waren die Wahrnehmung der Aufgaben eines Academic Dean (1974–1989) und eines Präsidenten der Conrad Grebel University College in Waterloo, Ont., (1989–1994), wo eine Denkkultur gepflegt wurde, die den mennonitischen Gemeinden im Osten der USA näher war, und dann des Präsidenten am Messiah Colleges, Grantham, Pa., (1994–2004), das in der Conference der Brethren in Christ verwurzelt ist und starke Affinitäten zum Evangelikalismus aufweist. In vielerlei Hinsicht führen Stil und Inhalt seines letzten Buchs über Gracious Christianity (2006), das er mit Douglas Jacobson zusammengeschrieben hat und das den Untertitel Living the Love we Profess trägt, die Frömmigkeit weiter, die Sawatskys tiefem Bemühen zu Grunde lag, die gegebenen Wahrheiten und Ausdrucksformen der christlichen Kirche, die er so sehr liebte, auf die Probe zu stellen.

Als Historiker der modernen USA und Kanadas begann Rodney Sawatsky die Arbeit an seiner Dissertation unter Anleitung des bekannten Historikers der amerikanischen Religion Timothy L. Smith an der University of Minnesota, danach zog er mit ihm an die Princeton University, wo er seine Dissertation fertig stellte. Diese Dissertation erschien posthum unter dem Titel History and Ideology: American Mennonite Identity Definition through History 2005. Sawatsky lenkte die Aufmerksamkeit auf die Art und Weise, wie die Forschung über die amerikanischen Mennoniten des 20. Jahrhunderts, besonders im Vergleich zwischen C. Henry →Smith und Harold S. →Bender, von dem unterschiedlichen Verständnis der potentiellen Rolle, wenn auch teilweise unbewusst, geprägt wurde, die den mennonitischen Einwanderern nach Amerika zugedacht wurde. So wurde der Unterschied betont, der sich einerseits aus der Pflege einer amerikanischen mennonitischen Identiät ergab – abgesondert und getrennt von dem herrschenden Protestantismus in Nordamerika, täuferisch und nicht liberal oder fundamentalistisch als Ergebnis aus Benders „Wiederentdeckung der täuferischen Vision“ – und andererseits aus dem Bemühen entstand, den Impuls herauszuarbeiten, der aus der „Ankunft der russischen Mennoniten“ (so der Titel eines weit verbreiteten Buches von C. Henry Smith aus dem Jahre 1927) auf die Entwicklung der demokratischen und fortschrittlichen Kultur hervorging. Sawatsky lag daran, den ideologischen Unterbau zu Bewusstsein zu bringen, welcher der Forschungsarbeit der Historiker ihre besondere Gestalt verlieh.

Ein anderes wichtiges Thema, das in einer Vorlesungsreihe am Bethel College umfassend erörtert wurde, aber schon in nuce auf Versammlungen führender Vertreter der General Conference in Kanada und den USA während der 1980er Jahre angesprochen wurde, war die schwierige Beziehung zwischen Autorität und →Identität im Mennonitentum. Authority and Identity: The Dynamics of the General Conference Mennonite Church (1987) war eigentlich auch eine Darstellung der Pluralität täuferischer Bewegungen, wie sie sich in den Jahrhunderten nach ihrem Aufbruch im 16. Jahrhundert entwickelte. Dieses Thema wurde besonders am Beispiel der General Conference erörtert, da sie seit ihrer Gründung 1860 versucht hat, einem klassischen christlichen Einheitsverständnis zu folgen: in wesentlichen Dingen Einheit, in nebensächlichen Dingen Verschiedenheit und über allem Liebe. Da unter mennonitischen Forschern, vor allem seit 1975, mit beträchtlichem Aufwand über die polygenetischen Anfänge des Täufertums im 16. Jahrhundert diskutiert (→Täuferforschung) und die Anschauung bestritten wurde, dass alle täuferischen Bewegungen aus dem als normativ geltenden Evangelischen Schweizer Täufertum 1925 entstanden seien, versuchte Sawatsky zu zeigen, dass die Weite der Kontexte, in denen die Mennoniten das Erbe der Täufer bewahrt haben, notwendigerweise in sich verschiedene Richtungen hervorbringen musste. Jeder Weg, der eingeschlagen wurde, sollte einer kritischen theologischen Analyse unterzogen werden, und das Verstehen und Missverstehen der früheren Geschichte sollten als Werkzeuge genutzt werden, die Zeitgenossen heute in Stand zu setzen, über die Formen der Autorität, über die Struktur der Führung und über die Bemühungen um Identität nachzudenken, wie sie für die Zukunft bedeutsam werden könnten.

Viele seiner am häufigsten zitierten Artikel, in denen sein Denken immer deutlichere Gestalt annahm, befassten sich mit dem Thema der Identität und nahmen Impulse aus der Soziologie, Sozialgeschichte und Theologie in einer vergleichenden und bewusst ökumenisch orientierten Weise auf.

Nordamerikanische Forscher begannen damals zu diskutieren, ob die systematische Theologie nicht ersetzen müsste, was nicht mehr als ein allseits akzeptierter Sinn täuferisch-mennonitischer Geschichte anzusehen sei. Auch in diese Diskussion schaltete sich Sawatsky ein und veröffentlichte drei wichtige Aufsätze, die an seine Dissertation anknüpften: Defining Mennonite Diversity and Unity (1983), Mennonite Ethnicity:Medium, Message and Mission (1991), eine Kritik der Tendenz, ethnisches Mennonitentum negativ gegen multikulturell ausgerichtete Mission und Theorien des Kirchenwachstums zu setzen, und The One and the Many: The Recovery of Mennonite Pluralism (1992). Hier wird die Aufmerksamkeit auf die Vielfalt religiöser Kulturen quer durch das Spektrum mennonitischer Denominationen gelenkt, wie sie von zwei wichtigen soziologischen Studien 1975 (Anabaptists Four Centuries Later) und 1989 (The Mennonite Mosaic) deutlich aufgezeigt werden. Sawatskys Rolle als Präsident des Colleges war auch wichtig für die produktive und kreative Arbeit der relativ kleinen Anzahl von Fakultätsmitgliedern. Er hat sie ermutigt, sich in Gesprächen mit Kollegen der Colleges anderer Denominationen zu engagieren, die mit der University of Waterloo verbunden waren und deren Arbeit durch Konferenzen und Veröffentlichungen gefördert wurden, wenn auch nur selten durch die marktgängige Herald Press, die der Goshen School besonders bereitwillig zur Verfügung stand.

Ein Hauptgrund, warum Rodney Sawatsky eingeladen wurde, die Präsidentschaft am Messiah College zu übernehmen, war die Bitte, den dortigen Hochschullehrern zu helfen, ihrem täuferischen und pietistisch evangelikalen Erbe wieder einen tieferen, von mehr Verständnis als bisher getragenen Sinn abzugewinnen. Sawatsky erreichte das nicht nur durch das Anwerben von Fakultätsmitgliedern, um pietistische und täuferischen Studien voranzutreiben, sondern auch dadurch, dass er Konferenzen anregte, die das Zentrum wiederzugewinnen versuchten, aus dem sich eine entschiedene Parteinahme für den Amerikanischen Evangelikalismus entwickeln sollte. Zwei seiner Abhandlungen für die historische Zeitschrift Brethren in Christ History and Life lassen sein eigenes Denken erkennen. Eine Abhandlung trug den Titel Translating Brethren in Christ Identity (1999) und die andere Engaging Anabaptism: Conversations with the Radical Tradition (2002).

Schließlich sah Sawatsky seine Aufgabe darin, ein ernsthaftes Gespräch in Publikationsorganen anzuregen, indem er Stimmen das Wort erteilte, die zuvor zum Schweigen verurteilt waren, wenn auch nicht durch disziplinierende Akte wie in der mennonitischen Kirche früherer Jahrhunderte, doch durch ein Verschweigen, das im Nichtveröffentlichen und im Nichtverbreiten der Ideen derjenigen bestand, die entweder als Abweichler oder als Provokateure galten und der bevorzugten Ideologie der Mehrheit im Wege standen. Sein Aufsatz The Quest for a Mennonite Hermeneutic in Conrad Grebel Review 1993 rief gedankenreiche Reaktionen hervor, ja, diese Zeitschrift, die von Walter Klaassen herausgegeben und von Sawatsky stets unterstützt wurde, hatte eine Rubrik für „Responses“ eingerichtet. Sawatsky war es, der dafür sorgte, dass die Dissertation J. Lawrence Burkholders Mennonites and Social Responsibility (1958), deren Veröffentlichung von der (Old) Mennonite Church einst abgelehnt wurde, schließlich vom Institute of Mennonite Studies der Associated Biblical Seminaries doch 1988 veröffentlicht werden konnte. Gemeinsam mit Scott Holland veröffentlichte Sawatsky auch The Limits of Perfection: A Conversation with J. Lawrence Burkholder. Auch in diesem Fall hatte dieses Buch nur eine eingeschränkte Verbreitung durch das Institute of Anabaptist-Mennonite Studies des Conrad Grebel Colleges gefunden. Als andere Wissenschaftler sich in ihren Publikationen darauf bezogen, wurde das Gespräch allmählich aber aufgenommen, und die Argumente Burkholders wurden gehört. Während seiner Tätigkeit am Messiah College brachte Sawatsky zusammen mit zwei anderen Kollegen, Douglas Jacobsen und Rhonda Hustedt, Scholarship and Christian Faith: Enlarging the Conversation (2004) heraus. Dieses Mal hat die Oxford University Press, mit der das College zusammenarbeitete, für eine größere Verbreitung dieser Publikation gesorgt, als es Sawatsky sonst vergönnt war.

Rodney Sawatskys akademische Laufbahn wurde jäh abgebrochen, als er mit sechzig Jahren an einem Gehirntumor starb.

Schriften (Auswahl)

History and Ideology: American Mennonite Identity Definition through History, Kitchener, Ont., 2005. - Authority and Identity: The Dynamics of the Genral Conference Mennonite Church. Cornelius H. Wedel Historical Series, North Newton, KS, 1987. - The Quest for a Mennonite Hermeneutic, in: Conrad Grebel Review 11, 1993, 1–20. - Mit Scott Holland (Hg.), The Limits of Perfection. A Conversation with J. Lawrence Burkholder, Waterloo, Ont., 1993. - Mit Douglas G. Jacobson und Rhonda Hustedt Jacobson, Scholarship and Christian Faith: Enlarging the Conversation, Oxford und New York 2004. - Mit Douglas G. Jacobson, Gracious Christianity: Living the Love We Profess, Grand Rapids, MI, 2006.

Weitere Aufsätze

Defining „Mennonite“ Diversity and Unity, in: Mennonite Quarterly Review LVII, 1983, 282–292.- Mennonite Ethnicity: Medium, Message and Mission, in: Journal of Mennonite Studies 9, 1991, 113–121. - Walter Klaassen: Friend and Colleague, in: Conrad Grebel Review 9, 3, 1991, 213–218. - The One and the Many: The Recovery of Mennonite Pluralism, in: Anabaptism Revisited, hg. von Walter Klaassen, Scottdale, Pa., 1992, 141–154. - Translating Brethren in Christ Identity, in: Brethhren in Christ History & Life 22, 1999, 213–220. - Engaging Anabaptism: Conversations with a Radical Tradition, in: Brethren in Christ History & Life 25, 2, 2002, 304 f.

Literatur

Grebel Mourns the Death of Dr. Rodney J. Sawatsky, 1943 – 2004, in: News Release by Conrad Grebel, 29. November 2004. - Messiah College, Brief History: www.messiah.edu (3. 12. 2010).

J. Howard Kauffman und Leland Harder, Anabaptists Four Centuries Later: A Profile of Five Mennonite and Brethren in Christ Denominations, Scottdale, Pa., 1975. - Leo Driedger und J. Howard Kauffman, The Mennonite Mosaic. Identity and Modernization, Scottdale, Pa., 1991.

Walter Sawatsky

 
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