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Schultz, Erich
geb. am 28. Juni 1899 in Rostock, gest. am 9. März 1969 in Berlin, Deutschland; Architekt, Ältester der Berliner Mennoniten-Gemeinde.
Erich Schultz entstammte einer Elbinger Mennonitenfamilie. Im Oktober 1899 zogen seine Eltern mit ihm und den Geschwistern nach Berlin. Hier wurde er von Hermann Gottlieb Mannhardt, einem Gastprediger aus Danzig, getauft und in die Berliner Mennonitengemeinde aufgenommen. Nach Wehrdienst und Gefangenschaft im Zuge des Ersten Weltkriegs, nach Studium von Architektur und Baukunst in Karlsruhe und Dresden fand der Diplom-Ingenieur und Architekt 1928 eine Anstellung bei einer Wohnbaugesellschaft in Berlin. In leitender Stellung nahm er Aufgaben in Organisation, Verwaltung und Finanzierung wahr. In diesen Tätigkeitsbereichen sammelte er Erfahrungen, die ihm später in der Gemeindearbeit der Berliner Mennoniten-Gemeinde nützlich wurden.
1943 wurde Erich Schultz zum Kassenprüfer und 1944 zum Armenpfleger (Diakon) in den seit 1930 von Ernst →Crous geleiteten Vorstand der Berliner Mennonitengemeinde (→Berlin) gewählt. Als Ernst Crous im April 1944 mit der Bibliothekarschule der Preußischen Staatsbibliothek nach Göttingen übersiedeln musste, übernahm Erich Schultz in enger Verbindung mit Crous den Teil der Gemeindearbeit, der von Göttingen aus nicht bewältigt werden konnte. Mit Hilfe benachbarter Pfarrer der Evangelischen Kirche arbeitete sich der Laie Erich Schultz in theologische Fachgebiete ein, um selbstständig Predigten entwerfen und halten zu können. Am 2. April 1945 hielt er – unter Geschützdonner aus der Ferne – seine zweite und zugleich letzte Ansprache vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Mit vielen anderen war der stellvertretende Vorsitzende im Vorstand der Berliner Gemeinde, Heinrich van Dühren, im April 1945 als Volkssturmmann gefallen. Zu denjenigen, die diesen Weltkrieg, wenn auch verwundet, überlebt hatten und nicht in Gefangenschaft geführt worden waren, gehörte Erich Schultz. Sein Pflichtgefühl und das Gespür, in die Verantwortung für die Gemeinde gerufen zu sein, ließen ihn in der Gemeindearbeit wachsen. So lud er zur ersten Weihnachtsandacht nach dem Krieg am 26. Dezember 1945 ein und rief zur ersten Gemeindeversammlung nach Kriegsende am 26. Mai 1946 auf. An diesem Tag wechselte Ernst Crous vom Amt des Vorsitzenden zum stellvertretenden Vorsitzenden, Erich Schultz wurde zum Vorsitzenden des Vorstands gewählt. Am 5. Juni 1949 wurde er von Ernst Crous zum Ältesten der Berliner Mennoniten-Gemeinde ordiniert, so dass die Gemeinde nunmehr ohne Mithilfe von außen selbstständig betreut werden konnte. Als sein Arbeitgeber die Zentrale von Berlin nach Bonn verlegte, verzichtete Erich Schultz auf seine bisherige Stellung und nahm die Leitung der Außenstelle seiner Firma in Berlin wahr. So setzte er sich dafür ein, dass auch eine Firma die Pflicht habe, Standfestigkeit im Ost-West-Konflikt zu zeigen und Arbeitsplätze in Berlin (West) zu erhalten.
Der Älteste und Prediger Erich Schultz diente der Berliner Gemeinde als Vorsitzender des Vorstands zunächst von 1946 bis 1961, dann von 1964 bis 1969. Gemeinsam mit den anderen Vorstands- und aktiven Gemeindemitgliedern förderte er das Wiedererwachen des Gemeindelebens, die Organisation des Hilfswerks der Gemeinde sowie den Einsatz von Freiwilligen und der Hilfswerke aus Westdeutschland sowie anderen Ländern in Berlin und seiner Umgebung. Er bemühte sich um Prediger für die Gottesdienste und die Sammlung der Flüchtlinge aus dem Osten. In dieser Zeit wuchs die Zahl der Gemeindeglieder von etwa 400 (1940) auf etwa 1150 (1952), während die Betreuung der über die Westsektoren Berlins hinaus und auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik zerstreut lebenden Gemeindeglieder durch den Bau der „Berliner Mauer“ immer schwieriger wurde.
Um der „weltweiten Bruderschaft“ von der besonderen Lage Berlins zu berichten, hielt er eindrucksvolle Vorträge und warb auf Sitzungen mennonitischer Werke um die Stärkung des Zusammenhalts und der Zusammenarbeit auf geistlichen und materiellen Gebieten, z. B. anlässlich der 5. Mennonitischen Weltkonferenz 1952 in Basel. In Berlin hielt er auch Rundfunkandachten, ein Dienst, den die „Arbeitsgemeinschaft der Kirchen und Religionsgesellschaften“ (Berlin) ermöglichte. Seine Gastfreundschaft führte dazu, dass sich auch in seinem Haus der „Ökumenische Arbeitskreis“ traf, dem führende Vertreter der Evangelischen Kirche und der Freikirchen in Berlin (West) angehörten.
Bei der Anmietung (1952) und dem späteren Kauf des Menno-Heims diente Erich Schultz mit den Erfahrungen, die er beruflich gesammelt hatte. Die von diesem Haus aus geleistete Arbeit des Hilfswerks leitete lange Zeit seine Ehefrau:
Schultz, Johanna
geb. Fritzsche, geb. am 18. Oktober 1906 in Dresden, evangelischen Bekenntnisses, Mutter von vier Kindern, gest. am 15. Juli 1985 in Berlin.
Während der vierzigjährigen Ehe mit Erich Schultz begleitete Hanna Schultz seine Entscheidungen und Tätigkeiten. Seit 1944 beteiligte sie sich an seinem Einsatz als Armenpfleger, später an allen anderen Aufgaben, so an der Betreuung von Flüchtlingen aus dem Osten. 1952 übernahm sie das in das Menno-Heim eingezogene Hilfswerk. Mit Mitarbeitern organisierte sie die Entgegennahme von Spenden, die Erfassung der Hilfsbedürftigen und die Verteilung der Hilfsgüter. Aus der daraus gewonnenen Kenntnis der Lebensverhältnisse vieler Menschen entwickelten sich Gespräche und Schriftwechsel zum persönlich-liebevollen Rat. Die Anrede „Mutti Schultz“ bezeugte ihre Fähigkeiten wie ihr Erinnerungsvermögen, ihre Vertrauenswürdigkeit, Hilfsbereitschaft und Sorgfalt. So förderte sie neben dem materiellen auch den geistlich-seelischen Bereich des Gemeindelebens als Teil der Arbeit ihres Mannes. Wie er vertrat auch sie schließlich die Gemeinde auf Tagungen und Konferenzen, so bei der 6. Mennonitischen Weltkonferenz 1957 in Karlsruhe. Nach Gerhard →Hein gehörten beide „zu jenen begnadeten Persönlichkeiten, die aus der Stille, die stark macht, in die Breite wirkten.“
Literatur
Erich Schultz, Ewig ist Gottes Wort. Predigten, gehalten von 1945 bis 1969, 6 Bde. (Privatdruck). - Erich Schultz, Die Berliner Mennonitengemeinde nach dem Kriege, in: Gemeindeblatt der Mennoniten, 1952, 27, 33 f., 40, 47, 51, 58 f., 69 f., 74 f., 82, 89 f., 95 f. - Hanna Schultz, Die Frau als Trägerin des Evangeliums in Familie und Beruf. Referat auf der 6. Mennonitischen Weltkonferenz 1957 (Privatdruck). - Erich Schultz, Wer sind die Mennoniten? Ein Interview mit Erisch Schultz, 1949. Mit einer Einleitung von Heinold Fast, in: Mennonitische Geschichtsblätter 1982, 71–78. - Wilhelm Kohnert, Die Berliner Mennonitengemeinde heute, in: DER MENNONIT 1957, 54 f., 70 f., 87. - Ernst Crous, 70 Jahre Berliner Mennonitengemeinde, in: DER MERNNONIT 1958, 102 f., 118 f., 132 f., 146; l959, 6 f. - Gerhard Hein, Erich Schultz zum Gedächtnis, in: DER MENNONIT 1969, 93. - 100 Jahre Berliner Mennonitengemeinde 1887 – 1987. Festschrift mit zehn Aufsätzen, Vorwort von Siegfried Neufeld, 1. Aufl., Berlin 1987 (Privatdruck), 2. ergänzte Aufl., Berlin 1995 (Privatdruck).
Wolfgang Schultz