Tiessen, Jacob
geb. am 28. August 1905 in Blumental, Schönfelder Wolost, Russland, gest. am 16. Mai 1995 in Virgil, Ontario, Kanada; Ältester der Mennonitengemeinde Karaganda, Kasachstan, Sowjetunion.
Jacob war der jüngste Sohn von Gerhard und Katherina (geb. Dueck) Tiessen. Er hatte sieben Geschwister. Er besuchte die Dorfschule in seinem Heimatdorf und anschließend die Zentralschule in Ohrloff, Molotschnaja. Als nach der Revolution in Russland der Bürgerkrieg ausbrach und in den mennonitischen Dörfern die Machnobanden (Anarchisten) in unmenschlicher Weise wüteten, kauften seine Eltern eine halbe Wirtschaft im Dorf Landskrone. Jacob Tiessen schrieb später, dass er schon sehr früh, in seinem zweiten Schuljahr, eine Erfahrung mit dem Herrn Jesus machte. Seit dieser Zeit waren für ihn das Gebet und Bibellesen, so wie der sonntägliche Kirchgang eine große Freude. 1925 ließ er sich vom Ältesten Gerhard Plett taufen.
1929 musste die Familie das Dorf verlassen und fand eine Unterkunft im Gebiet Memrik. In demselben Jahr heiratete Jacob Tiessen Maria Töws. In den nächsten Jahren musste die junge Familie (inzwischen war die Tochter Kaethe geboren) mehrmals umziehen. 1932 erkrankte Jacob schwer und wurde wegen seines Lungenleidens als Invalide von seiner Arbeitsstelle entlassen. Darauf hin erlernte er die Buchführung und arbeitete dann als Buchhalter in der Kolchose.
1941 wurde er, wie viele andere Deutsche, in die Arbeitsarmee eingezogen und kam nach Krasnoturinsk. Hier starben die meisten Männer an Unterernährung und Krankheiten. Aufgrund seiner Krankheit durfte er 1942 als Arbeitsunfähiger das Straflager verlassen. Doch die Freiheit dauerte nicht lange. In demselben Jahr wurde er nach Anjerka in ein Straflager geschickt. Hier musste er in einer Kohlengrube arbeiten. Erst 1946, nach Kriegsende, durfte er seine Familie dorthin holen und arbeitete hier bis zum Eintritt in den Ruhestand.
In Anjerka fanden schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg die ersten christlichen Versammlungen statt. In dieser Zeit gab es viele Erweckungen. Jacob Tiessen und seine Frau besuchten diese Versammlungen. Schon bald durfte Jacob Tiessen mit Gesang und später auch mit der Predigt in der Versammlung dienen. Aus gesundheitlichen Gründen sah das Ehepaar sich gezwungen, schon bald den Wohnort zu wechseln. Sie kauften sich 1956 in Saranj, 30 km von der Stadt Karaganda in Kasachstan entfernt, ein Haus und zogen um.
Am l. Advent 1957 bildete sich nach etwa einjähriger Vorbereitungszeit in Karaganda eine kleine (kirchliche) Mennonitengemeinde. Der erste Gemeindeleiter war der ältere Prediger Johann →Penner, der die Verbannungszeit überlebt hatte. Ein anderer älterer Bruder, der ebenfalls die Verbannungszeit überlebt hatte, war Ältester Heinrich Funk. Aufgrund seines hohen Alters und schwacher Gesundheit konnte er die Versammlungen aber nicht oft besuchen und musste sich in den nächsten Jahren auf einige Predigereinsegnungen und Taufen beschränken. So wurde auch Jacob Tiessen am 19. April 1959 vom Ältesten Heinrich Funk als Prediger eingesegnet. Am 27. November 1965 wurde er zum Ältesten der Gemeinde vom Ältesten Johann Penner aus Krasnoretschka (Kirgisien) ordiniert. Die Arbeit in der damaligen Gemeinde war nicht einfach. Der Druck seitens der Obrigkeit, das Fehlen eines eigenen Versammlungshauses und die unterschiedliche Prägung der Mitglieder erforderten viel Weisheit, Kraft, Geduld und Gebet. Eine Erleichterung stellte sich ein, als die größere Mennoniten-Brüdergemeinde am Ort ein Bethaus bauen und die Mennonitengemeinde (Kirchliche Gemeinde) in ihrem Haus zu einer anderen Zeit Versammlungen abhalten durfte.
Nachdem Jacob Tiessen noch einige Zeit mit seinem im Jahre 1977 gewählten Nachfolger Julius →Siebert zusammengearbeitet hatte, reiste er 1980 nach Kanada aus, wo er 1995 im Alter von 89 Jahren starb.
Quellen
Persönliche Erinnerungen. – Nachruf in: Der Bote 1995, 72. Jg., Nr. 30, 6.
Gerhard Bergen