Deutsche Demokratische Republik (Mennonitengemeinde)

Die Geschichte der Mennonitengemeinde in der DDR ist noch nicht erforscht. Selbst die quantitativen Dimensionen sind nicht vollständig geklärt: Vermutlich lebten auf dem Gebiet der DDR Anfang der fünfziger Jahre etwa 1.000 Mennonitinnen und Mennoniten. Ihre Zahl verringerte sich in den folgenden Jahren zusehends und wurde am Ende der DDR offiziell noch mit 244 Personen angegeben. Viele Mennonitinnen und Mennoniten aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten, die bei Kriegsende in die Sowjetzone gelangt waren, wanderten später in die Bundesrepublik und nach Südamerika oder Kanada ab.

1. Vorgeschichte

Bis zum Mauerbau im Jahr 1961 gehörten alle Mennonitinnen und Mennoniten in der DDR offiziell zu der in West-Berlin gelegenen Mennonitengemeinde (→Berlin). Außerhalb der im Jahr 1887 gegründeten Gemeinde in Berlin gab es in den umliegenden Gebieten keine weiteren. Dort, wo sich eine größere Anzahl von Mennoniten an einem Ort sammelten, wurden die Gläubigen auf dem Weg der Reisepredigt betreut. Dieses Amt füllte von 1949 bis 1953 der in Ostpreußen geborene mennonitische Prediger und Älteste Bruno →Götzke (1895–1962) aus. Götzke besuchte die auf dem ganzen Gebiet der DDR verstreut lebenden Mennoniten, erteilte Taufunterricht, taufte, predigte und leitete das Abendmahl.

Da in dieser Phase (noch immer) viele Mennoniten die DDR konspirativ nach Westdeutschland verließen, geriet Bruno Götzke rasch in das Visier der Sicherheitsbehörden, konnte am 14. Januar 1953 aber selbst in die Bundesrepublik fliehen. Spätestens seit August/September 1951 hatte die Hauptverwaltung der Deutschen Volkspolizei und das Ministerium des Innern aufgrund dieser Abwanderungen danach getrachtet, die Religionsgemeinschaft der Mennoniten zu verbieten, was schließlich aber unterblieb.

2. Eigene Mennonitengemeinde in der DDR

Mit dem 13. August 1961, als die DDR-Regierung die Grenzen in Berlin abriegelte, war für mennonitische Christen in der DDR in besonderer Weise eine zentrale Zäsur verbunden. Der Fuhrunternehmer Walter →Jantzen, ein in Ost-Berlin lebendes Beiratsmitglied der Berliner Mennonitengemeinde, führte die Mennoniten und Mennonitinnen im Ostteil der Stadt und innerhalb der DDR zu einer eigenen Gemeinde zusammen. In dieser Phase öffnete die Berliner evangelische Kirchengemeinde Pfingst (Friedrichshain) der Gemeinde ihre Türen. Der Pfarrer dieser Gemeinde, Johannes Mickley, übernahm teils auch den Predigtdienst. Außerhalb von Berlin sammelte Jantzen Mennonitinnen und Mennoniten in zweimonatigem Rhythmus, etwa in Rostock, Schwerin, Leipzig oder Halle, beispielsweise in Räumen der Baptistengemeinde. Der rechtliche Status der Mennonitengemeinde in der DDR war in dieser Zeit offenbar noch immer unklar; doch die Position von mennonitischen Christen im Staat hatte sich stabilisiert: Mennoniten wurden nicht mehr, wie am Anfang der fünfziger Jahre, von Staatsseite als eine gesellschaftliche Bedrohung wahrgenommen, wohl aber noch immer genau beobachtet. Walter Jantzen versah seinen Dienst offiziell bis Sommer 1981, ehe ihm Knuth Hansen, ein von der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg freigestellter Pfarrer, nachfolgte. Walter Jantzen reiste mit seiner Frau im Jahr 1982 offiziell in die Bundesrepublik aus.

Wenige Jahre vor der sog. friedlichen Revolution stellte das Staatssekretariat für Kirchenfragen mit einer Einschätzung, die für die kleineren „Religionsgemeinschaften“ in der DDR insgesamt durchaus typisch war, in einer „Sachstandsinformation über die in der DDR anerkannten und tätigen Kirchen und Religionsgemeinschaften“ fest: „Die Mennonitengemeinde in der DDR verhält sich politisch loyal. Es bestehen geordnete Beziehungen zum Staat. Die sozialistische Staats- und Rechtsordnung wird geachtet, die sozialistische Gesetzlichkeit eingehalten“ (Bundesarchiv Berlin DO 4/1948).

3. Forschungsdesiderate

Bei der noch ausstehenden, aber dringend erforderlichen Erforschung der Geschichte der Mennonitengemeinde in der DDR sollten noch erhaltene Selbstzeugnisse oder zu führende Interviews mit Quellen staatlicher Provenienz verzahnt und die Geschichte der mennonitischen Gemeinschaft mit der Entwicklung anderer Freikirchen in der DDR in Zusammenhang gebracht werden. Dabei wäre zum Beispiel zu fragen, wie sich die enge Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche deuten lässt – war sie auch inhaltlich oder eher rein strategisch motiviert? Gab es Ansätze einer DDR-spezifischen mennonitischen Theologie? Und wie verhielt es sich in der individuellen Lebenspraxis mit den Kernelementen der mennonitischen Ethik: Wie haben mennonitische Christen vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus dem „→Dritten Reich“ auf die Zumutungen der SED-Diktatur reagiert? Schließlich, wie hat sich die Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden gestaltet? In diesem Zusammenhang müsste reflektiert werden, was mennonitische Bürgerinnen und Bürger zeitgenössisch überhaupt als Elemente des SED-Staates wahrgenommen haben. Wurde bei der Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen möglicherweise moralisch hierarchisiert? Vermutlich wurden Kontakte zur Staatssicherheit, zum Staatssekretariat für Kirchenfragen oder zur Ost-CDU nicht gleichermaßen als diskreditierende Kontakte zum Staat wahrgenommen. Zudem konnte ein nach außen als „loyal“ beschreibbares Verhalten von den Akteurinnen und Akteuren innerlich ganz unterschiedlich motiviert gewesen sein. Hier wäre es sinnvoll, nach ihrem „Eigen-Sinn“ (Alf Lüttke) zu fragen, wie also Mennonitinnen und Mennoniten ihrem eigenen Verhalten innerhalb der staatlichen Herrschaftsstruktur Sinn verliehen und dieses gedeutet haben.

4. Loyalität gegenüber dem sozialistischen Staat

An dieser Stelle ist ein exemplarischer Blick auf die Erklärung der Mennoniten-Gemeinde in der DDR aus Anlasß des 30. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus hilfreich, die Walter Jantzen 1975 im Namen des Gemeindevorstandes unterzeichnet und dem Staatssekretariat für Kirchenfragen übermittelt hatte: „Indem wir Mitglieder der Mennoniten-Gemeinde in der DDR unabläßlich an der weiteren Vervollkommnung unserer sozialistischen Ordnung mitwirken und unseren Beitrag zur Unterstützung ihrer Friedenspolitik leisten, wollen wir auch im 450 (.) Jubiläumsjahr der Täufer nach der Erkenntnis handeln: Wer als Christ Frieden stiften und das Wohl seines Nächsten fördern will, hat dazu als Bürger eines sozialistischen Staates wie des unseren gute Voraussetzungen“ (Aus der „Erklärung der Mennoniten-Gemeinde in der DDR aus Anlaß des 30. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus vom 25. 04. 1975 unterzeichnet im Namen des Vorstandes der Mennonitengemeinde in der DDR von Walter Jantzen, in: Bundesarchiv DO 4/1536). Man kann argumentieren, dass Erklärungen, wie diejenige der Mennoniten in der DDR aus dem Jahr 1975, das SED-Regime grundsätzlich stützten, unabhängig von den inneren Beweggründen, die zu ihren Verabschiedungen geführt haben mochten (wobei solche Erklärungen nichts für Mennoniten in der DDR Spezifisches waren und zum anderen auch nicht zwangsläufig nur eigeninitiativ entstanden sein mussten).

Vor dem Hintergrund der Analysekategorie des „Eigen-Sinns“ kann die Erklärung aber zusätzlich noch vor einem anderen Hintergrund gelesen werden. Sie setzt bei der Frage an, weshalb die Urheber der mennonitischen Erklärung aus dem Jahr 1975 das Erbe der historischen Täufer mit der Friedenspolitik der SED-Führung in Verbindung gebracht haben. Zweifellos schlossen sie mit dem Bezug auf den „Frieden“ an einen Schlüsselbegriff der SED-Politik an und verfolgten damit offensichtlich das Ziel, die Kompatibilität des mennonitischen Glaubens mit dem real existierenden Sozialismus zu belegen und der Gemeinde damit Existenzberechtigung und Kredit zu verschaffen. Es wäre nun weiter zu fragen, wie die Bedeutung des Begriffs „Frieden“ aber innergemeindlich gefüllt wurde und auf welche Weise die Mennonitengemeinde in der DDR am weltweiten mennonitischen Friedensdiskurs teilhatte. Der Friedensbegriff, der dort dominierte, war nämlich keineswegs deckungsgleich mit demjenigen, den die SED propagierte, und er unterschied sich – etwa im Blick auf die Wehrdienstverweigerung – auch vom dem Verständnis, das die Mennoniten in der DDR davon hatten. „Frieden“ war ein Begriff mit mehreren Eingängen.

Literatur

Imanuel Baumann: Als der Entwurf zum Verbot der Mennoniten in der DDR bereits aufgesetzt war. Bemerkungen zu einem Fund von staatlichen Dokumenten aus den Jahren 1951 und 1952, in: Mennonitische Geschichtsblätter 2016, 61–79. - Jochen Jantzen, Die Mennonitengemeinde in der DDR, in: 100 Jahre Berliner Mennonitengemeinde 1887–1987, Festschrift, Berlin 1987 (Privatdruck), 99–101; 2. ergänzte Aufl. 1995. - Wolfgang Schultz, 122 Jahre Berliner Mennonitengemeinde, in: Mennonitische Geschichtsblätter 2009, 113–124, und in seiner kürzeren Fassung: Art. Berlin, in: MennLex V. URL: http://www.mennlex.de/doku.php?id=loc:berlin. - Wolfgang Schultz und Jochen Jantzen: Art. Jantzen, Walter, in: MennLex V, URL: http://www.mennlex.de/doku.php?id=art:jantzen_walter.

Imanuel Baumann

 
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