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Emmental (Alttäufergemeinde, Mennoniten)

1. Die Anfänge

Die Anfänge der Alttäufergemeinde Emmental reichen in die Reformationszeit des frühen 16. Jahrhunderts zurück. Schon 1525 wurden →Täufer in Bern erwähnt (Samuel H. Geiser, Die Taufgesinnten Gemeinden, 184). Mit dem Durchbruch der Reformation in Bern beginnt eine systematische und scharfe Verfolgung der Täufer, wie sie in Zürich schon voll im Gange war. 1659 – 1743 wurde zur Bekämpfung dieser „Ketzer und Rebellen“ ein eigenes Departement, die „Täuferkammer“, eingerichtet und zu deren Aufspürung und Verhaftung eine Art Spitzelpolizei, die „Täuferjäger“, eingesetzt. Besonders schmerzhaft ist, dass sich die bestehende Kirche als verlängerter Arm der weltlichen Obrigkeit für die Ausrottung dieser andersdenkenden Glaubensgenossen gebrauchen ließ. So hatte sich Johann Stapfer, der Pfarrer von Trub, vorgenommen, die Täufer in seinem Gebiet ganz auszurotten (1702). Eine neue Welle der Verfolgung mit Güterenteignungen, Verhaftungen und Deportationen setzte ein. Was als Endlösung angestrebt wurde und in vielen Gebieten der Schweiz auch gelang, konnte im Emmental aber nicht durchgesetzt werden (Mark Furner, The Repression and Survival, 1998). Der rote Faden der Täufergeschichte ist dort bis heute nicht abgerissen. Seit den ersten Anfängen hat es im Emmental immer Täufer gegeben.

2. Entwicklung der Gemeinde im Emmental bis in die Gegenwart

Die Verfolgung der Täufer und die Repressionen, denen sie ausgesetzt waren, dauerten über 250 Jahre an. Erst nach dem Zusammenbruch des Alten →Bern im Zuge der französischen Revolution wurde in der Helvetischen Verfassung die Glaubens- und Gewissensfreiheit verankert und ein Gesetz zur Duldung abweichender religiöser Meinungen durchgesetzt (1798 f.). Zwar hörten Repressionen gegen die Täufer nicht auf, und so wurde in Langnau noch 1811 eine Gruppe von 27 Täuferkindern in der Landeskirche unter Zwang getauft (Samuel H. Geiser, Die Taufgesinnten Gemeinden, 524). Jetzt aber wagten sich die Täufer aus den Verstecken und versammelten sich in ihren Häusern. Vor dem Bau eines Versammlungshauses, dem „Vereinshaus Kehr“, das am 21. Oktober 1888 eingeweiht wurde, trafen sie sich an 38 verschiedenen Orten in Bauernhäusern. Nun aber verfügten sie über einen festen Ort für ihre Zusammenkünfte, und das verschaffte der Täufergemeinde endlich auch eine gewisse offizielle Wahrnehmung in der Bevölkerung. Alle wichtigen Gemeindeanlässe wie Glaubens-Taufen, Hochzeiten, Jahres- und Erntedankfeste fanden im „Kehr“ statt. Aber da die Verkehrsmöglichkeiten noch sehr beschränkt waren, trafen die Gemeindeglieder sich über viele Jahre, meistens einmal im Monat, weiterhin auch noch an sogenannten Außenplätzen. Mit zunehmender Mobilität sind diese separaten Zusammenkünfte mehr und mehr entfallen.

Heute gehören zur Alttäufergemeinde Emmental ungefähr 320 Mitglieder (ohne Kinder und Gäste). Davon treffen sich bis zu 35 Mitglieder in einer kleineren Schwestergemeinde auf dem Aebnit bei Bowil. Das Gemeindezentrum im Kehr hat 1980 einen Erweiterungsbau mit einem neuen Gottesdienstsaal erhalten, in dem 250 bis 300 Gottesdienstbesucher Platz finden können. Danach wurde der alte Saal für die Kinder- und Jugendarbeit umgebaut. In der einstigen Wohnung im Erdgeschoss hat die Jugend für ihre Zusammenkünfte ein kleines Bistro mit Spielzimmern eingerichtet. Diese räumlichen Erweiterungen spiegeln etwas von dem aktuellen Gemeindeleben wider. Die Gemeinde, wie sie heute lebt, gleicht einem Mischwald im Emmental. Alt und Jung sind gut durchmischt. Etwa ein Drittel gehört zur älteren Generation. Eine starke Mittelschicht mit Familien und Kindern bilden die Mitte und eine gut vertretene Jugend versucht, in dieser alten, geschichtsträchtigen Täufergemeinde ihre Bedürfnisse und Vorstellungen als junge Christen auszuleben. Das gelingt nicht ohne gegenseitige Rücksichtnahme und Toleranz, aber mit dieser „Durchmischung“ stärken sich die Altersgruppen gegenseitig.

3. Das Verhältnis der Emmentaler Mennoniten zur evangelisch reformierten Landeskirche

Das Verhältnis der Emmentaler Gemeinde zur reformierten Landeskirche hat sich in den letzten Jahren merklich entspannt. Einen wichtigen Beitrag hat dazu das „Täuferjahr 2007“ geleistet. Diese Aktion wurde von Personen aus Kirche, Politik, Kultur und Wirtschaft in die Wege geleitet, um im bernischen Emmental ein „Gedenkjahr“ zu Geschichte und Gegenwart des Täufertums zu begehen. Unter dem Motto „Die Wahrheit solt bezüget werden“ erzielte dieses Ereignis eine ungeahnte Resonanz und wurde zu einem großen Publikumserfolg. Schon in früheren Jahrzehnten zeichneten sich allerdings in Bern und Zürich Versöhnungsansätze in zahlreichen Gesprächen ab (H. Jecker, Überblick, 2009), doch im Emmental, sozusagen im Ursprungsgebiet jahrelanger erbitterter Unterdrückung und Verfolgung der Täufer, blieb dieses Thema ein Tabu. Obwohl Pfarrer Ernst Müller aus Langnau bereits 1895 schrieb, dass es sich geziemt, „im Namen einer Mehrheit schweres Unrecht einzugestehen, das an einem ehrenwerten Teil des eigenen Volkes (Täufer) geübt worden ist“, ist den meisten diese Geschichte unbekannt. Im Täuferjahr wurde deshalb das Thema „Kirche und Täufer“ bewusst angesprochen und Treffen zwischen Vertretern der Landeskirche und den Täufern in Langnau organisiert. Der Eröffnungsgottesdienst fand in der Kirche Langnau statt, an der unter anderen der Präsident des Synodalrats Bern-Jura-Solothurn teilnahm. Der Abschlussgottesdienst wurde in der großen Eishalle in Langnau gemeinsam gefeiert.

Bemerkenswert war auch, dass gerade zu diesem Zeitpunkt das Freilufttheaterstück Täufer Jagd uraufgeführt wurde und zeigte, wie sehr das Thema „Täufer im Emmental“ eine weitere Bevölkerungsschicht bewegte. Peter Leu, der Produzent und Regisseur dieses Theaterstücks, schreibt: „Zu beurteilen, ob sich Kirche, Obrigkeit und Täufer versöhnen sollen, ob Entschuldigungen oder gar Wiedergutmachungen angebracht oder wünschbar sind, steht mir nicht zu. Hingegen bin ich überzeugt, dass eine aufgeklärte Gesellschaft Bescheid über diesen dunklen Abschnitt schweizerischer Geschichte wissen soll“ (Peter Leu, Täufer Jagd: Eine Geschichte aus dem Emmental, basierend auf historischen Ereignissen während der Zeit der Täuferverfolgungen. Ein Drama von Marcel Reber. Regie: Peter Leu, Muri. Musik: Dany Nussbaumer, Berlin. Bühnenbild: Jürg Brechbühl, Muri. Kostüme: Evelin Rinaldi, Bätterkinden. Es spielt das Ensemble der Berner TheaterCompanie).

In diesem Rahmen der Veranstaltungen zum Täuferjahr wurde auch eine kleine Ausstellung unter dem Thema „Drei Jahrhundert Täufergeschichte“ zusammengestellt. Das waren zusätzliche, starke Anstöße, die von außen zum Versöhnungsanliegen im Täuferjahr ausgingen. So wurde vielen Mitgliedern der Emmentaler Täufergemeinde die eigene Geschichte wieder neu zu Bewusstsein gebracht, aber auch ein besonderes geistliches Interesse bei Mitgliedern der reformierten Kirche geweckt. Alle standen unter dem Eindruck der Versöhnung einst zerstrittener Gemeinden und Kirchen.

4. Ausblick

Erstaunlich ist, dass die grundsätzlichen Fragen und Anliegen, welche die Täufer damals in Misskredit gebracht hatten, bis heute aktuell geblieben sind. Fragen wie: Was ist Kirche? Wie ist das Verhältnis von Kirche und Staat zu regeln? Wie verstehen und praktizieren wir →Taufe und →Abendmahl? Wie wird eine verbindliche Kirchen-Mitgliedschaft gelebt und wie manifestiert sich das Leben als Christen im Alltag? In der reformierten Landeskirche wird inzwischen wahrgenommen, dass die „Täufer“, die damals mit diesen Anliegen als Ketzer abgelehnt wurden, tatsächlich hilfreiche Antworten auf diese Fragen geben können. Die Täufergemeinden haben sich ernsthaft zu fragen, ob sie heute noch glaubwürdige Antworten auf diese Fragen zu geben vermögen.

In einer gemeinsamen Erklärung wurde unter anderem formuliert: „Im Bewusstsein der Unterschiede leben beide Seiten ein wertschätzendes Nebeneinander im Sinne der Ergänzung durch Vielfalt und wo immer möglich, ein Miteinander. (…) Wir wünschen uns, dass sich Kirchgemeinden und Täufergemeinden einander in der Nachfolge Christi, im Zeugnis und im Dienst am Evangelium ergänzen und unterstützen“ (Gemeinsame Erklärung, 2007).

Literatur (Auswahl)

Mark Furner, The Repression and Survival of Anabaptism in the Emmental, unveröfftl. Diss., University of Cambridge 1998. - Ernst Müller, Geschichte der Bernischen Täufer, Frauenfeld 1895.- Samuel Geiser, Die Taufgesinnten Gemeinden in der Schweiz, 2. Aufl., Courgenay 1971. - Gemeinsame Erklärung aus dem Gesprächsforum anlässlich des Täuferjahres 2007, zwischen einer Delegation des Synodalrates der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und Verantwortlichen der Alttäufer-/Mennoniten-Gemeinden, sowie Verantwortlichen der Evangelischen Täufergemeinde ETG des Kirchengebietes, cf. http://www.anabaptist.ch/Gemeinsame_Erklaerung_Tauferjahr%2007.pdf – Hanspeter Jecker, Überblick über frühere Begegnungen und Gespräche zwischen Reformierten und Mennoniten, in: Christus ist unser Friede. Schweizer Dialog zwischen Mennoniten und Reformierten 2006–2009, hg. von der Gesprächskommission Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund und Konferenz der Mennoniten der Schweiz, Bern 2009, 18–38. - Rudolf Dellsperger und Hans Rudolf Lavater (Hg.), Die Wahrheit ist untödlich. Berner Täufer in Geschichte und Gegenwart (Mennonitica Helvetica 30/2007), Bern 2007. - Schlussbericht zum Täuferjahr 2007, Download unter: http://www.kirche-bewegt.ch/bruecken-statt-graeben.html.

Hans Jutzi

 
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