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Schlesien

Die Ausbreitung des Täufertums (→Täufer) im Bereich des historischen Landes Schlesien ist nur bruchstückhaft dokumentiert und bisher nur wenig erforscht. Die – sehr unvollständig überlieferten – obrigkeitlichen Quellen belegen Verfolgungsmaßnahmen gegen Täufer in Schlesien in den Jahren 1527–1557. Infolge der Verfolgung und aufgrund von Abwanderung ins Nachbarland →Mähren erlosch das schlesische Täufertum wohl bald nach der Mitte des 16. Jahrhunderts.

1. Schlesien unter Ferdinand I.

Das Herzogtum Schlesien bildete zusammen mit dem Königreich Böhmen, der Markgrafschaft Mähren, der Grafschaft Glatz und den Markgraftümern Ober- und Niederlausitz den Länderverband der Böhmischen Krone. König von Böhmen und zugleich Landesherr der übrigen Kronländer war seit 1526 der österreichische Erzherzog Ferdinand I. (gest. 1564), der seit 1531 auch deutscher König und seit 1556 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches war. Schlesien nahm ebenso wenig wie die übrigen Länder der Böhmischen Krone an den Reichstagen teil, Reichsrecht kam in Schlesien nicht (oder nur mittelbar) zur Anwendung. Damit fehlten in Schlesien zum einen die rechtlichen Voraussetzungen, die im Reich den Reichsständen die Etablierung evangelischer Territorialkirchentümer ermöglichten. Zum anderen erstreckten sich das 1529 verabschiedete Wiedertäufermandat von Speyer und andere gegen die Täufer gerichtete Reichsgesetze nicht auf Schlesien. Rechtsgrundlagen der Täuferverfolgung (→Verfolgung) in Schlesien waren daher mehrere seit 1527 erlassene Religionsmandate Ferdinand I., Beschlüsse des schlesischen Fürstentags und der Ständeversammlungen der einzelnen schlesischen Territorien sowie direkte Befehle Ferdinands I. an schlesische Obrigkeiten.

2. Die schlesischen Territorien in den Reformationsjahrzehnten

Schlesien, dessen nördlicher und südlicher Landesteil seit dem 15. Jahrhundert als Nieder- und Oberschlesien bezeichnet wurden, war im Mittelalter durch Erbteilungen in zahlreiche Teilherzogtümer zergliedert worden. In einigen dieser Fürstentümer regierten im 16. Jahrhundert noch Nachfahren der Piasten, der mittelalterlichen schlesischen Herzogsfamilie. Unter den Piastenherzögen trat Friedrich II. von Liegnitz, Brieg und Wohlau seit 1524 als Förderer der Reformation (bis 1529 unter dem Einfluss Caspar Schwenckfelds) hervor. Andere schlesische Fürstentümer befanden sich im Besitz von Angehörigen reichsfürstlicher Familien, zu denen mit Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach, seit 1523 Herzog von Jägerndorf, der wichtigste Förderer der lutherischen Lehre im oberschlesischen Raum gehörte. Einige kleinere Territorien waren als sogenannte Standesherrschaften an nichtfürstliche Familien vergeben. Das Fürstentum Neiße-Grottkau war im Besitz der Bischöfe von Breslau. Die niederschlesischen Fürstentümer Glogau, Schweidnitz-Jauer und Breslau und das oberschlesische Fürstentum Troppau unterstanden als sogenannte Erbfürstentümer direkt dem Landesherrn. Die Stadt Breslau war als einzige schlesische Stadt keinem Fürstentum untertänig, sondern nahm gleichberechtigt mit den Fürsten an den schlesischen Fürstentagen teil. Wie in den Territorien Friedrichs von Liegnitz und Georgs von Brandenburg wurde auch in Breslau die Aufnahme evangelischer Ideen bereits früh von der Obrigkeit gefördert. Kulturell und wirtschaftlich eng mit Schlesien verbunden war die Grafschaft Glatz, die politisch allerdings nicht zu Schlesien gehörte, sondern als eigenständiges Land der Böhmischen Krone galt.

3. Das „verspätete“ Täufertum in Schlesien und Glatz

Die frühesten Nachrichten über das Auftreten von Täufern in Schlesien stammen aus der Stadt Breslau (1527) und aus dem Erbfürstentum Schweidnitz-Jauer (1529). In den Territorien Friedrichs von Liegnitz traten Täufer erst seit 1530 auf (die Annahme, die täuferischen →Sabbater hätten 1528 im Herzogtum Liegnitz Mission betrieben, ist unzutreffend). Nach 1530 sind Täufer in fast allen niederschlesischen Territorien bezeugt. Besonders verbreitet war die Bewegung seit der Mitte der 1530er Jahre in den landesherrlichen Erbfürstentümern Schweidnitz-Jauer und Glogau und im bischöflichen Herzogtum Neiße-Grottkau, also in Territorien, in denen die evangelische Predigt und reformatorische Neuerungen im Bereich des öffentlichen Kirchenwesens von der Obrigkeit streng verhindert wurden. Offenbar stellte das im Verborgenen praktizierte Täufertum gerade in den von der Reformation nicht erreichten Gebieten (ähnlich wie in den →Niederlanden und in Tirol (→Österreich) in den 1530er Jahren) zeitweilig eine religiöse Alternative dar, die vor allem für lesefähige Angehörige des städtischen Handwerkerstandes attraktiv war, aber auch für Bauern (so im Dorf Weizenrodau bei Schweidnitz 1536) und vereinzelt sogar für Angehörige des Adels (so der im Erbfürstentum Schweidnitz-Jauer begüterte Caspar von Landskron auf Riegel 1537). 1535 wird eine Versammlung von 600 bis 1000 Täufern bei Guhrau (Erbfürstentu Glogau) erwähnt, 1536 ist von 5000 auszuweisenden Täufern in den Erbfürstentümern Schweidnitz und Glogau die Rede. Hinrichtungen von Täufern kamen in Schlesien selten vor: In Schweidnitz wurde 1536 ein Täuferprediger hingerichtet, vier Prediger starben im selben Jahr in Glogau durch das Schwert, ein weiterer Prediger (David N.) war im selben Jahr in Ottmachau (Fürstentum Neiße) inhaftiert und wurde vermutlich ebenfalls hingerichtet. 1539 wurden zwei Täuferinnen in Sagan enthauptet.

Während aus Oberschlesien wesentlich weniger Nachrichten über Täufer vorliegen als aus dem nördlichen Landesteil, sollen in der Grafschaft Glatz in den Jahren 1533 bis 1548 ganze Dörfer und sogar Städte (so Habelschwerdt) mehrheitlich dem Täufertum angehangen haben. Glatz war in diesen Jahren im Besitz des mährischen Magnaten Johann von Pernstein (Jan z Pernštejna). Dieser war ein Förderer des Schwenckfeldertums und ließ zahlreiche Pfarrstellen in der Grafschaft durch schwenckfeldische Geistliche besetzen, die im Zuge des Übergangs Herzog Friedrichs von Liegnitz zur lutherischen Lehre aus dessen Territorien vertrieben worden waren. Pernstein, der auch in Mähren als einflussreicher Ständepolitiker den Grundsatz der konfessionellen Duldsamkeit vertrat, ging nicht gegen die Täufer vor. Erst nach Pernsteins Tod wurde das Glatzer Täufertum durch systematische Verfolgungsmaßnahmen in den Jahren 1548 und 1558 unterdrückt.

Während die Täuferbewegungen in den süddeutschen Reichsterritorien ihren Höhepunkt zwischen 1525 und 1530, in Norddeutschland und den Niederlanden zwischen 1530 und 1535 erreichten, fiel die größte Ausdehnung der täuferischen Missionsaktivität in Schlesien offenbar erst in die Jahre zwischen 1535 und 1540. Insgesamt könnte man das schlesische Täufertum daher als ein „verspätetes“ Phänomen, Symptom des durch die politischen Verhältnisse erheblich verzögerten Fortgangs der Reformation in Schlesien, charakterisieren.

4. Einzelne Vertreter des Täufertums aus Schlesien und in Schlesien

Das schlesische Täufertum ist dem Spektrum der oberdeutschen Täuferbewegungen zuzurechnen. Möglicherweise erreichte bereits die Mission Hans →Huts und seiner Sendboten 1527 Schlesien, in den folgenden Jahrzehnten waren täuferische Missionare aus Mähren in Schlesien aktiv. Gebürtige Schlesier waren in allen drei Denominationen, die sich seit den 1530er Jahren im Bereich des oberdeutschen Täufertums konsolidierten, vertreten: Der bedeutendste Älteste der Hutterischen Brüder im 16. Jahrhundert, Peter →Riedemann (1506–1556), stammte aus dem schlesischen Hirschberg; aus Schlesien stammte auch der hutterische Chronist Caspar Braitmichel (gest. 1573). Ein nicht weiter bekannter Thomas aus Schlesien gehörte den Austerlitzer Brüdern bzw. Bundesgenossen an und diente (1552/53) in deren Gemeindenetzwerk als Briefbote zwischen Mähren und Süddeutschland. Ein Angehöriger der →Schweizer Brüder war Daniel Graff aus Breslau, der Verfasser einer Märtyrerflugschrift (1565) über die Hinrichtung des evangelischen Italieners Pomponio Algieri durch die Inquisition. Allerdings schloss sich Riedemann nicht in Schlesien, sondern in Österreich dem Täufertum an, und auch von den anderen genannten Personen ist nicht bekannt, dass sie an der Ausbreitung des Täufertums in Schlesien beteiligt gewesen wären.

Der einzige in Schlesien aktive Täuferprediger, von dem mehr als der bloße Name bekannt ist, war Clemes Adler, ein lateinkundiger ehemaliger Priester, der vor seiner Hinwendung zum Täufertum in Böhmen gelebt hatte und daher auch das Tschechische beherrschte. Von ihm stammt ein bedeutender Traktat Das Urteil von dem Schwert (1529), in welchem Adler den täuferischen Grundsatz der →Wehrlosigkeit durch eine aufwendige und gelehrte heilsgeschichtliche Argumentation begründete. Adler erregte in der Stadt Glatz durch Störungen altgläubiger Gottesdienste und öffentliche Predigten Aufsehen und galt den Behörden als Urheber des Täufertums in Schlesien, der viele seiner schlesischen Anhänger nach Mähren geführt habe. Adler wurde 1536 in Glogau enthauptet.

Eine besondere Beziehung zu Schlesien hatte auch der aus Nürnberg stammende Gabriel Ascherham, der 1530 bis 1535 eine Täufergemeinde im mährischen Rossitz (Rosice) leitete, der zahlreiche Schlesier angehörten. Nach 1535 lebte Ascherham vermutlich in Schlesien. In seinen dort während der Jahre 1544 bis 1548 entstandenen Schriften, die in zwei Sammelhandschriften überliefert sind, distanzierte sich Ascherham vom Täufertum, insbesondere von den Hutterischen Brüdern, und vertrat einen eigenwilligen, heilsgeschichtlich begründeten Spiritualismus. Ob Ascherhams Wirken und Lehre auf die täuferischen Bewegungen in Schlesien einen direkten Einfluss ausübten, ist jedoch unklar. Unklar ist auch, welche Stellung der ansonsten unbekannte Hans Recke bzw. Johannes Gigantinus aus Reichenbach im Eulengebirge innerhalb des schlesischen Täufertums einnahm. Er verfasste 1530 eine Reihe von lateinischen und deutschen Traktaten gegen die Kindertaufe, die er dem Breslauer Reformator Johannes Hess zusandte. Der umfangreiche autografische Handschriftenband ging während des Zweiten Weltkriegs bis auf einige Fragmente verloren.

Während sich Restgruppen der Schwenckfelder bis ins 18. Jahrhundert in einigen Gegenden Schlesiens halten konnten und schließlich über Herrnhut nach Nordamerika auswanderten, verlieren sich die Spuren des schlesischen Täufertums nach letzten Verfolgungsmaßnahmen im Jahr 1558.

Bibliografie

Quellen

Clemens Adler, Das Urteil von dem Schwert (1529), in: Codex Geiser, maschinenschriftliche Abschrift (Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Sig. II/G 389.1), 69–111.

Literatur

Horst Weigelt, Spiritualistische Tradition im Protestantismus. Die Geschichte des Schwenckfeldertums in Schlesien, Berlin und New York 1973. - Werner O. Packull, Hutterite Beginnings. Communitarian Experiments During the Reformation, Baltimore und London 1995. - Ludwig Petry und Josef Joachim Menzel (Hg.), Geschichte Schlesiens, Bd. 2: Die Habsburger Zeit 1526–1740, 3. Aufl., Stuttgart 2000. - Martin Rothkegel, Ausbreitung und Verfolgung der Täufer in Schlesien in den Jahren 1527–1548, in: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 6, 2003, 149–209 (mit ausführlichen Verweisen auf archivalische Quellen). - Arno Herzig und Małgorzata Ruchniewicz, Geschichte des Glatzer Landes, Hamburg und Wrocław 2006. - Horst Weigelt, Von Schlesien nach Amerika. Die Geschichte des Schwenckfeldertums, Köln u. a. 2007. - Martin Rothkegel, Anabaptism in Moravia and Silesia, in: John Roth und James Stayer (Hg.), A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521–1700, Leiden 2007, 163–215. - Ders., Gabriel Ascherham, in: Ders. (Hg.), Bibliotheca dissidentium XXVI, Baden-Baden und Bouxwiller 2012, 139–180.

Martin Rothkegel

 
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