Inhaltsverzeichnis
Schweizerischer Verein für Täufergeschichte
(Société suisse d'histoire mennonite)
1. Die Vorgeschichte
Das Interesse an der eigenen Geschichte war spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr ausschließlich bei einzelnen Mitgliedern der Altevangelisch Taufgesinnten-Gemeinden der Schweiz vorhanden, sondern nun auch bei historisch oder kirchlich engagierten Personen außerhalb täuferisch-mennonitischer Kreise. So entstammte bezeichnenderweise die erste umfassende Darstellung zur schweizerischen Täufergeschichte der Feder eines reformierten Theologen, des Langnauer Pfarrers Ernst Müller (1849–1927). Parallel dazu und in der Folge griffen vermehrt auch prägende Figuren aus einheimischen Täufergemeinden historische Themen auf, etwa Samuel Bähler (1852–1890) und Matthias Pohl (1860–1934) als frühe Redakteure der Wochenzeitung Der Zionspilger, oder Samuel Nussbaumer (1866–1944), der Älteste vorerst der →Sonnenberg- und später der →Schänzli-Gemeinde und langjährige Präsident der Schweizer Konferenz, oder vor allem auch Samuel Henri →Geiser (1884–1973), der als Ältester der Moron-→Kleintal-Gemeinde zum maßgeblichsten und einflussreichsten Kenner und Förderer der Geschichte des schweizerischen Täufertums wurde. Seinen Impulsen und seiner Text- und Dokumentensammlung verdankt der wenige Wochen nach seinem Tod ins Leben gerufene Schweizerische Verein für Täufergeschichte Entscheidendes.
2. Gründung und Zielsetzung
Die Gründungsversammlung des von Anfang an zweisprachig (Deutsch und Französisch) geführten Vereins fand am 22. September 1973 in Bern statt. Dessen Zielsetzung bestand nach den ersten Statuten erstens in der Erforschung täuferisch-mennonitischer Geschichte, zweitens in einer Neubelebung des täuferischen Erbes in der Gegenwart und drittens in der Sammlung von Dokumenten zu täuferischer Geschichte und Theologie. Maßgeblich geschah letzteres in der vereinseigenen Dokumentationsstelle auf dem →Bienenberg bei Liestal, zum andern durch die Unterstützung des Archivs der →Konferenz der Mennoniten der Schweiz auf Jeangui.
Diese dreifache Zielsetzung hat jahrzehntelang und bis in die Gegenwart die Grundlage und Schwerpunkte der Vereinsarbeit gebildet. Zentrale Figuren der Anfangszeit bildeten den ersten Vereinsvorstand mit Isaac →Zürcher als dem ersten Präsidenten, Charly →Ummel als Vizepräsident, Samuel Gerber (Nuglar) als Sekretär, Jean-Daniel Gyger als Kassenwart und den drei Beisitzern Paul →Baumann, Abraham Gerber und Paul Hofer.
3. Hauptakzente der Arbeit
Herausragende Ereignisse der Vereinstätigkeiten waren wiederholt Unterstützungen lokaler Mennonitengemeinden im Zusammenhang mit deren Jubiläen, etwa bei der Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte, bei der Organisation von Ausstellungen oder bei der Veröffentlichung von Festschriften. Nachhaltig in Erinnerung geblieben sind beispielsweise die umfangreichen Aktivitäten zur Einweihung des neuen Konferenz-Archivs im Jahre 1978 oder die Kapellen-Jubiläen auf Moron (1992) und Jeanguisboden (2000) sowie im Schänzli (2003).
Weiter bildeten einige externe Filmprojekte über täufergeschichtliche Themen oft Meilensteine, insofern der Verein wiederholt zu Begleitung und Beratung herangezogen wurde. Diese Kooperationen eröffneten auch Möglichkeiten, Glaube und Geschichte des Täufertums einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. Am nachhaltigsten geschah dies wohl im Zusammenhang mit Peter von Guntens Film Im Leben und über das Leben hinaus von 2005, der via Portraits von Jura-Täufern und amerikanischen Mennoniten eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schlagen versuchte.
Auch Organisation und Durchführung wissenschaftlicher Symposien gehörten zum Tätigkeitsbereich des Vereins, etwa im Kontext des 450. Jahrestages der Berner Disputation zwischen reformatorischen Prädikanten und Täufern anno 1988 oder 2011 zum 300. Jahrestag des Großen Berner Täuferexodus von 1711. Das Großereignis mit der wohl nachhaltigsten Breitenwirkung war 2007 die Mitwirkung an Organisation und Durchführung des (von nicht-täuferischen Kreisen initiierten) sogenannten „Täuferjahres“, welches über zwölf Monate verteilt mit zahlreichen Veranstaltungen (Referaten, Ausstellungen, Konzerten, Theater, Erlebnispfaden etc.) über Geschichte und Gegenwart des Täufertums informierte und dabei namentlich im Bernbiet auf ungeahnte Resonanz in der Öffentlichkeit stieß.
Andere Akzente der Vereinsaktivitäten bestanden weniger in herausragenden Einzelereignissen als vielmehr in kontinuierlichen Tätigkeiten:
Seit 1978 veröffentlicht der Schweizerische Verein für Täufergeschichte eine eigene Zeitschrift, zuerst unter dem Namen Informations-Blätter, ab 1990 als Mennonitica Helvetica. Dieses inzwischen recht umfangreich gewordene Jahrbuch genießt auch in Fachkreisen mittlerweile einen ausgezeichneten Ruf.
Genannt sei aber auch der Aufbau der Dokumentationsstelle auf dem Bienenberg mit einem Bücherbestand von mittlerweile 4200 Titeln, zahlreichen Fach-Zeitschriften und Aktenordnern sowie dem umfangreichen Nachlass einiger Täuferforscher wie Samuel H. →Geiser (1884–1973) oder Paul Roth (1908–2000).
Die 2005 gegründete Vereinigung „Memoria Mennonitica“ hat das Ziel, täuferisch-mennonitisches Kulturgut zu bewahren und zur Geltung zu bringen. Sie arbeitet mit dem Schweizerischen Verein für Täufergeschichte zusammen, ist aber unabhängig (Website: http://www.memoriamennonitica.ch/ ).
Schließlich sei auch die im Verlauf der Zeit seitens des Vereins immer bedeutender gewordene Beratung und Begleitung von Personen erwähnt, die mehr zu täuferischer Geschichte und Theologie wissen möchten bzw. an Schulen und Universitäten Facharbeiten zur Täufergeschichte schreiben.
An den jährlich stattfindenden Mitgliederversammlungen informieren die jeweiligen Vorstände die Vereins-Mitglieder über die eigenen Aktivitäten und andere täufergeschichtlich relevante Entwicklungen, Themen und Publikationen. Seit einigen Jahren sind diese Jahresversammlungen mit Referaten zu ausgewählten aktuellen Themen der Täufergeschichte ausgeweitet worden, verbunden mit dazu passenden Besichtigungen und Exkursionen.
Die Zusammensetzung des Vereinsvorstandes ist seit Jahrzehnten charakterisiert durch ein Zusammenwirken von Personen mit täuferisch-mennonitischem Hintergrund und solchen mit anderen kirchlichen Zugehörigkeiten und Prägungen. Präsidenten des Vereins waren bisher Isaak Zürcher (1973–1983), Ulrich Gerber (1983–1991), Charly Ummel (1991–1993), Hans Rudolf Lavater (1993–1995), Thomas Gyger (1995–1998) sowie Hanspeter Jecker (1998–2001 bzw. 2004 zusammen mit Mathilde Gyger und Patrice Baumann).
Literatur (Auswahl)
Heinold Fast, Zwei neue Geschichtsvereine, in: Mennonitische Geschichtsblätter 1982, 113–116. - Hanspeter Jecker, Das „Täuferjahr 2007“ im bernischen Emmental – Wenn Geschichte und Gegenwart des Täufertums zum Gegenstand öffentlichen Interesses werden, in: Mennonitische Geschichtsblätter 2008, 316–319.- Statuten des Schweizerischen Vereins für Täufergeschichte, in: Informationsblätter 1, 1977/1978, 29–32. - Michel Ummel, Samuel Henri Geiser (1884–1973) – historien et collectionneur de la première heure, in: Mennonitica Helvetica 28/29, 2005/06, 7–46. - Für die Jahresberichte der Vereinspräsidenten sowie die Nachrufe von Vereinsmitgliedern vgl. die Einzelnummern der Informationsblätter bzw. von Mennonitica Helvetica: http://mennonitica.ch/mennonitica-helvetica/.
Website des Vereins: http://mennonitica.ch/
Hanspeter Jecker