Inhaltsverzeichnis
Amische
1. Vor dem 20. Jahrhundert
Die Amischen entwickelten sich am Ende des 17. Jahrhunderts als eine eigenständige religiöse Gruppe aus den Gemeinden der Schweizer →Täufer unter der Leitung von Jakob →Amman, einem Verfechter religiöser Reformen und strenger Gemeindeordnungen. Die Bewegung, die 1693 zur Entstehung der Amischen führte, begann im Berner Oberland und breitete sich schließlich im elsässischen Lebertal bei Markirch (Sainte-Marie-aux-Mines) und in der deutschen Pfalz aus, als zahlreiche Täufer aus der Schweiz vertrieben worden waren. Die vielfältigen Gründe für die Trennung der Amman-Leute von den Schweizer Täufern (Mennoniten) umfassen sowohl soziale als auch theologische Faktoren, wie die Ansichten, die von Außenstehenden ins Täufertum hingetragen wurden, regionale soziale Unterschiede, verschiedene politische Bedingungen, Auswanderung, wie den Einfluss des Pietismus und unterschiedliche Auslegungen des Dordrechter Bekenntnisses von 1632 (→Bekenntnisse).
Die Amischen wanderten danach in zwei unterschiedlichen Wellen gemeinsam mit anderen deutschsprachigen Europäern nach Nordamerika aus. Mehrere hundert Amische kamen zwischen 1736 und 1770 in Philadelphia an und ließen sich in einigen südöstlichen Bezirken Pennsylvaniens nieder. Einige Nachkommen dieser Einwanderer zogen später westwärts nach Ohio, Indiana und Iowa. Eine zweite Welle amischer Einwanderer, die zwischen 1815 und 1860 angekommen waren, siedelten im Mittleren Westen, wie in Illinois, Indiana, Iowa, Ohio und in der kanadischen Provinz Ontario.
Veränderungen in der nordamerikanischen Gesellschaft um die Mitte 19. Jahrhunderts führten zur Einberufung einer Reihe von Jahresversammlungen, auf denen zum Dienst bestellte Führungskräfte aus zahlreichen Staaten und Ontario über eine Vielzahl von Fragen und Beschwernissen berieten, die sich aus dem Umgang mit der sie umgebenden Gesellschaft ergaben. Die Teilnehmer an diesen Dienerversammlungen von 1862 bis 1878 teilten sich in zwei Lager: einmal in diejenigen, die die „Alte Ordnung“ aufrechterhalten wollten, und in die anderen, die mehr Bereitschaft zeigten, sich der amerikanischen Gesellschaft anzupassen. Schließlich trennten sich die traditionsbewussten Old-Order-Gemeinden von den veränderungswilligen Amischen, die sich nach und nach um eine größere Annäherung an die amerikanische Gesellschaft bemühten. Die fortschrittsorientierten Gemeinden schlossen sich schrittweise anderen mennonitischen Gemeinden an und verloren ihre unverwechselbar amische Identität.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wies die Identität der Old-Order-Amischen folgende Züge auf: Schlichtheit, Einfachheit, Pflege bäuerlicher Familienbetriebe und Distanz zur aufkommenden Industriegesellschaft. Amische Fertigkeiten und viele alltägliche Verrichtungen unterschieden sich kaum von denjenigen ihrer nichtamischen Nachbarn. In ihrem religiösen Verhalten hielten sie jedoch an ihren unverwechselbaren traditionellen Bräuchen in den Gottesdiensten fest, die sie in ihren Wohnhäusern feierten. Sie lehnten die in den größeren protestantischen Kirchen üblichen Einrichtungen oder Gewohnheiten ab: wie Kirchengebäude, Erweckungsversammlungen, Sonntagsschulen, ausgebildete Pfarrer und den Gebrauch der englischen Sprache in den Gottesdiensten. Anstatt denominationelle Strukturen zu entwickeln, verankerten sie die religiöse Autorität in den örtlichen Gemeinden eines überschaubaren Umkreises („church district“), die jeweils 25 bis 35 Familien umfassten. Inzwischen ging die Zahl der amischen Gemeinden in Europa immer mehr zurück. Die amischen Familien, die vereinzelt auf Pachthöfen oder eigenen Höfen in Bayern lebten, gingen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den dortigen Mennonitengemeinden auf. Die letzte Gemeinde (Ixheim) schloss sich 1937 der Mennonitengemeinde Ernstweiler (heute Zweibrücken) an.
2. Wachstum und Vielfalt
Im 20. Jahrhundert erlebten die Amischen in Nordamerika ein rasantes Wachstum, das mit zunehmender sozialer Vielfalt innerhalb ihrer Gemeinden einherging. Waren es um 1900 nur 42 geographisch unterschiedliche Versammlungsorte, so schossen bis 2013 mehr als 470 Gemeinden in dreißig Bundesstaaten der USA und in der kanadischen Provinz Ontario wie Pilze aus dem Boden. Ebenso stieg im gleichen Zeitraum die Zahl der Amischen von 6000 Personen (Erwachsene und Kinder) auf mehr als 275000. Seit 1970 hat sich die Amische Bevölkerung alle 18 bis 20 Jahre verdoppelt. Dieses rasche Wachstum verdankt sich ihrer beträchtlichen Familiengröße mit im Durchschnitt sechs bis acht Kindern, von denen sich ein hoher Anteil von 85% oder mehr taufen lässt und in die Gemeinden als junge Erwachsene eintritt.
Die Amischen haben ihre besonderen Glaubensauffassungen und religiösen Praktiken durch das 20. Jahrhundert hindurch bis auf den heutigen Tag bewahrt. Sie schätzen die Lehren Jesu in der Bergpredigt (Matth. 5–7) besonders hoch ein und betonen die Bedeutung der Nachfolge Jesu. Demut, Gewaltlosigkeit, Einvernehmen mit den Lehrauffassungen der Kirche und religiöse sowie kulturelle Absonderung von der weiteren Welt sind Schlüsselmerkmale ihres Glaubens. Ihre dreistündigen Gottesdienste werden jeden zweiten Sonntag in ihren Häusern unter der Leitung von Laienpredigern gefeiert, die über keine theologische Ausbildung verfügen und kein Entgelt dafür erhalten. Die Gemeindeglieder singen einstimmig aus dem Ausbund (→Lieder) ohne instrumentale Begleitung. Amische Glaubensauffassungen und Zeremonien konnten sich den Herausforderungen der Moderne erfolgreich widersetzen, die weit verbreitete Veränderungen in anderen täuferischen und protestantischen Kirchen Nordamerikas mit sich gebracht haben. Zur Stabilität religiöser Identität und eines separatistischen Sozialgefüges trägt seither auch die besondere Sprache der Amischen bei. Untereinander sprechen sie in der Regel Pennsylvania Dutch, einen deutschen Dialekt, den sie Mitte des 18. Jahrhunderts aus der Gegend am Oberrhein (Mannheim und Umgebung) in den Südosten Pennsylvaniens mitgebracht haben. Dieser Dialekt wird hauptsächlich zur mündlichen Kommunikation genutzt, er ist auch die Sprache im amischen Gottesdienst. Mit der Außenwelt verkehren die Amischen in englischer Sprache. Allerdings erscheinen seit dem Ende des letzten Jahrhunderts immer mehr amische Publikationen in englischer Sprache. In ihren Schulen werden englische Textbooks genutzt. Bibeln, historische Texte, Gebete und Lieder werden in deutscher Sprache gelesen, nicht im Dialekt. Da zahlreiche Amische inzwischen Schwierigkeiten haben, deutsche Texte zu lesen und zu verstehen, wird den Publikationen oft eine englische Version beigegeben. Dennoch ist Pennsylvania Dutch die Sprache der Amischen bis auf den heutigen Tag geblieben, während alle anderen konfessionellen Gruppen mit deutschem Hintergrund diesen Dialekt inzwischen aufgegeben haben.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Anzahl der Gemeinden von 60 auf mehr als 2000 und von vier auf mehr als vierzig Konferenzen gewachsen. Eine Konferenz ist eine Gruppe von benachbarten Gemeinden, die in loser Verbindung geistliche Gemeinschaft untereinander pflegen, gemeinsame Anliegen in Angriff nehmen und ein vergleichbares Maß an Offenheit und Engagement gegenüber der weiteren Gesellschaft aufweisen. Die einzelnen Konferenzen unterscheiden sich durch unterschiedlichen Kleidungsstil, verschiedene Farbgebung ihrer Kutschen oder Regeln zur Nutzung technischer Geräte und Richtlinien für die Führung der Geschäfte. Obwohl die meisten Gemeinden zu einer Konferenz gehören, gibt es doch einige, die ziemlich unabhängig sind.
Infolge der wachsenden kulturellen Vielfalt und der Vielzahl von Identitäten ist es unangemessen, von „den Amischen“ zu sprechen, als wären sie eine homogene Gruppe mit denselben Ordnungen und Verhaltensweisen. Einige Gruppen verfügen beispielsweise über moderne Sanitäreinrichtungen und Bäder im Haus, während andere solche Einrichtungen ablehnen. Bestimmte Konferenzen erlauben die Verwendung von Mobiltelefonen, während andere Gruppen dies verbieten. In bestimmten Gemeinden beziehen weniger als 20 % der Haushalte ihr Einkommen aus der Landwirtschaft. Mitglieder in diesen Gemeinden besitzen und betreiben amische Kleinunternehmen oder finden Beschäftigung in nichtamischen Fabriken. Im allgemeinen arbeiten etwa nur ein Drittel der amischen Familien in der Landwirtschaft. Unabhängig von ihrer Beschäftigung leben alle Amischen in ländlichen Gebieten. Angesichts der wachsenden Vielfalt stellt sich die Schlüsselfrage: Was bedeutet es, „amisch“ zu sein? In der Forschung stimmt man im Allgemeinen darin überein, dass eine typische amische Gruppe erstens die Lehren der achtzehn Glaubensartikel aus dem Dordrechter Bekenntnis von 1632 akzeptiert, einschließlich der Erwachsenentaufe und Gewaltfreiheit, zweitens mit zweirädriger Pferdekutsche („horse and buggy“) unterwegs ist, drittens höhere Schulausbildung ablehnt, viertens sich von den kulturellen Angeboten der Außenwelt fernhält, fünftens einen deutschen Dialekt spricht, entweder Pennsylvania Dutch oder Schweizerdeutsch, und sechstens sich selbst als „Amisch“ begreift.
3. Konflikt mit dem Staat
Die Ausweitung der staatlichen Bürokratie in den USA und ihre Eingriffe in das tägliche Leben der Bürger während der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts verursachten viele Konflikte der Amischen mit den Bundesbehörden und mit den Verwaltungen der einzelnen Bundesstaaten sowie der Kommunen. Zu den umstrittenen Themen gehörten die Schulpflicht, die zwangsweise Verpflichtung, sich in das föderale System der sozialen Sicherheit einzugliedern, d. h. die Gesetze gegen Kinderarbeit, zur medizinischen Versorgung und zur Krankenversicherung zu beachten, Bebauungsvorschriften und Regelungen zur Nutzung des Landes sowie die Verordnungen für den Pferdekutschenverkehr einzuhalten. Die überwiegende Mehrheit dieser Konflikte (aber nicht alle) wurden zugunsten der Amischen entschieden. Zwei bedeutende (Schulpflicht und Sozialversicherung) verdienen eine besondere Erörterung.
Aus grundsätzlichen religiösen Überzeugungen zahlen die Amischen die gleichen Steuern (Einkommens-, Umsatz-, Grund- und Erbschaftsteuern) wie die anderen Amerikaner auch, nur keine Abgaben zur Sozialversicherung. Nach amischer Meinung sind mit der Zugehörigkeit zur Gemeinde die Verantwortung und die Pflicht verbunden, für die sozialen und finanziellen Bedürfnisse der Brüder und Schwestern in der Gemeinde in Zeiten von Krankheit, Katastrophe (Unglücksfällen) und Alter selbst zu sorgen. Wegen ihrer biblisch begründeten klaren Trennung von religiöser Gemeinde und Staat lehnen die Amischen traditionell und konsequent jede Subvention oder finanzielle Unterstützung seitens des Staates ab. Als amische Farmer sich weigerten, gesetzlich geforderte Sozialabgaben abzuführen, begannen Bundesbeamte 1955 gegen sie vorzugehen. Nach einem Jahrzehnt der Verhaftungen und Konflikte befreite der US-Kongress die Amischen schließlich 1965 von der Zahlung der Sozialabgaben. Allerdings müssen die nichtamischen Unternehmen, die Amische beschäftigen, Sozialabgaben von ihren amischen Mitarbeitern einziehen. Die überwiegende Mehrheit der Amischen, die selbstständig oder in amischen Unternehmen angestellt sind, wurden von Sozialabgaben befreit, allerdings auch vom Empfang staatlicher Sozialleistungen ausgeschlossen. Diese Ausnahmeregelung wurde 2012 auch auf das Programm der Krankenversicherung ausgedehnt (Affordable Patient Care Act). Die Krankenversicherungsbeiträge der Amischen werden durch freiwillige Spenden und Beiträge von der amischen Gemeinschaft aufgebracht.
In der Mitte des 20. Jahrhunderts erlebten die Amerikaner eine große Konsolidierung der öffentlichen Schulen, eine Erweiterung des Schuljahres und die strikte Durchsetzung der Schulpflicht. Vor 1950 besuchten amische Schüler öffentliche Schulen, die aus einem Raum bestanden und amische Väter als Treuhänder betreuten. Um eine Oberschule (Highschool) besuchen zu können, mussten die Schüler den Weg aus dem eigenen Dorf in eine zentrale Schule mit dem Bus zurücklegen. Dies widersprach den traditionellen Werten der Amischen, und die amischen Schüler blieben diesen Schulen fern. Folglich wurden Hunderte von amischen Eltern verhaftet und für eine kurze Zeit ins Gefängnis überführt, weil sie gegen das Gesetz zur Schulpflicht verstoßen hatten. Dieser Konflikt mit dem Gesetz wurde schließlich durch den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten überprüft. Das Gericht urteilte 1972 in der Sache „Wisconsin gegen Yoder“, dass amische Jugendliche ihrer Schulpflicht im Alter von vierzehn Jahren Genüge getan hätten („eight grade“), etwa zwei Jahre vor anderen amerikanischen Jugendlichen, und so ihre Ausbildung in einer Zwergschule abschließen könnten, ohne eine staatliche weiterführende Schule besuchen zu müssen.
Nach dem Abschluss der achten Klasse treten amische Jugendliche in der Regel eine formlose Lehre auf einem Bauernhof oder in kleinen Gewerbebetrieben an. Die Auseinandersetzung um die Schulpflicht löste in den 1950er und 1960er Jahren die Errichtung von amischen Privatschulen aus. Im 21. Jahrhundert werden nun über 90 % der amischen Jugend in etwas mehr als 2.000 Schulen mit einem oder zwei Räumen in der Regel von amischen Lehrern unterrichtet, die ihrerseits in ähnlichen Schulen ausgebildet worden waren. Standardisierte Prüfungen in mehreren Staaten zeigten, dass amische Schüler einen gleichwertigen Bildungstand erreichen wie die Vergleichsgruppen in den öffentlichen Schulen. Die Entwicklung des amischen Schulwesens wurde zu einem bedeutenden Faktor, an dem sich die Absonderung von der Welt zu bewähren hatte und der den Zusammenhalt unter den örtlichen Gemeinden stärkte. Paradoxerweise fand diese Stärkung des amischen Selbstverständnisses durch den Schulstreit in der Zeit statt, in der auch Hunderte von amischen Unternehmen entstanden, die die wirtschaftliche Integration der Amischen in die Welt draußen nachhaltig vorantrieben.
4. Auseinandersetzung mit der Moderne
Die amische Erfahrung in Amerika schafft ein faszinierendes Rätsel: Wie ist es möglich für eine traditionsbehaftete Gesellschaft, die höhere Schulbildung, Besitz von Kraftfahrzeugen, Strom aus dem öffentlichen Netz, Nutzung von Internet und Fernsehen ablehnt, nicht nur zu überleben, sondern tatsächlich in der hochtechnisierten postmodernen Gesellschaft zu gedeihen? Eine Erklärung des Rätsels liegt in dem Umstand, wie die amischen Gemeinden mit der Moderne umgehen. Dieses Argument geht davon aus, dass die Amischen keine passiven Zuschauer bei der Entwicklung der Modernisierung sind, sondern dass sie aktiv mit Reaktionen auf den sozialen Wandel und neue technologische Entwicklungen reagieren. Kurz gesagt, sie reagieren auf die moderne Gegenwart, indem sie einige Entwicklungen annehmen und andere ablehnen, häufig auch Kompromisse auf der kulturellen und organisatorischen Ebene suchen. Die Kompromisse ermöglichen Ergebnisse, die traditionelle amische Werte erhalten und doch gleichzeitig erlauben, die Früchte des Fortschritts zu pflücken und von ihnen zu profitieren.
Amische Gemeinden haben viele Änderungen während des 20. Jahrhunderts erlebt, dabei nahmen die Gemeinden Waren und Einflüsse von außen auf. Als Außenseiter sind sie bescheidene Kapitalisten, die sich am Rande der Marktwirtschaft bewegen. Sie kaufen Produkte und Lebensmittel von außerhalb in Einzelhandelsgeschäften. Teile ihres Hausrats sowie Teile ihrer Ausrüstung für Werkstatt und Hof werden von nichtamischen Verkäufern erworben. Viele Amische sind begeisterte Jäger und erwerben moderne Ausrüstungen zum Bogenschießen, gelegentlich auch Feuerwaffen.
Auf der anderen Seite lehnen die Amischen kategorisch Fernsehen, Online-Zugang in ihren Häusern, den Besitz von Kraftfahrzeugen und die Nutzung von Strom aus öffentlichen Versorgungsunternehmen ab. Ebenso lehnen sie die Ehescheidung, die Ehe mit Außenstehenden (Exogamie), Highschool- und Universitätsausbildung sowie die Beteiligung an Aufgaben der Politik ab. Bei der Gestaltung ihres Gemeindelebens verschmähen sie nahezu alle Merkmale des modernen Protestantismus, wie Kirchengebäude, ausgebildete und angestellte Prediger, die Frauenordination, den Einsatz von Musikinstrumenten in Gottesdiensten und religiöse Spezialprogramme für ausgewählte Zielgruppen (Kinder, Jugendliche, Senioren). Darüber hinaus haben die Amischen keine nationale, zentrale Verwaltung, keine bezahlten Funktionsträger, auch betreiben sie keine kirchlichen Institutionen wie Seminare, Missionsgesellschaften oder Verlage. Diese Aspekte der Moderne, die sie gemieden haben bzw. immer noch meiden, ermöglichen es den amischen Gemeinden, sich ihre traditionellen Werte und ihre streng abgesonderte Gemeinschaft zu bewahren. Der Verkehr mit Pferd und Kutsche und die geografische Begrenzung ihrer Gemeindebezirke stärken und verbessern das Zusammengehörigkeitsgefühl ihrer Gemeinschaft in direkter Begegnung untereinander inmitten einer virtuellen Computerwelt, in der Facebook-Freundschaften geschlossen werden.
Abgesehen von völliger Ablehnung und Aufnahme moderner Entwicklungen sind amische Gemeinden interessante kulturelle Kompromisse eingegangen, die in vielerlei Hinsicht ihre Fähigkeit erklären, sich einerseits eine ausgeprägte ethnische Identität zu erhalten und andererseits in der modernen Gesellschaft zu gedeihen. So beauftragen sie beispielsweise gerne private Fahrer von außerhalb, sie zu Geschäftstreffen oder zu amischen Versammlungen wie Beerdigungen, Hochzeiten und Familienfeiern zu fahren, obwohl sie selbst niemals ein motorisiertes Fahrzeug kaufen würden. Viele Amische betreiben ihre Werkstätten mit modernen Maschinen, die aber nicht durch Elektrizität, sondern durch hydraulische oder pneumatische Energie – die so genannte „Amische Elektrizität.“ – betrieben werden. Einige Unternehmer, denen es nicht erlaubt ist, Computer anzuschaffen, beauftragen Dienstleister für Computer, E-Mail- oder Website-Dienste. Ein Einzelhändler für Quilts kann einen Laden von einem Nichtamischen mieten und dann den vorhandenen Strom in den gemieteten Räumen zur Ausleuchtung seiner Ausstellungsstücke nutzen. Die rasche Entstehung der amischen Unternehmen seit 1980 ist auch ein Beispiel für solche Kompromisse.
Grundsätzlich hatten die Amischen sich darauf verständigt, die Farmen verlassen zu dürfen, die meisten aber weigerten sich, in einem nichtamischen Unternehmen außerhalb zu arbeiten. Stattdessen schufen sie eigene Kleinstunternehmen, bei denen sie die allgemeinen Betriebs- und Geschäftsbedingungen kontrollieren und den Ertrag ihrer Arbeit einstreichen konnten. Dieser Zug in die Geschäftswelt wird bedeutende langfristige Konsequenzen für viele Aspekte des amischen Lebens im 21. Jahrhundert haben.
Im geschickten Umgang mit Kultur, Wirtschaft und Staat haben die Amischen in Nordamerika Wege gefunden, ihre traditionellen Grundwerte zu bewahren und gleichzeitig von neuen technologischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen zu profitieren. Die Resultate künftiger Versuche, Kompromisse auszuhandeln, sind jedoch unsicher und unberechenbar. Darüber hinaus kann unmöglich vorhergesagt werden, welche unbeabsichtigten Konsequenzen und langfristigen Auswirkungen sich in der amischen Gesellschaft in Zukunft einstellen werden.
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Donald B. Kraybill