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Literatur II (der Mennoniten in Nordamerika)
Die ältere Literatur, die von Mennoniten in Nordamerika hervorgebracht wurde, ist bereits von Elizatheth Horsch Bender und Harry Loewen enzyklopädisch erfasst und besprochen worden (Art. Literature, Mennonites in the United States and Canada, 1990/2012). Das gilt zunächst für den Zeitraum bis 1950. Dabei ist mit besonderer Aufmerksamkeit auf die Wurzeln der mennonitischen Literatur in der deutschen Sprache geachtet worden. Harry Loewen beschäftigt sich in seinem Artikelteil mit der Literatur, die zwischen 1950 und 1985 entstanden ist. Einige Autoren, die für diesen Zeitraum nachgetragen werden könnten, werden in diesem Artikel aufgeführt, der sich mit dem literarischen Schaffen der nordamerikanischen Mennoniten seit 1960 befasst. Die älteren enzyklopädischen Artikel haben die Werke der mennonitischen Autoren ebenso wie die Darstellung der Mennoniten in der allgemeinen Literatur dargestellt, während dieser Artikel nur die Autoren behandelt, die nach Geburt, Familienzugehörigkeit, aus Überzeugung oder religiöser bzw. kultureller Nähe eine Beziehung zum Mennonitentum unterhalten. Das literarische Schaffen, das sich unter den Mennoniten in letzter Zeit stark entwickelt hat, stellt das Thema „Mennoniten in der Gegenwartsliteratur allgemein“ in den Schatten.
1. Literatur aus den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts und davor
Das Erscheinen des ersten Romans, den Rudy Wiebe 1962 unter dem Titel Peace Shall Destroy Many veröffentlichte, wird oft als die Geburtsstunde der zeitgenössischen, englischsprachigen mennonitischen Literatur in Nordamerika zitiert. Wiebes Roman wurde in der nationalen Presse Kanadas freundlich besprochen, von Leitern der Mennoniten-Brüdergemeinde hingegen wurde er mit Zensur belegt und der Autor gedrängt, seine Stellung als Schriftleiter von Mennonite Brethren Herald aufzugeben. Bald darauf wurde Wiebe aber von den amerikanischen Mennoniten eingeladen, am Goshen College in Goshen (Indiana) zu lehren, bevor er wieder nach Kanada zurückkehrte und eine Lehrtätigkeit an der University of Alberta aufnahm. Damit begann ein Austausch über die Grenzen hinweg, der für die nordamerikanische Erforschung der Literatur unter Mennoniten in der Gegenwart charakteristisch geworden ist.
Einige Mennoniten veröffentlichten literarische Werke in englischer Sprache für die allgemeine Öffentlichkeit bekanntlich schon vor dem Erscheinen von Peace Shall Destroy Many. The Trail of Conestoga (1924) von Mabel Dunham behandelt den Auszug der Mennoniten aus Pennsylvanien nach Ontario im Anschluss an die Amerikanische Revolution.
Gordon Friesens The Flamethrowers (1936) ist ein realistischer Roman, der in Kansas spielt. Er erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der gegen die Enge seiner mennonitischen Gemeinde rebelliert. Joseph W. Yoders Rosanna of the Amish (1940) geht auf die Lebensgeschichte seiner Mutter zurück. Inzwischen hat mennonitische Literatur bei Herald Press, einem mennonitischen Verlag, zu erscheinen begonnen. Mit Not Regina (1948) und Henry's Red Sea (1955) schrieben Christmas Carol Kauffman und Barbara Smucker mennonitische Geschichten für junge Leser, die sich auch auf die weitere Gemeinschaft erzieherisch auswirkten. Ebenso veröffentlichen einige amerikanische Autoren erste Romane in größeren Verlagen während der sechziger Jahre. Elaine Sommer Richs autobiographischer Roman für junge Leser Hannah Elizabeth (1964) wurde bei Harper & Row und Dallas Wiebes experimenteller Roman Skyblue the Badass (1969) bei Doubleday herausgebracht. Warren Kliewers erster Gedichtband Red Rose and Gray Cowl (1960) erschien mit einer Reihe von Theaterstücken, u. a. The Summoning of Everyman (1961), A Bird in the Bush (1962) und The Prodigal Son (1962), während dieses Jahrzehnts im Druck und leitete eine herausragende Karriere in Lyrik und Theaterliteratur ein.
2. Literatur zwischen 1970 und 1990
Mennonitische Literatur setzte in Kanada während der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts auf mehreren Ebenen ein. Hildi Tiessen hat über die staatliche Unterstützung multikultureller Autoren seit den 1970er Jahren in Kanada geschrieben, einem Zeitabschnitt, in dem zahlreiche mennonitische Autoren ihre ersten Werke veröffentlichten. Rudy Wiebes dritter Roman, The Blue Mountains of China (1970), konzentrierte sich auf eine mennonitische Geschichte, den Governor General's Award aber gewann er für The Temptation of Big Bear (1973), einen Roman über einen berühmten Anführer der Ureinwohner. In diesem Jahrzehnt erschienen Patrick Friesen und Andreas Schroeder als frühe Stimmen mennonitischer Lyrik in Kanada. Auf Andreas Schroeders The Ozone Minotaur (1969) folgten seine weiteren Gedichtbände und ein Roman mit dem Titel The Late Man (1972). Friesens erster Band, The Lands I am (1976), zog Bluebottle (1978) und The Shunning (1980, uraufgeführt 1985) nach sich. Die beiden letzten Bände wurden bei Turnstone Press in Winnipeg veröffentlicht. Dieser Verlag hat eine äußerst wichtige Rolle dabei gespielt, mennonitische Autoren in den nächsten Jahrzehnten auf den Weg zu bringen.
Während der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts erschienen die meisten Werke mennonitischer Literatur immer noch in Verlagen der Mennoniten. Mit dem ersten Roman Covenent of Despair (1969) leitete Omar Eby seine lange Schriftstellerkarriere ein. Veröffentlicht wurden auch erste Romane von Ken Reed, Mennonite Soldier (1975), und von Merle Good, Happy as the Grass Was Green (1975), auch das schmale Buch John Ruths zu Mennonite Identity and Literary Art (1978), das als ein erster Versuch gelesen werden könnte, mennonitische Literaturkritik ins Leben zu rufen. Dieser Text ging auf die Menno Simons Lectures des Autors 1976 am Bethel College zurück und wurde in voller Länge erstmals in Mennonite Life (1977) veröffentlicht, einem Magazin, das später jeweils eine Ausgabe zur Kunst in periodischem Abstand herausbrachte. In den siebziger Jahren wurden auch zwei neue Zeitschriften gegründet, die dazu beitrugen, das Bewusstsein der Mennoniten für die Feinen Künste zu erweitern: The Mennonite Mirror (1971–1990) in Kanada und Festival Quarterly (1974–1996) in den USA.
Das aufkeimende Interesse an kultureller Vielfalt und der Entwicklung feministischer Literaturkritik in der weiteren Welt der Literatur führte zu vermehrten Gelegenheiten für mennonitische Künstler, ihren Lesern ihr ethnisches und kulturelles Erbe während der achtziger Jahre vor Augen zu führen – unter bemerkenswert wachsender Beteiligung weiblicher Autoren. In Kanada führten erste Arbeiten der Romanschriftstellerin Sandra Birdsell mit Night Travellers (1982) und The Missing Child (1989), die Dichterin und Kritikerin Di Brandt mit Questions I Asked My Mother (1987) und die Dichterin Sarah Klassen mit Journey to Yalta (1988) bedeutsame Frauen auf den Plan, denen sich ausgezeichnete Karrieren eröffnen sollten. Al Reimer veröffentlichte seinen russischen Roman My Harp is Turned to Mourning (1985) und Armin Wiebe erforschte den plattdeutschen Humor seines russlandmennonitischen Erbes in einem beißenden und humorvollen ersten Roman, The Salvation of Yasch Siemens (1984). Lois Brauns erstem Sammelband mit mennonitischen Short Stories A Stone Watermelon (1986) sollten in den folgenden Jahrzehnten drei weitere Bände folgen. Dora Dueck erforschte in ihrem ersten Roman Under the Still Standing Sun (1989) die Erfahrung von Mennoniten in Paraguay. In den USA bot der Verlag Good Books eine Alternative zu denominationellen Verlagen für Schriftsteller mennonitischer Literatur an und veröffentlichte zuerst von Sara Stambaugh I Hear the Reaper's Song (1984) und Levi Miller Ben's Wayne (1989). Mit Three Mennonite Poets stellten Jean Janzen, David Waltner-Toews und Yorifumi Yaguchi 1986 dem amerikanischen Lesepublikum ein internationales Schriftstellertrio vor. Der erste Gedichtband Jean Janzens, Words for the Silence (1984) ist das Debut einer bedeutsamen Dichterstimme, deren Werk sowohl den Gesang als auch die Literatur der Mennoniten beeinflussen sollte. Janet Kauffman, Autorin experimenteller Romane und Dichterin, veröffentlichte den ersten Band, der sich bald zu einer Trilogie entwickeln sollte: Collaborators (1987) beschreibt eine mennonitische Mutter und Tochter; diese Familiensaga wird in The Body in Four Parts (1993) und Rot (2000) fortgeführt.
3. Literatur in den neunziger Jahren
In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts gelangte mennonitische Literatur mit Julia Kasdorfs Gedichtssammlung Sleeping Preacher (1992) zu nationaler Anerkennung. Sie wurde 1991 mit dem Agnes Lynch Starrett Preis der University of Pittsburg ausgezeichnet, und vier ihrer Gedichte aus dieser Sammlung wurden in The New Yorker abgedruckt. Ein zweiter Gedichtband Julia Kasdorfs, Eve's Striptease (1998), stellte Geschichten von Frauen und feministische Themen in den Vordergrund. In den neunziger Jahren wurde eine bedeutsame Anzahl US-mennonitischer Schriftsteller das erste Mal in Literaturverlagen herausgebracht. Jeff Gundys erstem Gedichtband, Inquiries (1992), mit dem sich ein produktiver neuer Dichter und Essayist vorstellte, folgte bald ein zweiter, Flatlands (1995), und ein kreatives nichtfiktionales Werk, A Community of Memory: My Days with George und Clara (1995). Beide Bücher wurden in Universitätsverlagen veröffentlicht. In diesem Jahrzehnt erschienen auch drei Gedichtbände von Keith Ratzhlaff: Man Under the Pear Tree (1997) gewann den Aninga Poetry Prize. Juanita Brunks Brief Landing on the Earth's Surface (1996) erhielt den Brittingham Poetry Prize der University of Wisconsin Press. Jean Janzen veröffentlichte The Upside Down Tree (1992) in Kanada und The Snake in the Parsonage (1995) in den USA bei Good Books in dem Jahr, in dem ihr ein National Endowment for the Arts (NEA)-Stipendium zuerkannt wurde.
In Kanada brachten die neunziger Jahre eine Reihe starker Stimmen in fiktionaler Literatur hervor, die weiterhin Auszeichnungen erwarben und die Präsenz mennonitischer Schriftsteller unter den führenden Romanciers festigten. Der Sammlung von Short Stories, die David Bergen schrieb, Sitting Opposite My Brother (1992), folgten zwei weitere Romane in diesem Jahrzehnt: A Year of Lesser (1996) und See the Child (1999). David Elias veröffentlichte zwei Bände mit kurzen Erzählungen, Crossing the Line (1992) und Places of Grace (1997). Miriam Toews stellte sich mit The Summer of my Amazing Luck (1996) und A Boy of Good Breeding (1998) als Schriftstellerin vor, die im folgenden Jahrzehnt zur führenden kanadischen Romanautorin ihrer Generation werden sollte. Vier Werke fiktionaler Literatur begründeten den Ruf Sandra Birdsells als wichtige Schriftstellerin: darunter The Chrome Suite (1992) und The Two-Headed Calf (1997). Rudy Wiebe gewann den Governor General's Award für Romanliteratur ein zweites Mal mit A Discovery of Strangers (1994), ein anderer seiner Romane thematisierte Charaktere und Lebensräume der ursprünglichen Bevölkerung. Diesem Roman folgte Stolen Life: The Journey of a Cree Woman (1998) aus der Zusammenarbeit mit der Métis-Autorin Yvonne Johnson. David Walter-Toews, der schon als produktiver Autor nonfiktionaler Literatur hervorgetreten war, veröffentliche eine Gedichtsammlung unter dem Titel The Impossible Uprooting (1995), in der die Person der „Tante Tina“ in einer Reihe von Gedichten in Plattdeutsch beschrieben wurde. Di Brandt veröffentlichte zwei weitere Gedichtbände und drei Bücher nonfiktionaler Literatur, darunter Dancing Naked (1995), ein bahnbrechendes Werk mennonitischer feministischer Kritik. Sara Klassen veröffentlichte vier Gedichtbände, darunter Simone Weil: Songs of Hunger and Love (1999). Barbara Nickel veröffentlichte ihren ersten Gedichtband, The Gladys Elegies (1997), und einen Roman für junge Leser, The Secret Wish of Nannerl Mozart (1996). Gemeinsam mit David Nickel schrieb Karl Schroeder den ersten seiner hoch angesehenen Science-Fiktion-Romane: The Claus Effect (1997).
Seit 1989 wurden kreative Arbeiten mennonitischer Schriftsteller in einer Reihe von Anthologien zusammengeführt und ein kritischer Rahmen für deren Interpretation bereitgestellt. Liars and Rascals: Mennonite Short Stories, herausgegeben von Hildi Tiessen (1989), nimmt kanadische mennonitische Short Stories in den Blick. A Capella: Mennonite Voices in Poetry, herausgegeben von Ann Hostetler (2003), versammelt Lyrik von amerikanischen und kanadischen Schriftstellern. Half in the Sun, herausgegeben von Elsie K. Neufeld (2006), konzentriert sich auf mennonitische Autoren aus British Columbia und dem Pacific Northwest der USA. Tongue Screws and Testimonies: Poems, Stories, and Essays Inspired by the Martyr's Mirror, herausgegeben von Kirsten Eve Beachy (2010), zeigt den Einfluss dieses epochemachenden mennonitischen Martyrerspiegels auf zeitgenössische Autoren auf.
Seit 1990 haben sechs Konferenzen („Mennonite/s Writing“) die kritische Diskussion um mennonitische Literatur und Literaturwissenschaft geprägt und das Gespräch unter den Schriftstellern gefördert. Die erste Konferenz, die sich mit dem Schaffen kanadischer Schriftsteller beschäftigte, wurde an der University of Waterloo in Ontario abgehalten. Die zweite Konferenz zu mennonitischer Literatur in den USA fand 1997 am Goshen College, Goshen (Indiana), statt und die dritte mit einem internationalen Schwerpunkt 2002 am Goshen College, die vierte Konferenz 2006 an der Bluffton University in Bluffton (Ohio), die fünfte mit einem Schwerpunkt auf Literatur in Manitoba 2009 an der University of Winnipeg und die sechste 2012 an der Eastern Mennonite University in Harrisonburg (Virginia). In kritischen Vorträgen, Lesungen, Aufführungen und Podiumsdiskussionen haben die Schriftsteller sich gegenseitig vorgestellt und sind zu einer Gesprächsgemeinschaft zusammengewachsen, die noch andauert. Hier wurde mennonitische Literaturkritik gepflegt, die mit den bahnbrechenden Forschungen von Elizabeth Horsch Bender und Harry Loewen begannen und den ergänzenden Erzählungen John Ruths und Al Reimers. Kirsten Beachy, Ervin Beck, Jeff Gundy, Ann Hostettler, Julia Spicher Kasdorf, Hilde Froese Tiessen und Paul Tiessen haben neben anderen geholfen, dem kritischen Gespräch in kritischen Vorträgen und ausgewählten Textsammlungen für Konferenzen eine Form zu geben. Mehrere Sammelbände sind daraus entstanden, darunter Acts of Concealment: Mennonite/s Writing in Canada, herausgegeben von Hildi Froese Tiessen und Peter Hinchcliffe (1992) und Migrant Muses (1998). Ausgewählte Konferenzvorträge sind in Ausgaben von The Mennonite Quarterly Review, The Conrad Grebel Review, dem Journal of Mennonite Studies und dem Journal of the Center for Mennonite Writing erschienen.
4. Literatur von 2000 bis zur Gegenwart
Darauf konnte die mennonitische Literaturwissenschaft in einer Periode aufbauen, die sich dem Multikulturalismus öffnete, und ihre Stellung als eine kritische Disziplin auch im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts behaupten, in dem mennonitische Literatur weiterhin mit wachsender Qualität und Vielseitigkeit sowohl in Kanada als auch in den USA in Erscheinung trat. Der Roman blieb das stärkste literarische Genre in Kanada. Miriam Toews gewann den Governor's General Award für A Complicated Kindness (2004), und ihre Erinnerung an den Selbstmord ihres Vaters, Swing Low (2000), sowie zwei weitere Romane, The Flying Troutmans (2008) und Irma Voth (2011), die von Mennoniten in Mexico handeln, wurden kritisch gewürdigt. David Bergen, der in diesem Jahrzehnt vier Romane veröffentlichte, gewann den Scotiabank Giller Prize für The Time in Between (2005). Sandra Birdsells Roman The Russlander (2001), der unter dem Titel Katya in den USA erschien, war der erste umfangreiche Roman über die Erfahrung mennonitischer Frauen während der Revolution in Russland und erreichte die Endrunde in der Auswahl für den Giller Prize. Darauf folgten zwei andere Bücher, darunter der Roman Children of the Day (2005), der sich auf die Mischehe ihrer Eltern bezieht („Mennonite and Métis marriage“). Sarah Klassen veröffentlichte ihre erste Sammlung mit Short Stories, A Feast of Longing (2007) und begründete damit ihre Verpflichtung gegenüber diesem Genre. Darcie Friesen Hossack mit Mennonites Don't Dance (2010) und Carrie Snyders mit Hair Hat (2004) und The Juliet Stories (2012) sind neue Schriftstellerinnen, die die starke mennonitische Tradition der Kurzgeschichten weitertragen. Dora Duecks zweitem Roman, This Hidden Thing (2011), der von einem Einwanderermädchen handelt, das als Magd in einem wohlhabenden Haushalt arbeitete, wurde der McNally Robinson Book of the Year Award für 2011 zugesprochen. Rudy Wiebe wurde zum Officer der Order of Canada ernannt, sein letzter mennonitischer Roman, Sweeter than all the World, erschien 2001. Seine Memoiren, Of this Earth: A Boyhood in the Boreal Forest (2006), erhielten 2007 den Charles Taylor Preis.
Auch die kanadische Lyrik trat im neuen Jahrhundert mit neuen Stimmen hervor: Melanie Cameron und Carla Funk, deren erste Bücher Holding the Dark (1999) und Blessing the Bones into Light (1999) noch im letzten Jahrhundert erschienen waren, veröffentlichten weitere Gedichtbände im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts. Maurice Mierau veröffentlichte Ending with Music (2002) und Fear Not (2008), Robert Martens Ever after and other Poems (2009) und Al Rempel seine erste Sammlung Understories (2010). Auch von bereits bewährten Dichtern erschienen neue Gedichtbände: Di Brandts Now You Care (2003), der einen ökologischen Stempel trägt, wurde auf die Shortlist für drei Preise gesetzt, u. a. auch den Giller Prize; ihre Essaysammlung, So this is the World and Here I am in it (2007), vertieft die Umweltlyrik und berücksichtigt ihre mennonitischen Wurzeln. Patrick Friesen brachte zwei neue Gedichtbände heraus, einen Essayband und mehrere CDs. Sarah Klassen ließ einen neuen Gedichtband, A Curious Beatitude (2006), zwischen ihren beiden Bänden mit Short Stories erscheinen. Barbara Nickel veröffentlichte einen weiteren Gedichtband, den sie Domain (2007) nannte.
Während dieser Zeit wuchs die fiktive Literatur unter den Mennoniten in den USA weiter an, vor allem mit einigen Büchern, die Auszeichnungen erhalten konnten: Evie Miller Yoder's Roman Eyes at the Window (2003) wurde ein Border's Original Voices Best New Book zuerkannt und Katherine Arnoldis Band mit Erzählungen All Things Are Labor (2007) erhielt den Juniper Award der University of Wisconsin Press. Die Romane, die in diesem Jahrzehnt erschienen, wiesen auch einen größeren stilistischen Zuschnitt auf, vom Surrealismus des viel gelobten Romans in Geschichten, den Stephen Raleigh Byler mit Searching for Intruders (2002) schrieb zu Keith Millers Phantasieromanen The Book of Flying (2004) und The Book on Fire (2009). Bo Caldwell erzählt von der Reise ihrer Großeltern nach China in City of Tranquil Light (2010). Sofia Samatar erkundet Phantasiewelten in Olondria, ihrem ersten Roman, der 2013 erschienen ist. Jessica Penners Roman in Geschichten, Shaken in the Water, ist ebenfalls 2013 erschienen. Mehrere erfolgreiche Arbeiten serieller Fiktionsliteratur wurden ebenfalls im letzten Jahrzehnt veröffentlicht, darunter Mysteries von P. L. Gaus und Judy Clemens und acht Science-Fiktion-Romane von Karl Schroeder.
In den USA veröffentlichten die arrivierten Schriftsteller Jeff Gundy, Jean Janzen und Keith Ratzlaff neue Gedichtsbände. Julia Spicher Kasdorf erhielt das NEA-Stipendium für Lyrik und veröffentlichte ihre dritte Gedichtsammlung Poetry in America (2011). Jeff Gundys Deerflies (2003) erhielten den Editions Award und den Nancy Dasher Award, und Spoken Among the Trees (2007) wurde der Society of Midland Authors Award zuerkannt. Darüber hinaus publizierte Gundy eine Sammlung kritischer Essays: Walker in the Fog: On Mennonite Writing (2005). Jean Janzen veröffentlichte einen Essayband auf der Grundlage ihrer Menno Simons Lectures am Bethel College Elements of Faithful Writing (2005), der ihre drei Gedichtbände Tasting the Dust (2000), Piano in the Vineyard (2004) und Paper House (2008) ergänzt. Keith Ratzlaff schrieb Dubious Angels: Poems after Paul Klee (2005) und Then, A Thousand Crows (2009). Unter den Autoren, die erstmals mit Sammelbänden in Erscheinung traten, sind Todd Davis mit Ripe (2002) und Rhoda Janzen mit Babel's Stair (2006). Davis brachte noch zwei weitere Bände heraus, darunter The Least of These (2010). Dieses Jahrzehnt hat auch das Erscheinen der Cascadia Poetry Series erlebt, nachdem dieser Verlag die ersten beiden Bücher mit Ann Hostetlers Empty Room with Light (2002) und David Wright mit A Liturgy for Stones (2003) herausgebracht hatte. Seit 2005 sind in dieser Reihe zehn Gedichtsbände von so anerkannten Autoren wie Dallas Wiebe, Cheryl Denise, Shari Wagner, Debra Gingerich, Leonard Nerufeldt, Esther Yoder Stenson, Suzanne Miller und Becca J. R. Lachman erschienen, auch zwei weitere Gedichtsammlungen von Helen Alderfer und Chris Longenecker.
5. Drama, Lebenserinnerungen und literarischer Journalismus
Das Drama ist eine weniger bekannte literarische Gattung in der mennonitischen Literatur, dennoch hat sie sich hier kontinuierlich entwickelt, von Warren Kliewers Theaterstücken aus den sechziger und Merle Goods aus den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Kürzlich haben die kanadischen Stückeschreiber Vern Thiessen, Armin Wiebe und der amerikanische Autor Doug Reed dieses Genre mit neuen Kräften versehen. Als ein international bekannter Autor hat Vern Thiessen zahlreiche Awards für seine Stücke erhalten, auch den Govenor General's Award für Theaterstücke in Kanada 2003; sein kürzlich erschienenes Stück Lenin's Embalmers, das auch am Broadway in New York aufgeführt wurde, wurde für den Govenor General's Award für Theaterstücke des Jahres 2011 nominiert.
Mit wachsendem Interesse haben Mennoniten sich dem Schreiben ihrer Lebenserinnerungen zugewandt (→Autobiografie). In Kanada haben, wie oben vermerkt, Rudy Wiebe und Miriam Toews literarische Memoiren herausgebracht. In den USA beeinflussen das Ansehen der Old Order Amish und schlicht gekleideten Gruppen der Mennoniten und die „Tourismusindustrie“, die um sie entstanden ist, das Genre der Memoiren. Während der neunziger Jahre veröffentlichte Good Books Shirley Kurtzs Erinnerungen, Growing Up Plain (1994), und sagte das Anwachsen solcher Memoiren im 21. Jahrhundert voraus. Bücher wie Rolling Down Black Stockings: A Passage out of the Old Order Mennonite Religion (2005) von Esther Royer Ayers, Growing Up Amish von Ira Wagler (2011) und Why I Left the Amish (2011) von Saloma Miller Furlong sprechen die Neugier der Leser an, die wissen wollen, was es heißt, ein Leben in den Beschränkungen durch einen religiösen und kulturellen Lebensstil zu führen. Memoiren wurden von Cascadia Books, bekanntermaßen Gerald L. Millers A Hundred Camels (2009), über seine Erlebnisse als Arzt in Somalia, und Lee Snyders At Powerline and Diamond Hill (2009), eine Erinnerung an ihre mennonitische Herkunft, die für ihre Bereitschaft, die Präsidentschaft der Bluffton University zu übernehmen, bedeutsam wurde.
Ein gelehrter Zugang zu Memoiren ist von Julia Spicher Kasdorf in ihrer Sammlung autobiographischer Essays gefunden worden, The Body and the Book: Writing from a Mennonite Life (2001, 2009). Hier werden sowohl persönliche als auch gemeinschaftliche Themen angesprochen, wie es auch Jeff Gundy in seiner Essaysammlung Scattering Point: The World in a Mennonite Eye (2003) tat. Stärker theologisch ausgerichtet zieht Dawn Ruth Nelson in A Mennonite Woman: Exploring Spiritual Life and Identity (2010) das Leben ihrer mennonitischen Großmutter in Parallele zur eigenen Suche nach Spiritualität unter Katholiken in Irland und Mennoniten im östlichen Pennsylvanien. Auf dem Buchmarkt hat Rhoda Janzens Mennonite in A Little Black Dress (2009) als Besteller auch wirtschaftlich Erfolg gehabt, während sie damit Unruhe in ihrer Heimatgemeinde in Fresno (California) hervorgerufen und mehr Mennoniten angeregt hat, ihre eigene Version ihrer mennonitischen Geschichte zu erzählen, so Rhonda Langley, die im Selbstverlag Mennonite in Blue Jeans (2012) herausbrachte. Rhoda Janzens zweiter Memoirenband, Does this Church Make Me Look Fat? (2012) stellt Glaubensthemen auf den Prüfstand und vergleicht den Glauben, den sie in ihrer Mennoniten-Brüdergemeinde empfangen hat, mit dem Glauben in ihrer gegenwärtigen Pfingstgemeinde. In Kanada veröffentlichte Mary Ann Kirkby ihre Memoiren I Am Hutterite (2007) im Selbstverlag. Daraus wurde ein Bestseller und vom Verleger Thomas Nelson 2010 herausgebracht. Jean Janzens Entering the Wild: Essays on Faith and Writing (2012) geht dem Glauben der Mennoniten-Brüdergemeinde nach, der ihre schriftstellerische Tätigkeit gestärkt hat. Einen anderen Zugang findet Priscilla Stuckey zum Genre der Lebenserinnerungen in Kissed by a Fox (2012). Sie wählt einen ökologischen und geistlichen Rahmen, um Beziehungen zwischen Menschen und Tieren und deren Rolle in physischen und mentalen Heilungsprozessen zu untersuchen. Blush: Mennonite Girl in a Glittering World, von Shirley Hershey Showalter, der ehemaligen Präsidentin des Goshen College, war für 2013 vorgesehen, aber schon seit 2009 als Internetpublikation (Blog) einsehbar gewesen.
Manche Veröffentlichungen aus dem Beginn des Jahrhunderts sind dem bahnbrechenden Wink von MennoNot (1990–2003) gefolgt, das zu einer Quelle für mennonitische Literatur geworden ist: Rhubarb Magazine, das von der Mennonite Literary Society of Canada herausgegeben wird, und das online erscheinende Journal of the Center for Mennonite Writing (www.mennonitewriting.org).
6. Zur Entwicklung der mennonitischen Literatur der Gegenwart
Obwohl sich die Welt der Publizistik mit der Digitalisierung der Printmedien schnell verändert und Mennoniten dabei sind, sich an die kanadische und amerikanische allgemeine Kultur anzugleichen, vermittelt die Literatur kein Zeichen von Schwäche, im Gegenteil, sie hat sich in Quantität, Qualität und Gelehrsamkeit weiter entwickelt. Mennonitische Autoren mögen wohl nicht mehr schreiben, um mennonitische Identität wiederzubeleben, sie schreiben vielmehr gegen diese Identität an, sagt Hildi Froese Tiessen in Homelands, Identity Politics and the Trace: What Remains for the Mennonite Reader? (Mennonite Quarterly Review, 11–22), indem sie den kanadischen Kritiker Robert Kroetsch zu Wort kommen lässt. Es ist der mennonitische Leser, behauptet sie, der die „Spur“ des mennonitischen Glaubens, der Gemeinde und der kulturellen Werte in den Werken der mennonitischen Schriftsteller heute erkennen wird – Jahre von den Geschichten ihrer Vorfahren entfernt.
Ein Überblick über das literarische Schaffen der Mennoniten in Nordamerika während der letzten fünfzig Jahre hat gezeigt, dass diese Schriftsteller den Anschluss an den Mainstream der neueren Literatur erreicht haben. Dennoch werden in ihren Werken weiterhin die Möglichkeiten für mennonitische Erzählungen, Geschichten des Glaubens und der Gemeinden sondiert, wenn auch oft in kritischer Sicht. Von ihren Anfängen in den frühen Romanen Rudy Wiebes hat die zeitgenössische mennonitische Literatur auch den kulturellen Wechsel thematisiert, den Auswanderung und Akkulturation mit sich brachten. Vor allem die Lyrik hat den Marginalisierten und zum Schweigen Gebrachten in den Gemeinden eine Stimme geliehen und theologische Konzepte einer Prüfung unterzogen. Die Charaktere in der mennonitischen Literatur mögen zwar ihren Halt in ihrer mennonitischen Gemeinschaft verloren haben, aber nicht den täuferischen Vorsatz, die Welt zu kritisieren oder die Verpflichtung für andere ernst zu nehmen. Miriam Toews Charaktere tragen noch oft die Kleider der Gemeinden, aber wenn die geistliche Malaise oder das individuelle Leid angesprochen wird, wird das Versagen der Gemeinden nicht verschwiegen. In der mennonitischen Literatur wird auch die Wende von den ländlichen Wurzeln und der Verbundenheit mit dem Land zu einer städtischen oder kosmopolitischen Umgebung mit ihrer Fülle von Möglichkeiten und der Intensivierung des Konsums und der Umweltzerstörung thematisiert. Die Beziehung des Menschen zur Natur ist ebenfalls im Gespräch, wie die Veröffentlichungen von Di Brandt, Todd Davis, Jeff Gundy und Julia Spicher Kasdorf zeigen. Die Stimmen der Lyrik sind von einem leidenschaftlichen Zeugnis für die Spannungen und Widersprüche des Lebens niemals weit entfernt. Neuere Arbeiten wie Carrie Snyders Juliet Stories beschreiben auch die Hilfswerksdienste der Mennoniten im Ausland. Frühere Arbeiten experimenteller Fiktion von Dallas Wiebe und Janet Kaufman werden von neueren Arbeiten spekulativer und fantastischer Fiktion fortgesetzt, wie mit den Romanen Keith Millers und Sofia Samatars, die mögliche neue Wege für mennonitische Schriftsteller eröffnen.
Bibliografie (Auswahl)
Ervin Beck, Mennonite/s Writing in Canada, updated 2011. Center for Mennonite Writing. Web, 30. Dezember 2012: www.mennonitewriting.org. - Ders., Mennonite/s Writing in the U.S., updated 2011. Center for Mennonite Writing. Web, 30. Dezember 2011: www.mennonitewriting.org. - Elizabeth Horsch Bender und Harry Loewen, Literature, Mennonites in United States and Canada (English), in: Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online, 1990. Web, 30. Dezember 2012: (http://www.gameo.org/encyclopedia/contents/L5841ME.html). - Jeff Gundy, Walker in the Fog: On Mennonite Writing, Telford, PA, 2004. - Ann Hostetler, Afterword: Contemporary Mennonite Poetry in America. A Cappella: Mennonite Voices in Poetry, Iowa City, Iowa, 2003. 177–189. - Dies., Bringing Experience to Consciousness: Reflections on Mennonite Literature, 2004, in: Journal of Mennonite Studies 23, 2005, 137–150. - Dies., The Unofficial Voice: The Poetics of Cultural Identity and Contemporary U. S. Mennonite Poetry, in: Mennonite Quarterly Review 72, 4, 1998, 511–528. - Harry Loewen, Literature, North American Mennonite (1950–1985), in: Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online, 1990, Web, 30. Dezember 2012: (http://www.gameo.org/encyclopedia/contents/L5840ME.html). - Al Reimer, Mennonite Literary Voices: Past and Present, North Newton, KS, 1993. - Douglas Reimer, Surplus at the Border: Mennonite Writing in Canada, Winnipeg 2002. - John Ruth, Mennonite Identity and Literary Art, Scottdale, PA, 1978. - Hildi Froese Tiessen, Homelands, Identity Politics, and the Trace: What Remains for the Mennonite Reader?, in: Mennonite Quarterly Review 87, 1, 2013,11–22. - Dies., Mennonite/s Writing: State of the Art?, in: Conrad Grebel Review 26, 1, 2008, 41–49.
Ann Hostetler