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Riedemann, Peter

geb. 1506 in Hirschberg, Deutschland, gest. am 1. Dezember 1556 in Brodsko (Brodské), Slowakei. Peter Riedemann war, gemeinsam mit Leonhard Sailer (Lantzenstil), von 1542 bis 1556 Ältester der hutterischen Gemeinde und gehört mit den von ihm verfassten theologischen und konfessionsbildenden Schriften sowie Briefen und Liedern zu den wichtigsten Autoren der frühen Hutterer.

Peter Riedemann erlernte das Schusterhandwerk in Hirschberg und schloss sich den Täufern an. Schon seine frühen Jahre in der täuferischen Bewegung waren durch eine rege Reisetätigkeit gekennzeichnet, die ihn als Prediger durch verschiedene Territorien des Alten Reichs führte. So kam er beispielsweise Ende der 1520er Jahre als „Peter von Gmunden“ nach Oberösterreich und pflegte dort unter anderem Kontakte zu Wolfgang Brandhuber, über den er wohl auch die Idee der →Gütergemeinschaft in sein Denken aufnahm. Von 1529 bis 1532 saß Riedemann wegen seines täuferischen Glaubens im oberösterreichischen Gmunden im Gefängnis, wo er seine erste Rechenschaft – die Gmundner Rechenschaft“ – verfasste. Sie ist noch durch einen mystisch-spiritualistischen Unterton geprägt, wie er →Hans Hut eigen war, und überliefert die Niederschrift von mündlichen Missionspredigten oder Teilstücken von Predigten, die Riedemann auf diese Weise einem breiteren Publikum zur Verfügung stellen wollte. Inhaltlich setzte sich Riedemann mit jenen Themen auseinander, die die Täufer in Opposition zur katholischen Kirche gebracht hatten, beispielsweise mit der Kindertaufe, dem Abendmahl sowie der Rolle der Geistlichen und Priester.

Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis in Gmunden schloss sich Riedemann der täuferischen Gemeinde in Auspitz an, die von Gabriel Ascherham geleitet wurde. Seine erste Missionsreise im Auftrag Ascherhams führte ihn nach Nürnberg, von wo aus er vermutlich Jörg Zaunrings Mission in Franken und Hessen fortsetzen sollte, die durch dessen Gefangennahme und Tod ein vorläufiges Ende gefunden hatte. Doch auch für Riedemann und seinen Reisegefährten Sixt Prunsterer endete die Reise 1533 im Gefängnis in Nürnberg. Die Inhaftierten führten in den folgenden Jahren regelmäßige Diskussionen mit reformierten Predigern, unter anderem mit Andreas Osiander, die das von den Obrigkeiten gewünschte Ziel, den täuferischen Glaubensvorstellungen abzuschwören, jedoch verfehlten. Die Täufer widerriefen ihren Glauben nicht. Unter dem Versprechen, Nürnberg zu verlassen und nicht mehr in der Stadt oder in den umliegenden Gebieten zu predigen, endete die Haft für die Täufer 1537. Riedemann ging nach Oberösterreich, wo er einige ehemalige Anhänger Philipp Pleners besuchte – kurz nach seiner Inhaftierung hatten sich die Philipper, Gabrieler und Hutterer getrennt, und es scheint, als ob Riedemann sich zunächst zu den Philippern und Gabrielern, und nicht zu den Hutterern, hielt (→Mähren). Erst im September 1537 kam es zu einer Annäherung an die von →Jakob Huter geprägten, in Gütergemeinschaft lebenden Täufer, als Riedemann im hutterischen Bruderhof Drasenhofen (Niederösterreich) an Gesprächen mit ehemaligen Gabrielern teilnahm. Ein Protagonist dieser Gespräche war Peter Hueter, ehemaliger Gehilfe Gabriel Ascherhams. Er hoffte auf eine Versöhnung mit den Hutterern und klagte gleichzeitig über die „Fehl und Irrtümer“ seiner ehemaligen Gemeinde. Folgt man der hutterischen Chronik, so bildeten die Erzählungen Peter Hueters den Anlass für Riedemann, sich von den Philippern und Gabrielern zu lösen und den Anschluss an die Hutterer zu suchen: „Daraus denn hat der Peter Rideman ein Urtl geschöpft und ihren Irrtum gemerkt hat, darum er sich zum Hans Tuechmacher und seiner Gemein gehalten“ (Wolkan, Hutterisches Geschichtbuch, 134). Zudem war er der Überzeugung, die Gütergemeinschaft sei der richtige Weg für die Nachfolge Jesu.

In den folgenden Jahren hielt Peter Riedemann weiterhin Kontakt zu Gemeinden der Gabrieler und Philipper und zielte mit seiner Botschaft besonders darauf, Gabrieler und Philipper einzuladen, sich in Mähren ebenfalls den Hutterern anzuschließen. So besuchte er beispielsweise 1537 Oberösterreich und 1539 Hessen, 1537/38 beziehungsweise 1540 nahm er Kontakt zu einer philippischen Gruppe in Württemberg auf.

1540 musste Riedemann seinen dritten Gefängnisaufenthalt in Marburg antreten. Zahlreiche Briefe aus der Gefangenschaft an die Gemeinde in Mähren zeugen jedoch von seinen vergleichsweise milden Haftbedingungen, die sich nach der Überstellung ins Gefängnis in Wolkersdorf (Hessen) fortsetzten. So dürfte Riedemann im Gefängnis wohl die Schriften →Balthasar Hubmaiers zur Verfügung gehabt haben, die ihn in seinen schriftlichen Arbeiten leiteten. Riedemann schrieb hier seinen wichtigsten Traktat, die Rechenschaft Vnserer Religion / Leer vnnd Glaubens (1540/41), die sich zunächst an Landgraf Philipp von Hessen richtete, um diesem den hutterischen Glauben nahezubringen und ihn davon zu überzeugen, dass dieser keine Gefahr für die Obrigkeiten und die soziale Ordnung darstelle. Die Rechenschaft, die wichtigste und bis heute bedeutendste Zusammenstellung hutterischer Glaubensartikel, teilt sich in zwei große Abschnitte: Einerseits enthält sie eine theologische Abhandlung der wichtigsten Glaubenspunkte, die sich am Apostolischen Glaubensbekenntnis orientiert, andererseits überliefert sie eine Auflistung wesentlicher orthopraktischer Forderungen, die im hutterischen Leben umgesetzt werden sollten. Die Hutterer ließen die Rechenschaft 1545 drucken.

Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis in Wolkersdorf übernahm Peter Riedemann gemeinsam mit Leonhard Lantzenstil das Amt des Ältesten der gesamten hutterischen Gemeinde. Vermutlich hatte er sich vor allem mit einem bereits in Marburg verfassten Brief über das Amt des Ältesten, in dem er sich für eine starke Führerschaft aussprach, für das Amt empfohlen. Aufgrund einiger Auseinandersetzungen in der hutterischen Gemeinde entschied man sich – einzigartig in der Geschichte der Hutterer – für die doppelte Führungsstruktur. Leonhard Lantzenstil hatte zum engsten Kreis um den früheren Ältesten Hans Amon gehört, und es könnte sein, dass die Hutterer hofften, durch die Doppelspitze die stetig wachsende Gemeinde sowie die alten und neu hinzukommenden Gemeindeglieder zu einen und weitere Spaltungen zu verhindern.

Der Wechsel auf Riedemann und Lantzenstil markiert den Übergang der Hutterer in die zweite Generation, wobei es vor allem Peter Riedemann war, der die konfessionelle Grundlage für diese Epoche legte. Seine Zusammenfassungen des Glaubens wirkten konfessionsbildend, leiteten jedoch auch eine Phase ein, in der die Gemeinde durch einen „doktrinär-konfessionellen Charakter“ geprägt war (Packull, Riedemann, 126). Der Glaube wurde uniformer, die Ausformulierung und die Niederschrift des hutterischen Glaubens führten zu einer Verfestigung der Lehrgrundlage und die Gemeinde glitt in ihre konfessionalisierende Phase, die auch eine starke orthopraktische Seite hatte. Davon zeugen nicht nur jener Teil der Rechenschaft, der sich dem praktischen Glaubensleben widmet, sondern auch erste Gemeindeordnungen für das geistliche und alltägliche Leben, die ebenfalls in Riedemanns Zeit entstanden.

So kommt Peter Riedemann, ebenso wie dem späteren Ältesten Andreas Ehrenpreis, eine wichtige Funktion in der Festschreibung einer hutterischen Tradition zu, die die nächsten Generationen der Hutterer prägte und wohl auch dafür verantwortlich ist, dass die Hutterer sich in allen Krisen ihrer Geschichte auf der Grundlage der Schriften aus dem 16. Jahrhundert immer wieder neu organisieren konnten. Sein schriftliches Erbe umfasst außer den beiden Rechenschaften und weiteren konfessionsbildenden Schriften auch zahlreiche Epistel und Lieder. Neben Wolf Sailer und Hans Schmidt-Raiffer gehört Riedemann zu den bedeutendsten Liederdichtern der Hutterer (→Hymnologie). Dabei stehen die Lieder ganz in der Tradition anderer geistlicher Lieder – sie sollten vor allem die theologischen Aussagen der Rechenschaften festigen und im Glauben der breiten Masse der Gemeindeglieder verankern.

Quellen

Peter Ridemann, Die erste Rechenschaft, Gmunden, Oberösterreich, in: Robert Friedmann (Hg.), Glaubenszeugnisse oberdeutscher Taufgesinnter, Bd. 2 (Quellen zur Geschichte der Täufer, 12), Heidelberg 1967, 4–47. - Peter Riedemann, Rechenschaft unsrer Religion, Lehre und Glaubens. Von den Brüdern, die man die Huterischen nennt, Falher, Alb. 1988.

Übersetzungen der Rechenschaft: Peter Riedemann's Hutterite Confession of Faith, translated and edited by John J. Friesen (Classics of the Radical Reformation, 9), Waterloo, Ont./Scottdale, Pa. 1999. - Peter Riedemann, Doctrine et vie des anabaptists houttériens, présentation et traduction François Caudwell, Cléon d'Andran 2007.

Briefe von Peter Riedemann, in: Die Hutterischen Episteln, 4 Bde., hg. von den Hutterischen Brüdern in Amerika, James Valley 1986–1991.

Lieder von Peter Riedemann, in: Die Lieder der Hutterischen Brüder, hg. von Macmillan Colony, Cayley, 4. Aufl. 1974.

Rudolf Wolkan (Hg.), Geschichtbuch der Hutterischen Brüder, Cayley, Alb., (1923) 1990.

Literatur

Andrea Chudaska, Peter Riedemann. Konfessionsbildendes Täufertum im 16. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 76), Heidelberg 2003. - Robert Friedmann, Peter Riedemann. An Early Anabaptist Leader, in: Mennonite Quarterly Review 44, 1970, 5–44. - Ursula Lieseberg, Die Lieder des Peter Riedemann (Europäische Hochschulschriften, Reihe I. Deutsche Sprache und Literatur, 1692), Frankfurt/Main 1998. - Helen Martens, Hutterite Songs (Anabaptist and Mennonite Studies, 2), Kitchener, Ont. 2002. - Werner O. Packull, The Origins of Peter Riedemann's Account of Our Faith, in: Sixteenth Century Journal 30, 1999, 61–69. - Werner O. Packull, Peter Riedemann: Shaper of the Hutterite Tradition (Anabaptist and Mennonite Studies, 7), Kitchener, Ont. 2007. - Martin Rothkegel, Learned in the School of David: Peter Riedemann's Paraphrases of the Gospel, in: C. Arnold Snyder (Hg.), Commoners and Community. Essay in Honour of Werner O. Packull, Kitchener, Ont. 2002, 233–256. - Rudolf Wolkan, Die Lieder der Wiedertäufer. Ein Beitrag zur deutschen und niederländischen Literatur- und Kirchengeschichte, Berlin 1903.

Astrid von Schlachta

 
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