Leer – Oldenburg

1. Entstehung und wirtschaftlicher Erfolg

Die Entstehung der Mennonitengemeinde Leer um 1540 geht auf niederländische Glaubensflüchtlinge zurück. Sie kamen nicht mittellos, sondern brachten Kenntnisse in Weberei und Handel mit. Auch erlebten sie in Ostfriesland eine relative Freiheit für ihre Glaubensrichtung. Schon zu dieser Zeit stellten die ostfriesischen Grafen Schutzbriefe für Mennoniten aus. Der ostfriesische Graf ließ auf eine Beschwerde der niederländischen Statthalterin Margarete, er habe Wiedertäufer im Land, antworten, er beherberge nur dem Land nützliche Menschen. Das sicherte den bereits existierenden Gemeinden in Ostfriesland (Emden, Leer und Norden) ihren Bestand.

So wurde Leer durch die Mennoniten zu einem Zentrum der Leinenproduktion und des Leinenhandels. Ohne sie ist die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt und v. a. ihres Hafens nicht denkbar. Allerdings gab es in dieser Gemeinde nicht nur Wohlhabende. Die Einrichtung einer Armenkassse belegt, dass für Arme und Mittellose durch die Gemeinde gesorgt wurde.

Flüchtlinge, nicht nur die mennonitischen, brachten ab Mitte des 16. Jahrhunderts Fachwissen, neue Technologien und Handelskontakte – vor allem im Bereich des Leinengewerbes – aus den Niederlanden mit, so dass fast die gesamte Leinenwirtschaft in Leer von den Mennoniten beherrscht und zu großer Blüte geführt wurde. Von 43 Handelshäusern waren im 17. und 18. Jahrhundert 32 Firmen in mennonitischer Hand. Einzelne Familien wie die Zijtsema und Vissering gewannen Macht, Kapital und Einfluss und gründeten bald global operierende Unternehmen („Leinenrhedereien“). Mennonitische Familien und Persönlichkeiten prägten das wirtschaftliche und kulturelle Leben im frühneuzeitlichen Leer und hinterließen vielfache bauliche Spuren in der Ledastadt. Walter Deeters bezeichnet in einem Artikel über den aus Leer stammenden Berliner Historiker Ernst Esselborn die Mennoniten im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung von Stadt und Hafen als „Sauerteig der Leeraner Wirtschaft“.

2. Entwicklungen im 18. und 19. Jahrhundert

Die heutige Kirche der Leeraner Gemeinde wurde 1825 gebaut, auf dem Gelände der früheren Scholtenburg. 1644 war aus einer Spaltung eine zweite Mennonitengemeinde entstanden, die Alt – Fläminger oder Uko-Wallisten, auch „die Feinen“ genannt. Sie besaß neben der Scholtenburg eine eigene Kirche. Diese wurde nach der Vereinigung beider Gemeinden 1767 wieder abgerissen. Bis 1728 wurde die Gemeinde von Laienpredigern (vermaner) geleitet. Das Niederländische als Kirchensprache war bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in Gebrauch. Die geistliche Situation wurde maßgeblich von den Pastoren geprägt, zunächst vor allem von Abraham →Fast, der in der Zeit des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit mit seiner Familie in Leer lebte. In der Zeit des Nationalsozialismus kam es in Leer zu ähnlichen Entwicklungen wie in →Emden. Das geistliche Klima in der Leeraner Mennonitengemeinde unterschied sich kaum von der Atmosphäre in Emden. Seit den vierziger Jahren schloss sich die Gemeinde Leer der Konferenz der nordwestdeutschen Mennoniten an. Die Gemeinden Emden, Gronau, Norden und Leer wurden seither von den jeweils selben Pastoren bzw. der Pastorin versorgt und gehören, mit öffentlichen Korporationsrechten ausgestattet, der →Vereinigung der deutschen Mennonitengemeinden, inzwischen auch der →Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland an.

3. Erweiterte Gemeinde: Leer und Oldenburg

Die jetzige Kirche wurde 2006 umfassend restauriert, die aus dem Jahr 1860 stammende Brond de Grave Winter Orgel 2014. Ein neuer Schwerpunkt ist seither die Musik. Die seit Sommer 2017 stattfindende „Orgelromantik zur Marktzeit“ führt viele Besucher in die Kirche.

Die Gemeinde hat heute knapp 100 Mitglieder. Sie ist mit anderen Kirchen in Leer stark ökumenisch engagiert. Seit 1970 sind die Gemeinden Leer und Oldenburg zu einer Gemeinde zusammengeschlossen. In Oldenburg hatte sich nach 1945 eine Gemeinde v. a. aus westpreußischen Mennoniten gebildet, die auch von den Pastoren Abraham und Heinold →Fast betreut wurde. Die Gemeinde hat heute etwa 75 Mitglieder. Der Vorsitz im Kirchenrat wechselt jährlich zwischen beiden Gemeindeteilen.

Die Gemeinde engagiert sich in beiden Städten in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK). Jährlich findet am Vorabend des Buß- und Bettags der Friedensgottesdienst in der Mennonitenkirche statt. Seit einigen Jahren hat die ACK Leer auf Anregung der Mennonitengemeinde ein monatliches ökumenisches Friedensgebet − auch in der Mennonitenkirche − wieder eingerichtet. Friedensarbeit, die im Rahmen der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden vom →Mennonitischen Friedenszentrum Berlin geleistet wird, ist der Gemeinde ein besonderes Anliegen.

Auswahlbiografie

 
www.mennlex.de - MennLex V :: loc/leer.txt · Zuletzt geändert: 2020/05/18 10:37 von bw     Nach oben
© 2010 - 2020 Mennonitischer Geschichtsverein e.V. | Impressum | Kontakt: webmaster@mennlex.de | Umsetzung: Benji Wiebe, mennox.de |
Artikel drucken
| ODT Export | PDF Export