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Esau, Abraham Robert

geb. am 7. Juni 1884 in Tiegenhagen, Krs. Marienburg/Westpreußen, gest. am 12. Mai 1955 in Düsseldorf, Deutschland; Physiker und Hochschullehrer.

Abraham Robert Esau, Sohn von Abraham Oskar und Agnes Esau, geb. Regier, entstammte einer alten mennonitischen Familie aus Westpreußen, die auf eine stattliche Anzahl Ältester und Prediger zurücksehen konnte. Über einhundert Jahre verwalteten seine Vorväter, die von Bergens und Regiers, mit kurzer Unterbrechung neben ihrem bäuerlichen Beruf das Ältestenamt in Heubuden, Westpr. (von 1741 bis 1851).

Nach dem Besuch des Realgymnasiums St. Petri und Pauli in Danzig studierte Esau Physik an der Universität Berlin und der Technischen Hochschule Danzig. Dort war er von 1906 bis 1909 wissenschaftlicher Assistent des Physikers Max Wien. In dieser Zeit veröffentlichte er zehn wissenschaftliche Arbeiten über Antennenprobleme. 1908 wurde er in Berlin zum Dr. phil. nat. promoviert und 1909/10 diente er als Einjähriger freiwillig bei der Funker-Abteilung des Telegraphen-Bataillons Nr. 1 in Berlin. Nach seinem 1912 vollzogenen Übergang vom Hochschuldienst zur Telefunken-Gesellschaft widmete er sich Fragen des Funkempfangs. Im Auftrage von Telefunken errichtete er 1913 in der damaligen deutschen Kolonie Togo eine Funkstation im Rahmen des Aufbaus eines Funkverkehrsnetzes zwischen den deutschen Kolonien und dem Mutterland.

1913 wurde er Reserveleutnant und Kriegsteilnehmer in Togo. Für seine Leistungen wurde er mit dem EK 2 und 1 ausgezeichnet. 1914 wurde er vom Kriegsausbruch überrascht und geriet in französische Gefangenschaft bis 1917, als er im Zuge des Austauschs wieder nach Deutschland heimkehrte. Die Franzosen zerstörten seine Großstation in Kaminz, Togo.

Nach dem Ersten Weltkrieg befasste sich Esau mit Fragen des Empfangs von Funksprüchen aus Übersee und entwickelte eine Doppelrahmenempfangsanlage, die in Geltow bei Potsdam für den drahtlosen Überseeverkehr gebaut wurde. 1921–1922 nahm er neue Großstationen in Argentinien und Brasilien in Betrieb; 1925 fanden zwischen Jena und Kahle die ersten UKW-Übertragungen der Welt durch ihn statt.

1928 ernannte ihn die Universität Jena zum ordentlichen Professor. Der Titel seiner Antrittsvorlesung lautete „Die Energievorräte der Erde und ihre technische Ausnutzung“. Esau erfreute sich sowohl bei den Dozenten als auch bei der Studentenschaft großer Beliebtheit. Seit 1928 beschäftige er sich gemeinsam mit Erwin Schliephake mit der Möglichkeit, Kurzwellen in der Medizin, insbesondere bei der Therapie von Krebspatienten, einzusetzen. Obwohl selbst bei inoperablen Patienten Heilerfolge zu verzeichnen waren, fand diese Methode damals keinen Eingang in die Schulmedizin.

1930 begann Esau mit den Untersuchungen über die Einsatzmöglichkeiten von Ultrakurzwellen. Im Wintersemester 1932 wurde er zum Rektor der Universität Jena gewählt und nahm das Amt bis zum Sommersemester 1935 wahr. Er übernahm das Rektorat noch einmal vom Wintersemester 1937/38 bis zum Wintersemester 1938/39. Bereits 1933 war Esau in die NSDAP eingetreten. Ab 1939 war er Präsident der Physikalisch-technischen Reichsanstalt (PTR) in Berlin, der 80 Laboratorien unterstanden, die sich mit Messwesen, Mechanik, Elektrizität, Wärme, Optik, Akustik und später auch Atomphysik beschäftigten. So konnte Esau wesentliche Voraussetzungen für den damaligen Ausbau von Rundfunk und Fernsehen schaffen. Die Anwendung der Ultrakurzwelle half auch 1948 der Rundfunkübertragung aus einer großen Klemme, weil das zur Verfügung stehende Frequenzband allzu dicht von Sendern besetzt worden war. Als Deutschland 1948 nach dem Kopenhagener Wellenplan keine ausreichende Zahl von Wellenlängen auf dem Mittelwellengebiet zugeteilt bekam, wurden 1949 die ersten UKW-Sender in Betrieb genommen.

Während des →Zweiten Weltkriegs galten Esaus Forschungen der Lösung von Aufgaben des Funkmesswesens, insbesondere der Erschließung des Zentimeterwellenbereichs. Mit dem von ihm entwickelten Magnetron erreichte er Wellenlängen unter zwei Millimeter. Von 1934 bis 1945 übte Esau die Funktion des Stiftungskommissars der Carl-Zeiss-Stiftung aus. Sie war damals schon Trägerin einiger der angesehensten Unternehmen in Deutschland aus den Bereichen Glas, Spezialglas, Glaskeramik, Optik und Feinmechanik. Seit 1935 war er Mitglied der Fernsehgesellschaft bei der Reichsrundfunkkammer. Im April 1939 organisierte er als Spartenleiter Physik im Reichsforschungsrat eine erste „Uransitzung“. Im Reichsforschungsrat waren die führenden Forscher Deutschlands auf dem Gebiet der Kernspaltung im „Uranprojekt“ versammelt, und hier wurden die Arbeiten auf verschiedene Institute verteilt. 1942 wurde Esau „Bevollmächtigter des Reichsmarschalls Hermann Göring für alle Fragen der Kernphysik“ und Forschungsbevollmächtigter für Hochfrequenz der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Allerdings schied für Esau das Gebiet Atomforschung bald aus, da es vom Heereswaffenamt an sich gezogen worden war.

Weiterhin leitete Esau die Forschungen im Bereich des Funkmesswesens, insbesondere im Zentimeterwellenbereich. Er gehörte der Arbeitsgruppe „Rotterdam“ an. Das „Rotterdam-Gerät" ist die deutsche Bezeichnung für einen Bordradar, das im Wrack eines bei Rotterdam 1943 gefundenen alliierten Stirling-Bombers entdeckt wurde. Den Vertretern der Luftwaffe und der Hochfrequenz-Industrie gelang es mit Hilfe von Esau, die genaue Arbeitsweise dieses ersten operationsreifen Bordsichtradars zu ermitteln und Gegenmaßnahmen durch die Entwicklung des Naxos-Z-Empfängers zu erfinden. Der Fund rief gleichzeitig auf deutscher Seite einen Schock über den sensationellen alliierten Vorsprung auf dem Gebiet des scharfgebündelten Zentimeterwellen-Radars hervor, wiewohl die Funkmesstechnik (engl. Radar) zu Beginn des Krieges 1939 der britischen Entwicklung überlegen war. Durch den Naxos Z-Empfänger konnte Ende 1943 das britische Bordradar angepeilt werden und ab Ende 1943 gab es steigende Verluste der Royal Air Force, z. B. beim Angriff auf Nürnberg am 30. 3. 1944 verlor die Royal Air Force allein 95 Maschinen, woraufhin die Bombenflüge gegen Deutschland vorübergehend eingestellt wurden. Für seine Verdienste um die Rüstungstechnik wurde ihm das Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes „ohne Schwerter“ verliehen. Außerdem hatte er acht weitere Ehrungen und Titel inne, darunter den eines Ehrenbürgers der Technischen Hochschule Danzig.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Arbeiten von Esau im Rahmen der Alsos-Missionen durch die Amerikaner beschlagnahmt und analysiert. Die Alsos-Missionen fanden Ende 1943 bis Ende 1945 im Rahmen des Manhattan – Projektes der USA statt, dessen Ziel es war, eventuelle deutsche Bemühungen zum Bau einer Atombombe offen zu legen und zu verhindern. Aufgrund der hochsensiblen Forschung wurde Esau ab 1945 in den Niederlanden als angeblicher Kriegsverbrecher inhaftiert und erst 1949 wegen „nicht erwiesener Schuld“ freigesprochen. - In dieser Zeit der erzwungenen Gefangenschaft wurde das →Mennonite Central Committee (MCC) auf den deutschen Gelehrten Abraham Esau mit mennonitischer Herkunft aufmerksam gemacht, der in s'Hertogenbosch (Niederlande) in Haft saß. Peter S. Goertz war damals Dean am Bethel College in North Newton, Kansas, und im Auftrag des MCC in den Niederlanden. Er besuchte Esau und fand im Gefängnis einen Mann mit einer unbeugsamen Willenskraft, der nun zwangsläufig vollkommen untätig war. Beim nächsten Besuch wurden ihm einige Bücher gebracht, darunter auch The Story of the Mennonites von C. Henry Smith. Esau wurde von dem Inhalt und dem Stil dieses Buches so gefesselt, dass er bald daran ging, es zu übersetzen. Der erste Abdruck der Übersetzung erschien in Der Bote in Kanada (1951). Schließlich wurde das Buch mit vielen Ergänzungen von Cornelius →Krahn, der es auf den neuesten Stand gebracht hatte, unter dem Titel: C. Henry Smith, Die Geschichte der Mennoniten Europas, Deutsch von Abraham Esau, bearbeitet und erweitert von Cornelius Krahn, vom Verlag Faith und Life Press, Newton, Kansas, 1964 veröffentlicht. (Das Kapitel im Original über die deutschen Mennoniten im Dritten Reich wurde, von wem auch immer veranlasst, in der Übersetzung ausgelassen).

Nach der Entlassung aus der Gefangenschaft 1949 wurde Esau Honorarprofessor für Kurzwellentechnik an der Technischen Hochschule Aachen und Leiter des Instituts für Hochfrequenztechnik in Mühlheim an der Ruhr, einer Abteilung der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt. Seine Forschungen galten nach seiner Freilassung aus der Gefangenschaft der friedlichen Entwicklung von Radaranlagen für Flugzeuge, Schiffe und der Eisenbahn, die z. B. eine Navigation eines Flugzeuges auch bei Nebel zur sicheren Landung führen oder Schiffe vor einer Kollision im Nebel bewahren halfen.

Schriften

von Abraham Esau: aufgeführt im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek.

Literatur

Fritz Schröter, Art. Abraham Esau, in Neue Deutsche Biographie, 1959. - Lexikon des Zweiten Weltkriegs, hg. von Manfred Pawlak, Hamburg 1972, 145 und 174. - Horst Penner, Abraham Esau, der große Physiker aus Tiegenhagen, in: Mennonitisches Jahrbuch 1974, 54–57. - Horst Gerlach, Abraham Esau, Ein Physiker und Pionier der Nachrichtentechnik, (mit familienkundlichen Angaben von Anna Andres) in: Westpreußisches Jahrbuch 1977, Münster/Westf. 1977, 57–66. - Lexikon des Zweiten Weltkriegs, hg. von Manfred Pawlak, Hamburg 1972, 145 und 174. - Franz Kurowski, Alliierte Jagd auf deutsche Wissenschaftler. Das Unternehmen Paperclipp, München 1982, 16 f., 31, 40, 71 und 162. - Helmut Joachim Fischer, Hitler und die Atombombe, Ingolstädter Vorträge, Veröffentlichungen der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt, Bd. 21, Ingolstadt 1986, 8 f., 12 ff., 28, 30 f. - Peter Kaupp, Esau, Abrahm Robert, in: Von Aldenhoven bis Zittler, Mitglieder der Burschenschaft Arminia auf dem Burgkeller - Jena, die in den letzten 100 Jahren im öffentlichen Leben hervorgetreten sind, Dieburg 2000. Benjamin Goosen, Abraham Esau – Hitlers mennonitischer Physiker, in: Mennonitische Geschichtsblätter 2020 (im Druck).

Nachrufe: Volker Aschoff, in: Jahrbuch der Rheinisch-Westfälischen TH in Aachen, Jg. 7, Essen 1955/56, 39 f. - Hans Rindfleisch, in: Physikalische Blätter, Mosbach, Baden 1955, 318 f. - Hans Rukop, Abraham Esau zum Gedächtnis, in: Archiv der elektrischen Übertragung 9, Stuttgart 1955, 291.

Horst Gerlach

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