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Loewen, Harry
geb. am 18. Dezember 1930 in Friedensfeld, Südrussland, gest. am 16. September 2015 in Kelowna, BC, Kanada; Hochschullehrer für Literatur und Geschichte.
Sein Vater und Großvater wurden 1937 im Zuge des stalinistischen Terrors verhaftet und hingerichtet. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in die Ukraine flüchtete er mit seiner Mutter, Großmutter und Schwester nach Deutschland und wanderte 1948 nach Kanada aus. Dort erlernte er die englische Sprache und wurde in Theologie, deutscher Literatur und Geschichte ausgebildet. Seine Magisterarbeit schrieb er über Luther und die Täufer (Luther and the Radicals, 1961) an der University of Manitoba und seine Doktorarbeit über Goethe und den Protestantismus an der University of Waterloo (Goethe´s Response to Protestantism, 1972). Danach nahm er eine Lehrtätigkeit im Fachbereich für Deutsch an der Wilfrid Laurier University in Waterloo auf (1969–1978), bevor er auf den neu errichteten Lehrstuhl für Mennonite Studies und die Professur für Geschichte an die Universität Winnipeg berufen wurde (1978–1995).
Gemeinsam mit Victor Doerksen, Al Reimer und Roy Vogt entwickelte er das Programm der Mennonite Studies. Eine Zeitlang arbeitete er an der literarischen Zeitschrift Mennonite Mirror mit (1971–1990) und gab zwei Aufsatzsammlungen über mennonitische Geschichte und Literatur heraus (Mennonite Images, 1980), und mit Al Reimer Visions and Realities, 1985). Aus diesen Aktivitäten entwickelten sich jährliche Symposien, deren Ergebnisse in dem neuen Journal of Mennonite Studies veröffentlicht wurden. Er hatte diese Zeitschrift 1983 gegründet und bis 1995 herausgegeben. Mit den Symposien und der Zeitschrift wurden Forscher von überall her miteinander in Verbindung gebracht, die den engeren Blickwinkel der Mennonite Studies, die sich zunächst auf religiöse Themen konzentrierten, erweiterten. Diese komplexere Perspektive zeigte sich ebenfalls in den Veröffentlichungen Harry Loewens selbst.
Auch an anderen, nichtakademischen Orten setzte sich Harry Loewen für die Mennonite Studies ein, in Kirchen und auf Treffen lokaler historischer Gesellschaften. Mit diesen Aktivitäten erreichte er ein breiteres Publikum. Auch zahlreiche seiner Veröffentlichungen waren für Laien geschrieben worden, dennoch blieben sie für gelehrte Leser noch informativ, für Mennoniten und Nichtmennoniten, so seine Essaysammlung Why I am a Mennonite (1988) oder No Permanent City. Stories from Mennonite History and Life (1995). Einige dieser Bücher wurden auch ins Deutsche übersetzt. Diese größeren und von ihm herausgegebenen Bände, wie seine eigenen Beiträge sonst, waren in hohem Maße innovativ in der Wahl der Themen.
In seinen Ruhestand wurde er auf ehrenvolle Weise als Professor emeritus für Geschichte und Mennonite Studies an der Universität Winnipeg verabschiedet; im Laufe der Zeit hatte er auch eine Reihe wichtiger Auszeichnungen für seine Arbeit an den Mennonite Studies erhalten. Während des Ruhestands veröffentlichte er weiter einige wichtige Bücher zu einem weiten Themenkreis: Gemeinsam mit Stephen Nolt, Through Fire & Water: An Overview of Mennonite History (1996/2006); als Herausgeber Shepherds, Servants and Prophets: Leadership among the Russian Mennonites, ca. 1880–1960 (2003); vorher einen Bericht über den Großen Treck aus der Sowjetunion, den er selber mitgemacht hatte: Road to Freedom (2000) und nachher seine Autobiografie Between Worlds: Reflections of a Soviet-born Canadian Mennonite (2006). Trotz seiner ernsthaften Erkrankung bemühte er sich, sein früheres Buch über Luthers Kampf gegen diejenigen, die dieser als seine Feinde betrachtete, zu überarbeiten. Es erschien im Jahr seines Todes: Ink Against the Devil: Luther and his Opponents (2015).
Seine Ehefrau, Gertrude Loewen geb. Penner, die ebenfalls aus der Sowjetunion geflohen war, unterstützte ihn in allen seinen Unternehmungen.
Veröffentlichungen Harry Loewens
Goethe's response to Protestantism, Canadian Studies in German Language and Literature/ Kanadische Studien zur deutschen Sprache und Literatur, 7, Bern 1972. - Luther and the Radicals another Look at some Aspects of the Struggle between Luther and the Radical Reformers, Waterloo, Ont., 1974. - Herausgeber von Mennonite Images, Historical, Cultural, and Literary Essays dealing with Mennonite Issues, Winnipeg 1980. - Herausgeber mit John Whiton, Crisis and Commitment: Studies in German and Russian Literature in Honour of J. W. Dyck, Waterloo, Ont., 1983. - Herausgeber mit Al Reimer, Visions and Realities. Essays, Poems, and Fiction Dealing with Mennonite Issues, Winnipeg 1985. - Herausgeber, Why I am a Mennonite: Essays on Mennonite Identity, Kitchener, Ont., 1988 (Warum ich mennonitisch bin. Ins Deutsche übersetzt von Elisabeth L. Wiens, Hamburg 1996). - No Permanent City: Stories from Mennonite History and Life, Waterloo, Ont., 1993. (Keine bleibende Stadt: mennonitische Geschichten aus fünf Jahrhunderten. Ins Deutsche übersetzt von Peter and Kilian Foth, Hamburg 1995/1997). - Herausgeber mit Steven M. Nolt, Through Fire & Water: An Overview of Mennonite History, Scottdale, Pa., 1996, revidierte Fassung 2010. - Herausgeber von Road to Freedom: Mennonites Escape the Land of Suffering, Kitchener, Ont., 2000. - A Mennonite-Christian View of Suffering: The Case of World War II Mennonites, Saskatoon, Sask., 2002.- Herausgeber von Shepherds, Servants and Prophets: Leadership among the Russian Mennonites (ca. 1880–1960). Kitchener, Ont., 2003. - Between Worlds: Reflections of a Soviet-born Canadian Mennonite, Kitchener, 0nt., 2006. - Cities of Refuge: Stories from Anabaptist-Mennonite History and Life, Kitchener, Ont., 2010. - Ink Against the Devil: Luther and his Opponents, Waterloo, Ont., 2015.
Nachrufe
Royden Loewen, in: Journal of Mennonite Studies, 34, 2016, 349–351. – James Urry, in: Mennonite Quarterly Review 90, 2016, 7 f. - Helmut Foth, in: Mennonitische Geschichtsblätter 2016, 169–174.
James Urry
(Revidierte Fassung des Artikels von James Urry und David Giesbrecht in: Global Mennonite Encyclopedia Online, Mai 2016, Dez. 2019).