Kommunikation

1. Anthropologische Grundbestimmung

Parallel zur wachsenden Wahrnehmung der Hindernisse gelungener Mitteilung wächst auch wieder die Anerkennung von Kommunikation als Geschenk, genau deswegen, weil sie ein unmögliches oder sogar einem Wunder gleichendes Ereignis darstellt, in dessen Verlauf Zeichen gesendet und empfangen werden. Solche Erkenntnis verweist auf die lateinische Wurzel (communicatio) des Wortes Kommunikation, die die gemeinschaftliche Übermittlung oder Teilnahme betont wie in der Erfahrung von Darbietung und Empfang der sakramentalen Elemente von Brot und Wein im Mahl des Herrn, eine in Geheimnis und Kontroverse gehüllte Erfahrung.

In der modernen Gesellschaft bezeichnet der Begriff „Kommunikation“ alle jene Praktiken und Technologien, mit deren Hilfe Menschen sich untereinander austauschen. Manchmal sind Äußerungen, die in Kommunikationsprozessen vermittelt werden, intentional gemeint, ein anderes Mal werden sie beiläufig und ohne Absicht vermittelt, manches Mal verbal, ein anderes Mal nonverbal. Oft erfolgt ein solcher Austausch auch durch das Buch, den Computer oder das Telefon. Letzteres vermag Mitteilungen über weite Entfernungen und Räume zu tragen.

Die intensivste Form menschlicher Kommunikation ist das Gespräch. In ihm werden „nicht nur Warnung, Schrecken, Trauer und Freude mitgeteilt, wie wortlose Gesten sie auch mitzuteilen vermögen, sondern vor allem Bedenken, Befürchtungen, Behauptungen, Vorwegnahmen, Beschreibungen und komplizierte Gedanken. Es werden Probleme erörtert, es wird gestritten und nach Lösungen gesucht.“ Gespräche sind das Medium, „in dem sich unser Leben entfaltet, seinen Höhepunkt erreicht und seinem Ende entgegenläuft“ (Hans-Jürgen Goertz, Bruchstücke radikaler Theologie heute, 45). Das Ziel der Gespräche ist „Verständigung“ (Hans Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, 360) oder führt zu gemeinsamem Handeln (Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, 376). Es schafft neue „Welthorizonte“, die das Leben der Menschen zur Suche nach Sinn und Wahrheit werden lassen. Kommunikation ist eine anthropologische Grundbestimmung. Sie ist allerdings ambivalent: In ihr kann Leben gelingen und scheitern.

„Kommunikation“ trägt auch religiöse Züge: das Miteinander von göttlicher und menschlicher Natur in Jesus Christus (Christologie), die unauflösliche Beziehung zwischen Gott, Christus und Heiligem Geist (Trinität), die Teilhabe an Leib und Blut Christi im Abendmahl (Kommunion). Vor allem unter religiösem Gesichtspunkt kann Kommunikation als ein Geschenk wahrgenommen werden und einem Wunder gleichen. In der täuferisch-mennonitischen Tradition sind sowohl Mitteilungen (Worte) als auch gemeinsam erlebte Ereignisse (Taten) entscheidend, wenn es darum geht, Kommunikation zu erklären und zu pflegen. Im Allgemeinen schätzten Täufer die Beziehung zwischen Worten und Taten ambivalent ein: nicht immer frei von Heuchelei und Täuschung. Aus diesem Grunde legen sie in ihrer Kommunikation miteinander besonderen Nachdruck auf Einfachheit und Ehrlichkeit. Das schließt auch das Eingeständnis ein, dass sie in ihrer Kommunikation scheitern können. Vor allem versuchen sie typischerweise, keinen Zwang auszuüben, und weigern sich, Werkzeuge wie Eid, Waffen oder auch nur unwiderlegbare Argumente einzusetzen, um die eigene Meinung durchzusetzen (hierin gründet die Forderung nach →Toleranz und Religionsfreiheit).

2. Das Eidschwören

Im frühen Täufertum wurde die Macht, die menschlichen Worten zugeschrieben wird, in Frage gestellt und folgerichtig das Schwören eines →Eides verweigert. So wird in der Brüderlichen Vereinigung von Schleitheim (1527) der Eid abgelehnt, weil er die Fähigkeit des Menschen überschätzt, Versprechen einzuhalten: „wir mögen nut erstaten, das in dem schweren verheissen wirt“ (Heinold Fast, Quellen, 33). Manche frühen Täufer verstanden das so, dass ein unter Zwang geleisteter Eid keinerlei bindende Wirkung habe.

Im Allgemeinen sahen die Täufer in diesem aus der Bergpredigt entnommenen Verbot des Eides eine Vorsichtsmaßnahme. Sie sollte vermeiden, dass die Menschen sich anmaßen, zukünftige Ereignisse auf übertriebene Weise zu kontrollieren (Mt. 5,36 f). Die inhaltliche Beziehung zwischen der Verweigerung des Eides und authentischer Kommunikation wurde für Mennoniten im englischen Sprachraum durch die Übersetzung von Mt. 5,37 in der King-James-Bibel noch unterstrichen: „let your communication be Yea, yea; Nay, nay“.

3. Kommunion

Der Begriff „Kommunikation“ ist nah verwandt mit „Kommunion“. So spiegeln sich täuferische Auffassungen von Kommunikation in ihrer Abendmahlstheologie wider, und Täuferschriften bringen mit ihrem Anliegen, die Beziehung zwischen der Einheit des Leibes Christi, wie sie im →Abendmahl zur Geltung kommt, und den tatsächlichen Beziehungen unter den Gläubigen zu wahren, die Verpflichtung zu einfacher Wahrhaftigkeit zum Ausdruck. Die gottesdienstliche Feier des Abendmahls kann keine Versöhnung bewirken, wo sie nicht schon zuvor im Leben der Gemeinschaft aufrichtig erstrebt wurde. Aus diesem Grund fordert der dritte Artikel der Brüderlichen Vereinigung, dass diejenigen, die das Gedächtnis an Leib und Blut Christi im Abendmahl feiern wollen, „sollen vorhin vereiniget syn in einem lib Christi (…) durch den tauff“ (Heinold Fast, Quellen, 29). Für die niederländische Tradition der Mennoniten wiederholt der zehnte Artikel des einflussreichen Dordrechter Bekenntnisses (1632) die Regel, die die Gläubigen zum Halten der Einheit im Brotbrechen ermahnt.

Die Sorge um die angemessene physische Repräsentation einer vorgängigen Wahrheit rührt wohl zum Teil aus der zwinglianischen Theologie und deren Betonung her, die sakramentalen Zeichen seien nur eine annäherungsweise Wiedergabe oder Erinnerung unsichtbarer geistlicher Wirklichkeiten. Einige Täufer, wie Pilgram →Marpeck, entwickelten zudem ein eigenes Verständnis, in welchem äußerliche Zeremonien als „Mitzeugnis“ innerer Heilserfahrungen von der Gegenwart Christi im Abendmahl zeugen (John Rempel, The Lord´s Supper, 93–163).

4. Bilder

Das Misstrauen gegen Bilder war in der Frömmigkeit der frühen Reformation weit verbreitet und prägte auch die Täuferbewegung (→Bildersturm). Nach Joseph Leo Koerner hielten Reformatoren wie Andreas →Karlstadt Worte für verlässlichere Kommunikationsmittel als Bilder, denn Worte waren Träger innerer Bedeutung und nicht nur äußerer Erscheinung (Joseph Koerner, The Reformation of the Image, 138). Auf solche Weise Worten den Vorzug als Informationsträger zu geben, hängt mit dem protestantischen Glauben zusammen, die Elemente des Abendmahls seien eher Bedeutungsträger als Übermittler von Heilssubstanz. Des Weiteren teilten die Täufer die reformatorische Auffassung, Bilder leisteten der Götzenanbetung Vorschub, gefährdeten die Gott allein gebührende Anbetung und verletzten das Gebot, sich „kein Bildnis noch irgend ein Gleichnis“ zu machen (2. Mose 20,4).

Während manche Reformatoren wie Karlstadt Bilder generell ablehnten, beteiligten andere sich an einer Reformation der Bilder (Joseph Koerner, The Reformation of the Image, 159–160). Bilder erfüllen so eher eine repräsentative Funktion und stehen deshalb weniger in der Gefahr, als Götzen verehrt zu werden. Einige täuferische Gemeinschaften hielten an der Ablehnung von Bildern im täglichen Leben fest. Bekanntestes Beispiel sind die →Amischen, die sogar Fotografien als Verletzung des zweiten Gebotes ablehnen (John Hostetler, Amish Society, 319–320). Die meisten täuferischen Gemeinschaften jedoch produzierten und schätzten Bilder verschiedener Art (→Bildende Kunst), so lange sie außerhalb der gottesdienstlichen Sphäre blieben. Prominentestes Beispiel täuferischer Kreativität in Zeichenkunst und Malerei sind die mennonitischen Künstler des „goldenen Zeitalters“ in den Niederlanden und ihre dynamische Partizipation an der protestantischen Kultur repräsentativer Kunst (Hendrick W. Meihuizen, Dutch Painters in the Time of Vondel and Rembrandt, 119–135).

5. Wahrhaftigkeit

Nach durchgängiger Überzeugung der Täufer vermögen Bescheidenheit und Einfachheit der Sprache eher eine wahrhaftige Beziehung zwischen geistlichen Worten und konkreten Taten aufrechtzuerhalten als Hochmut und kulturelle Raffinesse. Menno →Simons etwa unterscheidet zwischen dem schlichten „Wort“ und den „gemaekte subtijle syllogismis“ sowie „menschelijcke scherpe cavillatien“ der akademischen Theologen (Menno Simons, Opera Omnia, 357). Der hutterische Älteste Peter →Riedemann ermahnt die Gläubigen, Oberflächlichkeit und Gleichgültigkeit beim gegenseitigen Grüßen zu vermeiden und einander nur dann mit dem Frieden Christi zu grüßen, wenn sowohl der Grüßende als auch der Gegrüßte diesen Frieden wirklich begehren (John Friesen (Hg), Peter Riedemann's Hutterite Confession of Faith, S.143). Jakob →Amman, verantwortlich für das amische Schisma (1693), beschuldigt den Schweizer Täuferführer Hans Reist, Lügner nicht aus der Gemeinde ausschließen zu wollen, und untermauert seine Kritik mit einem Zitat aus Sprüche Salomos (6, 19).: „der Mund, der die Lügen redet, der tötet die Seele“ (Joseph Stucky (Hg.), Eine Begebenheit, 65).

Leroy Beachey sieht eine wichtige Ursache der amischen Trennung darin, dass die Amischen sich auf die Seite ungeschminkter Wahrhaftigkeit schlugen, wogegen die Reistianer eine „Laienkasuistik“ (Mark Furner, Lay Casuistry, 429–30) zuließen oder auf Verfolgung mit einer pragmatischen Vernebelung von Prinzipien antworteten, etwa indem sie „halbtäuferischen“ Nachbarn ihren Segen gaben. Es ist noch nicht lange her, dass der amerikanische mennonitische Theologe J. C. →Wenger betonte, es gebe „keinen Raum für Prahlerei“ im Leben der Christen (John Wenger, Separated unto God, 97). In dieser Tradition demütiger Sprache tritt der mennonitische Theologe und Sozialethiker John Howard →Yoder für eine herrschaftsfreie Kommunikation ein, vor allem für das freie Gespräch der Gemeindeglieder um den Sinn der Heiligen Schrift. Dieses Gespräch, das zu einem Kennzeichen der Kirche aufgewertet wird, bezieht sich auf den partikularen Ursprung des Evangeliums und nicht auf die universale Autorität der menschlichen Vernunft (John Howard Yoder, On Not Being Ashamed of the Gospel, 291–293).

6. Disputationen

In zahlreichen Streitgesprächen über theologische Lehrfragen und Ethik hatten Täufer im 16. Jahrhundert Gelegenheit, sich in demütiger Sprache gegenüber ihren Kritikern zu üben. Ihre Teilnahme an diesen Gesprächen verwickelte sie in eine reformatorische „Kultur des Überzeugens“ (Andrew Pettegree, Reformation and Culture of Persuasion, 6–9). Sie ging davon aus, dass die Teilnehmer durch gedruckte Traktate, öffentliche Disputationen, biblische Predigt und ernsthafte Diskussion mit verlässlichem Material versorgt wurden, um sich von einem religiösen Paradigma zu einem anderen bekehren zu können.

In dieser Kultur wurde der biblische Text zum Hauptmittel theologischer Auseinandersetzung. Die täuferische Zuversicht, ihre Glaubensüberzeugungen seien im biblischen Wort Gottes gegründet, ließ sie immer wieder Gespräche fordern, die ihnen Gelegenheit boten, ihre Ansichten mit Argumenten der Bibel zu verteidigen, oft unter Lebensgefahr und ohne ihrerseits eine Bestrafung der Gegner zu fordern, sollten sie unterliegen und die Täufer siegen. Zugleich weigerten sich täuferische Gesprächsteilnehmer von Beginn an, weltliche Autoritäten als letzte Entscheidungsinstanz für den Ausgang solcher Gespräche anzuerkennen. In der Zweiten Zürcher Disputation (Oktober 1523) fiel die berühmte Bemerkung Simon Stumpfs, der Zürcher Magistrat habe nicht die Autorität, über den Ausgang zu entscheiden, denn „der geist gottes urteylet“ (Egli und Finsler, Huldreich Zwingli Sämtliche Schriften, 784). Im Prozess gegen Michael →Sattler äußerten die Vertreter der weltlichen Obrigkeit wiederholt ihre Bereitschaft, den Henker mit dem Schwert disputieren zu lassen. Sattler antwortete: „ich bin nicht gesandt, um über das Wort Gottes zu rechten; wir sind gesandt, um dasselbe zu bezeugen“ (T. van Braght, Der blutige Schauplatz II, 5). Yoder wies darauf hin, dass das Streben der Täufer, ihr Leben nach der Schrift auszurichten, sie dazu führte, auch die Möglichkeit einer Sinnesänderung im Gespräch einzuräumen. Die →Widerrufe zahlreicher Täufer geben davon Zeugnis (John Howard Yoder, Täufertum und Reformation, 159–160).

7. Martyrium

Viele Täufer antworteten auf die gegen sie gerichtete Gewalt mit der Bereitschaft zu Leiden und →Martyrium. Das diskreditierte die Brutalität der Herrschenden und stärkte die Glaubwürdigkeit des täuferischen Zeugnisses. Auf diese Weise beanspruchten täuferische Märtyrer gesellschaftliche Kompetenz, die ihnen von den Mächtigen verweigert wurde, und sie erreichten, dass ihre Mission Gehör fand (W. Benjamin Myers, The Stage and the Stake, 12). Diese Beispiele leibhaftiger Nachfolge stärkten auch die Trennung der täuferischen Gemeinden von der sie umgebenden Kultur des Christentums. So versuchten sie, die neutestamentliche Gemeinde ohne den Zwang des obrigkeitlichen Schwertes wiederherzustellen. Als die Mennoniten später in den Niederlanden toleriert wurden, entstanden sogenannte Märtyrerspiegel mit Bildern und Geschichten von den Verfolgungen. Was Sarah Covington eine „Ikonographie des Leidens“ nannte, half den Mennoniten, der vollständigen Assimilierung zu widerstehen (Sarah Covington, Jan Luyken, the Martyrs Mirror and the Iconography of Suffering, 441–476). Sie wurden daran erinnert, dass auf Regierungen und ihren vorgeblichen Schutz nicht immer Verlass war. Die umfangreiche Sammlung des Märtyrerspiegels mit den eindrucksvollen Illustrationen Jan Luykens markiert den Höhepunkt dieser Ikonographie des Leidens. Sie diente Mennoniten als hauptsächliches Kommunikationsmittel, die Überzeugungen der Vorfahren im Glauben über Jahrhunderte in Erinnerung zu behalten.

8. Politische Kommunikation

Das öffentliche Zeugnis der Täufer gegenüber den politischen und kirchlichen Machthabern reichte von kritischer Gegnerschaft zu toleranter Komplementarität. Beide Haltungen setzten einen gesellschaftlichen Standort der Wehrlosigkeit in Distanz zu den Herrschenden voraus (Gerald Mast und Denny Weaver, Defenseless Christianity, 58–59). Astrid von Schlachta dokumentiert die Entwicklung täuferischer politischer Kommunikation von der scharfen Kritik herrschender Gewalt, wie sie in der Schleitheimer Brüderlichen Vereinigung geäußert wird, zu den eher die Obrigkeit anerkennenden Appellen auf zurückhaltenden Einsatz der Schwertgewalt, wie sie sich in späteren niederländischen Schriften findet (Astrid von Schlachta, Gefahr oder Segen?, 67–79). Gegenüber diesen dominierenden separatistischen Optionen eines kritischen Antagonismus und toleranter Komplementarität bildet das Täuferreich zu Münster eine Ausnahme. Als Reaktion auf die Belagerung der Stadt rechtfertigten die dortigen Täuferführer das Schwert der Rache, mit dem sich die leidende Gemeinde Christi zu verteidigen versuchte (Ralf Klötzer, Herrschaft und Kommunikation, 326–345). Heutiges politisches Denken und Handeln von Mennoniten steht unter dem Einfluss John Howard Yoders, der den Staat mit dem christlichen Friedenszeugnis konfrontierte und mit Hilfe einer auch den Herrschaften verständlichen Sprache zu beeinflussen versuchte (John Howard Yoder, The Christian Witness to the State, 32–33).

9. Mündlichkeit und Schriftkultur

In einer Zeit, in der das Wort Gottes mit einem in volkstümlicher Sprache gedruckten Text identifiziert wurde und von lesekundigen Laien gelesen werden konnte, forderten die Täufer die geistliche und weltliche Herrschaftselite heraus. Wie viele ihrer Zeitgenossen betonten die Täufer, das Wort Gottes sei ein gesprochenes, erinnertes und verkündigtes Ereignis und nicht nur ein gedrucktes Wort. Während gedruckte Texte in der Sprache des Volkes zum allgemeinen Wissen beitrugen, machte erst das mündliche Vorlesen und Diskutieren dieser Texte den einfachen Leuten das Evangelium, wie die Täufer meinten, zugänglich. So war das Lesen und Diskutieren der Heiligen Schrift nicht nur ein zentrales Ereignis der versammelten Gemeinde, sondern auch ein Akt der missionierenden Gemeinde in der Welt. Die Heilige Schrift wurde zum Träger täuferischer Kommunikation nach innen und außen.

Arnold Snyder hat gezeigt, wie der mündliche Charakter täuferischer Kommunikation die Form und die Bedeutung von Texten beeinflusste, die in der Bewegung der Täufer zirkulierten. Bibeltexte etwa wurden oft aus dem Gedächtnis zitiert. Märtyrergeschichten und Zeugnisse wurden als Gedichte und als Lieder verbreitet. Briefe, die im Gefängnis geschrieben wurden, waren für die gemeinsame Lektüre im Gottesdienst bestimmt (C. Arnold Snyder, Orality, 371–392). In konservativeren Gemeinschaften wie den Gemeinden der Amischen lebt der Vorzug, der mündlichen Formen der Kommunikation eingeräumt wird, in der ungedruckten Ordnung fort. Diese Ordnung setzt dem Gemeindeleben Grenzen, die nur in der rituellen Erinnerung und in der informellen Kommunikation der Glieder untereinander existieren (John Hostetler, Amish Society, 83).

Mit der zentralen Bedeutung mündlicher Kommunikation eng verbunden ist das Beharrungsvermögen handgeschriebener Manuskripte als bevorzugte Form, Glaubensüberzeugungen zu stärken und zu verbreiten. Diese Praxis lässt sich zu einer einfachen und demütigen Redeweise der frühen Täufer in Beziehung bringen. Urheber der Manuskripte waren oft anonyme Autoren, spätere Kopisten revidierten die Texte, um veränderte Umstände anzusprechen. Handgeschriebene Texte verweisen auf die täuferische Vorliebe für die Gemeinde am Ort und informelle Netzwerke. Sie sind die eigentlichen Kommunikationskontexte der Täufer und nicht die Zusammenhänge, die von der Welt des Buchdrucks geschaffen werden. In solchen gemeinschaftlich bearbeiteten Texten und nicht in den Schreibstuben individuellen Nachdenkens entstand die „Gemeindetheologie“ der Schweizer Täufer (Leonard Gross).

Unter den Schweizer Täufern und den Hutterern wurden solche Manuskripte zu einem bedeutsamen Kommunikationsmittel. Die Schweizer Brüder etwa setzten mehrere aufeinander bezogene Manuskripte als Kommentare zur Niederschrift des Frankenthaler Religionsgesprächs von 1571 in Umlauf (Snyder, The (Not So) „Simple Confession“, 677–722). Unter den Hutterern befähigte das Kopieren religiöser Texte wie Predigten oder Rechenschaften des Glaubens, Lieder und Märtyrergeschichten die geistlichen Anführer, die Bedeutung der Worte zu internalisieren und den geistlichen Inhalt auf eine Weise weiterzugeben, wie sie der jeweiligen Gemeinschaft gemäß war (Rod Janzen und Max Stanton, The Hutterites, 79–80).

10. Technische Medien heute

Täuferische Gemeinschaften hatten oft ein intuitives kritisches Gespür für die berühmte Maxime Marshall McLuhans, dass das Medium die Botschaft sei (Marshall McLuhan, Understanding Media, 7). Viele täuferische Gemeinschaften zögerten mit der Übernahme neuer Kommunikationstechniken, weil sie fürchteten, diese könnten die Qualität ihres gemeinschaftlichen Lebens verändern und die Grenzen verwischen, die sie als sichtbare Gemeinschaften des Glaubens von den Lastern der populären Kultur trennten. Das zeigt sich schon in der Vorliebe der Schweizer Brüder für Handschriften gegenüber gedruckten Büchern. Gleichzeitig hat der Buchdruck, denn zahlreiche täuferische Schriftsteller dennoch nutzten, zur Erweiterung und Verdichtung eines täuferischen Netzwerks beigetragen und die „Laienkultur“ gestärkt (Miriam Chrisman, Lay Culture, 151–169).

Die Täufer sahen in Kommunikationstechniken nicht nur Werkzeuge, sondern auch eigendynamische Ausformungen der Macht mit dem Potential, das dichte Netz gegenseitiger sozialer Verantwortung als Schlüsselfaktor täuferischen Lebens zu fördern oder zu zerstören. Konservative täuferische Gruppen wie die Old Order Mennoniten, die Amischen und die Hutterer sprachen Verbote des Gebrauchs von Massenmedien, wie Radio und Fernsehen, aus, weil sie Nachrichten und Bilder übertragen, die von Individualismus, Gewalt und anderen Merkmalen der populären Kultur geprägt sind (Donald Kraybill, Plain Reservations, 99–110). Die Amischen nutzen das Telefon nur selektiv, weil es die direkte Kommunikation von Angesicht zu Angesicht ersetzt und die Entwicklung von Beziehungen über die Grenzen der Glaubensgemeinschaft hinaus ermöglicht.

Heute kämpfen täuferische Gemeinschaften aller Art mit den Herausforderungen der digitalen Kommunikation, Einfachheit und Wahrhaftigkeit in der täuferischen Rede zu unterminieren. Auf der einen Seite können digitale soziale Netzwerke die Bande gemeindlicher Solidarität in Zeit und Raum ausweiten und vertiefen (Jerry L. Holsopple und Melodie M. Davis, Third Way Café, 11–28). Auf der anderen Seite drohen diese Netzwerke auch, die Erfahrung der Versammlung als Gemeinschaft des Glaubens zu ersetzen, die den örtlichen Gemeinden hilft, primäre Beziehungen der gegenseitigen Verantwortung und des gottesdienstlichen Lebens aufrechtzuerhalten.

Bibliografie (Auswahl)

Quellen

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Literatur

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Gerald J. Mast

 
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