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Liederdrucke der Täufer

Die früheste gedruckte Quelle für die deutschsprachigen Lieder der Täufer ist ein Konvolut von ca. 50 Liedertexten, die 1564 mit dem Titelblatt gedruckt wurden: Etliche schöne Christliche Geseng, wie sie in der Gefengkniß zu Passaw im Schloß von den Schweitzer Brüdern durch Gottes gnad geticht vnd gesungen worden. In der ersten Druckausgabe des Gesangbuchs Ausbund der →Schweizer Brüder von 1583 bilden diese frühen Lieder den zweiten Teil. Eine weitere frühe Druckausgabe täuferischen Liedguts stellt das zwischen 1562 und 1565 in erster Auflage erschienene Ein schon gesangbüchlein der deutschen Mennoniten dar.

1. Kontrafakturpraxis

Alle frühen deutschsprachigen täuferischen Lieder wurden ohne Noten überliefert, und es liegen auch keine eigens für sie komponierten Melodien vor. Wie in der Volks- und Kirchenliedpraxis im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit üblich wurden die neuen Liedertexte auf bereits bekannte und oft weitverbreitete weltliche oder geistliche Weisen gesungen, deren Bezug vor oder hinter dem Liedtext mit „Im Ton: …“ angegeben wird. Diese Kontrafakturpraxis, die häufig zu Schichtungen von Liedertexten auf ein und derselben Melodie führte, diente in erster Linie der leichteren Verbreitung und dem schnellen Erlernen neuer Lieder für die in der Entstehungszeit weitgehend nicht lesekundige Adressatengruppe, in der Notationskenntnisse natürlich noch weit weniger vorhanden waren. Im Falle der Täuferlieder wird außerdem angenommen, dass durch die Paraphrase bekannter weltlicher Lieder die Täufer ihre Gesänge zu kaschieren versuchten (vgl. P. M. Yoder, The „Ausbund“, 8). Vermutet wird aber auch, dass das einem neuen Lied zugrunde liegende Melodische oder Textliche mitschwingt und der intertextuelle Bezug durchaus ein bedeutungstragendes Element darstellt.

Eine solche semantische Verbindung wurde z. B. hutterischen Sängern von dem Jesuitenpater Christoph Andreas Fischer vorgeworfen: „(…) Von ewern halsstarrigen Bruedern die entweder seind gehenckt oder verbrent oder ertrenckt worden, habt jhr Liedlein gedichtet, welche jhr in den Thonen gar Bulerisch vnd vnzuechtiger Liedlein singet. Als zum Exempel, das Gesang vom Hansel Schmidt, singet jhr im Thon deß Graffen von Rom, oder deß Hildbrandts. Das ander im Thon, Ein Bluemlein auff der Heiden. Des dritte im Thon, Der Wachter auff der Zinnen. Das vierdte im Thon, Deß Frewleins von Britannien. (…) Von deinen Bruedern zu Wien enthaupt ein Gesang im Thon, Ich stund an einem Morgen: Item von anderen, zwey andere Lieder, eines im Thon, Es wohnet Lieb bey Liebe. Das ander, Ach Lieb mit leyd: Vnd dergleichen: Seind das nicht ehrbare Lieder? Seind das nicht zuechtige Gesenger? Diese seind ein anzeigung das euch solche wol bekannt seind, also das jhr auch nach dieser Gesenger Thonen andere singet. Vnd damit das man nicht merke, das ihr gar zu Fleischlich seyt, so behaltet jhr solche Thonen in ewern Geistlichen (besser geistlosen) Gesengen, damit das jhr euch ewer geilheit allezeit erinnert.“ (Andreas Fischer, Der Hutterischen Widertauffer Taubenkobel (1607), zit. nach Wolkan, Die Lieder der Wiedertäufer, III-IV).

2. „Ausbund“

Der erste Teil des Ausbunds enthält 80 Liedertexte, die z. T. niederländischen, deutschen mennonitischen oder hutterischen Liederbüchern entnommen sind. Er ist vermutlich um 1570 entstanden und gesammelt worden. Teil zwei des Ausbunds enthält die ca. 50 Lieder der in den Jahren 1535 bis 1540 im Schlossgefängnis zu Passau gefangenen Schweizer Brüder. Musikalisch stellen die Lieder Kontrafakturen geistlicher, meist reformatorischer, aber auch weltlicher Weisen dar. In Europa erschienen bis heute 14 weitere Ausgaben des Ausbunds und in Nordamerika 21.

Inhalte und Themen

Ein großer Teil der frühen Täuferlieder sind Erzähllieder, die ein oder mehrere Märtyrerschicksale zum Gegenstand haben. Die Lieder der Passauer Gefangenen sind geprägt von Besorgnis und Gottvertrauen in einer lebensbedrohlichen Situation. Sie haben selten differenzierte Subjekte, stellen Bitt-, Dank- und Klagelieder oder Psalmendichtungen dar, die alle Christen anrufen, Schwestern und Brüder meinen, den Menschen schlechthin.

Auffallend ist die Vielzahl der Lieder beider Teile, die von Märtyrerinnen handeln, wie z. B. von Maria und Ursula von Beckum, Elisabeth Dirks oder Ursula, Neeltgen und Trijntgen von Essen. Die Standhaftigkeit und Leidensfähigkeit von Frauen als Blutzeuginnen scheint einen besonderen Reiz gehabt zu haben. Diese Lieder sind besonders eindringlich und berührend.

Den männlichen Protagonisten wurden hingegen außerhalb des Märtyrer-Topos auch die Rollen der Verfolger zugeschrieben: grausame und herrschsüchtige Kaiser, Könige und Fürsten, Satan und Antichrist sind männlich, es gibt Wüteriche, Peiniger, Totschläger, Räuber, Säufer, Diebe, Vergewaltiger, Tyrannen und Henker. Die polarisierten Darstellungen der Geschlechter in moralisch gute – oft weibliche – und moralisch schlechte – immer männliche – Vorkämpfer führten jedoch nur bedingt zu einer Stärkung des Frauenbildes.

Autorschaft

Im Unterschied zu anderen Liederbüchern sind die Liedertexte beider Teile des Ausbunds mit Initialen versehen. 25 Texte konnten anhand dieser Initialen Verfassern zugeordnet werden. Rudolf Wolkan hat nach Einsicht der Gerichtsakten in Passau die Namen der Inhaftierten rekonstruiert und vier Dichter erschließen können: H. B. für Hans Betz mit 12 Liedern (u. a. weil er auch andernorts als Liederdichter erwähnt wird), M. S. für Michael Schneider mit mindestens 11 Liedern (u. a. weil er auch als Vorsteher einer der Gruppen galt) sowie B. S. für Bernhard Schneider mit einem Lied und P. S. für Peter Stumpheters Beiteiligung an einem gemeinsam gedichteten Lied mit insgesamt 14 Initialen, die sich jedoch zum größten Teil keinem der Inhaftierten namentlich zuordnen lassen (Wolkan, Die Lieder der Wiedertäufer, 27 ff.). Zwei weitere männliche Autorschaften (Hans Haffner und Hans Hutzoder) hat Julia van Delden-Hildebrandt ausfindig machen können (J. van Delden-Hildebrandt, Das Liederbuch der „Ausbund“, 53).

Aus diesen Gerichtsakten geht jedoch auch hervor, dass sich unter den Passauer Gefangenen zu fast gleichem Teil Frauen befunden haben. Am 19. Mai 1535 nämlich wurden 7 Männer und 5 Frauen sowie 3 Kinder in den Kerker von Schloss Oberhaus gebracht. Am 14. September desselben Jahres wurden 14 Taufgesinnte im Schloss verhört, 6 Männer, 7 Frauen und ein zehnjähriges Mädchen. Am selben Tag wurden noch einmal 20 Gefangene gemacht: 8 Männer und 12 Frauen, und am 25. September 1535 nochmals 3 Männer und 2 Frauen. „Das also sind die Passauer Gefangenen, unter denen wir die Dichter der Gesänge zu suchen haben“, schreibt Wolkan und führt alle Namen der Inhaftierten auf: Von den Männern soweit bekannt Vor- und Zunamen, Ort ihrer Herkunft sowie ihre Täufer. Von den Frauen ebenfalls die Täufer, dann aber meist nur die Vornamen und ihren Familienstand: ob sie Jungfrau oder wessen Ehefrau oder Witwe sie waren. Von den insgesamt 26 Frauen war übrigens nicht einmal die Hälfte in Begleitung ihrer Ehemänner – die meisten wurden allein aufgegriffen. Alle diese Gefangenen wurden verhört, gefoltert, fast alle starben im Gefängnis: Männer, Frauen und Kinder. Für die meisten der täuferischen Märtyrer, die sogar singend zur Hinrichtung gingen, waren die Gesänge in der Gefangenschaft von zentraler Bedeutung. Es ist zu vermuten, dass dies für Männer und Frauen galt. Die Frage, was die Frauen gesungen haben, ob sie die Lieder der Männer sangen oder eigenes Liedgut entwarfen, das unter den anonym überlieferten Liedern zu finden ist, lässt sich heute nicht mehr klären. Es sollte jedoch als offene Frage stehen bleiben, auch wenn alphabetisierte Frauen so ungewöhnlich waren, dass ihre Autorschaft vermutlich vermerkt worden wäre, wie Hermine Joldersma und Louis Grijp anmerkten (Joldersma und Grijp, „Elisabeth´s Manly Courage“, 20).

Für 58 der 80 Gesänge des ersten Teils des Ausbunds sind männliche Dichter nachweisbar. Ein Liedertext stammt nachweislich von einer Frau, nämlich von Walpurg von Bappenheim: „Du glaubigs Herz, so benedey“. Das Lied „Ew‘ger Vater vom Himmelreich, ich ruf zu dir gar inniglich“ wurde laut hutterischer Quellen von Ursula Helriglin verfasst, die als junges Mädchen viele Jahre im Gefängnis verbrachte. Die verbleibenden Liedertexte sind anonym überliefert. Nimmt man die unbekannte, von Wolkan als beachtlich eingeschätzte Zahl von Liedern hinzu, die nie in Gesangbüchern Aufnahme gefunden hat und für immer verloren ist, so ergibt sich eine reichhaltige Liedproduktion anonymer Art, an der Frauen durchaus einen Anteil gehabt haben könnten.

3. „Ein schon gesangbüchlein“

Das Liederbuch der deutschen Mennoniten Ein schon gesangbüchlein ist mehrfach aufgelegt worden, jedes Mal in leicht veränderter Version. Die früheste Ausgabe mit 123 Liedern wurde vermutlich zwischen 1562 und 1565 gedruckt. Heute existiert noch ein Exemplar dieser Ausgabe in der Stadtbibliothek Weberbach in Trier. Es stammt aus der sogenannten Ketzersammlung der Jesuitenbibliothek Trier und trägt handschriftlich die fälschliche Datierung „ca. 1575“ (Sommer, Die Melodien der alten Täuferlieder, 107). Die Ausgabe des Gesangbüchleins mit 133 Liedern wurde vermutlich nach 1569 gedruckt. Hiervon existiert noch eine Ausgabe in der Sammlung Meusebach, Staatsbibliothek Berlin. Die letzte Ausgabe mit 141 Liedern wurde nach 1588 gedruckt. Danach wurde das Gesangbüchlein in dieser Form nicht wieder aufgelegt.

Inhalte und Themen

Die Liedertexte des Gesangbüchleins gehen zum Teil auf niederländische Quellen zurück. Ihre Lieder und Liedformen erinnern auch an das Liedgut der Devotio Moderna, wie es auch im deutschsprachigen Raum in nachgelassenen Liederhandschriften aus Frauenkonventen erhalten ist, z. B. durch die Verwendung von Rollenliedern mit Wechselgesängen zwischen Seele und Gott (vgl. „Das Liederbuch der Anna von Köln“, hg. von Walter Salmen, Denkmäler Rheinischer Musik, Bd. 4, Düsseldorf 1954, oder das „Liederbuch der Catherina Tirs“, hg. von Bernhard Hölscher, Niederdeutsche geistliche Lieder und Sprüche aus dem Münsterlande, Berlin 1854, oder Albrecht Classen, „Mein Seel fang an zu singen: religiöse Frauenlieder des 15. und 16. Jahrhunderts“. Kritische Studien und Textedition (Studies in Spirituality: Supplements 6), Leuven 2002). Den ältesten Druck niederländischer Märtyrerlieder stellt das Lietboecxken (Erstdruck 1563), dar, das zusammen mit dem Märtyerbuch Het Offer des Heeren große Verbreitung fand.  

Autorschaft

Die Lieder des Gesangbüchleins sind sämtlich anonym überliefert, es konnten inzwischen jedoch zahlreiche Autoren identifiziert werden. Die erste Ausgabe (123 Lieder) trägt den Titel: „ein schon gesangbüchlein Geistlicher lieder zusammen getragen / Auß dem Alten vnd Newen Testament / Durch frome Christen und liebhaber Gottes / welcher hie für etliche getruckt seindt gewesen / aber noch vil darzu gethan / welche nie im truck ausgangen seindt. / In welchen auch ein recht leben vnd fundament des rechten Christlichen glaubens gelehrt wirt. Colossern. iij. Lehrend vnd ermanendt euch selbst mit gesangen vnd lobgesangen vnd geistlichen Liederen in der gnad vnd singend dem Herren in ewerem hertzen.“

Die frühen Lieder der Taufgesinnten sind ein reichhaltiges Zeugnis für das kulturelle Handeln in der Frühen Neuzeit. Sie geben detailliert Einblick in die religiösen Überzeugungen der Sängerinnen und Sänger und spiegeln zudem, insbesondere in den Erzählliedern des Ausbunds, auch die Entwicklung der sozialen Verbindungen und der Geschlechterverhältnisse wider. Angesichts der Rolle, die die →Frauen in der frühen Täuferbewegung spielten, kann davon ausgegangen werden, dass sie – in dem von ihnen auch in reformatorischen Kreisen stark besetzten Feld des geistlichen Lieds – einen nicht unbedeutenden Anteil sowohl an der Gesangspraxis als auch an der Liedproduktion hatten.

Bibliografie (Auswahl)

Quellen

„Ausbund“. Älteste bekannte Ausgabe 1583, hier verwendet: 13. Auflage, hg. von den Amischen Gemeinden in Lancaster County, Pa., 1981. - Ein schon gesangsbüchlein Geistlicher lieder, 123 Lieder, 1563/64, hier verwendet eine Kopie nach dem einzigen Exemplar in der Stadtbibliothek Trier, eingesehen in der Mennonitischen Forschungsstelle des Mennonitischen Geschichtsvereins Deutschland (Weierhof/Pfalz). - Andreas Fischer, Der Hutterischen Widertauffer Taubenkobel: in welchem all jhr Wust, Mist, Kot vnnd Vnflat etc. werden erzaehlet. Auch des grossen Taubers des Jakob Hutters Leben. Ingolstadt 1607. - Lietboecxken, zusammen mit Het Offer des Heeren, Emden 1563.

Literatur

Rudolf Wolkan, Die Lieder der Wiedertäufer, Berlin 1903 (Reprint Nieuwkoop 1965). - Julia van Delden-Hildebrandt, Das Liederbuch „Ausbund“, Göttingen 1952 (neu durchgesehene und verbesserte Ausgabe 2003). - Paul M. Yoder, The „Ausbund“, in: Paul M. Yoder, Elisabeth Bender, Harvey Graber, Nelson P. Springer (Hg.), Four Hundred Years with the „Ausbund“, Scottdale, Pa., 1964. - Ernst Sommer, Die Melodien der alten deutschen Täuferlieder, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie, 17. Bd., Kassel 1972/73, 100–164. - Ders., Die Melodien der alten deutschen Täuferlieder II, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie, 21. Bd., Kassel 1977, 137–148. - Ursula Lieseberg, Die Lieder des Peter Riedemann. Studien zum Liedgut der Täufer im 16. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1998. - Susanne Mayr, Der „Ausbund“. Die Liedersammlung der Schweizer Brüder und ihre Verwendung bei den Wiedertäufer-Gemeinden bis in die Gegenwart, München 1998, Magisterarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München. - Hermina Joldersma und Louis Grijp (Hg.), „Elisabeth's Manly Courage": Testimonials and Songs of Martyred Anabaptist Women in the Low Countries (Women of the Reformation Series, Bd. 3, hg. von Merry Wiesner-Hanks), Milwaukee 2001. - Martina Bick, „Gelobet sei Gott, liebe Hausfrau und Schwester in dem Herrn. Genderaspekte im Liedgut der frühen Täuferbewegung, in: Mennonitische Geschichtsblätter 2007, 27–38. - Claude Baecher, L’Ausbund ou Chant des Prisons. Introduction, analyse et traduction des avant-propos du recueil de chants des anabaptistes, in: Mennonitica Helvetica 15/16, 1992/93, 171–197. - Rosella Reimer Duerksen, Anabaptist Hymnody, Diss. New York 1956. - Robert Friedmann, Mennonite Piety Through the Centuries: Its Genius and its Literature, Goshen, IN, 1949.

Martina Bick

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