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Psychologie
Psychologie wird in der Regel als Wissenschaft vom menschlichen Verhalten und von mentalen Prozessen definiert. Heutzutage wird menschliches Verhalten weitläufig als Produkt des Willens dargestellt, der von der reichen Erfahrung eines ganzen Lebens geprägt ist. Die aus vergangenen Lernprozessen erwachsenen Glaubenssysteme und Werte drücken sich vornehmlich in der Art des menschlichen Verhaltens aus.
1. Die Lehre von der Psychologie
Als der lange Religionskonflikt im Europa des 17. Jahrhunderts den Weg für das sogenannte Zeitalter der Vernunft freimachte, wendeten sich nachreformatorische Philosophen auf systematischere Weise der Funktionsweise des Geistes zu. Neben der kausalen Bewertung der Natur wurde die Natur, wie auch alle Erfahrungen, einschließlich der Funktionsweise des Geistes, der rationalen Prüfung unterzogen. René Descartes hatte, ähnlich wie Martin Luther, in seiner Jugend eine die Existenz verändernde Erfahrung gemacht, die ihm eine neue Methodik offenbarte, mit der er die Philosophie mathematisch beurteilen zu können glaubte. Er versuchte die verschiedenen Mechanismen des Verstandes, wie die Empfindung, Vorstellungskraft, das Erinnerungsvermögen und die Willenskraft, rational zu verstehen, wobei er anderen den Anstoß dazu gab, eine moderne Psychologie zu entwickelten, die keinen Raum für Gott ließ. Er selbst schloss die Existenz einer Gottheit nicht aus, die für wissenschaftlich nicht erklärbare Dinge verantwortlich sei.
Um 1860 war Wilhelm Wundt der erste, der an der Universität Leipzig einen Kurs in Psychologie lehrte und eine Untersuchung zum menschlichen Verhalten aufnahm. Seine Nachfolger weiteten sein Werk in verschiedene Richtungen aus, wie Emil Kraepelin, der eine Klassifikation von psychischen Störungen entwickelte, die zur Vorlage für die Diagnose und Behandlung psychischer Erkrankungen wurde. Dieses Fachgebiet entwickelte bald untereinander konkurrierende Erklärungsmuster, die bis heute verschiedene Denkweisen zum Verhalten und zu psychischen Prozessen darstellen, welche nur bekannt werden, um durch neue ersetzt zu werden. Sigmund Freud wurde zum ersten Therapeuten der Psychotherapie, die er zu einer Methode entwickelte, die Psychoanalyse genannt wird und sich intensiv mit den Gedanken, Gefühlen und Träumen einer Person auseinandersetzt. Auf diese Weise versuchte er, das Denk- und Verhaltensmuster einer Person zu verändern, um sie von seelischen Leiden und Verhaltensstörungen zu befreien. Er war nicht der erste, der den unbewussten psychischen Prozess beschrieb, aber er erarbeitete ein systematisches Verständnis der menschlichen Triebkraft, basierend auf unbewussten Urtrieben, die für ihn der Schlüssel zur Behebung von neurotischen, die Funktionsweise des Geistes behindernden Konflikten waren. Seine Gedanken zur libidinösen Energie erregte großes öffentliches Aufsehen. Vor allem seine Sicht der kindlichen Sexualität empörte die Öffentlichkeit. Davon abgesehen wurde Freud als Feind des christlichen Glaubens betrachtet, weil er Gott als eine aus dem kindlichen Bedürfnis für eine Vaterfigur erwachsenen Illusion ansah.
Einige Psychologen, wie William James in den USA beispielsweise, behandelten die Religion als ein ernsthaftes und legitimes Studienobjekt und betrachteten die Religion als einen grundlegenden Aspekt des menschlichen Funktionierens. James lehnte Freuds Annahme ab, dass die religiöse Erfahrung eine Perversion der sexuellen Triebe sei. Glaube und Religion wurden jedoch im Laufe der Entwicklung der Psychologie zunehmend abgelehnt. Landläufig wurde Religion zumindest als eine Ursache, die zu geistigen Störungen beitrug, erachtet, denn Menschen mit einer Psychose hatten häufig verzerrte Vorstellungen von Gott und setzten sich mit Gott auseinander. Dies führte in der Regel zu einer sehr negativen Haltung von Christen gegenüber dem Studium der Psychologie und gegenüber jeder Behandlung durch Psychologen und Psychiater, denn sie fürchteten, dies könne zum Abfall vom Glauben führen. Eine Studie unter Mennoniten der 1980er Jahre in den USA ergab ein hartnäckig bestehendes Misstrauen gegenüber der Psychologie, insbesondere unter den weniger gebildeten und konservativeren Mitgliedern. Neuesten Forschungen zufolge ist der Glaube in vielen Fällen eine stabilisierende Kraft für die menschliche Funktionsweise. Dies hat die negative Haltung von sich der geistigen Gesundheit widmenden Fachkräften aufgeweicht.
2. Psychologie im christlichen Kontext
Lange Zeit vor der ersten an deutschen Universitäten wissenschaftlich betriebenen Psychologie schrieb der Theologe Sören Kierkegaard in seinem Buch Der Begriff der Angst ausführlich über menschliche Gefühle. Er unterschied darin zwischen der aufgrund eines selbst begangenen Unrechtes entstandenen Angst und der aufgrund einer Störung des Körpers, der Seele oder des Geistes auftretenden Angst oder Furcht. So wurde er als Vater der christlichen Psychologie bekannt.
Als mehr und mehr Psychologen im 20. Jahrhundert im klinischen Bereich ausgebildet wurden und dort arbeiteten, versuchten einige Psychologen, den christlichen Glauben expliziter mit psychologischen Prinzipien zu verknüpfen. Viele Christen, einschließlich der mennonitischen Psychologen und Seelsorger, beurteilten die von der säkularen Psychologie eingeschlagene Richtung als zu individualistisch und zu deterministisch. Die menschliche Erfahrung von Gemeinschaft sei für die christliche Gemeinde überaus bedeutsam. Sie betonten die Werte, die im Austausch über den Glauben innerhalb einer Gemeinde entstehen, was zu Veränderung und Heilung führen könne. Sie akzentuierten den Einfluss Gottes auf menschliche Angelegenheiten und setzten das Gebet ein, um die Behandlung zu unterstützen. Alvin Dueck und Kevin Reimer versuchen in A Peaceable Psychology: A Christian Therapy in a World of Many Cultures (2009) eine Psychologie zu entwickeln, die täuferische Werte aufnimmt und sowohl gemeinschaftliche und kulturelle als auch religiöse Werte in Betracht zieht. Anstatt der Psychologie den Bezugsrahmen der westlichen Gesellschaft zu geben, schätzen sie die Vielfalt der Kulturen hoch ein, jede für sich, und betonen, wie wichtig es sei, sich dem Leiden der unterdrückten Menschen zuzuwenden. George Vaillant dagegen arbeitete in seinem Buch Spiritual Evolution: A Scientific Defense of Faith (2008) mit einem anderen Bezugsrahmen, dessen Ausgangspunkt die neurobiologische Entwicklung des Gehirns ist. Er argumentierte, dass die Evolution der Säugetiere zu einer höheren Ordnung von positiven Gefühlen bei Menschen geführt hat, welche primitive räuberische Instinkte verbessern und übersteigen kann. Seine Einstellung zur Arbeitsweise der menschlichen Psyche ist, dass Spiritualität und Glauben hervorgerufen werden können, da Menschen dazu fähig seien, ein Gefühl für Ehrfurcht und Geheimnis zu erfahren.
3. Ursachen und Behandlung von psychischen Erkrankungen
Schon früh wurde beim Versuch, irrationale, von der gesellschaftlich üblichen Norm abweichende, Verhaltensweisen zu verstehen, die Frage nach der Ursache gestellt. Übernatürliche Kräfte wurden oft zur Begründung des unüblichen Verhaltens herangezogen, insbesondere wenn es, wie bei einer Psychose, als sehr auffällig erschien. Die biblische Erzählung von Jesu Austreibung der Dämonen aus einem Mann haben manche im Laufe der Zeit als Muster genommen, um im christlichen Kontext psychotischem Verhalten zu begegnen. Gleichzeitig haben andere die Gründe für ungewöhnliche Verhaltensweisen mit Begriffen aus dem Bereich natürlicher Vorgänge erklärt, wie zum Beispiel der griechische Arzt Hippokrates, im ersten Jahrhundert vor Christus, und der jüdische Arzt Maimonides, im 13. Jahrhundert.
Zur Zeit der →Aufklärung veränderte sich das christliche Denken dahingehend, sich dem Leiden der seelisch Kranken zuzuwenden, weil natürliche Ursachen immer mehr als bedeutsam eingeschätzt wurden. Zum Ausgang des 18. Jahrhunderts bauten Quäker auf Veranlassung von William Tuke in England ein Heim für seelisch Kranke, in dem eine mitmenschliche Behandlung die damals üblichen primitiven Strafmethoden der Anstalten ablöste. Wahnsinn wurde hier als ein Leiden anerkannt, dem mit Freundlichkeit, Verständnis und Gebet begegnet werden müsse, anstatt es als Resultat einer dämonischen Besessenheit zu erklären. Ihre Vorgänger waren Philipe Pinel und andere, die aufgeklärte Behandlungsmethoden eingeführt hatten. Eine sorgfältige Beobachtung und Verständnis ersetzten Distanzierung und Entmenschlichung als Reaktion auf die Betroffenen. Diese als „moralische Behandlung“ bekanntwerdende Therapie versuchte, die Würde der von psychischen Erkrankungen betroffenen Menschen zu wahren. Obwohl dies an vielen Orten erfolgreich umgesetzt wurde, führte die Vernachlässigung der Geisteskranken ansonsten zu stets wiederkehrender Regression – weg von aufgeklärter und wissenschaftlich kontrollierter Behandlung. Letztere wurde oft von grausamen und wissenschaftlich unbegründeten Methoden ersetzt. In Deutschland wurde in Bielefeld die Einrichtung „Bethel“ von der Inneren Mission der Evangelischen Kirche gegründet. Zunächst diente sie Epileptikern, dann wurde sie zum größten Sozialen Dienst in Deutschland erweitert, der bis heute existiert. Bethel bewahrte viele Patienten vor dem Tod, denn es widersetzte sich dem zu Beginn des Zweiten Weltkriegs erlassenen Euthanasiegesetz der Nationalsozialisten (→Drittes Reich). Beim Aufbau von „Bethania“ in Einlage (Kolonie Chortitza, Ukraine) im Jahre 1910 brachte das in Bethel geschulte mennonitische Personal sein Wissen ein. Nach weniger als zwei Jahrzehnten musste es schließen, da die Kommunisten ihren Zugriff auf religiöse Einrichtungen verstärkten. Später wurde diese Arbeit von „Bethania“ in Ontario, Kanada, weitergeführt, wo eines der geflüchteten Ehepaare psychisch kranke Patienten bei sich zuhause aufnahm. Ihr Werk wurde im Projekt „Bethesda“ als Form der Behandlung geistig behinderter Personen weiterentwickelt. Von russischen Flüchtlingen wurde 1945 in Filadelfia (Chaco) ein ähnliches Projekt in Paraguay durchgeführt und „Hoffnungsheim“, später „Eirene“ genannt, eröffnet.
Eine wichtige Entwicklung war die Verpflichtung von mehreren tausend Kriegsdienstverweigerern mit quäkerischen und mennonitischen Wurzeln zum Dienst in staatlichen psychiatrischen Krankenhäusern während des Zweiten Weltkriegs in den USA und Kanada. Ihre Erfahrung, zusammen mit den Beispielen von Bethanien und Bethesda, gab den Anstoß für die Entwicklung eines Netzwerks von fünf Zentren für psychische Gesundheit in den USA und später in Manitoba, Kanada (Eden Mental Health Center). Zunächst wurde die Arbeit von jungen Menschen fortgesetzt, die anstelle des Wehrdienstes dort arbeiteten. Die Entwicklung dieser Zentren fiel mit einer allgemeinen Reform der Behandlung von psychisch Kranken zusammen, was dazu führte, dass sie zu einem Modell für ein flächendeckendes Netz von gemeindenahen psychosozialen Zentren in den USA wurden. Diese Entwicklung motivierte viele junge Menschen aus täuferischen Gemeinden, im Bereich der Psychologie, Psychiatrie, Sozialarbeit und in anderen Fachrichtungen zur Behandlung von psychisch Kranken tätig zu werden.
Literatur (Auswahl)
Dale M. Hilty, Unpublished Manuscript, 1986. - Vernon H. Neufeld (Hg.), If We Can Love: The Mennonite Mental Health Story, Newton, KS, 1986. - George Vaillant, Spiritual Evolution. A Scientific Defense of Faith, New York 2008. - Alvin Dueck und Kevin Reimer, A Peaceable Psychology: Christian Therapy in a World of Many Cultures, Grand Rapids, Mich., 2009.
George Dyck