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Taufe I – Taufe im Neuen Testament
Das griechische Verb baptizô bedeutet «untertauchen, eintauchen, sich waschen» (Walter Bauer und Kurt Aland, Wörterbuch zum Neuen Testament, 1988, 265) und wird in der christlichen Literatur vornehmlich für die christliche Taufe verwendet (in Mk. 7,4 und Lk. 11,38) jedoch auch für jüdische Reinigungsriten. Der Gebrauch von Wasser für rituelle Waschungen und besondere Übergangsriten ist auch außerhalb des Judentums in der Antike weit belegt (vgl. Robert H. W. Wolf, Mysterium Wasser, 2004; David Hellholm u. a. (Hg.), Ablution, Initiation, and Baptism, 2011). Obwohl der geschichtliche Ursprung der christlichen Taufpraxis im Dunkeln liegt, bestehen kaum Zweifel über ihre allgemeine Verbreitung als Zeichen der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Christusgläubigen von Beginn an. Die vielen Hinweise in der Apostelgeschichte (etwa 2, 38. 41; 8, 12. 38; 9, 18; 10, 48; 16, 15. 38; 18, 8) decken sich mit den frühesten Aussagen in den Paulusbriefen (Rö. 6, 3; 1. Kor. 12, 3; Gal. 3, 27). Der Kanon der neutestamentlichen Schriften bezeugt zwar an etlichen Punkten theologische Divergenzen innerhalb des frühen Christentums, die Taufe scheint jedoch kein umstrittenes Feld gewesen zu sein.
1. Herleitungsversuche der christlichen Taufe
Christliche Kirchen unterschiedlicher Konfessionen – besonders jedoch das Täufertum – haben im Taufbefehl des Auferstandenen (Mt. 28, 19 b) die Grundlage ihrer Taufpraxis gesehen. Die direkte Herleitung auf ein Gebot des Herrn ist jedoch durch die moderne Exegese fraglich geworden. Das ältere Markus-Evangelium endet ursprünglich ohne ein Sendungswort des Auferstandenen (Mk. 16, 1–8). Offensichtlich wird diese „Leerstelle“ durch Mt. 28, 16–20 gefüllt, was dann wiederum auf den später angefügten Markus-Schluss (Mk. 16, 9–20) Einfluss genommen hat (vgl. Mk. 16, 16; s. a. Didache 7, 1. 3). Auch die dreigliedrige „trinitarische“ Formel lässt sich eher als eine Ausweitung der älteren eingliedrigen christologischen Formel (s. u.) verstehen. Mt. 28, 16–20 ordnet die Taufe (neben der Unterweisung) dem Auftrag unter, alle Nationen „zu Jüngern zu machen“. Darin spiegelt sich die missionarische Praxis der matthäischen Gemeinde wider. Gott Vater und Heiliger Geist erinnern an die Taufe Jesu in Mt. 3, 16–17, so dass mit dem Taufbefehl am Ende des Evangeliums die christliche Taufe vielleicht als Nachahmung der Taufe Jesu verstanden werden soll.
Wäre also die Taufe Jesu der eigentliche Ausgangspunkt für die christliche Taufe? Sieht man von der möglichen Bezugnahme von Mt. 28, 19b zu Mt. 3, 16–17 ab, belegen die Taufberichte in den Evangelien eher, dass die Taufe Jesu durch Johannes eine christologische Verlegenheit darstellte. Bereits in Mk. 1, 9–11, dem ältesten Taufbericht, wird die Taufe Jesu nur in einem Halbsatz erwähnt (Lk. 3, 21 macht einen Nebensatz daraus); das Schwergewicht der Erzählung liegt deutlich auf der himmlischen Offenbarungsstimme. Die Frage, ob Jesus die Taufe – also eine rituelle Waschung – „nötig“ hatte, versucht das Evangelium des Matthäus dadurch zu beantworten, dass er dem Taufbericht eine Szene voranstellt, in welcher Johannes sich ausdrücklich weigert, Jesus zu taufen (Mt. 3, 14–15). Schließlich knüpft Joh. 1, 29–34 zwar deutlich an die Tauftradition an, lässt aber die eigentliche Taufhandlung in seiner Erzählung ganz aus. Aus diesem Grunde scheint die Herleitung der christlichen Taufe aus der Taufe Jesu im Neuen Testament selbst wenig Unterstützung zu erfahren. Sie begegnet allerdings ab dem 2. Jahrhundert etwa bei Ignatius: „Christus ließ sich taufen, um das Taufwasser für die Christen zu heiligen“ (Eph. 18,2).
Die Johannestaufe ist nach dem Markus-Evangelium der „Beginn“ des Evangeliums (Mk. 1, 2–8; 11, 30; Mt. 3, 11–12; Lk. 3, 16–17; 7, 29–30; Joh.1, 25–33; 3, 23; 10, 40; vgl. Josephus, Ant. 18, 117). Sie kommt deswegen als Vorform der christlichen Taufe in Frage, weil (nach Joh. 1, 35–42) viele Jünger Jesu zuvor auch zum Johanneskreis gehörten. Die Tatsache, dass die christliche Taufe im Neuen Testament nur gegenüber der Johannestaufe und nicht gegenüber anderen Taufriten abgehoben wird (Mk. 1, 8; Joh. 1, 33; Apg. 1, 5; 11, 16; 19, 2–6), mag als indirekter Beleg für den engen Zusammenhang zwischen beiden angesehen werden (Gerhard Barth, Taufe, 20). Die auffälligste „Neuerung“ der Johannestaufe ist das Untertauchen durch einen anderen Menschen. Als ein endzeitlicher Gerichtsprophet rief Johannes das Volk zur Umkehr und vollzog seine Taufe an der Ostseite des Jordans, um die Menschen dadurch auf das nahe Gericht vorzubereiten. Von dieser Taufpraxis leitete sich die christliche Taufe ab; allerdings mit einer ganz entschiedenen Modifikation: Im Zentrum steht nicht mehr die Buße angesichts des nahen Gerichts, sondern die Zugehörigkeit zu Christus und seiner endzeitlichen Heilsgemeinde.
Bemerkenswerterweise versuchen die neutestamentlichen Autoren die Taufe nicht mit den Heiligen Schriften Israels (dem „Alten Testament“) zu begründen. Spätere, in der reformierten Tradition beliebte Herleitungsversuche der Taufe aus der Praxis der Beschneidung haben im Neuen Testament keinen Anhalt.
2. Christuserfahrung und Heilshandeln Gottes am Menschen
Der enge Bezug der Taufe zu Christus kommt in unterschiedlichen, aber doch miteinander verwandten Formeln zum Ausdruck: die Taufe geschieht „in (griech. eis) den Namen des Herrn Jesu“ (Apg. 8, 16; 19, 5; vgl. 1. Kor. 1, 13; Rö. 6, 3), „im (griech. en) Namen Jesu Christi“ (Apg. 10, 48; vgl. 1. Kor. 6,11) oder „auf (griech. epi) den Namen Jesu Christi“ (Apg. 2, 38). Der Name, der in der Taufe gesprochen wird, steht für die heilvolle Gegenwart des Auferstandenen im Leben der Glaubenden. In Anknüpfung an ein Wort des Täufers (Mk. 1, 8; vgl. Apg. 1, 5) wird diese Christuserfahrung in der Taufe durch den Geist Gottes vermittelt (Apg. 2, 38; 8, 14–25; 9, 17–18; 11,16; 19, 1–6; 1. Kor. 6, 11; 12, 13; vgl. Joh. 3, 5). In diesem Sinne ist die Taufhandlung nicht einfach eine menschliche Handlung (z. B. ein reiner Bekenntnisakt), sondern zugleich auch Heilshandeln Gottes am Menschen. Ein mechanischer Bezug zwischen Taufe und Geistempfang sollte daraus jedoch nicht abgeleitet werden (der Pfingstbericht in Apg. 2 nennt z. B. keine Taufhandlung).
3. Grundmerkmale der Taufe in der Theologie des Paulus
Über den konkreten Taufvollzug (Taufunterricht, Taufvorbereitung, liturgischer Vollzug, Taufordnung) gibt das Neue Testament keine Auskünfte (diese finden sich erst vom 3. Jahrhundert an). Auch eine Tauftheologie ist im Neuen Testament nicht ausformuliert vorfindbar. Paulus setzt in seinen Schriften und in seiner Missionspraxis die Taufe zwar voraus, sieht aber seine primäre Aufgabe nicht darin zu taufen (1. Kor. 1, 15–17). 1. Kor. 12, 13 und Gal. 3, 27–28 (vgl. Kol. 3, 9–11) zeigen dennoch deutlich, dass in den paulinischen Gemeinden die Taufe nicht nur die Eingliederung des Glaubenden in den „sozialen Körper“ der Christusglaubenden („Leib Christi“) rituell vollzieht. In ihr kommt auch die radikale Überwindung gesellschaftlicher Barrieren zwischen Freien und Sklaven, Juden und Nichtjuden, Männern und Frauen zum Ausdruck. Gal. 3 hebt diesen Aspekt gerade gegenüber der jüdischen Beschneidungspraxis hervor und macht damit die Taufe (ähnlich wie das Abendmahl in 1. Kor. 11,17–34) geradezu zu einer zentralen Ausdrucksform einer egalitären Gemeinschaft. Der Gedankengang in Rö. 6, 1–11 kreist nicht zentral um die Taufe, sondern um die Freiheit des Glaubenden von der Macht der Sünde. Die Taufe gehört nicht nur zur individuellen Vergangenheit der einzelnen Glaubenden, sondern markiert die Teilhabe an Tod und Auferstehung Jesu (vgl. Kol. 2, 12; Eph. 2, 6) und ist damit Grundlage für das sittliche Leben in der Gegenwart. Leben und Sterben Jesu werden durch die Taufe für die Glaubenden zur lebensbestimmenden Kraft. Diese identitätsstiftende Nähe kommt bildlich in der Wendung „Christus anziehen“ zum Ausdruck (Gal. 3, 27). Die spätere Paulustradition spricht von der Taufe als „Bad der Wiedergeburt“ (Tit. 3,5).
4. Keine Argumente für die Säuglingstaufe
Die Frage nach der Taufe von Säuglingen oder Kindern ist vielfach diskutiert worden, teilweise auch aufgrund der exegetischen und dogmatischen Ablehnung der Kindertaufe durch Karl →Barth (vgl. Kirchliche Dogmatik (KD) IV, 4) und seinen Sohn Markus Barth (Die Taufe ein Sakrament?, 1951). Eine exegetische Begründung der Kindertaufe aus dem Umgang Jesu mit Kindern (bes. die Formulierung in Mk. 10, 13–16 „hindert sie nicht“ vgl. Apg. 8, 36) hat sich als wenig tragfähig erwiesen. Am stärksten wiegt die sogenannte „Oikosformel“, nach der im frühen Christentum ganze „Häuser“ (griech. oikos) getauft wurden (1. Kor 1, 16; Apg. 16, 15, 31–33; vgl. auch Apg. 11, 14). Zum antik-römischen Haus gehören zwar im weitesten Sinne all jene, die der Gewalt des Vaters unterstehen (Ehefrau, Kinder, Sklaven und Sklavinnen), aber in der Rechtssprache umfasst das Haus nur die rechtsfähigen Glieder der Familie und nicht die unmündigen Kinder. In den angeführten Stellen werden Kinder zudem nicht explizit erwähnt. Das „Haus des Stephanas“, welches Paulus getauft hat (1. Kor. 1,16), wird am Ende des Briefes als Vorbild für den Dienst der „Heiligen“ erwähnt (1. Kor. 16, 15–16). Wenn Paulus dazu auffordert, sich solchen Menschen unterzuordnen, kann er beim „Haus des Stephanas“ schwerlich auch Kleinkinder mit gemeint haben.
5. Bekenntnisakt in der Nachfolge Jesu
Insgesamt gehört die Taufe im Neuen Testament zu den grundlegenden rituellen Voraussetzungen der Christuserfahrung, eine Taufordnung oder eine Tauftheologie findet sich darin jedoch nicht. Theologisch zentral ist die in der Taufe durch den Geist Gottes zum Ausdruck gebrachte Verbundenheit der Glaubenden mit dem Leben und Sterben Jesu. Dadurch bestimmt die Taufe rituell die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde als einer Gemeinschaft von Gleichen. Die Taufe kann damit auch als ein Bekenntnisakt in der Nachfolge Jesu verstanden werden, denn sie drückt symbolisch das neue Leben aus und begründet damit das Verhalten der Christusglaubenden in der Gegenwart.
Literatur (Auswahl)
Kurt Aland, Die Stellung der Kinder in den frühen christlichen Gemeinden – und ihre Taufe, in: Ders., Neutestamentliche Entwürfe. München 1979, 198–232. - Friedrich Avemarie, Die Tauferzählungen der Apostelgeschichte (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 139), Tübingen 2002. - Gerhard Barth, Die Taufe in frühchristlicher Zeit, Neukirchen-Vluyn 2002. - Karl Barth, Kirchliche Dogmatik IV/4 : Das christliche Leben (Fragment). Die Taufe als Begründung des christlichen Lebens, Zürich 1967. - Markus Barth, Die Taufe – ein Sakrament? Ein exegetischer Beitrag zum Gespräch über die kirchliche Taufe. Zollikon-Zürich 1951. - George R. Beasley-Murray, Die christliche Taufe. Eine Untersuchung über ihr Verständnis in Geschichte und Gegenwart. Kassel 1968. - Gerhard Delling, Zur Taufe von „Häusern“ im Urchristentum, in: Novum Testamentum 7, 1964, 285–311. - Everett Ferguson, Baptism in the Early Church. History, Theology, and Liturgy in the First Five Centuries. Grand Rapids, MI, 2009. - Lars Hartmann, Auf den Namen des Herrn Jesus. Die Taufe in den neutestamentlichen Schriften (Stuttgarter Bibelstudien 148), Stuttgart 1992. - David Hellholm, u.a. (Hg.), Ablution, Initiation, and Baptism. Late antiquity, Early Judaism, and Early Christianity / Waschungen, Initiation und Taufe. Spätantike, Frühes Judentum und Frühes Christentum, 3 Bde. (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche 176/1–3), Berlin 2011. - Friedrich Lang, Das Verständnis der Taufe bei Paulus, in: Jostein Ådna u. a. (Hg.), Evangelium – Schriftauslegung – Kirche (Festschrift für Peter Stuhlmacher), Göttingen 1997, 255–268. - Karl-Heinrich Ostmeyer, Taufe und Typos. Elemente und Theologie der Tauftypologien in 1. Korinther 10 und 1. Petrus 3 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 2:118), Tübingen 2000. - Stanley E. Porter und Anthony R. Cross (Hg.), Baptism, the New Testament and the Church (Journal for the Study of the New Testament. Supplement Series 171), Sheffield 1999. - Stanley E. Porter und Anthony R. Cross (Hg.), Dimensions of Baptism. Biblical and Theological Studies (Journal for the Study of the New Testament. Supplement Series 234), Sheffield 2002. - Gerd Theißen, Die urchristliche Taufe und die soziale Konstruktion des neuen Menschen, in: Jan Assmann und Guy G. Stroumsa (Hg.), Transformations of the Inner Self in Ancient Religions (Studies in the History of Religions 83), Leiden 1999, 87–114. - Jochen Vollmer, Ist die Taufe von Unmündigen schriftgemäß? in: Evangelische Theologie 58/5, 1998, 332–350. - Robert H.W. Wolf, Mysterium Wasser. Eine Religionsgeschichte zum Wasser in Antike und Christentum, Göttingen 2004.
Moisés Mayordomo