Bünderlin, Johannes

geb. ca. 1499 in Linz oder Umgebung, Oberösterreich, gest. nach 1539; Spiritualist.

Johannes Bünderlin erscheint in den Quellen auch als Hans Wunderl und Hans Vischer, obwohl er kaum der frührere Dominkanermönch Hans Vischer gewesen sein wird, der mit Michael →Gaismair in den Tiroler Bauernkrieg gezogen war. Über seine frühen Jahre ist kaum etwas bekannt. Er studierte von 1515 bis 1519 an der Universität in Wien und war danach höchstwahrscheinlich katholischer Priester. Während eines Verhörs in →Straßburg am 16. Mai 1529 gestand Bünderlin, dass er sich in →Augsburg der Glaubenstaufe unterzogen habe. Es gibt jedoch keinen konkreten Hinweis darauf, dass Hans →Denck ihn im Jahre 1526 getauft haben könnte, obwohl Ähnlichkeiten im Denken beider eine solche Vermutung nahe legen. Aus Augsburg kehrte er in seine Heimat in Oberösterreich zurück und diente ab 1526 als humanistisch gebildeter Sekretär und Prediger am Hofe des Bartholomäus von Starhemberg. Möglicherweise war er auch Vorsteher der dortigen Täufergemeinde. 1527 oder 1528 wurde er gezwungen, Linz zu verlassen und verbrachte einige Zeit in Nikolsburg am Hof Leonhard von Lichtensteins. Bald musste er auch Nikolsburg verlassen und könnte auf dem Weg nach Straßburg vielleicht Station in Passau gemacht haben.

Bünderlin traf Ende 1528 oder Anfang 1529 in Straßburg ein. Aussagen, die darauf hinweisen, dass er sich 1529 in Konstanz aufgehalten habe, haben einige Forscher zur Annahme geführt, er sei gleich nach seiner Ankunft aus Straßburg ausgewiesen worden. Einige sehen jedoch in Sebastian →Francks Bemerkungen über ihn im Brief an Johannes Campanus 1531 mehr als nur einen Hinweis darauf, dass Bünderlin noch als regulärer Besucher in der Stadt weilte. Wie lange er sich dort auch aufgehalten haben mag, war Bünderlin immerhin noch in der Lage, dort vier seiner Schriften in der Druckerei Balthasar Becks drucken zu lassen. Ein gemeyne Berechnung uber der heyligen schrifft innhalt (1529), Ausz was Ursach sich Gott in die nyder gelassen unnd in Christo vermenschet ist (1529), Ein gemayne einlayttung in den aygentlichen verstand Mosi und der Propheten (1529), Erklärung durch vergleichung der Biblischen geschrifft (1530). In den drei ersten Schriften legte er die Grundsätze seiner spiritualistischen Theologie dar, ohne die Aktivitäten der Täufer in Frage zu stellen. In der vierten Schrift aber forderte er deren Versuche direkt heraus, die Praxis der apostolischen Kirche, auch die Taufe, wieder beleben zu wollen. Auf diese Schrift antwortete Pilgram →Marpeck in der Clare verantwortung ettlicher Artickel (1531). Kurz danach antwortete Marpeck auf eine ähnliche Kritik, die von einem ehemaligen Täufer aus Mähren, Christian Entfelder, geäußert worden war. Die Auseinandersetzungen zwischen Marpeck, Entfelder und Bünderlin wurden gewöhnlich als Teile ein und derselben Kontroverse aufgefasst. Wir wissen auch, dass Bünderlin zwei Mal während Versammlungen in Straßburg in Haft genommen worden war, was darauf hinweist, dass zumindest Bünderlin noch als Täufer identifiziert worden sei.

Nachdem er Straßburg verlassen hatte, scheint Bünderlin eine weitläufige, nomadische Existenz geführt zu haben. In Konstanz wurde er zunächst wohlwollend empfangen und von Johannes Zwick, dem Reformator der Stadt, als ein Verbündeter gegen die Täufer angesehen, später aber wurde er wegen seiner unorthodoxen Ansichten aus der Stadt gewiesen. Da Bünderlin Kontakte zu Kaspar von →Schwenckfeld unterhielt, haben einige Forscher geschlossen, dass Bünderlin nach Schlesien gezogen sei und von dort aus weiter nach Preußen, obwohl Werner O. Packull zu bedenken gegeben hatte, dass Bünderlin in dieser Zeit auch nach Nikolsburg hätte zurückgekehrt sein können. 1531 nahm er an den Disputationen zwischen lutherischen und spiritualistischen Reformern in Preußen teil. Nach dem Sieg der Lutheraner 1532 musste er das Herzogtum verlassen. 1539 war Bünderlin in Ulm, wo er Schwenckfeld in dessen Konflikt mit der lokalen Geistlichkeit unterstützte. Der Stadtreformator Martin Frecht gab zu erkennen, dass Bünderlin die Stadt verlassen habe, um nach Memmingen oder Augsburg zu ziehen. Danach liegen seine Lebensumstände und Aktivitäten im Dunkeln.

Die Aufmerksamkeit, die Bünderlin entgegengebracht wurde, war besonders auf seine Kritik an den Täufern gerichtet worden, die von vielen Forschern als Aufnahme der Ansichten angesehen wurde, die Hans Denck einst geäußert hatte. Wie Denck glaubte auch Bünderlin, dass die Menschen mit einer geistlichen Quelle ausgestattet seien, die sowohl für die Erlösung als auch das richtige Verstehen des göttlichen Willens bedeutsam sei. Bünderlin hielt daran fest, dass Menschen zu geistlicher Freiheit bestimmt seien, aber gehindert werden, sie wegen ihrer Verhaftung mit der äußeren Welt zu erreichen. Die Schöpfung, die sie zu Gott führen sollte, führt sie stattdessen von ihm fort. Sogar die Schrift, nicht das Wort Gottes selbst, sondern das Zeugnis von diesem Wort, könne nach Bünderlin zu Götzendienst ermuntern.

Während Bünderlin zugesteht, dass es in jedem Alter solche Menschen gibt, die in der Lage sind, den göttlichen Willen mit geistlichen Augen wahrzunehmen, bestand er darauf, dass die große Mehrheit der Menschheit zu dieser Wahrnehmung durch äußere Zeichen geführt werden müsse. Oft aber sind solche Zeichen im Laufe der Geschichte für die originale Botschaft gehalten worden, die sie eigentlich nur vermitteln sollten. Trotzdem gelangt die Menschheit allmählich zu größerer geistlicher Reife. In diesem Prozess markiert die Inkarnation eine wichtige Entwicklungsstufe. Sie war beides: die letzte große leibliche Offenbarung und die Heraufkunft eines neuen Zeitalters mit wahrem geistlichem Gottesdienst. Wegen des transitorischen Charakters dieser Periode benötigte die apostolische Kirche eine äußere, leibliche Form als Konzession an ein noch „fleischliches Zeitalter“. Als Ergebnis waren ihre Zeremonien und Ordnungen, auch die Taufe, aber nur während der Lebenszeit der Apostel von Wert, und nach deren Tod wurden sie von ihren Nachfolgern korrumpiert.

Um wieder belebt zu werden, müssten solche Handlungen und Ordnungen eine neue göttliche Bestätigung erhalten, welche Bünderlin jedoch nicht kommen sah. Ohne eine neuerliche Bestätigung würden sie zu Trennungen und zu Sektiererei führen, wie er sie jetzt schon um sich herum beobachten konnte.

Der polemische Wortabschlag zwischen Bünderlin, Marpeck und Entfelder spielte in der Trennung von biblizistischen und spiriutalistischen Strömungen im süddeutschen Täufertum eine wichtige Rolle. Diese Auseinandersetzung half auch, die Grenzen zu klären, die das Täufertum vom Spiritualismus trennten, und so werden die Wurzeln von Marpecks Bruch mit Schwenckfeld gewöhnlich zu diesem Ereignis in Beziehung gesetzt. Wenn, wie einige Forscher vermuten, Schwenckfeld und Franck diese Debatte unmittelbar verfolgten oder sogar in sie verwickelt waren, könnte es schließlich für eine kurze Zeit so erschienen sein, als hätte der Spiritualismus eine feste konfessionelle Gestalt gesucht, obwohl die Hinweise auf einen zukünftigen Dissens unter den spiritualistischen Reformern in dieser Frage schon zu dieser Zeit in Erscheinung getreten waren.

Schriften

Ein gemayne Berechnung uber der heyligen schrifft innhalt, aus derselben natürlichen verstand (mit anzeygung jres missverstands grund und ursprung) eynzuleyten, durch etlicher puncten gegensatz erklärung, dabey man die anderen, so vilfältig in der schrifft verfasst seind auch abnemen mag. Strassburg, 1529. - Ausz was Ursach sich Gott in die nyder gelassen unnd in Christo vermenschet ist, durch welchen, und wie er des menschens fall in jm selbs durch den gesandten Messiah versünet, und widerpracht hat. Strassburg, 1529. - The Reasons Why God Descended and Became Man in Christ, Through Whom, and How, He Atoned for and Restored Man's Fall and Man Himself through the Messiah Whom He Sent. Claude R. Foster, Jr.,and Wilhelm Jerosch, eds. and trans, in: Mennonite Quarterly Review 42, 1968, 260–284. - Ein gemayne einlayttung in den aygentlichen verstand Mosi, und der Propheten, Wie mann sie lesen, unnd jre Allegorien mit dem Newen Testament vergleichen unnd ausslegen soll. Strassburg 1529. - Erklärung durch vergleichung der Biblischen geschrifft, das der wassertauff sampt andern eusserlichen gebreüchen, in der Apostolischen kirchen geübet. On Gottes befelch und zeügniss der geschrifft, von etlichen diser zeit, wider eefert [eingeführt] wirt. Sintemalen der Antichrist dieselben all, zehand nach der Apostel abgang verwüst hat.Welche Verwüstung dann biss an das ende bleibt. o.O. 1530. - Hans-Joachim Köhler, u.a. in: Early Modern Pamphlets: Sixteenth-Century German and Latin 1501–1530, Leiden, 1980 ff. Fiche 1167–1168, Nr. 246.

Literatur

Paul Brand, Standing still or running on? Reconsidering rhetoric in the Strasbourg Anabaptist-Spiritualist debates of 1530–1531, in: Journal of Ecclesiastical Historyim Druck). - Geoffrey Dipple, The Spiritualist Anabaptists, in: John D. Roth and James M. Stayer (Hg.), A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521–1700, Leiden and Boston 2007, 257–297. - Claude R. Foster, Jr. , Hans Denck and Johannes Buenderlin. A Comparative Study, in: Mennonite Quarterly Review 39, 1965, 115–294. - Claude R. Foster, Jr., Johannes Bünderlin, in: Max Steinmetz and Gerhard Brendler (Hg.), Weltwirkung der Reformation Berlin 1969, Bd. I: 263–271. - Ulrich Gäbler, Zum Problem des Spiritualismus im 16. Jahrhundert. Das Glaubensverständnis bei Johannes Bünderlin, in: Theologische Zeitschrift 29, 1973, 334–44. - Ulrich Gäbler, Johannes Bünderlin von Linz (vor 1500 bis nach 1540). Eine biographische Skizze, in: Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 96, 1980, 355–370. - Ulrich Gäbler, Johannes Bünderlin, in: André Séguenny (Hg.), Bibliotheca Dissidentium. Répertoire des non-conformistes religieux des sezième et dix-septième siecles, Bd. 3: Johannes Bünderlin, Wolfgang Schultheiss, Theobald Thamer, Baden-Baden 1982, 9–42. - James MacLean, Jean Buenderlin, theoricien du christianisme non-institutionnel, in: Revue d'Histoire et de Philosophie Religieuses 57, 1977, 153–66. - Alexander Nicoladoni, Johannes Bünderlin von Linz und die oberösterreichischen Täufergemeinden in den Jahren 1525–1531, Berlin 1893. - Werner O. Packull, Mysticism and the Early South German-Austrian Anabaptist Movement 1525–1531, Scottdale, PA,1977.

Geoffrey Dipple

 
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