Straßburg (Strasbourg)

Kaum eine Reichsstadt der Reformationszeit war für die Geschichte des Täufertums so bedeutend wie Straßburg. Zwar brachte die elsässische Metropole an der Ill keine autochthone Täuferbewegung (→Täufer) hervor, sie diente aber so vielen Täuferführern als vorübergehende Zufluchtsstätte und wurde so unterschiedlichen Täufergruppen zur langfristigen Heimat, wenn auch oft nur im Untergrund, dass sie zu Recht als ein Mittelpunkt der Bewegung bezeichnet werden kann.

1. Vor- und frühreformatorische Situation

Im Laufe des Mittelalters wurde Straßburg zu einer aufstrebenden, selbstbewussten Stadt, deren Bürger ihren Bischof 1262 politisch entmachteten und 1358 die Reichsunmittelbarkeit („freie Stadt“) erlangten. Handwerkerzünfte bildeten die Grundeinheit der Stadt und verdrängten zunehmend den Adel aus den führenden Positionen der Stadtregierung. Letztere bestand aus einem Rat und drei Kommissionen. Zwei Drittel der Mitglieder aller vier Gremien wurden aus den Zünften gewählt, ein Drittel aus dem Adel (Constofler). Straßburg war bürgerrechtlich eine bemerkenswert offene Stadt, die es jedem Fremden gegen eine geringe Gebühr erlaubte, ein „Schultheißenbürger“ ohne Wahlrecht, aber mit Anspruch auf Stadtalmosen zu werden. Der Rat war für seine tolerante Haltung gegenüber Andersgläubigen bekannt. Darüber hinaus war die elsässische Reichsstadt ein Zentrum des oberrheinischen Humanismus, vor allem auch mit den Bußpredigten Geiler von Kaysersbergs und dem Narrenschiff Sebastian Brants sowie mit antiklerikal-reformerischen Aktivitäten, ebenso als ehemaliger Wirkungsort Johannes Gutenbergs und bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts Sitz ungewöhnlich vieler Druckereien. Alle diese Faktoren machten Straßburg zu einem günstigen Umschlagplatz für neue Ideen und später zu einer anziehenden Zufluchtsstätte für auswärtige Täufer.

Spätestens ab 1521 wurde in Straßburg reformatorisch gepredigt, am wirkungsvollsten predigte der Leutpriester Matthäus Zell von der St. Lorenz-Kanzel am Münster. Ende 1523 heirateten Zell und einige andere Geistliche in aller Öffentlichkeit, um durch diesen demonstrativen Rechtsbruch die geistliche Jurisdiktion des Bischofs herauszufordern. Im Laufe des Jahres 1524 gelang es den Anhängern der Reformation, evangelische Prediger in den wichtigsten Pfarrkirchen der Stadt gegen den Widerstand des Bischofs und der verschiedenen Stiftskapitel einzusetzen. Zwei Prädikanten, Martin →Bucer (seit 1524 an St. Aurelien, von 1531 bis 1549 an St. Thomas) und Wolfgang →Capito (von 1524 bis 1541 an Jung-St. Peter), sollten sich bald mit der späteren Täuferbewegung besonders intensiv auseinandersetzen. Ein kurzer Aufenthalt Andreas →Karlstadts im Oktober 1524 sorgte für die Verunsicherung der Straßburger Prediger im Verständnis der Kindertaufe und des Abendmahls. Wenn auch die Prediger als Konsequenz dieses Besuches zunächst zu Ulrich →Zwinglis Auffassung einer geistlichen Präsenz Christi im Abendmahl neigten und sich von Martin →Luther entfremdeten, werden sie sich in den kommenden Jahren bemühen, zwischen Zürich und Wittenberg zu vermitteln. Die Kindertaufe, so konnten die Straßburger Prediger im November 1524 an Martin Luther schreiben, sei weder mit der Schrift noch mit dem Brauch der Urkirche zu begründen. Dennoch wollten sie diese Praxis beibehalten, solange ihr die Unterweisung im Glauben folge. Dieser scheinbar offene Zustand des Straßburger Bekenntnisses schuf eine für theologische Außenseiter wie die Täufer durchaus günstige Atmosphäre.

2. Auseinandersetzungen mit Täufern

Nach der Niederschlagung des elsässischen Bauernaufstandes im Mai 1525 traf eine Welle von Flüchtlingen in Straßburg ein. Viele ließen sich einbürgern. Möglicherweise rekrutierte sich die spätere Täuferbewegung in der Stadt auch aus diesem sozialen Reservoir. Täuferisches Gedankengut trat erstmals im Juli 1525 in Straßburg in Erscheinung, als der in Waldshut wirkende Prediger Balthasar →Hubmaier seine Schrift Von dem Christenlichen Tauff der gläubigen hier drucken ließ. Diese Veröffentlichung veranlasste Bucers und Capitos erste, durch und durch ablehnende Stellungnahmen zur Täuferbewegung. Nach ihrem Verständnis war die Wassertaufe nur ein äußerliches Zeichen. Heilsbedeutung kam allein der Geisttaufe zu, denn „es bindt gott sein gnad nit an wasser“. Dieselbe spiritualisierende Tendenz, aus der heraus die Straßburger Prediger sich von Luthers Hervorhebung der äußeren Sakramente distanzieren mussten, begründete auch ihre Ablehnung der täuferischen Forderung nach einer Glaubenstaufe (→Taufe).

Im Jahr 1526 begann ein Zustrom von auswärtigen, Zuflucht suchenden Täuferführern, der in den kommenden Jahren nicht abreißen sollte, wenn auch viele von ihnen nur kurze Zeit blieben. Im Frühjahr trafen der aus Waldshut geflohen Wilhelm →Reublin sowie ein aus dem elsässischen Benfeld stammender Laienprediger namens Hans Wolff ein. Ende des Jahres waren es u. a. der aus Augsburg vertriebene Hans →Denck, der bisher im Zürcher Landgebiet missionierende Michael →Sattler, der bei Oekolampad in Basel nicht mehr willkommene Ludwig →Hätzer und der aus Waldshut ausgewiesene Jakob Groß. Hinzu kam der Spiritualist Martin Cellarius, der ab 14. November 1526 sogar bei Capito wohnte. Zum Leidwesen Bucers fand Capito Gefallen an den spiritualistischen Ansichten seines Gastes, welcher auch noch behauptete, Denck von seinen Meinungsverschiedenheiten mit den Straßburger Prädikanten inzwischen abgebracht zu haben. Bucer dagegen veranstaltete eine Disputation mit Denck am 22. Dezember 1526 in der ehemaligen Dominikanerkirche vor bis zu 400 Zuhörern, um das Gegenteil zu beweisen. Obwohl sein Versuch, Denck der Irrlehre zu überführen, misslang, konnte Bucer den Rat bewegen, diesen Täufer am Weihnachtstag 1526 aus Straßburg auszuweisen.

Michael Sattler verweilte wohl nur kurze Zeit in Straßburg, doch es muss ein intensiver Gedankenaustausch zwischen ihm und den Prädikanten stattgefunden haben. Dies bezeugt der Abschiedsbrief, den Sattler wohl Ende 1526 oder Anfang 1527 an „sinen geliebten brüderen jnn gott Capitoni vnd Bucero“ gerichtet hat. Diese nüchterne, von einem ausgeprägten Dualismus und einem stark ethischen Biblizismus gekennzeichnete Darlegung des Glaubens stellt ein klassisches Zeugnis täuferischer Theologie dar. Über Lahr führte Sattlers Weg nach Schleitheim, wo er maßgeblich an der Abfassung der →Brüderliche(n) Vereynigung etzlicher kinder Gottes (Schleitheimer Bekenntnis) beteiligt war, und abschließend nach Horb am Neckar, wo er von den vorderösterreichischen Behörden verhaftet und am 21. Mai 1527 grausam hingerichtet wurde. Capitos nur vier Tage später geschriebener Brief an den Bürgermeister und den Rat der Stadt Horb dokumentiert eindrucksvoll seine Haltung gegenüber den Täufern. Zwar lehnt Capito das Taufverständnis Sattlers und dessen ethischen Rigorismus eindeutig ab, lobt aber Sattlers „dreflichen eyfer zu eren gottes vnd der gemein Christi“ und verbürgt sich für seine Rechtgläubigkeit. Hart ins Gericht geht Capito mit denjenigen, die Sattler hingerichtet haben, denn dessen Bitte, über seinen angeblichen Irrtum vorher unterrichtet zu werden, hätte entsprochen werden sollen. Und wo keine Gotteslästerung vorläge, was bei Sattler eindeutig der Fall war, habe die Obrigkeit ohnehin keine Befugnis, gegen Irrende im Glauben vorzugehen. Seine Empfehlung zum Umgang mit Täufern war: „Dise syn als brüder vnd mitgelidder ze lieben, als die blöden [= schwachen] zärtlich zu halten, als unwyssente mit sennftem gemiet der warheit wyssend ze machen“. Auch Bucer sollte Sattler später als „eyn lieber frundt Gots“ und „eyn marterer Christi“ bezeichnen.

Nach dem Weggang Sattlers und der Ausweisung Dencks folgte im Frühjahr 1527 Hätzer den Fußstapfen Dencks nach Worms. Dort missionierten Denck und Hätzer im täuferischen Sinne, gewannen Jakob Kautz für ihre Sache und riefen zu einer Disputation über sieben Artikel auf. Bucer war über dieses Vorhaben derart alarmiert, dass er eigens eine Getrewe Warnung der Straßburger Prediger dagegen veröffentlichte.

Doch die spiritualistischen Neigungen Dencks – der maßgebliche Verfasser der Artikel – machten es Bucer schwer, eine theologische Angriffsfläche zu finden. Bezüglich der Wertschätzung der Heiligen Schrift meinte Bucer seinen täuferischen Gegnern auf jeden Fall vorwerfen zu können, dass sie den Geist an die Schrift binden wollten. Auch Dencks unbedingte Einbindung der Nachfolge Christi in das Heilsgeschehen kritisierte Bucer als Aushöhlung des Sühnetodes Christi. Letztlich aber griff Bucer auf tendenziell spiritualistische Auffassungen zurück, um gegen die Täufer zu argumentieren: Christus, Paulus und die Apostel „machen alle eusserliche ding frey“, die Täufer dagegen „lassen nicht Christen sein, der nicht widerteuffet werde“.

Bucer äußerte sich zum Täufertum nicht nur auf dem Wege aktueller publizistischer Stellungnahmen, sondern auch indirekt in biblischen Kommentaren oder theologischen Abhandlungen zu anderen Themen. So kam er bereits im Juli 1526 im Vorwort seiner lateinischen Übersetzung der Postille Luthers auf die Täufer zu sprechen. Unter Hinweis auf 1.Tim 1,5 („Die Hauptsumme des Gebotes ist die Liebe“) kritisierte er den Biblizismus und die rigoristische Ethik der Täufer. Durch ihre wörtliche Anwendung der Bergpredigt verlören sie die Hauptregel der Liebe aus den Augen, denn schließlich verpflichte die Nächstenliebe einen Christen, das Gemeinweisen mit Waffengewalt zu schützen. Die Kindertaufe blieb für ihn als Zeichen der Aufnahme in die „externa Dei ecclesia“ unentbehrlich, wenn auch diese mit der Gemeinschaft der Erwählten nicht deckungsgleich war. Die äußere Volkskirche gewann an Bedeutung als unentbehrlicher institutioneller Rahmen der Gemeinschaft der Auserwählten.

Der Straßburger Rat, der den Bitten der Prediger nach einem strengeren Vorgehen gegen Glaubensabweichler bisher eher zögerlich nachkam, rang sich dazu durch, am 27. Juli 1527 sein erstes Mandat gegen die Täufer zu erlassen, das er am 24. September 1530 erneuerte. Dieses Mandat, das allen Untertanen Straßburgs verbot, täuferischer Lehre anzuhängen oder Täufern Unterschlupf zu gewähren, blieb bei der vorgesehenen Strafe ausgesprochen vage: „Denn welcher das nitt thäte, […] den […] wöllen wir […] vngestrafft nitt lassen."

In der Zwischenzeit riss das Eintreffen von Zuflucht suchenden Täuferführern nicht ab; viele hinterließen eine Gefolgschaft mit eigener theologischer Prägung. Am 9. September 1528 erwarb der ehemaliger Tiroler Bergrichter Pilgram →Marpeck das Straßburger Bürgerrecht, wurde aber bereits am 22. Oktober 1528 zusammen mit Wilhelm →Reublin (der die Hinrichtung Sattlers in Horb miterlebte, danach in Esslingen wirkte, bis er von dort vertrieben wurde) und dem inzwischen aus Worms ausgewiesenen Jakob Kautz verhört. Im Mai 1529 traf der schlesische adlige und spiritualistische Laienprediger Kaspar →Schwenckfeld von Ossig in Straßburg ein, nachdem er sich wegen des Abendmahlsverständnisses mit Luther überworfen und die Sakramentshandlungen der Amtskirchen zu meiden empfohlen hatte. Im Juni 1529 suchte Melchior →Hoffman, ein aus Schwäbisch Hall stammender Kürschner, der eine bewegte Laufbahn als Laienprediger in Livland, Stockholm, Lübeck und Ostfriesland hinter sich hatte, vorübergehend Zuflucht in Straßburg. Er wurde von den prophetischen Gesichten Ursula →Josts und Barbara Rebstocks, den sogenannten Straßburger Propheten, angezogen, suchte den Kontakt zu Anhängern Hans →Huts sowie zu Kaspar von Schwenckfeld und bildete ein apokalyptisches und prophetisch-visionär eingefärbtes Täufertum eigener Art aus. Nicht die friedfertigen Bundesgenossen, die er durch die Taufe zusammenschloss, sondern die Reichsstädte, voran Straßburg, sollten den militärischen Kampf gegen Kaiser, Papst und Irrlehrer anführen. Die Obrigkeit widersetzte sich diesem Plan, ebenso der Forderung Hoffmans nach einer eigenen Kirche in der Stadt, und wies ihn 1530 aus. Er floh nach Ostfriesland, kehrte aber bald zurück und wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.

Es wird geschätzt, dass sich um 1529 bis zu 500 Täufer bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 20.000 Einwohnern in Straßburg aufhielten, 80 % von ihnen waren auswärtiger Herkunft. Vermutlich war die älteste Täufergemeinde eine dem Biblizismus und Pazifismus Konrad →Grebels verpflichtete Gruppe unter der Führung Reublins und später Marpecks. Eine weitere Gemeinde bestand wohl aus Anhängern Hans Dencks und wurde bis 1532 von Jakob Kautz geführt. In loser Verbindung mit dieser Gemeinde standen die Anhänger Melchior Hoffmans. Diese wurden allerdings 1538 von Johannes Eisenburg und Peter Tasch – ehemaligen Melchioriten, die in die Volkskirche zurückgefunden hatten – durch die falsche Nachricht getäuscht, Hoffman habe seine Lehren widerrufen, und zum Abfall vom Täufertum verführt.

Jede einzelne dieser täuferischen und spiritualistischen Richtungen forderte Bucer zu grundlegenden theologischen Stellungnahmen heraus. Sehr intensiv befasste er sich im Winter 1531/1532 mit Pilgram Marpeck, verfasste eine Replik auf dessen täuferisches Glaubensbekenntnis und erzwang dessen Weggang aus Straßburg in den ersten Monaten des Jahres 1532. Ein zentraler Streitpunkt mit Marpeck war das Verhältnis der beiden biblischen Testamente zueinander: Während Marpeck einen unüberbrückbaren heilsgeschichtlichen Unterschied zwischen Altem und Neuem Bund postulierte, behauptete Bucer, dass sowohl Altes wie auch Neues Testament von einem einzigen, gleichbleibenden Bund handeln, den Gott bereits mit Abraham geschlossen hatte. Dieser Bund besaß uneingeschränkte Gültigkeit, wenngleich er nach dem Kommen Christi deutlichere Konturen annahm.

Die Auseinandersetzung mit der monophysitischen Christologie Melchior Hoffmans, der Vorstellung vom sündlosen Fleisch Jesu Christi, und der spiritualistischen Ekklesiologie Kaspar von Schwenckfelds machte Bucer zu einem Tagesordnungspunkt der Synode vom Juni 1533 und verfasste gegen beide eine Reihe von Schriften. Hoffman war schon vorher festgenommen worden und blieb bis zu seinem Tod 1543 in Straßburger Haft.

Aber auch die Erfolge des Täufertums außerhalb Straßburgs erregten die Aufmerksamkeit Bucers und forderten seine theologische Reflexion heraus. Auf einen Brief des zum Täufertum konvertierten Münsteraner Predigers Bernd →Rothmann antwortete er mit einer grundlegenden lateinischen Abhandlung gegen täuferisches Taufverständnis (Quid de baptismate infantium sentiendum, Dezember 1533) und auf die zeitgleichen Entwicklungen in Münster reagierte er mit einer systematischen Darlegung seines Sakramentsverständnisses (Bericht aus der heiligen Schrift, März 1534). Im Herbst 1538 reiste Bucer eigens nach Hessen, um mit dortigen Täufern, z. B. auch Peter Tasch, zu diskutieren. Bei diesen Gesprächen stellte sich als Hauptstreitpunkt der Täufer nicht die Frage der Kindertaufe, sondern der in den Kirchen fehlenden Disziplin. In dieser Frage gab Bucer den Täufern Recht und bekräftigte, dass der Bann zum Bestehen einer Kirche unentbehrlich sei („Nu mag kein kirch sein, sie muß ein ban haben“).

3. Aufnahme täuferischer Anregungen in der Straßburger Reformation

Doch auch die Erfahrungen der in Straßburg weilenden Täufer gaben Anlass zu grundlegenden theologischen Stellungnahmen. Eine der eindrucksvollsten ist die schriftliche Erklärung des Tiroler Täufers Leopold Scharnschlager an den Straßburger Rat vom 16. Juni 1534, in der er unter ausdrücklicher Berufung auf Luthers Von weltlicher Obrigkeit den Rat daran erinnerte, dass der christliche Glaube vollkommen freiwillig sein müsse und dass die weltliche Obrigkeit in Glaubensfragen über keine Autorität verfüge. Die Täufer begegneten dem reformatorischen Straßburg nicht nur in der Gestalt von Martin Bucer und Wolfgang Capito. Vor allem Katharina Schütz Zell, die Ehefrau des Münsterpfarrers Matthäus Zell, erwies sich, wenn nicht als Anhängerin, so doch als verständnisvolle Gastgeberin geflohener Täufer und Kaspar von Schwenckfelds, was ihr später Kritik und Häme seitens der Straßburger evangelischen Kirchenführung einbrachte.

Die Reihe berühmter Täufer, deren Weg nach Straßburg führte, wird von David →Joris abgeschlossen, dessen kurze Straßburger Aufenthalte um Pfingsten 1535, vor August 1536 und Ende Juni 1538 überliefert sind und dessen spiritualistische Auffassungen von den Straßburger Reformatoren mit großen Argwohn zur Kenntnis genommen wurden.

Die Bedeutung Straßburgs für die Täufergeschichte erschöpft sich nicht in der Agitation damaliger Täufer. Dazu zählt auch die Aufnahme täuferischer Anregungen durch Martin Bucer, etwa seine Einführung der Konfirmation als Entsprechung zur täuferischen Glaubenstaufe oder die Errichtung von ethisch verbindlichen Gemeindestrukturen am Ende seiner Straßburger Wirksamkeit gegen den Widerstand des Rates. John Howard →Yoder spricht von einem „Bucer de la cité théocratique“ und einem „Bucer de la discipline fraternelle“, im zweiten Fall von einem ekklesiologischen Ansatz, der den Täufern nahesteht und anders als in Bucers Reformationspolitik erstmals in der französischen Flüchtlingsgemeinde in Straßburg umgesetzt wurde. Eine Fortsetzung fand er in presbyterial und kongregationalistisch verfassten Kirchen. Auch solche Ansätze begründen im weitesten Sinne die Relevanz Straßburgs für das Täufertum.

4. Nachreformatorische Bedeutung Straßburgs für das Täufertum

Unter den Namen „Straßburger Konferenzen“ versteht man eine Reihe von freilich äußerst dürftig bezeugten und sehr heterogenen Zusammenkünften meistens auswärtiger Täufer in Straßburg zwischen 1554 und 1592. Eine erste Konferenz im März 1554 ist lediglich aus einem knappen Eintrag in den Ratsprotokollen bekannt und soll bis zu 600 Täufer zusammengebracht haben. Nur ein Jahr später soll eine zweite, von melchioritischen Täufern einberufene Konferenz zur Disputation mit anderen Täufern über die Menschwerdung Christi stattgefunden haben. 1557 trafen sich fünfzig Älteste und Prediger aus der Schweiz und dem gesamten süddeutschen Raum vom Elsass bis Mähren, um sich über die Erbsünde und den Bann auszutauschen. Diese wohl in Reaktion auf einen Brief von Menno →Simons zusammengerufene Konferenz richtete zum Abschluss ein versöhnliches Schreiben an den holländischen Täuferführer. Menno lehnte diese Versöhnungsgeste jedoch 1559 ab. Die vierte, 1568 stattfindende Konferenz ist nur aufgrund der durch sie zustande gekommenen „Abrede und Verordnung der Diener und Eltesten“ bekannt. Dieses Bekenntnis gilt als die älteste nach dem Schleitheimer Bekenntnis erhaltene Täuferordnung und wirkte bis in den 17. Jahrhundert hinein nach. Als fünfte Konferenz ist eine „allgemeine Versammlung der Ältesten und Diener vieler Länder“ überliefert, die sich auf Ersuchen einer sozinianischen Delegation aus Polen 1592 in Straßburg trafen, um christologische Fragen zu erörtern.

5. Mennonitisches Gemeindeleben in Straßburg bis zur Gegenwart

Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert sind nur sporadische Zeugnisse täuferischen und mennonitischen Gemeindelebens in Straßburg selbst sowie in seinen Vororten Robertsau (Rupprechtsau) und Neudorf überliefert. Diese Gemeinden speisten sich aus derselben Auswanderungsbewegung aus der Schweiz, die Ende des 17. Jahrhunderts zur Gründung so vieler mennonitischer Gemeinden in der Vorderpfalz und Rheinhessen geführt hatte. Mutmaßliche Spuren einer mennonitischen Gemeinde in Straßburg verloren sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Von 1954 an betreute der Reiseprediger Willy →Peterschmitt in Straßburg lebende mennonitische Familien. Anfang der 1970er Jahre gab es aufgrund des Zuzugs vieler Familien einen Neuansatz zur Gründung einer Gemeinde, die schließlich 1978 erfolgte. Es wurde ein Haus an der Rue Wimpheling Nr. 23 gekauft, in welchem ein Studentenwohnheim („Foyer Michaël Sattler“), Gemeinderäume und eine Pastorenwohnung eingerichtet wurden. Als Pastoren dieser Gemeinde dienten hintereinander Michel Klopfenstein, Robert Gillet, Michel Sommer, Pascal Keller und zuletzt Geneviève Toilliez. 2012 zog die Gemeinde in größere Räumlichkeiten an der Rue de l'Industrie Nr. 32 in Illkirch um, einem südlichen Vorort, der bereits 1540 den Straßburger Täufern als heimlicher Treffpunkt diente.

Quellen

Die Quellen zur Geschichte der Täufer in Straßburg und im Elsass sind von Jean (Hans Georg) Rott mustergültig ediert worden. Es handelt sich um: Quellen zur Geschichte der Täufer, Bd. 7: Elsaß, 1. Teil: Stadt Straßburg 1522–1532, hg. v. Manfred Krebs und Hans Georg Rott, Gütersloh 1959. - Bd. 8: Elsaß, 2. Teil: Stadt Straßburg 1533–1535; hg. v. Manfred Krebs und Hans Georg Rott, Gütersloh 1960. - Bd. 15: Elsaß, 3. Teil: Stadt Straßburg 1536–1542, hg. v. Marc Lienhard, Stephen F. Nelson und Hans Georg Rott, Gütersloh 1986. - Bd. 16: Elsaß, 4. Teil: Stadt Straßburg 1543–1552, hg. v. Marc Lienhard, Stephen F. Nelson und Hans Georg Rott, Gütersloh 1988. − Die wichtigsten Stellungnahmen Bucers zum Täufertum sind in der 2016 abgeschlossenen Reihe Martin Bucers Deutsche Schriften kritisch ediert: etwa die „Getrewe Warnung“ gegen Jakob Kautz (Bd.2, Gütersloh 1962, 225–258), die „Handlung“ gegen Melchior Hoffman (Bd. 5, Gütersloh 1978, 43–107), der „Bericht aus der Heiligen Schrift“ gegen die Münsteraner Täufer (ebd. 109-258) - Bd. 14 der Reihe, Gütersloh 2011, ist gänzlich Bucers Auseinandersetzung mit dem Täufertum gewidmet und enthält u. a. seine Replik auf Pilgram Marpecks Glaubensbekenntnis (46–247) sowie die Taufschrift gegen Bernd Rothmann („Quid de baptismate infantium sentiendum“, 370–342).

Literatur

Lorna Jane Abray, The People's Reformation. Magistrates, Clergy and Common in Strasbourg 1500–1598, Oxford 1985. - Stephen E. Buckwalter, Die Stellung der Straßburger Reformatoren zu den Täufern, in: Mennonitische Geschichtsblätter 52, 1995, 52–84. - Amy Nelson Burnett, Martin Bucer and the Anabaptist Context of Evangelical Confirmation, in: Mennonite Quarterly Review, 68, 1994, 95–122. - Klaus Deppermann, Melchior Hoffman. Soziale Unruhen und apokalyptische Visionen im Zeitalter der Reformation, Göttingen 1979, 139–193. - John D. Derksen, From Radicals to Survivors: Strasbourg's Religious Nonconformists over Two Generations; 1525–1570, 't Goy-Houten 2002. - Ders., Nonviolent Political Action in Sixteenth-Century Strasbourg: The Ziegler Brothers, in: Mennonite Quarterly Review 78, 2004, 543–556. - Ders., Voice, Leadership, and Influence Among Spiritualist and Anabaptist Women in Strasbourg, 1525–1570, in: Mennonite Quarterly Review 88, 2014, 423–450. - Camill Gerbert, Geschichte der Straßburger Sektenbewegung zur Zeit der Reformation 1524–1534, Straßburg 1889. - Abraham Hulshof, Geschiedenis van de Doopsgezinden te Straatsburg van 1525 tot 1557, Amsterdam 1905. - Henry G. Krahn, An Analysis of the Conflict between the Clergy of the Reformed Church and the Leaders of the Anabaptist Movement in Strasbourg (1524–1534), Diss. phil. masch., University of Washington, Seattle 1969. - Ders., Martin Bucer's Strategy against Sectarian Dissent in Strasbourg, in: Mennonite Quarterly Review, 50, 1976, 163–180. - Robert Kreider, The Anabaptists and the Civil Authorities of Strasbourg, 1525–1555, in: Church History 24, 1955, 99–118. - Marc Lienhard, Religiöse Toleranz in Straßburg im 16. Jahrhundert, Stuttgart 1991, 1–38. - Hans -Werner Müsing, The Anabaptist Movement in Strasbourg from early 1526 to July 1527, in: Mennonite Quarterly Review 51, 1977, 91–126. - Ders., Karlstadt und die Entstehung der Straßburger Täufergemeinde, in: Marc Lienhard (Hg.), The Origins and Characteristics of Anabaptism. Les Débuts et les caractéristiques de l'Anabaptisme. Proceedings of the colloquium organized by the Faculty of Protestant Theology of Strasbourg. Actes du colloque organisé par la Faculté de Théologie Protestante de Strasbourg (20 – 22 February/Février 1975), Den Haag 1977, 169–195. - John S. Oyer, Bucer and the Anabaptists, in: Christian Krieger und Marc Lienhard (Hg.), Martin Bucer and Sixteenth Century Europe. Actes du colloque de Strasbourg (28–31 août 1991), Bd. 2, Leiden, New York und Köln 1993, 603–613. - Ders., Bucer opposes the Anabaptists, in: Mennonite Quarterly Review 68, 1994, 24–50. − Freddy Raphaël, Juifs et mennonites en Alsace, in: Les anabaptistes mennonites d'Alsace : destin d'une minorité (Saisons d'Alsace 76), Straßburg 1981, 77–104. - Jean Rott und Stephen F. Nelson, Straßburg – die Täuferstadt im 16. Jahrhundert, in: Mennonitisches Jahrbuch 1984, 31–40 (englische Fassung in: Mennonite Quarterly Review 58, 1984, 230–240) - John Howard Yoder, A la recherche du Bucer de l'histoire, in: Bulletin de la Société de l'Histoire du Protestantisme Française, 122, Nr. 4, 1976, 490–506.

Stephen E. Buckwalter

 
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