Mennoniten-Brüdergemeinde

1. Entstehung

Der Name „Mennoniten Brüdergemeinde“ (MBG) geht auf die Entstehung dieser Gemeinde in den mennonitischen Dörfern der Ukraine zurück. Der Begriff „Brüder“ ist geschlechtsneutral zu verstehen und brachte die Zugehörigkeit von Männern und Frauen zu dieser neuen Gemeinschaft zum Ausdruck.

Die Wurzeln des Glaubens gehen auf das 16. Jahrhundert zurück: die schweizerischen, niederländischen und norddeutschen Täufergruppen (→Täufer). Der Name „Mennoniten“ leitet sich von dem aus Westfriesland/Niederlande stammenden und ehemals katholischen Priester Menno →Simons (1496–1561) ab, der nach seiner Bekehrung insbesondere die Täufer im norddeutsch-niederländischen, aber auch aus dem schweizerischen und oberdeutschen Gebiet um sich gesammelt und stark im Sinne einer Friedenskirche beeinflusst hat (→Mennoniten). Die schweren Verfolgungen, denen die Mennoniten sowohl seitens der weltlichen Obrigkeiten wie auch der Kirchen ausgesetzt waren, begünstigten die Verbreitung der Bewegung in verschiedenen europäischen Ländern. Eine der größten Gruppen ließ sich in Danzig und →Westpreußen nieder, und hauptsächlich von dort folgten nach der Verschlechterung der Lebensbedingungen zwischen 1788 bis 1861 viele Mennoniten dem großzügigen Angebot Katharinas II., in der Ukraine (Chortitza und Molotschna) zu siedeln und später auch Kolonien an der Wolga, in Sibirien, der Krim und anderswo zu gründen (→Russland). Nach großen Anfangsschwierigkeiten und Armut gelang es ihnen, zu Wohlstand zu gelangen und ein reges Gemeindeleben aufzubauen. Letzteres hielt aber nicht lange an. Durch den Einfluss frommer lutherischer und baptistischer Prediger (Eduard Wüst und Johann Gerhard Oncken) brach eine geistliche Erweckung aus (→Baptismus). Am 6. Januar 1860 kam es in der Kolonie Molotschna zur Trennung von achtzehn „Brüdern“ und ihren Familien von den „kirchlichen“ Mennoniten. Dies war die Geburtsstunde der „Mennoniten Brüdergemeinde“, die sich in der Folgezeit weiter ausbreitete. Besonders wichtig war, dass hier das Erweckungserlebnis vor der Taufe gefordert wurde, das zu einem Zeichen einer lebendigen, jeder äußerlichen Verkirchlichung entgegenwirkenden Gemeinschaft wurde. Die Taufe wurde als Untertauchtaufe praktiziert (→Taufe).

2. Glaubensbekenntnis

Das erste Glaubensbekenntnis aus dem Jahr 1902 entstand aus biblischen, täuferisch-mennonitisch geprägten Überzeugungen und lehnte sich an das baptistische Bekenntnis von 1856 an. Dieses Glaubensbekenntnis wurde in den USA einer Revision unterzogen, 1985 ins Deutsche übersetzt und Jahrzehnte lang von der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Brüdergemeinden (AMBD) und vielen Gemeinden als Glaubens- und Lehrgrundlage verwendet.

Einhundert Jahre nach der Annahme des ersten MBG-Glaubensbekenntnisses wurde von Theologen des Internationalen Komitees (ICOMB) der erste Entwurf des Bekenntnisses für die weltweite Bruderschaft vorgelegt (http://www.icomb.org/wp-content/uploads/2016/03/conf_of_faith_german.pdf). Dieses Bekenntnis wurde 2005 offiziell angenommen, in mehrere Sprachen übersetzt und um einen speziell dazu verfassten Leitfaden ergänzt.

3. Theologische Ausbildung

Nach unfreiwilliger Schließung der letzten mennonitischen Bibelschule auf der Krim im Jahr 1924, was politisch gewollt und praktisch durch die fast geschlossene Auswanderung der Lehrerschaft nach Kanada erfolgt war (dieselben Lehrer eröffneten das Winkler Bible Institute, Manitoba), wurde vorerst keine offizielle theologische Ausbildung an Bibelschulen angeboten. Wohl aber existierte unter der Leitung von David →Pätkau eine von den Behörden nicht genehmigte Bibelschule in Orenburg in den Jahren 1923–1926. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielten einige Mennoniten brüderlicher Prägung ihre theologische Schulung an der Fernschule in Moskau.

Zur Gründung der ersten Tagesbibelschule der Nachkriegszeit 1990 in Beloretschensk, Südrussland, trugen die (mennonitischen) Mitarbeiter von LOGOS Int. wie Johannes Reimer, Andrej Rempel, Peter Penner, Jakob Heidebrecht und Heinrich Klassen maßgeblich bei. Heute ist diese Schule als St. Petersburger christliche Universität bekannt (http://spbcu.ru/en).

In Deutschland wird der theologische Nachwuchs im Rahmen von Gemeinde-Abendbibelschulen, an dem vom Bund Taufgesinnter Gemeinden (https://btg-online.d) 1993 eigens dafür gegründeten Bibelseminar Bonn (http://bsb-online.de) und an diversen Bibel- und Hochschulen Europas ausgebildet.

4. Gemeindegründung und Zusammenschlüsse

Seit Ende des Zweiten Weltkriegs und des politisch gewollten und vom Staat anerkannten Zusammenschlusses der Evangeliumschristen und Baptisten in der Sowjetunion schlossen sich viele ehemaligen Mitglieder der MBG diesen Gemeinden an. Für die meisten spielte weniger die Gemeindebezeichnung als vielmehr das Leben als Christ die wichtigere Rolle. Erst nach der Einwanderung in Deutschland ab 1972 führten Gemeinden wieder den „alten Gemeindenamen“ ein. In fast jedem Gemeindeverband Deutschlands gibt es Gemeinden mit der Bezeichnung MBG. Der Raum →Bielefeld weist die höchste Konzentration und Vielfalt der Mennoniten im Bundesgebiet auf.

5. Mission und internationale Zusammenarbeit

Kennzeichnend für die MBG war die missionarische Gesinnung. Diese fand im 19. Jahrhundert ihren Ausdruck in der Aussendung des Ehepaars Abraham und Maria Friesen nach Britisch-Indien.

Die Auswanderungswelle aus der Ukraine in die USA und nach Kanada seit 1871 sowie der Erste Weltkrieg und die Entstehung der Sowjetunion brachten das missionarische Wirken der MBG als Gemeindeverband in der Ukraine und später in der Sowjetunion fast zum Erliegen. In dieser Zeit lassen sich zwei unterschiedliche Entwicklungen beobachten: die Mission als Zeugnis und Gemeindegründungen weltweit.

In den Freikirchen der Sowjetunion wurde Mission als zeugnishafter Lebensstil verstanden. Aufgrund des glaubensfeindlichen Regimes wurden jedoch Gemeindegründungen und Gemeindeleben sehr stark eingeschränkt. Die Verkündigung beschränkte sich größtenteils auf Gottesdiensträume, Beerdigungen und Trauungen. Die Umsiedlung nach Deutschland (→Aussiedler) führte zur Gründung von mehr als 500 Gemeinden und zur Gründung diverser Missionswerke, wie LOGOS-Int. (Dieses Werk fusionierte mit ICW unter dem Namen „To All Nations“ (http://to-all-nations.de). Die Bibel-Mission wurde von Johann Pauls gegründet (http://bibel-mission.de/geschichte) und die MB Mission Europa von Johann Matthies ins Leben gerufen (http://mbmission.de).

Die nach USA und Kanada ausgewanderten Mitglieder der MBG schlossen sich zu einer gemeinsamen Konferenz zusammen. Ein Teil der Konferenzarbeit war ihre gemeinsame Missionsarbeit. Diese wurde vom eigenen Missionswerk BOMAS (Board of Mission and Service, meist mit „Missionsbehörde“ übersetzt), später MBM/S (Mennonite Brethren Mission/Service), dann MBMSI (Mennonite Brethren Mission Service International) und neuerdings MB Mission (http://www.mbmission.org) ausgeführt. Zum einen wurde die in der Ukraine begonnene Missionsarbeit in Indien gestärkt, indem weitere Personen dorthin entsandt wurden; und zum anderen wurden zusätzlich neue Projekte in Angriff genommen, z. B. in Tansania, der heutigen DR Kongo, Kolumbien, Japan usw. Diese missionarischen Bemühungen führten zu Gründungen von Gemeinden, die sich inzwischen zu Gemeindeverbänden zusammengeschlossen haben.

Diese Gemeindeverbände schlossen sich wiederum zusammen und vereinigten sich 1999 zur ICOMB (International Community of Mennonite Brethren), der Internationalen Gemeinschaft Mennonitischer Brüdergemeinden (http://icomb.org). 2016 gehören zu dieser Vereinigung 21 Gemeindeverbände aus 20 Ländern.

6. Religionsunterricht

In Rheinland-Pfalz wird mennonitischer Religionsunterricht seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts erteilt. Seit dem Schuljahr 2016/17 erlaubt eine vorläufige Fünf-Jahresgenehmigung auch den Unterricht in Nordrhein-Westfalen. Ansonsten nehmen die Schülerinnen und Schüler am Evangelischen Religionsunterricht teil.

Bibliografie (Auswahl)

Peter und Elfrieda Dyck, Auferstanden aus Ruinen, Kirchheimbolanden 1994. - P. M. Friesen, Geschichte der Alt-Evangelischen Mennoniten Brüderschaft in Russland (1789–1910), Halbstadt, Taurien, 1911. - Horst Gerlach, Die Russlandmennoniten, Kirchheimbolanden 2007. - Hans Kasdorf, Flammen unauslöschlich: Mission der Mennoniten unter Zaren und Sowjets 1789–1989, Lage 1991. - Heinrich Klassen, Mission als Zeugnis. Zur missionarischen Existenz in der Sowjetunion nach dem zweiten Weltkrieg, Nürnberg 2003. - John N. Klassen, Russlanddeutsche Freikirchen in der Bundesrepublik Deutschland. Grundlinien ihrer Geschichte, ihrer Entwicklung und Theologie, Nürnberg 2007. - John N. Klassen, (Hg.), Jesus Christus leben und verkündigen. 150 Jahre MBG, Lage 2010. - Franklin H. Littell, Das Selbstverständnis der Täufer, Kassel 1966. - Regina Löneke, Die „Hiesigen“ und die „Unsrigen“. Werteverständnis Mennonitischer Aussiedlerfamilien aus Dörfern der Region Orenburg/Ural, Marburg 2000. - John A. Toews, Wehrlos durch Christus, Liestal (Bienenberg) 1964. - Abraham H. Unruh, Die Geschichte der Mennoniten-Brüdergemeinde 1860–1954, Steinhagen 2010. - John C. Wenger, Wie die Mennoniten entstanden sind, Kassel 1982. - John C. Wenger, Die dritte Reformation: Kurze Einführung in Geschichte und Lehre der Täuferbewegung, Kassel 1984.

Heinrich Klassen

 
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