Friedmann, Robert

geb. am 9. Juni 1891 in Wien, Österreich, gest. am 28. Juli 1970 in Kalamazoo, Michigan, USA; Historiker.

Robert Friedmann war von 1923 bis 1970 ein wichtiger Interpret des schweizerisch-süddeutschen und des österreichischen Täufertums. Am bekanntesten wurde er mit den Hutterite Studies (1961), mit einem Buch über die Wirkung des Pietismus auf die süddeutschen und schweizerischen Mennoniten (Mennonite Piety Through the Centuries, 1949) und mit seiner Deutung der täuferischen Zwei-Reiche-Lehre als einem „existentiellen Christentum“, mehr eine implizite als eine explizite Theologie der Täufer (The Theology of Anabaptism, 1973).

Friedmann wurde in eine liberale, religiös nicht praktizierende jüdische Familie hineingeboren. Sein Studium nahm er an der Technischen Hochschule in Wien auf und erwarb 1914 sein Ingenieurdiplom. Von 1914 bis 1918 diente er als Offizier in der österreichischen Armee und konnte den Krieg aus eigenem Erleben kennen lernen.

Die Enttäuschung der Nachkriegszeit hat ihre Spuren bei Friedmann hinterlassen. 1920 schrieb er sich an der Universität Wien für die Hauptfächer Geschichte und Philosophie ein. 1924 wurde er mit einer Dissertation über das Prinzip der Harmonie in der Metaphysik promoviert. Er ließ sich stark von Oswald Spengler, Leo Tolstoi, Nikolaj Berdiájev und Leonhard Ragaz beeinflussen. Nach dem Studium unterrichtete er an verschiedenen Wiener Gymnasien.

Stärker als von den Genannten wurde Friedmann während seiner Studienzeit von Rudolf Wolkan beeinflusst, der ihn in das Täufertum einführte. Dieses neue Forschungsfeld hat ihn „tief ergriffen“. Mit seinen eigenen Studien zum Täufertum begann er 1923, als er vom Verein für Reformationsgeschichte beauftragt worden war, eine kritische Edition der Briefe der Hutterer herauszugeben. 1934 wurde er auf den christlichen Glauben getauft. Am 10. November 1938 wurde er mit anderen Juden in Wien inhaftiert, aber nach zwölf Tagen von Freunden wieder befreit, die ihm rieten, Österreich sofort zu verlassen. Er verließ sein Land und erreichte über England die USA im darauffolgenden Jahr. Mit Hilfe von Roland →Bainton und Harold S. →Bender wurde er 1940 Honorary Fellow an der Yale Divinity School in New Haven, Connecticut, und dann Visiting Lecturer und Research Fellow in der Abteilung für Täuferstudien am Goshen College, in Goshen, Indiana (1940–1943). Hier schloss er sich der Eighth Street Mennnonite Church in Goshen an. Er half bei der Herausgabe der Mennonite Encyclopedia mit (1947–1959) und war für die einstigen österreichisch-ungarischen Territorien und die Hutterischen Brüder verantwortlich. Neben der redaktionellen Arbeit schrieb er mehr als zweihundert Artikel selbst. Von 1945 bis zu seinem Ruhestand im Juni 1961 war er Professor für Geschichte und Philosophie an der Western Michigan University in Kalamazoo, Michigan.

Friedmanns Einfluss auf Benders klassische Abhandlung über Anabaptist Vision ist gut dokumentiert. Ein wichtiges Manuskript in Buchlänge, das nie veröffentlicht wurde, war Friedmanns Design for Living. Darin beschreibt er das Wesen des Lebens in einer Weise, dass es in hohem Maße sowohl zur Summe als auch zur Substanz des täuferischen Nachfolgegedankens wird. Er wählte dafür allerdings nicht die theologische Sprache des 16. Jahrhunderts, sondern eine philosophische Begrifflichkeit seiner Zeit (eine Kopie dieser Schrift befindet sich im Friedmann-Nachlass in Goshen, Indiana).

Veröffentlichungen (Auswahl)

Mennonite Piety through the Centuries, its Genius and Literature, Goshen, Indiana, 1949. - Hutterite Studies: Essays by Robert Friedmann, hg. v. Harold S. Bender, Goshen, Indiana, 1961. - Die Schriften der Huterischen Täufergemeinschaften, Gesamtkatalog ihrer Manuskriptbücher, ihrer Schreiber und Ihrer Literatur, zusammengestellt von Robert Friedmann unter Mitarbeit von Adolf Mais, Wien 1967 – Glaubenszeugnisse oberdeutscher Taufgesinnter, II. Mit Benutzung der von Lydia Müller gesammelten Texte, hg. von Robert Friedmann, Gütersloh 1967. - The Theology of Anabaptism Scottdale, Pa., 1973. - 52 Artikel im Mennonitischen Lexikon.

Archivmaterial

Nachlass: Robert Friedmann Collection, Hist Mss 1–404, Archives of the Mennonite Church (Goshen, Indiana).

Literatur

(Autobiographisch): Conversations with Robert Friedmann, hg. von Leonard Gross, in: Mennonite Quarterly Review 48, 1974, 141–173. - Leonard Gross, Recasting the Anabaptist Vision: the Longer View, in: Mennonite Quarterly Review 60, 1986, 352–363. - Robert Friedmann Memorial Issue, Mennonite Quarterly Review 48, April 1974 (mit Bibliografie und u. a. einer Interpretation von Friedmanns Vermächtnis), Walter Klaassen, Robert Friedmann as Historian, 125–140).

Leonard Gross

 
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