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Bender, Harold S(tauffer)
geb. am 19. Juli 1897 in Elkhart, Ind., USA, gest. am 21. September 1962 in Chicago, Ill., USA; Kirchenhistoriker, Täuferforscher, Seminargründer, Organisator von Hilfswerken, Präsident der Mennonitischen Weltkonferenz.
In Harold S. Benders frühen Jahren glich sich die Mennonite Church (Altmennoniten) dem nordamerikanischen Protestantismus an und nahm eine individualistischere, die Buße betonende Theologie und Einsichten des beginnenden Fundamentalismus in sich auf. Auch schuf sie viele neue Einrichtungen und Dienste (von der Missions- bis zur Jugendarbeit), ebenso ein College in Goshen, Indiana. Benders Eltern, George L. Bender und Elsie Kolb Bender, waren nach Elkhart in die Nähe Goshens gezogen, dem Zentrum solcher Aktivitäten. Der Vater wurde Schatzmeister des Mennonite Board of Missions and Charities, und die Familie lebte im Haus der Hauptquartiere dieser Einrichtung, wo die Kirchenführer stets präsent waren. In einer kleinen Stadt unter Kirchenführern aufzuwachsen, war für einen jungen Mennoniten nicht die Regel.
Von 1914 bis 1918 besuchte Bender das Goshen College und befand sich unter vielen Mitstudenten, die über die autoritären Formen ihrer Kirche klagten, ihre restriktive Kleiderordnung, ihre eingeschränkte Denkfreiheit und ihren sich vertiefenden Fundamentalismus. Bender pflichtete ihnen bei, war dabei aber recht vorsichtig. Als Anführer der Young People´s Conferences erklärte er 1923, dass er seiner Kirche gegenüber loyal bleiben würde. Damit verletzte er zwar einige Freunde, hielt sich aber den Weg offen, eines Tages eine leitende Position in seiner Kirche zu erlangen.
Nach seinem Collegeabschluss lehrte Bender zwei Jahre am Hesston College, einer mennonitischen Schule in Kansas, vor allem in den Klassen, die auf das Collegestudium vorbereiteten. Zwischen 1921 und 1922 studierte er einige Monate lang am methodistischen Garrett Theological Seminary in der Nähe Chicagos und erwarb dort den Grad eines Bachelor of Divinity. Zwischendrin schrieb er sich im Herbst 1921 am Princeton Theological Seminary mit der ursprünglichen Absicht ein, sich für die Missionsarbeit in Argentinien ausbilden zu lassen. Hier war er in die Auseinandersetzungen der presbyterianischen Rechtgläubigkeit mit dem Liberalismus bzw. Modernismus geraten, und er schloss sich J. Gresham Machen an, einem geachteten Verteidiger der Rechtgläubigkeit unter den Hochschullehrern.
Am Goshen College begegnete Bender Elizabeth Horsch, die er am 9. Mai 1923 heiratete. Elizabeth war die Tochter von John und Christine Funck →Horsch, die aus Deutschland eingewandert waren. In ihrer Kindheit war sie deutschsprachig aufgewachsen, sie hatte später einige Kurse an der Universität belegt und schließlich den Magistergrad (M. A.) an der University of Minnesota erworben, so wurde sie eine ausgezeichnete Forscherin und Herausgeberin sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache. Darüber hinaus verfügte sie über tiefe Kenntnisse zur Täufer- und Mennonitengeschichte, so dass kaum zu unterscheiden war, welche Gedanken die ihres Mannes oder ihre eigenen waren. Sie bekamen zwei Töchter, Mary Eleanor und Nancy.
Im Frühjahr 1923 reisten die Benders mit einem Stipendium aus Princeton für ein Jahr nach Europa, wo Harold Bender an der Universität Tübingen Altes Testament studierte und wo beide Bekanntschaften mit mennonitischen Kirchenführern einiger europäischer Länder schlossen, die für ihre weitere Laufbahn bestimmend wurden. Im Herbst 1924 nahm Bender seine Lehrtätigkeit am Goshen College auf. Da sich einige einflussreiche Konservative in seiner Kirche unsicher waren, ob er in seinen Lehrmeinungen zuverlässig („sound“) sei, musste er zunächst Geschichte anstatt die sensibleren Fächer Bibel und Religion unterrichten. Erst in den 1930er Jahren wurde er als Lehrer biblischer Fächer geführt. Doch sein Lebenswerk sollte schließlich in Beiträgen zur Geschichte und nicht zum Alten Testament bestehen.
Im Sommer 1929 kehrte Bender mit einer Touristengruppe, die er führte, nach Europa zurück. Während dieses Aufenthalts machte er zwei ungeplante Abstecher: einen an die Universität Heidelberg und einen recht bemerkenswerten in die Sowjetunion, um dort Mennoniten zu besuchen. In Heidelberg eröffnete ihm der neue Dekan der theologischen Fakultät, der Reformationshistoriker Walther →Köhler, dass seine akademischen Leistungsnachweise eine geeignete Voraussetzung dafür seien, eine theologische Promotion anzustreben, wenn er bereit wäre, sich ein Semester an der Heidelberger Universität einzuschreiben und eine zufriedenstellende Dissertation vorzulegen. Bender kehrte nach Goshen zurück und begann mit seinen Forschungen zu Konrad →Grebel, einem schweizerischen Begründer des Täufertums.
1930 reisten die Benders noch einmal nach Europa, um die Promotion abzuschließen. Bender ließ sich aber, was typisch für ihn war – von anderen Vorhaben ablenken. Unter großen Schwierigkeiten waren einige tausend Mennoniten aus der Sowjetunion den Unterdrückungsmaßnahmen Josef Stalins entkommen und nach Deutschland gelangt. Als Mitglied eines wichtigen Kirchenkomitees hatte Bender dem bedeutendsten Hilfswerk der nordamerikanischen Mennoniten, nämlich dem →Mennonite Central Committee (MCC), schon vorher geraten, die Flüchtlinge in Paraguay anzusiedeln. Während seines Deutschlandaufenthaltes verwandte er soviel Zeit und Kraft auf dieses Emigrantenproblem, dass er ohne die Doktorwürde nach Amerika zurückkehrte. Bald danach ernannte das Goshen College ihn zu ihrem Dean. Erst als er 1935 wieder nach Heidelberg zurückgekehrt war, schrieb er seine Dissertation in einem Anfall von Arbeitswut auf Englisch nieder, während seine Frau sie in ein gutes Deutsch übertrug. Die Dissertation erhielt den Titel: Conrad Grebel, der erste Führer der Schweizer Täufer. Im September 1935 wurde ihm schließlich die Würde eines Doktors der Theologie verliehen.
Neben seiner Tätigkeit als Forscher und Erzieher verwandte Bender sein ganzes Leben lang eine erstaunliche Energie und viel Zeit auf die Leitung der Friedensdienste und der Hilfswerksarbeit seiner Kirche. Um 1932 wurde er assistierender Sekretär des intermennonitischen MCC. 1933 entsandte die Kirche ihn in ihr Peace Problems Committee, und 1935 wurde er der Vorsitzende dieses Komitees. Während des Hilfswerksengagements im spanischen Bürgerkrieg trat er in das Führungskomitee des Mennonite Relief Committee (MRC) seiner Kirche ein. Er wurde sein Sekretär und wohl die wichtigste Führungsperson in den entscheidenden Jahren des Zweiten Weltkriegs und danach (1942 – 1947), als es seine Arbeit über Europa hinaus nach Afrika ausweitete und die Bedingungen für einen Einsatz in China erkundete. Bender behielt diese Posten bis zu seinem Tod im Jahr 1962. Anlässlich seines Todes listete ein Bericht etwa siebzehn gewichtigere Führungspositionen auf, die Bender in der mennonitischen Welt bekleidete, die meisten simultan, offiziell und über eine lange Zeit hin. In nicht wenigen Fällen arbeitete er mit einem anderen überall tätigen Kirchenführer, Orie O. →Miller, zusammen. Sie waren ein selbstbewusstes Gespann, das in höchstem Maße an den vielen großen strategischen Entscheidungen der Mennoniten arbeitete, besonders in den kritischen Jahrzehnten des Zweiten Weltkriegs und der unmittelbaren Nachkriegszeit. Bender war engagiert, bestimmt und sicherlich weise, er stand aber auch im Ruf, allzu direkt zu sein. Es fiel ihm in der Tat schwer, Verantwortung und Macht abzugeben.
In einer wegweisenden Ansprache schlug Guy →Hershberger, ein Kollege Benders am Goshen College, 1935 Richtlinien vor, die im Falle eines erneuten Einberufungsbefehls vorsahen, Kriegsdienstverweigerer in einem zivilen „Ersatzdienst“ zu organisieren. In den späten 1930er Jahren und zwischen 1940 und 1942 führten Bender und Miller ihre Komitees dahin, mit den enstsprechenden Stellen in anderen Historischen Friedenskirchen zusammenzuarbeiten und einen solchen Plan des Ersatzdienstes gemeinsam voranzutreiben. Nach vielen Verhandlungen wurde die Möglichkeit eines solchen Dienstes in die Gesetzgebung und Politik der USA (mit einem ähnlichen Ergebnis auch in Kanada) aufgenommen. Während diese Entwicklungen für die u.s.–amerikanischen Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen wichtig waren, historisch noch bedeutsamer waren sie für den durch die Verfassung gewährten Schutz des Gewissens eines jeden einzelnen Bürgers und für die Menschenrechte.
In den USA führte das im Zweiten Weltkrieg zum Civilian Public Service (CPS). Unter dem CPS organisierte das MCC die Lager der Mennoniten. Bender gehörte zu jenen Personen, die alle wichtigen Entscheidungen zu treffen hatten. Nach Kriegsende erweiterten das MCC und das MRC ihre Hilfe für die Heimatlosen und Leidtragenden, indem sie wiederum Flüchtlinge neu ansiedelten und nach und nach Programme für materielle Unterstützung auflegten, Dienste wie Unterricht und Entwicklungshilfe, viele davon wurden von global gesinnten jungen Mennoniten des Freiwilligendienstes versehen. Um diese Arbeit zu leiten, reiste Bender oft nach Europa, zwischen 1947 und 1948 lebte das Ehepaar sogar dort.
Bender war nicht nur Wissenschaftler, Erzieher und Verwalter, er war auch Ideologe. In Europa bemühten er und das MCC sich darum, viele kontinentale Mennoniten, wie er es sah, für den täuferisch-mennonitischen Pazifismus zurück zu gewinnen – mit Sicherheit war das ein Motiv, das ihn 1949 und 1950 leitete, als er die Europäische Mennonitische Bibelschule bei Basel (Schweiz) mitbegründete, die später unter dem Namen Theologisches Seminar →Bienenberg bekannt wurde. Bereits in den 1930er Jahren forderte Bender ein Bibelseminar auf akademischer Basis in Goshen, und 1946 wurde aus der Goshen College Bible School das Goshen College Biblical Seminary, das von Bender als Dean geleitet wurde. 1952 schlug Erland Waltner vom Mennonite Biblical Seminary in Chicago vor, das von den Mennoniten der General Conference betrieben wurde, dass beide Seminare an einen Ort zusammengelegt werden sollten. 1958 zog das Seminar aus Chicago nach Elkhart (Indiana), und beide Seminare begannen als „Associated Mennonite Biblical Seminaries“ zusammen zu arbeiten. Seit 1969 befanden sich alle Klassen in Elkhart; 1993 verschmolzen beide Seminare schließlich zu einem Seminar.
Bender hatte lange Zeit intermennonitisch gearbeitet, vor allem mit dem MCC. Ein zweites Beispiel solcher Arbeit war die Herausgabe lexikalischer Werke. Nach dem Tod der beiden langjährigen Herausgeber des europäischen Mennonitischen Lexikons, Christian →Hege und Christian →Neff, setzten Bender und →Ernst Crous diese Arbeit fort. Bender war Herausgeber bis zu seinem Tod und damit einverstanden, dass Crous die meiste Arbeit übernahm. Bender nahm seine Herausgeberrolle für das Mennonitische Lexikon (ungewöhnlich für einen Amerikaner) teilweise deshalb an, weil er eine englischsprachige Mennonite Encyclopedia angeregt hatte, die von den drei wichtigsten Konferenzen der nordamerikanischen Mennoniten – (Old)Mennonite Church, General Conference und Mennonite Brethren – erstellt werden sollte. Das wurde eine umfängliche und eindrucksvolle Teamarbeit. Zwischen 1955 und 1959 entstanden unter seiner Leitung vier voluminöse Bände. Elizabeth Bender übersetzte zahlreiche Artikel, die aus dem Mennonitischen Lexikon übernommen wurden, redigierte einen großen Teil der Artikel und las Korrektur (außerdem übernahm sie zahlreiche Nachforschungen für die Artikel ihres Mannes).
Ein drittes Beispiel für Benders intermennonitisches Engagement war die →Mennonitische Weltkonferenz, die zunächst von den europäischen Mennoniten organisiert und 1925 in Basel abgehalten wurde. Während der Weltkonferenz 1930 warb Bender für die Hilfswerksarbeit und gewann viel Unterstützung. Als er sich 1935 in Europa aufhielt, half er den Europäern mit besonderem Eifer, die Weltkonferenz 1936 zu planen. Auch half er, eine internationale mennonitische Friedensorganisation ins Leben zu rufen. Der Zweite Weltkrieg verzögerte die nächste Weltkonferenz, so dass sie erst 1948 in Goshen und North Newton, Kansas, stattfinden konnte. Sie wurde mit Benders intensivem Einsatz vom MCC ausgerichtet. Bender war als Präsident daran beteiligt, Sitzungen für die Weltkonferenz 1952 in Basel und Zürich zu planen, auf der die Anfänge der schweizerischen Täufertums gefeiert wurden. Weiterhin arbeitete er für das Weltkonferenzprogramm in Deutschland 1957 und in Kanada 1962. Während der Konferenz 1962 war er schon an Krebs erkrankt und konnte an ihr nur kurz teilnehmen. Jemand anderes verlas seine Ansprache, die den Titel trug „My Vision for Mennonite World Conference“. Noch kurz vor seinem Tod sieben Wochen später beteiligte er sich an Planungen für die Weltkonferenz 1967.
Über allen Zweifel erhaben war Benders größtes erzieherisches, ideologisches und intermennonitisches Vermächtnis die so genannte Wiederentdeckung des täuferischen Leitbildes:„the recovery of the Anabaptist Vision“ (→Täuferforschung). Er hat Anregungen von Ludwig Keller, Christian →Neff, Christian →Hege, Robert →Friedmann und John →Horsch aufgegriffen und Ernst →Correll, einen deutschen jungen Täuferforscher, als Lehrer ans Goshen College geholt und mit ihm und anderen die inzwischen eingegangene Mennonite Historical Society des Colleges wiederbelebt. Um 1926 begann Bender mit seinem Kreis, die Mennonite Quarterly Review (MQR) herauszugeben. Obwohl diese Zeitschrift nicht auf das Täufertum begrenzt war, erwarb sie sich mit ihren besonderen Interpretationen doch schnell den Ruf, ein Publikationsorgan für Täuferstudien zu sein. Die „Goshen School“ neigte dazu, den täuferischen Pazifismus als Norm christlichen Glaubens zu präsentieren. Sie sah in den Schweizer Brüdern die wahren Begründer des Täufertums und konzentrierte sich auf die „evangelischen Täufer“, d. h. auf solche, die relativ rechtgläubig geblieben und nicht revolutionär oder spiritualistisch waren. Sie betonte die „Nachfolge“, d. h. die Idee, Christus im täglichen Leben nachzufolgen, nicht nur als Einzelne, sondern auch korporativ als Kirche.
Bender hat seine Täuferstudien über seine Dissertation zu Konrad Grebel hinaus weitergeführt. Aus ihr veröffentlichte er ein kleineres Stück als Buch, das auf englisch geschrieben wurde: Conrad Grebel, the First Leader of the Swiss Brethren: Humanist Years (Sonderdruck aus Mennonite Quarterly Review 10, 1936), und 1950 folgte das größere Stück: Conrad Grebel, c. 1498 – 1526: The Founder of the Swiss Brethren, Sometimes Called Anabaptists (Goshen, Ind., Mennonite Historical Society, 1950). Er veröffentlichte auch noch andere bemerkenswerte Bücher oder Broschüren: Two Centuries of American Mennonite Literature (1929), Menno Simons, Life and Writings: a Quadricentennial Tribute (1936), Mennonite Sunday School Centennial: 1840 – 1940 (1940), Mennonite Origins in Europe (1942), Biblical Revelation and Inspiration (1959) und These Are My People (1962).
Keine Schrift Benders hatte eine solche historische Wirkung wie seine Ansprache, die er als Präsident der American Society of Church History 1943 über The Anabaptist Vision hielt. Er engte sein Thema auf die „evangelischen und konstruktiven“ Täufer ein, wie er sagte, ließ die „verschiedenen mystischen, spiritualistischen, revolutionären oder sogar antinomistischen“ Gruppen beiseite und erzählte seinen vornehmlich protestantischen und nordamerikanischen Zuhörern, dass die Täufer des 16. Jahrhunderts sowohl auf der „ursprünglichen Vision Luthers und Zwinglis“ aufbauten als auch „die großen Prinzipien von Gewissensfreiheit, Trennung von Kirche und Staat und Freiwilligkeit in religiösen Angelegenheiten“ einführten, „die im nordamerikanischen Protestantismus so grundlegend sind“. Er fügte aber auch hinzu, dass ihr wirklich großer Beitrag nicht die Forderung der Religionsfreiheit, sondern ihr Glaubensverständnis gewesen sei. Dazu zählten vor allem drei Prinzipien: „ein neues Kirchenkonzept“ mit freiwilliger Mitgliedschaft und dem zentralen Prinzip von der Erneuerung des Lebens und angewandter Christlichkeit“, „die Ethik der Liebe und Wehrlosigkeit, wie sie sich auf alle menschlichen Beziehungen erstrecken“ und „vor allem und grundsätzlich (…) das Wesen des Christentums als Nachfolge“. Diese Ansprache wurde in zumindest sechs Sprachen vom Französischen bis zum Javanischen veröffentlicht und immer wieder nachgedruckt. Diese drei Punkte wurden zur klassischen Definition des Täufertums.
Obwohl diese Definition „klassisch“ genannt werden kann, wurde sie doch zunehmend auch kritisiert. Um 1952 haben einige fähige Studenten Benders, die vor allem von John Howard →Yoder angeführt wurden und unter dem Namen „Concern“ veröffentlichten, eine stärker antikulturelle Interpretation angestrebt, die der Bender-Miller-Generation kaum geschmeichelt hat: Sie beklagten Autorität, die nur von wenigen ausgeübt wurde, neue Institutionen, die mehr den Presbyterianern als den Täufern gemäß waren, und einen Mangel an prophetischer Verkündigung. Dennoch brachten dieselben Studenten eine hochkarätige Festschrift für ihren Lehrer auf den Weg, The Recovery of the Anabaptist Vision: A Sixtieth Anniversary Tribute to Harold S. Bender, die von Guy F. Hershberger, dem Kollegen Benders am Goshen College, herausgegeben wurde. Eine größere Abkehr von Bender erfolgte 1975, als drei Forscher, die nicht Mennoniten waren, in Mennonite Quarterly Review die zu enge Konzentration der Goshen Schule auf die Schweizer Brüder und die „evangelischen Täufer“ kritisierten und stattdessen eine Polygenese des Täufertums und verschiedene täuferische Bewegungen herausarbeiteten. Um 1990 war das beherrschende Thema in den Täuferstudien die Vielfalt des Täufertums (→Täuferforschung). Inzwischen entfalten die Arbeit und Definition Benders in seiner eigenen Kirche zumeist noch eine instruktive Wirkung, schlimmstenfalls wird aber nur schlagwortartig an sie erinnert.
Bender gehörte zu einer bestimmten Ära der mennonitischen Geschichte: einem Produkt des Aufbruchs im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, in dem mennonitische Einrichtungen und Programme entstanden, wie er sie selber zu erweitern unternahm. Das war eine Zeit, die ihn als einen kirchenbewussten Gelehrten in den Streitigkeiten zwischen Fundamentalismus und liberalem Modernismus gefangen hielt. Er gehörte zu den wenigen Mennoniten, die in der Lage waren, an exzellenten Universitäten in Nordamerika und Europa zu studieren und die über Fähigkeiten verfügten, dem Glauben durch Gelehrsamkeit wieder Gestalt zu verleihen. Er gehörte einer Generation an, die auf kreative Weise auf die größeren Weltkriege und das Leiden der Menschen reagierten und die in der Lage war, sich für humanitäre Dienstleistungen und hilfsbedürftige Mennoniten in vielen Ländern auf Reisen zu begeben. Bender griff allerdings auch über seine Zeit hinaus. Unter den Wissenschaftlern war er jemand, der den Täuferstudien neue, beachtete und nachhaltige Impulse verlieh. In seiner eigenen Kirche prägte die Kunde und die Begeisterung von der „Anabaptist Vision“ Klassenräume, Katheder und Kanzeln. Mit dieser Vision werden die Mennoniten gläubiger und prophetischer geworden sein. Auf jeden Fall gewannen das Selbstverständnis und der Glaube der einfachen Gemeindeglieder dadurch Selbstvertrauen und Tiefe.
Quellen
Archivalien: Mennonite Church USA Archives, Goshen, Ind.
Veröffentlichungen (Auswahl)
Two Centuries of American Mennonite Literature: A Bibliography of Mennonitica Americana, 1727–1928, Goshen, Ind., 1929. - Mennonite Origins in Europe, Akron, Pa., 1942. - Conrad Grebel, c. 1498–1526: The Founder of the Swiss Brethren, Sometimes Called Anabaptists. Goshen, Ind., 1950. - These are My People: The Nature of the Church and Its Discipleship According to the New Testament, Scottdale, Pa., 1962. -
Herausgeber: (mit C. Henry Smith), The Mennonite Encyclopedia, Bde. 1–4 Newton, Kan., und Hillsboro, Kan., 1955–1959.
Aufsätze: The Anabaptist Vision, in: Church History 13, 1944, 3–44, und in: Mennonite Quarterly Review 18, 1944, 67–88. - The Anabaptist Theology of Discipleship, in: Mennonite Quarterly Review 24, 1950, 25–32. - The Zwickau Prophets, Thomas Müntzer, and the Anabaptists, in: Mennonite Quarterly Review 26, 1953, 3–16. - The Anabaptists and Religious Liberty in the Sixteenth Century, in: Mennonite Quarterly Review 29, 1955, 83–100. - The Historiography of the Anabaptists, in: Mennonite Quarterly Review 31, 1957, 88–104. - Pilgram Marpeck, Anabaptist Theologian and Civil Engineer, in: Mennonite Quarterly Review 38, 1964, 231–265.
Literatur
Albert N. Keim, Harold S. Bender, 1897–1962, Scottdale, Pa.,1998 (Lit.). - Guy F. Hershberger (Hg.), The Recovery of the Anabaptist Vision: A Sixtieth Anniversary Tribute to Harold S. Bender, Scottdale, Pa.,1957. - Concern: A Pamphlet Series for Questions of Christian Renewal, Nr. 1–18, 1954–1971. - John H. Yoder, Anabaptist Vision and Mennonite Reality, in: A. J. Klassen (Hg.), Consultation on Anabaptist Mennonite Theology: Papers Read at the 1969 Aspen Conference, Fresno, Cal., Mennonite Seminaries 1970, 1–46. - James M. Stayer, Werner O. Packull und Klaus Deppermann, From Monogenesis to Polygenesis: The Historical Discussion of Anabaptist Origins, in: Mennonite Quarterly Review 49, 1975, 83–121. - Paul Toews, Mennonites in American Society, 1930–1970, Scottdale, Pa., 1996. - Leonard Gross, Bender, Elizabeth Horsch, and Bender, Harold Stauffer, Mennonite Encyclopedia V: 66 and 66–67.
Theron F. Schlabach