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Horsch, John
geb. am 18. Dezember 1867 in Giebelstadt bei Würzburg, Deutschland, gest. am 7. Oktober 1941 in Scottdale, Pa., USA; Redakteur, Schriftsteller und Historiker.
Um sich dem Militärdienst, selbst dem Dienst ohne Waffe, in Deutschland zu entziehen, wanderte John Horsch im Januar 1887 in die USA aus. Nach einem kurzen Sprachstudium in Illinois wurde er bald als Redakteur in John Funcks Mennonite Publishing House in Elkhart, Ind., tätig. Zwischendurch studierte er immer wieder an vier verschiedenen Colleges, es war ihm aber nicht möglich, den Grad eines Bachelor of Arts zu erwerben. Wegen einiger Unstimmigkeiten gab er 1895 diese Tätigkeit auf und versuchte sich in anderen Arbeiten, bis er eine Anstellung in J. A. Sprungers Light and Hope Publishing Company fand. 1908 wurde er auf einer Dauerstelle als deutschsprachiger Redakteur an die Mennonite Publishing Company in Scottdale, Pa., berufen und blieb hier sein Leben lang. Er schrieb, übersetzte und redigierte zahlreiche Artikel und wurde dabei von seiner Frau Christine (geb. Funck) unterstützt. So entstand auch seine Biographie Menno Simons. His Life, Labor und Teachings (1916). In seiner Beschäftigung mit der Geschichte der Mennoniten stand er unter dem Einfluss des Historikers Ludwig Keller aus Münster, mit dem er korrespondierte und der die Anschauung vertrat, dass sich die Kontinuität der wahren Kirche über eine lange Kette von Minderheitenkirchen über die Zeiten hin erhalten habe. Als Horschs Interesse und Energie sich um 1920 auf die Theologie verlagerten und er sich über das Eindringen des Liberalismus und des Modernismus in die Gemeinden der Mennoniten besonders betroffen zeigte, war er der kenntnisreichste Historiker der (Old) Mennonite Church mit einer eigenen Bibliothek, die besonders reich an Mennonitica war. Horschs Vater war ein einflussreicher Ältester in Süddeutschland, sein Bruder Michael →Horsch wurde ein wichtiger Sprecher der süddeutschen Mennoniten zu einer Zeit, als John Horsch seinen Einfluss mit seinen Schriften, zahlreichen Artikeln und kleineren Büchern in Nordamerika geltend machte, die sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache geschrieben wurden.
Während eines Jahres, in dem er sich in Europa aufhielt, Verwandte besuchte und Forschungen zur täuferischen und mennonitischen Geschichte trieb, zeigte ihm ein einmonatiger Aufenthalt in den Niederlanden, dass die holländischen Mennoniten „ganz und gar unter den Einfluss des Modernismus“ geraten waren. Obwohl er mehr über die holländischen als die schweizerischen Täufer geschrieben hatte, wandte er sich danach mehr den schweizerischen und oberdeutschen Täufern zu, eine Wende, die sein Schwiegersohn Harold S.→Bender entscheidend vertiefte. Diese Einsicht in das niederländische Mennonitentum regte ihn an, sein polemischstes Buch, nämlich The Mennonite Church and Modernism (1923) zu schreiben.
Bald nach dem Ersten Weltkrieg hatte John Horsch eine Broschüre unter dem Titel Modern Religious Liberalism (1920) veröffentlicht. Seine Position wurde polemischer, als er sich auf die Seite des Fundamentalismus gegen die Modernisten in der mennonitischen Welt gestellt hatte. Die konservativen Führer der (Old) Mennonite Church waren darüber besorgt, dass die neuen mennonitischen Colleges zu einer Brutstätte für den Modernismus werden könnten. Deshalb wurde das Goshen College 1923/24 geschlossen, und tonangebende Fakultätsmitglieder, denen liberale Neigungen nachgesagt wurden, wechselten zum Bluffton College und zum Witmarsum Theological Seminary, das in Bluffton ansässig war (1923–1933). Als der junge Harold S. Bender eine Konferenz zum 400-jährigen Jubiläum des Täufertums (1925) zu organisieren versuchte und den prominentesten mennonitischen Historiker C. Henry →Smith, einst in Goshen, jetzt in Bluffton, einlud, weigerte sich John Horsch nicht nur, auf dieser Konferenz zu sprechen, sondern bestand auch darauf, dass Smith wieder ausgeladen würde – was denn auch geschah. Als Historiker und Theologe war Horsch größtenteils Autodidakt, er war weit belesen, aber mehr, um Munition für seine Einwände gegen seine Gegner zu gewinnen, als die Stichhaltigkeit seiner Einwände zu untermauern. Aus der Korrespondenz, die Albert Keim in seiner Biographie Benders abdruckte, geht hervor, dass Bender seinen Schwiegervater bedrängte, auf Verallgemeinerungen zu verzichten und seine Angriffspunkte mit Fußnoten zu belegen.
Dank seiner Energie, die er für das Schreiben aufbrachte, und der fast schon asketischen Zurückhaltung, die seiner extremen Menschenscheu und der Konzentration auf seine Arbeit entsprang, war Horsch lange Zeit die publizistische Autorität zum Thema der Mennoniten in Europa, auch wenn der gesamte Band (Teile davon waren zuvor als Artikel erschienen) erst posthum 1942 veröffentlicht wurde. Bedeutsamer als diese Schriften waren für die sich anbahnenden ernsthaften Bemühungen um die Lehre von der Gewaltlosigkeit nach dem Ersten Weltkrieg wohl Horschs Schriften zu diesem Thema. Sein Buch über Die biblische Lehre von der Wehrlosigkeit (1920) war in den USA und Kanada, wo die deutsche Sprache noch in Gebrauch war, weit verbreitet und wurde auch von einer Stuttgarter Buchhandlung in Deutschland vertrieben. Diese Abhandlung begann mit einer systematischen Verknüpfung von Schlüsselstellen des Neuen Testaments, ebenso des Alten Testaments, danach folgten neun Kapitel, in denen ihre Relevanz für die Mennoniten aufgezeigt wurde. Schließlich mündeten die Ausführungen in Erörterungen über Gewissensprobleme und über Konsequenzen ein, die aus den Erfahrungen mit dem letzten Krieg zu ziehen seien. Ein kürzerer historischer Überblick von fünfundsiebzig Seiten erschien das erste Mal 1927 in englischer Sprache unter dem Titel The Principle of Nonresistance as Held by the Mennonite Church. Er wurde 1939 neu aufgelegt und erschien schließlich 1940 in einer überarbeiteten und erweiterten Auflage. Abgelöst wurde dieses Buch von der umfangreicheren Veröffentlichung Guy F. →Hershbergers War, Peace, and Nonresistance (1944). Dieses Buch wird oft als der Höhepunkt der Arbeit des Peace Problems Committees betrachtet, in dem John Horsch sehr aktiv mitgearbeitet hatte. Auch in anderen mennonitischen Konferenzen Nordamerikas wurde das Friedensthema aus ihrer jeweiligen Sicht diskutiert, doch die Veröffentlichungen Horschs waren allen bekannt und wurden von allen zitiert. Ihr Einfluss blieb nicht auf die (Old) Mennonite Church begrenzt.
In der neueren Geschichtsschreibung mennonitischer Historiker hat sich eine etwas andere Perspektive entwickelt, unter der die fundamentalistisch-modernistischen Streitigkeiten in der (Old) Mennonite Church gesehen wurden. James Juhnke zitierte Horschs zusammenfassende Stellungnahme, dass „Fundamentalismus Antimodernismus ist“, und bemerkte dazu, dass die mennonitischen „Fundamentalisten“ wie John Horsch und John C. Stauffer (Harrisonburg) niemals ganz mit der Theologie der presbyterianischen fundamentalistischen Theologen übereingestimmt hätten. Sie spürten vielmehr eine Gefahr, sich der amerikanischen Gesellschaft anzugleichen, wenn sie die Bibel kontextbezogener lesen würden, und nahmen deshalb die Argumente und die Sprache des Antimodernismus als eine Möglichkeit auf, das Erstarken des konservativen mennontischen Denominationalismus zu fördern. Juhnke charakterisierte die mennonitischen Fundamentalisten wie Horsch gern als „konservative mennonitische Antimodernisten“. Das erklärt die vorsichtigen Bemühungen Harold S. Benders, die „Wiederentdeckung der täuferischen Vision“ als einen Weg zu empfehlen, zwischen der Generation Horschs und den Pastoren, die eine Seminarausbildung genossen hatten, zu vermitteln, um den Aufbau einer Denomination voranzutreiben. Die prominentesten Pastoren und Theologen dieser neuen Generation bildeten später die sogenannte →Concern-Gruppe (1952–1957), die den Vorsatz auf ganz grundsätzliche Weise herausforderte, das konservative Mennonitentum, das mit Hilfe eines funktional verstandenen Denominationalismus der amerikanischen Kultur angeglichen werden sollte, könne nicht mit der radikalen Nachfolge der Täufer in Einklang gebracht werden. Die Serie der wesentlich ideologischen Auseinandersetzungen wurde fortgeführt. Horschs polemischer Stil, den er für berechtigt hielt, offenbart sein fortdauerndes Vermächtnis in diesen ideologischen Diskussionen im Gegensatz zu den Forschungen der Historiker, die ihren Niederschlag in den Bänden des Mennonite Experience in America fanden und – von den ideologischen Streitigkeiten unbelastet – darstellten, was wirklich geschah.
Veröffentlichungen (Auswahl)
The Mennonites, Their History, Faith, and Practice, Elkhart, Ind., 1893.- Menno Simons. His Life, Labors, and Teachings. Scottdale, Pa., 1916. - Die biblische Lehre von der Wehrlosigkeit, Scottdale, Pa., 1920. - Modern Religious Liberalism, the Destructiveness and Irrationality of the New Theology, Scottdale, Pa., 1921. - The Mennonite Church and Modernism, Scottdale, Pa., 1923. - The Principle of Nonresistance as held by the Mennonite Church, Scottdale, Pa., 1927 (revidiert 1939 und 1940). - The Hutterian Brethren, 1528–1931. A Story of Martyrdom and Loyality. Studies in Anabaptist and Mennonite History, Goshen, Ind., 1931. - Mennonites in Europe History, Scottdale, Pa., 1942.
Literatur
Würdigung John Horschs von Harold S. Bender, Ernst Correll, John C. Wenger, Robert Friedmann, Elizabeth Horsch Bender mit einer Bibliografie seiner Schriften von Edward Yoder, in: Mennonite Quarterly Review XXI, 3, 130–232. - Guy F. Hershberger, War, Peace, and Nonresistance, Scottdale, Pa.,1944 (rev. 1953). - Albert N. Keim, Harold S. Bender (1897–1962), Scottdale 1998 (zahlreiche Hinweise auf die Korrespondenz mit John Horsch). - Abraham Friesen, History and Renewal in the Anabaptist/Mennonite Tradition, North Newton, KS, 1994. - James C. Juhnke, Vision, Doctrine, War: Mennonite Identity and Organization in America 1890–1930, Bd. 3, Mennonite Experience in America, Scottdale, Pa., 1989.
Walter Sawatsky