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Backnang
Die Mennonitengemeinde Backnang wurde 1951 gegründet (ab 1954 e.V.). Die Kirche steht im Stadtteil Sachsenweiler im Nordosten der Stadt Backnang (Baden-Württemberg). Unter dem Motto „Glauben wecken – Glauben fördern“ wirkt die Gemeinde missionarisch in ihren Stadtteil hinein und engagiert sich für ein gutes Miteinander am Ort.
1. Der Anfang in der Siedlung
Die Mennonitengemeinde Backnang entstand aus dem Bemühen des MCC (→Mennonite Central Committee, USA), möglichst vielen Mennoniten nach dem Zweiten Weltkrieg eine Auswanderung nach Süd- und Nordamerika zu ermöglichen. In Süddeutschland sammelte das MCC die mennonitischen Flüchtlinge zentral in Backnang. Die ersten 541 Mennoniten aus Russland und Galizien (Polen) bezogen im Juni 1947 die dortigen Flüchtlingslager auf der Maubacher Höhe und in der Leba (Lederwerke Backnang), viele weitere folgten. Zeitweise befanden sich bis zu 1000 mennonitische Flüchtlinge in den Backnanger Lagern. Rund 2000 Mennoniten konnten über Backnang auswandern. 1950 kam die Auswanderung zum Abschluss. Jetzt befanden sich nur noch 30 mennonitische Familien mit insgesamt 127 Personen im Lager auf der Maubacher Höhe. Sie durften aus politischen, gesundheitlichen oder anderen Gründen nicht ausreisen. Diese Gruppe beschloss, eine eigenständige Gemeinde in Backnang aufzubauen, und bat das MCC um Mithilfe bei diesem Vorhaben. Am 18. Juni 1952 wurde zwischen dem MCC und der Kreisbaugenossenschaft Backnang ein Vertrag geschlossen, der als Grundlage für den Siedlungsbau diente. Im Februar 1952, schon vor der Unterzeichnung, ermöglicht durch die mündliche Zusage des MCC, wurde mit der Arbeit der ersten Siedlungshäuser begonnen. Die Schwierigkeiten mit dem Staatskommissariat für Flüchtlingswesen, das gegen eine rein mennonitische Siedlung war, konnten durch intensive Verhandlungen ausgeräumt werden. Die ersten zwei Häuser wurden am 9. November 1952 feierlich eingeweiht. Der Zuzug weiterer Mennoniten aus den anderen Besatzungszonen Deutschlands wurde mit Hilfe vieler Fürsprecher und dem unermüdlichen Einsatz von Richard Rupp ermöglicht. So wurden nach und nach, unter der Mithilfe von Paxboys, zehn Siedlungshäuser mit 66 Wohnungen bis Ende 1953 erstellt. Da unter den mennonitischen Flüchtlingen auch weiterhin Wohnungsnot herrschte, wurde ein weiterer Bauabschnitt mit nochmals zehn Häusern im Jahre 1954 begonnen. Für 361 Mennoniten aus Russland, Galizien und West- und Ostpreußen wurde Backnang zur neuen Heimat.
2. Entstehung der Gemeinde
Die Mennonitengemeinde in Backnang wäre wohl kaum entstanden, wenn unter den Flüchtlingen nicht die Bereitschaft der gegenseitigen Achtung und Toleranz vorhanden gewesen wäre. Schon im Lager auf der Maubacher Höhe und im Lager Leba war zu erkennen, dass Mennoniten, die aus Russland geflohen waren und die aus der Gegend um Lemberg in Polen, recht unterschiedliche Auffassungen über theologische Schwerpunkte und die Gemeindepraxis einer Mennonitengemeinde hatten. Sie gründeten dennoch am 7. April 1951 die Gemeinde. 1953 zogen noch west- und ostpreußische Mennoniten nach Backnang. Die Auseinandersetzungen über Inhalte und Leitungsstrukturen der Gemeinde nahmen zu. Die Gemeinden hatten sich in den Herkunftsländern ganz unterschiedlich in „ihrem Mennonitischsein“ entwickelt. Als erster eigener Ältester wurde 1954 Bruno →Götzke eingesetzt und am 10. Juli 1955 das Gemeindehaus eingeweiht. Adolf →Schnebele, angestellter Prediger des Verbands süddeutscher, badischer Mennonitengemeinden, wurde zusätzlich für die Gemeinde- und Jugendarbeit und später als weiterer Ältester für die Gemeinde gewonnen. Nach und nach wurden Lösungen für die Unterschiede in Gemeindefragen gefunden.
3. Das Gemeindeleben
Nach dem Tod Bruno Götzkes wurde Wilhelm Weber aus der Gemeinde Ingolstadt, obwohl schon im Ruhestand, gebeten, die Gemeinde zu betreuen. Drei Jahre diente er der Gemeinde mit großer Besonnenheit. Jetzt wollte die Gemeinde einen Prediger anstellen, doch dies wurde von der Ältestenversammlung des Gemeindeverbandes (→Verband deutscher Mennoniten, VdM), dem die Gemeinde angehörte, abgelehnt, weil das Laienpredigertum eine der wesentlichen Grundsätze ihrer Glaubensauffassung sei (14. Januar 1963). Die Gemeinde wählte am 23. Februar 1964 aus ihren eigenen Reihen Siegfried Thiessen und Heinrich Warkentin zu ehrenamtlichen Predigern. Am 29. November 1970 segneten die Ältesten des süddeutschen Gemeindeverbandes Siegfried Thiessen zum Ältesten ein.
Durch den deutsch-sowjetischen Vertrag von 1970 kamen weitere mennonitische Familien aus der Sowjetunion nach Deutschland. Diese Spätaussiedler siedelten auch im Rems-Murr-Kreis an. Heinrich Warkentin betreute diese Familien und lud sie zur Teilnahme am Gemeindeleben ein. Hier fanden sie eine Wohnung, gute Arbeitsbedingungen und eine aktive Gemeinde vor. Die theologische Ausrichtung der Gemeinde war zwar nicht so, wie sie es in Russland gewohnt waren, doch etliche Familien schlossen sich der Gemeinde an. Gemeinsam wurde das Thema Gemeindeleitung und -ausrichtung neu diskutiert. Es kristallisierte sich heraus, dass Laienprediger alleine nicht ausreichen, um vor allem die Jugend anzusprechen. So wurde eine Praktikantin für die Jugendarbeit angestellt und der Plan zur Anstellung eines eigenen Predigers wieder aufgegriffen. Am 7. Oktober 1978 beschloss die Gemeindeversammlung die Anstellung eines Predigers auf einer halben Stelle. Erster Pastor wurde Peter Kroeker, der darüber hinaus auch für die Betreuung der Spätaussiedler in Süddeutschland zuständig war.
4. Die Teilung der Gemeinde
Ein weiterer Zuzug von Spätaussiedlern in den neunziger Jahren sprengte die bisherigen Räumlichkeiten. Über 100 zusätzliche Mennoniten besuchten nun den Gottesdienst. So wurde am 22. Januar 1991 der Beschluss gefasst, das Gemeindehaus zu vergrößern. Doch das Zusammenleben war nur von kurzer Dauer. Die Unterschiede im Verständnis, wie Gemeinde zu sein habe, entwickelten sich zunehmend spannungsreich. Die bei der Gründung der Gemeinde vorhandene gegenseitige Achtung der anderen Auffassung und Toleranz in Glaubensfragen reichte hier nicht. Die Diskrepanz zwischen der „alten“ Gemeinde und den neu Hinzugekommenen war nicht zu überbrücken. Im November 1996 trat eine erste Gruppe von über fünfzig Personen aus der Gemeinde aus. Weitere folgten und gründeten eine neue Mennonitengemeinde in Allmersbach i. T. im Ortsteil Heutensbach.
5. Zweiter Neuanfang
Die Gemeinde war Weihnachten 1996 um fast hundert Gottesdienstbesucher kleiner geworden. Die Bereitschaft, diese Trennung zu überwinden, mobilisierte viele Gemeindeglieder, ihre Gaben erneut und verbindlich einzubringen. Die entstandene Lücke bei den Mitarbeitenden konnte schnell wieder geschlossen werden. Diese Zeit diente auch der inhaltlichen Neuorientierung. Im Jahr 2000 wurde die ausgeschriebene Pastorenstelle neu besetzt. Mit einem neuen Gemeindelogo (vier sich in der Mitte treffende Pfeile) und dem Gemeindemotto „Glauben wecken – Glauben fördern“ ging die Gemeinde viele kleine Schritte in die Öffentlichkeit. Durch das gute ökumenische Miteinander im Stadtteil Sachsenweiler wurde die Gemeinde angeregt, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) in Backnang zu werden (2005). Immer mehr Menschen ohne mennonitische Prägung schlossen sich der Gemeinde an. Aus der anfänglichen Schicksalsgemeinschaft war, laut Gemeindechronist Horst Klaassen, über die Jahrzehnte eine Bekenntnisgemeinschaft geworden.
Die seit den Anfangsjahren der Gemeinde bestehende Kinderbibelwoche erfuhr eine neue missionarische Ausrichtung und wuchs auf über zweihundert teilnehmende Kinder an. Durch kreative Angebote und besondere Gottesdienste wirkt die Gemeinde missionarisch in ihren Stadtteil hinein und versucht, „das Beste der Stadt“ zu suchen. Früchte des guten Miteinanders im Stadtteil sind die verschiedenen ökumenischen Gottesdienste und Veranstaltungen, die zusammen mit den örtlichen Vereinen und anderen Kirchen gestaltet werden. Im Jahr 2015 wagte die Gemeinde den Schritt, die bisherige Pastorenstelle auf zwei Teilzeitstellen aufzuteilen, um die nachwachsende Generation mit einem Pastor für die Kinder- und Jugendarbeit besser versorgen zu können.
Quellen
Gemeindearchiv Mennonitengemeinde Backnang.- Horst Klassen, Die Backnanger Mennoniten, 2. Aufl., Backnang 1987. - Aufbrechen. Gemeinden im Verband seit 150 Jahren, hg. vom VdM, Sinsheim 2004.
Anschrift
Mennonitengemeinde Backnang, Mennostr. 6, 71522 Backnang; Website: http://www.mennoniten-backnang.de
Günther Krüger