Inhaltsverzeichnis
Bann
1. Neue Zuordnung von Kirche und Bann im Schweizer Täufertum
Die täuferische Bannpraxis wurde mit Mt. 18, 15–18 begründet: „Sündigt aber dein Bruder an dir, so gehe hin und strafe ihn zwischen dir und ihm allein. Hört er sich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Hört er dich nicht, so nimm noch einen oder zwei zu dir, auf dass alle Sache bestehe auf zweier oder dreier Zeugen Mund. Hört er die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er die Gemeinde nicht, so halt ihn als einen Heiden oder Zöllner. Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel los sein.“
Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Ulrich →Zwingli und der prototäuferischen Gruppe um Konrad →Grebel schlugen sich in ihrer unterschiedlichen Deutung von Matth. 18 und dem kirchlichen Bann nieder. Zwingli neigte dazu, die Disziplinierung der Kirchenmitglieder dem Rat der Stadt Zürich zu übertragen, der nicht nur die weltliche Obrigkeit war, sondern auch die Kirchenhoheit inne hatte. Die Abweichler brachten in Grebels Brief an Thomas →Müntzer vom 5. September 1524 eine andere Auffassung vom Bann zum Ausdruck. Sie drängten Müntzer, „ein christliche gmein mit hilf Christi und seiner regel“ zu machen, „wie wir sy ingesetzt findend Mathei in XVIII und gebrucht in den epistlen.“ Sie bestanden auch darauf, dass die Regel, die sich auf Mt. 18 bezog, ebenso für die gültige Verwaltung des Abendmahls notwendig sei. (Im späteren Täufertum wurde der „kleinere“ Bann – d. h. der Ausschluss vom Abendmahl – aber normalerweise nicht angewandt. Im Gebrauch war gewöhnlich der „große“ Bann – der totale Ausschluss aus der Gemeinde).
Im Anschluss an die ersten Glaubenstaufen in Zürich, die in den letzten Januartagen 1525 stattfanden, arbeitete Balthasar →Hubmaier, der Pfarrer in Waldshut, eine →Ekklesiologie aus, in der die „Regel Christi“ nach Mt. 18 ein integraler Bestandteil war. Unter dem Titel Eine Summe eines ganzen christlichen Lebens veröffentlichte er im Juli 1525 eine kleine Schrift, in der er den Bann mit der Glaubenstaufe (→Taufe) und dem →Abendmahl in Verbindung brachte. Die Wassertaufe zeigt eine gegenseitige Verpflichtung der erwachsenen Täuflinge an, sich einer brüderlichen Disziplin zu unterstellen, die durch die Zulassung zum Abendmahl bekräftigt wird. Wenn das eben getaufte Mitglied „furan mit offentlichen vnd ergerlichen sünden den glauben vnd namen Christi beschwertzen oder tadelen wurde, das er sich hiemit verpflichte vnd ergebe in bruoderliche straff nach die ordnung Christi, Mt. 18“. Im Hinblick auf den Bann nahmen die Sieben Artikel von Schleitheim (Februar 1527) die Prinzipien auf, die Hubmaier formuliert hatte (→Bekenntnisse). Der zweite Artikel heißt: „Zum anderen sind wir vereinigt worden von dem bann also. Der bann sol gebrucht werden mitt allen denen, so sich dem herren ergeben hand, nachzuowandeln in synen botten [geboten], und mitt allen, die in ein lib Christi touft sind worden und sich lassen bruoder oder schwester nemmen und doch etwan entschlipfen und fallen in ein fel und sund und unwisselich uberilt w[e]rden. Die selben [sollen] vermant werden zuo dem andren mal heimlich und zum tritten mal offenlich vor aller gmein gestrafft werden nach dem befelch Christi, Mt. 18 [15 ff]. Sölichs aber sol geschechen nach ordnung des geistes gottes [vgl. Mt. 5,23 f] vor dem brottbrechen, darmit wir all einmuottiklich und in einer liebe von einem brott brechen und essen mögen und von einem kelch trineken.“ (TQ Ostschweiz, 29).
Deutlicher spricht das Artikel 6 aus, der „Vom Schwert“ handelt und den Bann von obrigkeitlicher Gewalt absetzt. Das Schwert ist Gottes Werkzeug, um das Böse „usserthalb der volkumenheit Christi“ zu unterdrücken. Der Bann dagegen wirkt in einem anderen Bereich: „In der volkomenheit aber Christi wirt der bann gebrucht allein zuo einer manung und ussschliessung des, der gesundet hatt, an todt des fleischs, allein durch die manung und den befelch, nit mer zuo sunden [Joh. 8, 11].“ (TQ Ostschweiz, 31).
2. Selbstreinigung bzw. Spaltung der Gemeinde durch den Bann
Als sich Täufergruppen zu festigen begannen, zunächst vor allem in →Mähren, wurde der Bann gegen die „falschen Brüder“ eingesetzt. Diese Täufer in Mähren waren Flüchtlinge aus der Schweiz und Süddeutschland. Sie waren dem Ideal der Gütergemeinschaft verpflichtet, wie es in Apg. 2 und 4 beschrieben wurde. In dieser Lage war es für sie selbstverständlich, Gemeindeglieder auszuschließen, die gegen die Prinzipien der →Gütergemeinschaft wie einst Annanias und Saphira in Apg. 5 verstießen. 1532 traf das Wilhelm →Reublin, einen der frühen schweizerischen Täuferführer, in der täuferischen Ansiedlung in Auspitz (Mähren). Dass Reublin ein Teil seines eigenen Geldes der Gemeinde von Auspitz vorenthielt, mochte ihm sein Leben gerettet haben, denn die kommunitären Täufer verlangten von den Neuankömmlingen, ihr gesamtes Eigentum bei ihrer Ankunft abzuliefern, gaben aber nichts davon an diejenigen zurück, die sie wieder verließen.
In den frühen vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts schrieb Pilgram →Marpeck, ein Repräsentant der Austerlitzer Brüder in Mähren, der aber in Süddeutschland und in der östlichen Schweiz lebte und in ihrem Auftrag taufte, an die Schweizer Brüder in Appenzell. Er bemerkte, dass sich weder seine Gruppe noch seine Adressaten einander als wahre Gemeinde Christi betrachte: “Dann es ist jee mein höchster spalt in meinem gwissen gegen euch, das ich so schnelle leichtfertige gricht und urtl umb ein jede schlechte ursach bey Christo und seiner appostolischen kirchen niendert find als bey euch (….) Es send ouch under euch vasst wenig forstennder. Send sy nicht zweymal (von euch und euren versamlungen), so sein sy doch einmal uβgeschlossenn (….). Das ist jee wider die arth Christi, das die herd den hirten straffen, sonder der hirt soll die schaf waiden“ (Briefe und Schriften oberdeutscher Täufer, 235). Hier zeichnet sich ein Muster ab, das das Verhältnis der Täufer zum Bann betrifft, nämlich dass die besser ausgebildeten und wohlhabenderen Gruppen daran Anstoß nehmen, was sie als einen unbesonnenen Gebrauch des Banns unter den schlichteren Täufern ansehen.
Dann wurde der Bann zum Zahnkapfel unter den Anhängern des Menno →Simons in Norddeutschland und in den Niederlanden. Sein jüngerer Mitältester, Leenert Bouwens, der ein ausgesprochen erfolgreicher Missionar war, schien Menno zur extremen Bannpraxis der Ehemeidung überredet zu haben, die vorsah, die Ehepartner wenn einer ungläubig wurde, von Tisch und Bett zu trennen. Das war der Grund für die erste mennonitische Spaltung von 1556, die zur Folge hatte, dass die Waterländer Gemeinden in Nordholland sich nicht mehr „Mennoniten“ nannten, sondern die Selbtsbezeichnung „Doopsgezinde“ für sich vorzogen. Im darauf folgenden Jahr 1557 denunzierten rheinländische Täufer in Straßburg unter der Führung von Zylis und Lemke die Praxis der Ehemeidung und versuchten, Menno Simons auf ihre Seite zu ziehen. Doch das misslang, denn Menno schrieb eine Streitschrift gegen sie, und Bouwens führte eine Abordnung holländischer Ältester nach Deutschland, wo er allen den Bann ankündigte, die sich der Praxis der Ehemeidung widersetzen würden. Einige Jahre nach dem Tod von Menno Simons waren seine Anhänger und die beiden wichtigsten Ältesten, die ihn überlebt hatten, Dirk →Phillips und Leenert Bouwens, in die Spaltung zwischen den friesischen Mennoniten (Bouwens) und den flämischen Mennoniten (Dirk Phillips) verwickelt (1567). Beide Gemeinschaften bannten und mieden einander – und gingen bald dazu über, auch noch weitere Spaltungen innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft zu veranlassen. Die Neigung unter den Mennoniten, sich untereinander zu zertrennen, begünstigte die Entwicklung des Kalvinismus zur tonangebenden Gruppierung des Protestantismus in den Niederlanden.
Einer der vielen Versuche, die zertrennten Täufer in den Niederlanden wieder zu vereinigen, war das Dordrechter Bekenntnis (1632), das in Artikel 7 eine strikte Bestätigung des Banns enthielt (→Bekenntnisse). Dieses Bekenntnis erlangte eine breite Zustimmung unter Täufern und Mennoniten, auch in Deutschland und in der Schweiz – nur die Waterländer widersetzten sich diesem Trend zu konfessioneller Definition. Die gemeinsame Anerkennung des Dordrechter Bekenntnisses verhinderte jedoch nicht die Spaltung unter den Mennoniten in der Schweiz, im Elsass und in der Pfalz, die von Jakob →Amman 1693 herbeigeführt wurde. Amman und seine Anhänger warfen den traditionalistischeren Mennoniten des Emmentals religiöse Laxheit vor, vor allem in der Praxis des Banns. Sie forderten die Ehemeidung und weigerten sich, mit gebannten Mitgliedern gemeinsam am Tisch zu sitzen. So begann die amisch-mennonitische Abspaltung, die bis heute existiert.
3. Wirkungen täuferischer Bannpraxis
Die Bannpraxis wird zwar weniger rigoros durchgeführt, sie ist aber weiterhin noch das Kennzeichen konservativer Gruppen unter den Mennoniten. Ein später Markstein war die unterschiedliche Reaktion der Mennonite Church und der General Conference Mennonite Church in den USA auf die jungen Gemeindemitglieder, die sich von den pazifistischen Lehren der Mennoniten abgewandt hatten und im Zweiten Weltkrieg der Einberufung zum Wehrdienst folgten. Solche Mitglieder wurden aus der Mennonite Church ausgeschlossen (obwohl 43 % der Einberufung zum Wehrdienst folgten), nicht jedoch aus den Gemeinden der General Conference (hier waren 70 % der Einberufung gefolgt).
Täufer und Mennoniten haben berechtigterweise einen besonderen Ruf, die Forderungen der christlichen Ethik in die Praxis umzusetzen. Nicht ohne Grund klagten sie darüber, dass die „Früchte des Evangeliums“ in anderen protestantischen Gruppen zu wünschen übrig ließen. Die Ursache dafür sahen sie darin, dass die Schwertgewalt der Obrigkeit nicht durch eine rigorose täuferische Disziplinarordnung innerhalb der kirchlichen Gemeinden ersetzt wurde. Doch die gebildeteren und wohlhabenderen Gruppen neigten zu der Annahme, dass die äußere Rigorosität des Banns letztlich die interne Disposition zu Sanftmut und Friedfertigkeit zu verfinstern drohte, die ja auch ein Teil der neutestamentlichen Botschaft sei. Vor allem die Praxis der Ehemeidung erzeugte einen unausweichlichen Konflikt zwischen den Forderungen der Bruderschaft und denjenigen der Familienbande. Um 1540, also zwanzig Jahre nach den Anfängen des Täufertums, wurde der Bann zu einer Quelle innertäuferischer Spaltungen – ein Indikator dafür, wie die einzelnen täuferischen „Mikrokonfessionen“ sich selbst definierten. Mit der Zeit wurden die meisten dieser Spaltungen überwunden, aber sie trugen dazu bei, dass die Mennonitengemeinden sich nach und nach in eine konservative und eine liberale Richtung teilte.
Quellen
Briefe und Schriften oberdeutscher Täufer 1527–1555. Das 'Kunstbuch' des Jörg Probst Rothenfelder gen, Maler, bearb. von Heinold Fast und Martin Rothkegel, hg. von Heinold Fast und Gottfried Seebaβ, Gütersloh 2007. - Thomas Müntzer. Schriften und Briefe. Kritische Gesamtausgabe, unter Mitwirkung von Paul Kirn hg. von Günther Franz, Gütersloh 1968. - Thomas-Müntzer-Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe, hg. von Helmar Junghans, Bd. 2: Briefwechsel, bearb. von Siegfried Bräuer und Manfred Kobuch, Leipzig 2010. - Quellen zur Geschichte der Täufer, Bd. 9: Balthasar Hubmaier Schriften, hg. von Gunnar Westin und Torsten Bergsten, Gütersloh 1962. - Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, Bd. 2: Ostschweiz, hg. von Heinold Fast, Zürich 1973.
Literatur
C. Arnold Snyder, The Birth and Evolution of Swiss Anabaptism, 1520–1530, in: Mennonite Quarterly Review 80 (2006): 501–645. - C. Arnold Snyder, Swiss Anabaptism: The Beginnings, 1523–1525, in: A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521–1700, hg. von John D. Roth und James M. Stayer, Leiden 2007, 45–81. - John D. Roth, Marpeck and the Later Swiss Brethren, 1540–1700, in: A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521–1700, hg. von John D. Roth und James M. Stayer, Leiden 2007, 347–388. - Martin Rothkegel, Anabaptism in Moravia and Silesia, in: A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 165–215. - Ervin A. Schlabach, The Rule of Christ Aong the Early Swiss Anabaptists, ThD Diss., Chicago Theological Seminary, 1977. - Piet Visser, Mennonites and Doopsgezinden in the Netherlands, 1535–1700, in: A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 299–345. - Walter Klaassen und William Klassen, Marpeck. A Life of Dissent and Conformity, Scottdale 2008. - Andrea Strübind, „Eifriger als Zwingli“. Die frühe Täuferbewegung in der Schweiz, Berlin 2003. - Samme Zijlstra, Om de ware gemente en de oude gronden. Geschiedenis van de dopersen in de Nederlanden 1531–1675, Hilversum und Leeuwarden 2000.
James M.Stayer