Zwingli, Huldrych (Ulrich)
geb. am 1. Januar 1485 in Wildhaus, Schweiz, gest. am 11. Oktober 1531 bei Kappel, Schweiz; Reformator Zürichs und Begründer des reformierten Protestantismus.
Huldrych Zwingli war der Sohn eines Amtmanns in Wildhaus, einem Bauerndorf im Toggenburg. Das war ein nachgeordnetes, mit Glarus und Schwyz verbündetes Territorium, beide waren Mitglieder der Eidgenössischen Konföderation. Er besuchte die Universität in Wien von 1498 bis 1502, wechselte zur Universität in Basel über und erwarb dort 1506 den Grad eines Magister artium. Darauf wurde er in Konstanz zum Priester geweiht und übernahm eine Pfarrstelle in Glarus. In dieser Funktion begleitete er die schweizerischen Truppen, die als Verbündete des Papstes zu militärischem Einsatz gegen Mailand 1513 und 1515 aufgebrochen waren. Als Anerkennung dafür, dass er die päpstliche Sache unterstützt hatte, wurde er 1515 und in den unmittelbar darauffolgenden Jahren mit einer jährlichen Pension von fünfzig Gulden belohnt. 1516 reiste er nach Basel, um →Erasmus von Rotterdam aufzusuchen, und schloss sich einer Gruppe schweizerischer Humanisten an, die sich um eine Erneuerung der Christenheit durch das Studium der Heiligen Schrift und der Kirchenväter bemühten.
In Verbindung mit seinen päpstlichen und christlich-humanistischen Loyalitäten (→Humanismus) erhielt Zwingli einen Ruf als Leutpriester im Wallfahrtsort Einsiedeln (Schwyz), wo er zwei Jahre vom Herbst 1516 bis Herbst 1518 seinen Dienst versah. Dieselben Loyalitäten bestimmten auch seine Wahl zum Leutpriester am Großmünster in Zürich. Er trat diese Stelle am 1. Januar 1519 an. Er wurde von den Ratsherren um den Bürgermeister Max Roist unterstützt, der die Anwerbung schweizerischer Söldner für den französischen König ablehnte und eine humanistische Erneuerung der Kirche befürwortete. In seinen frühen Zürcher Jahren gehörte Zwingli zum Reformkreis schweizerischer Humanisten, die sich gegen die Exkommunikation Martin →Luthers wandten und vergeblich darum bemühten, die Entfremdung zwischen Luther und Erasmus aufzuhalten. In den frühen zwanziger Jahren wurde Zwingli der einflussreichste Prediger in Zürich und arbeitete mit der Führungsgruppe, die sich um den Bürgermeister Max Roist geschart hatten, an einem Reformationsmodell, das weder lutherisch noch erasmianisch war. Das brachte ihm aber eine beträchtliche Opposition innerhalb und außerhalb Zürichs ein. Im Inneren verließ er sich auf den volkstümlicheren Großen Rat gegen die Opposition des eher oligarchisch abgeschlossenen Kleinen Rates. In der Eidgenössischen Konföderation wurde ihm von den älteren Kantonen Schwyz, Uri, Unterwalden und Luzern starker Widerstand entgegengesetzt, während Basel und Bern eine vermittelnde Stellung einnahmen und verhinderten, dass ein gemeinsames militärisches Vorgehen in der Konföderation gegen Zürich beschlossen wurde.
Eine Maßnahme, die Zwingli zur Reform der Kirche schon sehr früh ergriff, war die Gründung einer humanistischen Sodalitas, deren Mitglieder sich gegenseitig in biblischen Sprachen unterrichteten. Dieser Gruppe gehörten gelehrte Priester und Laien an: darunter Konrad →Grebel, Felix →Mantz und Simon Stumpf. Gegen Ende 1522 oder Anfang 1523 entwickelte sich diese Gruppe zu einer informellen „Bibelschule“, die von dem Buchhändler Andreas Castelberger geleitet wurde und Handwerker, die nicht in den klassischen Sprachen ausgebildet waren, einbezog. In dieser „Bibelschule“ organisierten sich die Laien, die Zwingli unterstützten. Er wiederum förderte ihr Studium der Heiligen Schrift in der Volkssprache, da er meinte, dass solche Gruppen, die vom Heiligen Geist ergriffen seien, einen legitimen Beitrag zur Reform der Kirche leisten könnten.
Im Sommer 1523 protestierten Prädikanten auf der Landschaft, Wilhelm →Reublin und Johannes →Brötli, gegen die zentralistische Erhebung des Kirchenzehnten durch das Großmünsterstift in Zürich, der traditionellen Institution geistlicher Autorität in der Stadt. Zwingli seinerseits wollte das Großmünsterstift reformieren und zum Zentrum religiöser Ausbildung im Einklang mit der Reformation ausgestalten. In seinem Traktat Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit, der gerade zu dieser Zeit erschienen war, meinte Zwingli, dass das kirchliche Finanzsystem zwar nicht mit dem Neuen Testament zu rechtfertigen sei, es aber trotzdem angebracht sei, es der menschlichen Gerechtigkeit, die zur zeitlichen Ordnung gehört, anzuvertrauen. In dieser und anderen Angelegenheiten zeigte sich Zwingli noch mehr als seine übereifrigen Anhänger in der Stadt und auf der Landschaft bereit, mit der bestehenden weltlichen Obrigkeit in Zürich zusammenzuarbeiten.
Die Kontroverse um den Kirchenzehnt ereignete sich zwischen den beiden Zürcher Disputationen im Jahre 1523, in denen die Unabhängigkeit der Zürcher Kirche von der Autorität des Bischofs zu Konstanz sichergestellt wurde. In der Januardisputation legte Zwingli 67 Artikel oder Schlussreden als Zusammenfassung seiner Predigten vor und forderte die Vertreter des Bischofs heraus, indem er die Schriftgemäßheit ihrer Argumente bestritt. Die Zürcher Obrigkeit erklärte, dass Zwinglis Predigt nicht widerlegt worden sei und fortan als Norm für die Lehre in Zürich zu gelten habe. Zu dieser Zeit war sich das zwinglische Lager noch einig. Erst im Anschluss an die Kontroverse um den Kirchenzehnt, als der Rat eine zweite Disputation für Oktober 1523 einberufen hatte, um die Rechtmäßigkeit der Messe und der Verehrung der Bilder in den Kirchen anhand des biblischen Zeugnisses überprüfen zu lassen, stellten sich Risse im Lager der Zwinglianhänger ein. Konrad Grebel legte ein ausgearbeitetes Programm für ein biblisch auszugestaltendes →Abendmahl vor, das die Messe ersetzen sollte, und forderte die Einsetzung einer Kirchenordnung, die eine Abschaffung von Messe und Bildern vorsah. Zwingli antwortete, dass die Disputation zwar einberufen worden sei, um die Schriftgemäßheit von Messe und Bilderverehrung zu überprüfen, dass konkrete Veränderungen in der Kirche aber allein vom Zürcher Rat eingeleitet werden dürften. Bei dieser Gelegenheit forderte Simon Stumpf, der Gefährte Grebels, die Absicht Zwinglis heraus, der weltlichen Obrigkeit eine solche Autorität über kirchliche Veränderungen zu übertragen. Später beschuldigte Zwingli seine einstigen Mitstreiter Grebel, Mantz und Stumpf versucht zu haben, ihn für eine Spaltung der Züricher Kirche zwischen solchen, die seine Reformation unterstützten, und solchen, die es nicht taten, zu gewinnen. Diese Anschuldigung diente Zwingli dazu, Grebel und dessen Gefährten als Sektierer hinzustellen. Ob solche Gespräche überhaupt stattfanden und was genau besprochen wurde, bleibt ungewiss.
Im Jahr 1524 und in den folgenden Jahren spitze sich die Trennung zwischen Zwingli und der radikalen proreformatorischen Gruppe auf das Problem der Kindertaufe (→Taufe) zu, von der Grebel, Mantz, Wilhelm Reublin, Johannes Brötli und Andreas Castelberger meinten, sie sei mit dem Zeugnis der Heiligen Schrift nicht zu begründen. Zwingli wurde mit seinen radikalen Anhängern zunehmend ungeduldig, teilweise weil er befürchtete, sie würden die umkämpfte reformierte Kirche Zürichs spalten, und teilweise weil er von ihrer theologischen Kompetenz nicht überzeugt war. Er wollte Uneinigkeit im reformatorischen Lager vermeiden und ließ die Obrigkeit gegen die Radikalen vorgehen. Am 17. Januar 1525 wurden die Kindertaufgegner einer Anhörung vor dem Zürcher Rat unterzogen. Die Position, die sie einnahmen, wurde als unhaltbar erklärt. Diejenigen unter ihnen, die nicht Zürcher Bürger waren, wurden daraufhin ausgewiesen, und diejenigen, die Bürger der Stadt waren, wurden aufgefordert, ihre Zusammenkünfte einzustellen. Sie antworteten mit dem Vollzug der ersten Taufen an erwachsenen Gläubigen am 21. Januar 1525. Ihre Bewegung verbreitete sich in den Dörfern auf der Landschaft Zürichs, am stärksten in Zollikon und in Grüningen. Im Mai 1525 versuchte Zwingli, die Täufer mit der Veröffentlichung seiner Schrift Von der Taufe, von der Wiedertaufe und von der Kindertaufe zu widerlegen. Zwei Monate später wurde ihm von Dr. Balthasar →Hubmaier, dem Pfarrer des nahegelegenen Waldshut, erwidert. Er hatte sich auf die Seite der →Täufer geschlagen, war der einzige gelehrte Theologe unter ihnen und veröffentlichte die Schrift Von dem christlichen Tauff der gläubigen. Als Zwingli mit der täuferischen Spaltung rang und in der von ihm eingerichteten theologischen Schule über das alttestamentliche Buch Genesis las, entfernte er sich von der erasmianischen Konzentration auf das Neue Testament. Diese Konzentration hatte Zwingli mit seinen Anhängern unter den Laien zunächst gemeinsam. Nun wandte er sich einer Bundestheologie zu, in der er das Alte mit dem Neuen Testament harmonisierte. Dieser bundestheologische Aspekt, der das Passahmahl mit dem Abendmahl und die Beschneidung mit der Taufe verband, wurde zur Grundlage seiner Lehre von den Sakramenten.
Die Zürcher Obrigkeit, die von den reformierten Prädikanten unterstützt wurde, antwortete auf die Täufer mit Gefängnis und seit 1526 mit Androhung der Todesstrafe. Einige wenige Hinrichtungen prominenter Anführer (Felix Mantz 1527 und Konrad Winkler 1530), Inhaftierungen und erzwungene Widerrufe führten zur Unterdrückung des Täufertums, das sich allerdings schon weit in den deutschen Landen Mitteleuropas verbreitet hatte, im Territorium Zürichs. Zwingli betrachtete die politische Gemeinde, mit der er verbunden war, als die korporative Existenz einer reformierten christlichen Kirche. Obwohl es den katholischen Einwohnern Zürichs von 1525 bis 1528 vorerst erlaubt war, außerhalb der Grenzen des Territoriums die Messe zu feiern, hatte Zwingli wenig Verständnis und Sympathie für die Tolerierung eines religiösen Dissens', wie sie zu jener Zeit in →Straßburg praktiziert wurde.
Die Einführung einer zwinglischen Abendmahlsfeier am Gründonnerstag 1525, mit der die Messe ersetzt wurde, markierte zwar den sichtbaren Triumph der Reformation in Zürich, war aber nur der Beginn einer Reihe theologischer, politischer und militärischer Streitigkeiten, die Zwinglis Kräfte bis zu seinem Tod im Jahre 1531 stark in Anspruch nahmen. Von 1525 an war Zwingli in einen polemischen Schlagabtausch mit Luther über die Bedeutung des Abendmahls verwickelt – in einen Streit, der zunächst im Verborgenen, dann aber zunehmend öffentlich geführt wurde. Mit der spiritualisierenden Orientierung, die er mit Erasmus teilte, bestritt Zwingli, dass die Gegenwart Christi in den eucharistischen Elementen Brot und Wein materiell zu verstehen sei. Luther dagegen bestand auf einer genauen Entsprechung zwischen der materiell zu verstehenden Inkarnation Christi und den christlichen Sakramenten und meinte, dass Christus in Brot und Wein unter dem Wort Gottes tatsächlich gegenwärtig sei. Diese Kontroverse fand ihren Höhepunkt in dem fehlgeschlagenen Versuch einer Vermittlung zwischen Luther und Zwingli durch den Landgrafen Philipp von Hessen im Oktober 1529 auf dem Schloss zu Marburg. Das kurzfristige Ergebnis war allerdings, dass sich die Protestanten im Heiligen Römischen Reich genötigt sahen, ihre Differenzen mit Luther allmählich beizulegen, aber die schweizerischen Protestanten gingen ihre eigenen Wege und organisierten einen reformierten Abendmahlskonsens, der schließlich zur Vorherrschaft in der protestantischen Christenheit gelangte. In der Disputation von Bern im Januar 1528 gelang es Zwingli, den mächtigsten schweizerischen Kanton für die Reformation zu gewinnen, im Januar 1529 folgte das kulturell bedeutsame Basel, Zwingli war aber nicht in der Lage, den Protestantismus in den streng katholischen Territorien der Innerschweiz in den Kappeler Kriegen von 1529 und 1531 durchzusetzen. Er scheiterte, weil Bern sich als ein lauwarmer Verbündeter erwies, unwillig, die Macht Zürichs in der eidgenössischen Konföderation zu stärken, und weil seine Macht in Zürich selbst ständig in Gefahr stand zusammenzubrechen. Zwingli, der mit dem Kleinen und dem Großen Rat in seiner selbst stilisierten Rolle des „Propheten“ zusammenarbeitete, hatte in den Jahren 1530 und 1531 zweifellos mehr Einfluss auf die Zürcher Politik als irgendein anderer Zürcher Bürger. Aber seine Macht wurde von den traditionellen militärischen Anführern Zürichs genauso wie von den Dörfern auf der Landschaft, die das größte militärische Kontingent zu stellen hatten, beargwöhnt. In der Schlacht von Kappel im Oktober 1531 wurde Zwingli und sein kleines militärisches Aufgebot von den Truppen der Innerschweiz überrannt. Zwingli kam dabei ums Leben.
Nicht nur Luther, sondern auch andere Zeitgenossen verurteilten den militanten Stil und den politischen Aktionismus Zwinglis, die sein Nachfolger Heinrich →Bullinger dann aufzugeben versprach. Johannes →Calvin sah in Zwingli einen irgendwie ungelegenen Vorfahren, aber beide Reformatoren hatten eine reformierte Identität gemeinsam, nicht nur in ihrer Sakramentstheologie, sondern auch in ihrem rigorosen Beharren auf göttlicher Prädestination, wie sie in Zwinglis Sermonis de providentiae Dei anamnema (1531) vorgebildet war.
Quellen
Emil Egli, Georg Finsler u.a.. (Hg.), Huldreich Zwinglis sämtliche Werke, Leipzig, Berlin und Zürich 1905 ff.
Literatur
Ulrich Gäbler, Huldrych Zwingli. Eine Einführung in sein Leben und sein Werk, München 1983 – Scott A. Gillies, Zwingli and the Origin of the Reformed Covenant 1524 – 1527, in: Scottish Journal of Theology 54, 2001, 21- 50. - J. F. Gerhard Goeters, Die Vorgeschichte des Täufertums in Zürich, in: Luise Abramowski und J. F. Gerhard Goeters (Hg.), Studien zur Geschichte und Vorgeschichte der Reformation. Festschrift für Ernst Bizer, Neukirchen-Vluyn 1969, 239–281. - Walter Jacob, Politische Führungsschicht und Reformation. Untersuchungen zur Reformation in Zürich 1519 – 1528, Zürich 1970. - Gottfried W. Locher, Die Theologie Huldrych Zwinglis im Lichte seiner Christologie, Teil 1: Die Gotteslehre, Zürich 1952. - C. Arnold Snyder, The Birth and Evolution of Swiss Anabaptism, 1520 – 1530, in: Mennonite Quarterly Review 80, 2006, 501–645. - James M. Stayer, Zwingli before Zürich. Humanist Reformer and Papal Partisan, in: Archiv für Reformationsgeschichte 72, 1981, 55–68. - Andrea Strübind, Eifriger als Zwingli. Die frühe Täuferbewegung in der Schweiz, Berlin 2003.
James M. Stayer