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art:bullinger_heinrich

Inhaltsverzeichnis

Bullinger, Heinrich

geb. am 18. Juli 1504 in Bremgarten (Kt. Aargau), Schweiz, gest. am 17. September 1575 in Zürich, Schweiz; Theologe und Kirchenpolitiker, Leiter der Zürcher Kirche.

Heinrich Bullinger, Sohn des Priesters Heinrich Bullinger und der Anna Wiederkehr, absolvierte nach seiner Grundausbildung in Bremgarten die Lateinschule in Emmerich am Niederrhein, danach studierte er von 1519 bis 1522 an der Universität Köln und schloss sein Studium als Magister Artium ab. Während seiner anschließenden Tätigkeit als Lehrer im Kloster Kappel, unweit von Zürich, wurde er zum entschiedenen Anhänger Ulrich →Zwinglis. Von 1529 an wirkte er als Pfarrer in seiner Heimatstadt, die er in den Wirren des Zweiten Kappeler Krieges verließ. Am 9. Dezember 1531 wurde er in Zürich vom Rat an die Stelle des gefallenen Zwingli gewählt. In diesem Amt, das Bullinger bis zu seinem Tode versah, wirkte er energisch für die Festigung der staatskirchlichen Strukturen und für die dogmatische Fundierung des Zwinglianismus. Er wuchs für die Reformierten zur unbestrittenen Autorität heran und erlangte mit seiner Publizistik und durch seinen Briefwechsel europäische Geltung.

Bereits von Kappel aus hatte Bullinger die Auseinandersetzungen zwischen der Obrigkeit, Zwingli und den Täufern in der Stadt aufmerksam verfolgt, war zudem an den Täuferdisputationen von 1526 in Zürich und im Jahr darauf in Bern zugegen. Erste eigene theologische Reflexionen zum Täufertum (→Täufer), noch ganz von Zwingli abhängig, finden sich schon in einem Traktat, in dem er 1525 die Kindertaufe (vom bundestheologischen Ansatz her) verteidigte. Rasch erkannte er allerdings die politisch-soziale Sprengkraft, die die täuferische Bewegung in sich barg, und im Buch Vom unverschämten Frevel, das er 1530 als Pfarrer von Bremgarten gegen die Täufer verfasste – diese schienen in jener Zeit im ländlichen Umfeld überhand genommen zu haben –, war die Stoßrichtung deutlich gegen ihre Unbotmäßigkeit gerichtet. Zwar bemühte er sich, ihre Lehren zu widerlegen, bestritt die Legitimität ihrer Prediger, verurteilte ihre Bannpraxis und Werkgerechtigkeit, die Ablehnung der Kindertaufe, die Verweigerung der Wirtschaftsabgaben (Zinsen und Zehnten), die Absage an den Kriegsdienst, ihren Unwillen zur Eidesleistung sowie ihren Widerspruch gegenüber Gewaltmonopol und Suprematie der Obrigkeit. Das alles Entscheidende war für Bullinger jedoch die Gefahr, die von den Täufern für die Einheit der Kirche und des Staatswesens ausging. Er brandmarkte sie daher als Aufrührer, die mit ihrer Eid- und Zehntverweigerung die Untertanen gegen die Obrigkeit aufwiegeln würden, und brachte sie folgerichtig mit der Bauernrebellion (→Bauernkrieg) von 1525/26 in Verbindung.

Auch als Kirchenleiter blieb Bullinger mit dem Täuferproblem konfrontiert, äußerte sich doch die Bewegung auf der Zürcher Landschaft, aber auch in anderen Territorien, immer wieder recht kräftig. Das anfänglich mildere Vorgehen Zürichs oder die Disputationsbereitschaft in Bern (wozu der erfahrene Bullinger die notwendigen Argumente beisteuerte) blieb weitgehend erfolglos. Dies und die Nachrichten aus →Münster führten in Zürich 1535 zu einer Neuorientierung, d. h. zu verschärfter Ahndung täuferischer Umtriebe. Die entsprechenden Schritte unternahm der Rat allerdings nicht ohne Absicherung bei der Pfarrerschaft. Das Gutachten, das Bullinger bei dieser Gelegenheit verfasste, zielte gänzlich auf die Rechtfertigung der staatskirchlichen Ordnung. Die Bibel als Ganzes stand dabei im Vordergrund, bot doch die alttestamentliche Schutzherrschaft der Könige über die Kirche den geeigneten Legitimationsgrund, und frühkirchliche Autoritäten wie Augustin halfen mit, die Forderung nach der staatsunabhängigen Kirche, wie sie auch von Kaspar von →Schwenckfeld erhoben worden war, als Irrtum zu erweisen. Zwar sah er gewiss die Möglichkeiten des Gesprächs und der Belehrung, doch letztlich hielt er die Todesstrafe für Unbelehrbare nach wie vor als angemessen.

Über die religiösen Sonderbewegungen, welche die Obrigkeiten und Landesherren in weiten Teilen Europas beschäftigten, hielt sich Bullinger vor allem durch seinen ausgedehnten Briefwechsel auf dem Laufenden. Anstöße von außen, etwa aus Norddeutschland, veranlassten ihn denn auch zu seiner Gesamtschau von 1560. Der Widertöufferen ursprung, sein berühmtestes und umfangreichstes Werk zur Täuferfrage, 1559/1560 verfasst, war ebenso Kampfschrift wie Rechtfertigung. Die Argumentation war weitgehend von seinen früheren Arbeiten bestimmt. In sechs Kapiteln (Büchern) behandelte er die strittigen Fragen um die christliche Gemeinschaft, bezeichnet durch die Taufe, um das Abendmahl und den Bann (VI.), um die Befugnis der weltlichen Obrigkeit, in Glaubensdingen zu handeln, um deren Gewaltmonopol und um die Eidesleistung (V.), er trat für die Legitimität der Kirche ein, gegründet im Alten und Neuen Testament (IV.), ebenso wie für deren Autorisierung zu Exegese und Predigt (III.). Bullinger anerkannte zwar die Verschiedenheit der Erscheinungen und ihrer Protagonisten (Antitritinarier, Apokalyptiker, Spiritualisten), versuchte aber, diese seinem regional geprägten Täuferbild einzuordnen. Seine Absicht bestand endlich darin, das zwinglische Zürich vom Makel der Schwärmerei und der Sakramentiererei zu befreien. Zu diesem Zweck erstellte er ein historiographisches Konstrukt: Er sah den Ursprung des Täufertums nicht in Zürich, sondern bei Thomas →Müntzer in Mitteldeutschland.

Seinen letzten größeren Einsatz leistete Bullinger in den Jahren 1570/1571, als er seinen Churer Freunden beratend gegen die scheinbar täuferfreundliche, im Grunde obrigkeitskritische Haltung eines Kollegen beispringen musste. Mit diesem Konflikt, dem sogenannten Gantnerhandel, fand seine lebenslange Polemik gegen die Täufer ihren freudlosen Abschluss. Bullinger hatte zwar stets und immer auch als Theologe debattiert, doch eigentlich war es ihm vor allem um die Erhaltung der Einheit und der geltenden Ordnung zu tun gewesen, die durch soziale Absonderung und politischen Ungehorsam bedroht wurden.

Werke

Von dem unverschampten fräfel, ergerlichem verwyrren unnd unwarhafftem leeren der selbsgesandten widertöuffern, Zürich (Froschauer) 1531. - Der Widertöufferen ursprung, fürgang, secten waesen, fürnemme und gemeine jrer leer artickel, Zürich (Froschauer) 1560. - Urs B. Leu (Hg), Gutachten Bullingers und der Pfarrerschaft über die Bestrafung der Täufer (Mai 1535), in: Zwingliana 30, 2003, 103–126 (120–126 Text des Gutachtens). - Heinrich Bullinger, Briefwechsel, Bde. 1 ff., bearb. v. Ulrich Gäbler u. a., Zürich 1973 ff. (Heinrich Bullinger, Werke, 2. Abt., Bd. 1 ff.). [Bisher sind 13 Bde. erschienen.]

Literatur

Heinold Fast, Heinrich Bullinger und die Täufer. Ein Beitrag zur Historiographie und Theologie im 16. Jahrhundert, Weierhof 1959. - Peter Stephens, Bullinger's Defence of Infant Baptism in Debate with the Anabaptists, in: Reformation & Renaissance Review 4, 2002, 168–189. - Urs B. Leu und Christian Scheidegger, Die Zürcher Täufer 1525–1700, Zürich 2007. - Emidio Campi und Peter Opitz (Hg.), Heinrich Bullinger. Life - Thought - Influence, 2 Bde., Zürich 2007.- Fritz Büsser, Heinrich Bullinger (1504 – 1575). Leben, Werk und Wirkung, 2 Bde., Zürich 2004/2005. - Patrick Müller, Heinrich Bullinger. Reformator, Kirchenführer, Historiker, Zürich 2004, - Christian Moser, Die Dignität des Ereignisses, Studien zu Heinrich Bullingers Reformationsgeschichtsschreibung, Leiden und Boston, Ma, 2006.

Hans Ulrich Bächtold

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