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Schwenckfeld, Kaspar von
geb. 1489 in Ossig bei Liegnitz, Schlesien, gest. am 10. Dezember 1561 in Ulm (Württemberg), Deutschland; Reformator in Schlesien (1521 – 1529), radikaler Spiritualist in Süddeutschland (1529 – 1561).
Kaspar von Schwenckfelds reformerische Laufbahn, die sich zunehmend radikalisierte, wurde, wie er meinte, von drei göttlichen Heimsuchungen markiert. Die erste Heimsuchung (1519) gewann den schlesischen Edelmann für die Sache Martin →Luthers. Nachdem er dazu beigetragen hatte, der Reformation in Schlesien zum Erfolg zu verhelfen, bewog ihn eine zweite Heimsuchung (1525), sich gegen die Realpräsenz Christi im Abendmahl zu wenden und eine spiritualistisch geprägte Vorstellung von einem inneren Abendmahl zu entwickeln. Dem „Stillstand“ der Abendmahlspraxis in Liegnitz (1526) folgte 1527 eine dritte Heimsuchung, die Schwenckfeld schließlich zu seinem radikalen Spiritualismus führte, wofür er bekannt geworden ist. Als er gezwungen wurde, seine Heimat zu verlassen, fand er Unterschlupf in →Straßburg (1529 – 1534), einer Stadt, die zu dieser Zeit als Zufluchtsort religiöser Radikaler galt. Er wurde zunächst von den Straßburger Reformatoren willkommen geheißen, weil seine Abendmahlstheologie ihrer eigenen Auffassung ähnelte. Da Schwenckfeld sich weigerte, die Kirche der Stadt oder jede andere Kirche anzuerkennen, unternahmen Martin→ Bucer und die anderen Straßburger Reformatoren schließlich alles, um ihn wieder loszuwerden. In den Jahren, die er in Ulm zubrachte (1535 – 1539), veröffentlichte er zahlreiche Schriften und sammelte eine Gefolgschaft in Süddeutschland um sich. Aber der Druck, den Martin Frecht (1494 – 1556) und dessen Kollegen in Ulm auf ihn ausübten, zwangen Schwenckfeld, auch diese Stadt zu verlassen. Schließlich zog er zur adligen Familie von →Freyberg in Justingen (1541 – 1549). Dort setzte er die Reihe seiner Veröffentlichungen fort und besuchte weiterhin Freunde und Gleichgesinnte. Die siegreichen Habsburger Truppen veranlassten ihn, sich nach dem Schmalkaldischen Krieg (1546/47) im Verborgenen zu halten. Dennoch setzte er seine religiöse Tätigkeit, wenn auch bedeckt, weiterhin aktiv fort, indem er zwischen den Städten und den adligen Herrschaften in Süddeutschland hin und her wechselte. Er starb 1561 im Hause eines langjährigen Gesinnungsgenossen in Ulm.
Die Wurzeln der radikalen spiritualistischen Theologie Schwenckfelds zeigen sich in seiner Ablehnung der Realpräsenz Christi in den Abendmahlselementen – sowohl in ihren katholischen als auch lutherischen Formen (→Abendmahl). Während sich Andreas Bodenstein von →Karlstadt und Ulrich →Zwingli auf Joh. 6, 63 beriefen („Das Fleisch ist nichts nütze“), um die Wirkung und die Realität der Präsenz Christi in Brot und Wein zu verneinen, berief Schwenckfeld sich auf Joh. 6,35 und 6, 58, um den Leib und das Blut Christi mit dem Brot des Lebens gleichzusetzen. Schwenckfeld führte das Beispiel des Judas als Beweis dafür an, dass die äußeren Elemente nicht in der Lage seien, das heilbringende Brot zu präsentieren, denn Judas hatte zwar Brot und Wein zu sich genommen, jedoch ohne gerettet worden zu sein. Christen nehmen vielmehr an Christus auf geistliche Weise im inneren Abendmahl teil, das nicht notwendigerweise mit dem äußeren Ritus verbunden sei. Bezeichnend für Schwenckfelds entstehenden Spiritualismus war, dass er sich erst jetzt an den dreisprachigen Humanisten Valentin Krautwald (1465 – 1545) wandte, um ihn zu bitten, ihm die kongruente Auslegung der Einsetzungsworte „Dies ist mein Leib“: „Mein Leib ist dies, d. h. das Brot“, zu liefern.
Unter dem Einfluss von Krautwalds augustinischem Neoplatonismus entwickelte Schwenckfeld schnell einen durchgehenden Geist-Materie/Innen-Außen-Dualismus, der alles Äußere marginalisierte. Das äußere Wort – die aufgeschriebene Bibel – war ein totes Wort, das keinen Glauben spenden konnte. Leben zu spenden, war nur dem inneren Wort möglich, das Christus selbst war. Das innere Abendmahl schuf und erhielt den neuen Menschen, der allein in der Lage war, die Bibel wahrheitsgemäß zu deuten, während diejenigen, die nicht neu erschaffen wurden, nicht mehr von der Schrift verstehen konnten als der Blinde von der Farbe. Sowohl das Verstehen des göttlichen Wortes als auch die verändernde Erfahrung, die ein christliches Leben erzeugte, wurden unmittelbar durch den inneren Christus vor aller äußeren Predigt oder biblischem Studium gewirkt. Dennoch blieb die Bibel für den neuen Menschen und nur für ihn von Nutzen, nämlich zu seiner Erbauung. Für diejenigen, die noch unberührt von Christus waren, konnten die heiligen Schriften Hindernisse darstellen und Verwirrung stiften.
Um die Zeit, als Schwenckfeld Schlesien verlassen hatte, war ihm klar geworden, dass die wahre sichtbare, von den Aposteln gegründete Kirche mit den Sakramenten und dem kirchlichen Amt aufgehört habe zu existieren. Leider habe kein protestantischer Reformator den Beweis erbracht, dass irgendjemand berufen worden sei, die Apostolische Kirche wieder zu errichten. Erneut hergestellt werden könne eine solche Kirche erst, wenn Christus am Ende der Tage wiederkehren würde. In der Zwischenzeit könnten die Gläubigen sich nur in kleinen Gruppen versammeln, die nicht Kirchen mit dem Anspruch seien, Trost zu spenden und ihnen die Gaben Christi mitzuteilen. Mit der sowohl unmittelbaren und direkten Kommunikation des Glaubens und der Erlösung als auch der Abwesenheit einer jeden wahren sichtbaren Kirche, war Schwenckfeld ein früher und konsequenter Verfechter religiöser →Toleranz. Er meinte, dass die gesetzlich verordnete Religion und die damit einhergehende Verfolgung von Grund auf unchristlich seien. Jede Kirche, die so verordnet sei, erweise sich als falsch.
Schwenckfelds Spiritualisierung der Schrift, der Sakramente und der Kirche liefen dem täuferischen Biblizismus (→Schriftverständnis), dem Beharren auf der Glaubenstaufe und der Gemeindezucht zuwider. Obwohl er die Täufer wegen ihres individuellen Eifers und ihrer Lebensführung bewunderte, kritisierte er ihre Zersplitterung, ihren Mangel an Liebe gegenüber Ungläubigen und ihre Einstellung, sich auf die Wassertaufe zu verlassen. Wohl stimmte er mit ihnen darin überein, die Kindertaufe zu verwerfen, ihre Forderung nach äußerer Taufe der Erwachsenen fand er dagegen verfehlt. Da die innere Taufe zur Erlangung des Heils ausreichend sei, schlug er vor, die äußere Taufe bis zur Restitution der Apostolischen Kirche aufzuschieben. Der bedeutende Täuferführer Pilgram →Marpeck sollte Schwenckfeld in einer schriftlichen Auseinandersetzung herausfordern (1541–1542), um dessen Einfluss auf seine eigenen Anhänger abzuwehren.
Schwenckfeld könnte jedoch die →Christologie (das „himmlische Fleisch“) Melchior →Hoffmans beeinflusst haben und indirekt auch Menno →Simons´ Christologie. In seiner Lehre vom Abendmahl hatte Schwenckfeld schon betont, wie zentral und notwendig die Teilnahme an Leib und Blut des erhöhten Christus sei. Seine dualistisch geprägte Abwertung der Materie und deren enge Verknüpfung mit Sünde und Unreinheit führten ihn jedoch dazu, den orthodoxen Glauben zu verwerfen, dass Christus seine menschliche Natur – sein Fleisch – von der Jungfrau Maria erhalten habe. Er meinte vielmehr, dass die menschliche Natur Christi, sein „himmlisches Fleisch“, einzig und allein von seinem himmlischen Vater stamme. Die Jungfrau Maria habe nur ihren Mutterschoß zur Verfügung gestellt. Wohl unter dem Einfluss Michael Servets und Sebastian →Francks hat Schwenckfeld behauptet, dass Christus zu keiner Zeit ein „Geschöpf“ (Kreatur), sondern immer der Sohn Gottes nach seiner menschlichen und göttlichen Natur gewesen sei. In seinen ausführlichen christologischen Diskussionen mit Joachim von Watt (Vadianus) und anderen, brandmarkte er seine Gegner als „Kreaturisten“ und behauptete, dass sie Christus nicht mit gebotener Ehrfurcht begegneten. Schwenckfelds Anhänger in Süddeutschland verstanden sich selbst oft als „Bekenner des erhöhten Christus“.
Die schwenckfeldische Bewegung hatte zwei geographisch von einander getrennte Verbreitungsgebiete, in denen unterschiedliche Sozialprofile vorherrschten. Schwenckfelds süddeutsche Anhänger wohnten zumeist in den Städten oder adligen Herrschaften. Sie entstammten dem städtischen Patriziat, dem Zunfthandwerk und dem ländlichen Adel. Frauen waren unter ihnen gut vertreten und hatten oft Führungsaufgaben übernommen. Die Gemeinschaften der süddeutschen Schwenckfelder lösten sich schließlich in der Turbulenz des Dreißigjährigen Krieges auf. Die schlesischen Schwenckfelder wohnten zumeist außerhalb der Städte und waren Bauern oder ländliche Handwerker. Ihre Anführer waren mehr patriarchalisch im traditionellen Sinn ausgerichtet. 1734 wanderten fünfhundert schlesische Schwenckfelder nach Pennsylvanien aus, wo ihre Nachkommen noch heute leben. Der letzte Schwenckfelder, der in Schlesien blieb, starb 1826.
Quellen
Selina G. Schultz u. a. (Hg.), Corpus Schwenckfeldianorum, 19 Bde., Leipzig 1907–1961.
Literatur
Caroline Gritschke 'Via Media': Spiritualistische Lebenswelten und Konfessionalierung: Das süddeutsche Schwenckfeldertum im 16. und 17. Jahrundert, Berlin 2006. - Robert Emmet McLaughlin, Caspar Schwenckfeld, Reluctant Radical: His Life to 1540, New Haven 1986. - Ders., The Freedom of the Spirit, Social Privilege, and Religious Dissent: Caspar Schwenckfeld and the Schwenckfelders, Baden-Baden 1996. - Hans J. Schoeps, Vom Himmlischen Fleisch Christi, Tübingen 1951. - Horst Weigelt, Spiritualistische Tradition im Protestantismus. Das Schwenckfeldertum in Schlesien, Berlin 1973.
Emmet McLaughlin