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Ehe (im Täufertum)

Die Institution Ehe erfuhr im Täufertum keine grundsätzliche Umdeutung, sondern stellte weiterhin die gesellschaftliche Grundordnung mit ihren rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Dimensionen dar. Allerdings erfuhr sie eine theologische Neuausrichtung mit teils weitreichenden Konsequenzen.

Die →Täufer positionierten sich mit ihrer »spirituellen Ehevorstellung« zwischen dem altgläubigen und dem protestantischen Eheverständnis. Dabei gingen sie von der Ehe als dem einen Stand für alle Menschen aus (Stephen Buckwalter, »So hatt er mir ouch nit zu verbietten ein ewib ze nehmen«, 15–30), der jedoch nicht – wie bei Luther – der weltlichen Sphäre zugehört. Im Mittelpunkt der theologischen Neuausrichtung stand das biblische Motiv der spirituellen Ehe zwischen Christus und seiner Braut, der Kirche. Dieses Motiv beschrieb nicht mehr nur metaphorisch die Beziehung des einzelnen Gläubigen zu Gott und zu seiner Gemeinde, sondern fand auch auf die Ehen der Täuferanhänger Anwendung. Diese Wechselwirkung zwischen Geschlechtermetaphorik, Gottesverhältnis und den konkreten Geschlechterbeziehungen macht die Komplexität und die Originalität der täuferischen Ehevorstellung aus.

Ihre praktische Umsetzung sorgte nicht nur im 16. Jahrhundert für Verunsicherung bei den Täufern und für polemische Angriffe vonseiten ihrer Gegner, sie polarisierte auch die Forschung. So hat die frühe Täuferforschung als Reaktion auf das von der protestantischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts verbreitete Etikett des »Libertinismus« die Ehe in erster Linie als Ausdruck der neuen Glaubensvorstellungen wahrgenommen (»covenantal marriage«). Die Ehepraxis, wie sie sich in den Täuferakten darstellt, zeigt indes, dass auch soziale, wirtschaftliche und rechtliche Dimensionen des Ehestands handlungsleitend für Täufer blieben. Diese Kontinuitäten mit der Mehrheitsgesellschaft werden jedoch häufig davon überblendet, dass die Ehe zu einem der Konfliktfelder geriet, auf dem die Auseinandersetzungen zwischen den täuferischen Gruppen und den Obrigkeiten ausgetragen wurden.

1. Eheschließung

Eheschließungen unter Täufern boten im 16. Jahrhundert insofern Konfliktpotential, als sie von dem nichttäuferischen Umfeld als heimliche Eheschließungen wahrgenommen wurden. Das lag nicht zuletzt an der Weigerung vieler Täufer, die Eheschließung durch den zunehmend vorgeschriebenen Kirchgang bestätigen zulassen, was wiederum vielerorts die Konsequenz hatte, dass protestantische Obrigkeiten Eheregister einführten (Katharina Reinholdt, Ein Leib, 183). In diesem Punkt hat der Konflikt mit den Täufern den Verkirchlichungsprozess der Eheschließung bei den etablierten Kirchen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vermutlich beschleunigt. Täuferische Eheschließungen fanden im Wald oder in Privathäusern vor der Gemeindeöffentlichkeit statt, und auch die priesterliche Funktion blieb bei der Trauung erhalten. Sie wiesen alle Elemente des im 16. Jahrhundert üblichen Übergangsrituals auf – zugleich grenzten sie sich stark von den etablierten Kirchen und gesellschaftlichen Konventionen ab und brachten in ihrer Schlichtheit täuferische Glaubensinhalte zum Ausdruck. Die nach 1550 zunehmend in den →Bekenntnissen fixierte Norm, Ehepartner nur innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft zu wählen, schränkte die Handlungsspielräume der Brautleute in der Phase der Werbung ein. Die patriarchalen Strukturen verstärkten sich, denn in allen etablierten Täufergruppen übernahmen die Ältesten anstelle des Bräutigams die formelle Brautwerbung. Anpassungsdruck führte aber auch dazu, dass sich mennonitische Brautleute von protestantischen Pfarrern einsegnen ließen, wie es z. B. im 17. Jahrhundert in Hamburg üblich wurde. Angezweifelt wurde die Gültigkeit täuferischer Eheschließung und damit auch die Erbberechtigung der Nachkommenschaft allerdings selten, obwohl eine Berner Ordnung von 1566 genau das androhte (Horst W. Schraepler, Die Rechtliche Behandlung, 96 f.). Am stärksten standen die →Hutterischen Brüder mit ihrer ritualisierten Partnerwahl in der Kritik, da die Wahlfreiheit der Brautleute eingeschränkt worden war und den göttlichen Willen zur Geltung bringen sollte. Die Hutterer verteidigten die gelenkte Partnerwahl als Ausdruck ihres Glaubens und betonten zugleich, dass der Grundsatz der Freiwilligkeit, wie er in den Traufragen zum Ausdruck kommt, auch bei ihnen gewahrt würde (Katharina Reinholdt, Ein Leib, 168).

2. Ehescheidung und Ehemeidung

Daneben sorgten eigenmächtige Ehetrennungen von Beginn an für negative Aufmerksamkeit, selbst wenn sie nicht immer mit »böswilligem Verlassen« gleichzusetzen waren. Auch deshalb nahmen alle Täufergruppen in den auch an ihr nichttäuferisches Umfeld gerichteten Bekenntnissen eine betont neutestamentliche Haltung zur Ehescheidung ein (Matth. 19, 9) und anerkannten nur den Ehebruch als legitimen Scheidungsgrund. Eine konfessionelle Mischehe war ausdrücklich kein Scheidungsgrund – allerdings nahmen Täufer (ebenso wie die Andersgläubigen) hier das Privilegium Paulinum für sich in Anspruch, wonach eine Ehe dann keinen Bestand mehr hatte, wenn der Gläubige von dem »ungläubigen« Ehegatten verlassen wurde (nach 1. Kor. 7, 15; vgl. Art. 5 der Wismarer Artikel von 1554). Die Hutterer leiteten davon auch die Bedrohung der Glaubensausübung als legitimen Trennungsgrund ab, was zu Auseinandersetzungen mit den Schweizer Brüdern führte (Glaubenszeugnisse, Bd. 1, 269).

Mit der Ehescheidungsproblematik war auch die Frage der Ehemeidung verknüpft, die von Außen betrachtet einer Ehescheidung gleichkam (und auch aus mennonitischer Perspektive darauf hinauslaufen konnte). Die täuferische Innovation der Ehemeidung, eine mögliche Konsequenz der Bannstrafe (→Bann), geht wiederum auf die Brautmetaphorik zurück. Danach musste die Gemeinde als Braut Christ, um ihre Reinheit zu bewahren, sündhafte Gläubige ausschließen. Über die Frage, ob und in welchem Ausmaß auch Eheleute gebannte Gatten »meiden« sollten, entbrannte heftiger Streit, der zu mehreren Aufspaltungen führte. So mündeten die Diskussionen um Swaen Rutgers Weigerung, sich von ihrem gebannten Ehemann zu trennen, schließlich in die Abspaltung der Waterländer von den niederländischen Mennoniten (1557). Mit der Forderung der Ehemeidung bestätigten die Verfechter einer rigiden Kirchenzucht letztlich die zeitgenössische Wahrnehmung der täuferischen Ehevorstellung, wonach im Konfliktfall Ehen aus Glaubensgründen getrennt werden konnten.

3. Polygamie und sexuelle Devianz

Prägend für die Wahrnehmung der Täuferehen war aber vor allem der nicht unbegründete Vorwurf der sexuellen Devianz. Der von zeitgenössischen Kommentatoren konstruierte Zusammenhang von Gütergemeinschaft und »Weibergemeinschaft« war zwar falsch, aber es gab durchaus Fälle von religiös motivierter sexueller Devianz: etwa der Straßburger Bigamist Claus Frey, der als einziger Täufer in Straßburg 1533 zum Tod durch Ertränken verurteilt wurde. Vermutete die ältere Forschung bei diesen Fällen noch Kontinuitäten mit spätmittelalterlichen Ketzerbewegungen (Claus-Peter Clasen, Medieval Heresies, 392–415), werden diese Fälle heute als Interpretationen der täuferischen Ehevorstellung auf der Grundlage einer mittelalterlichen Auffassung von Sexualität gedeutet. Anders verhält es sich bei der Einführung der Polygamie in →Münster im Juli 1534, deren Ursachen immer noch diskutiert werden: Soziale, wirtschaftliche und ordnungspolitische Gründe werden im Hinblick auf die überwiegend weibliche Einwohnerschaft ebenso erwogen wie der Herrschaftsanspruch Jan van Leidens durch die Eheschließung mit Diewer van Haarlem (Ralf Klötzer, The Melchiorites and Münster, 217–256). Der große Widerstand gegen die Einführung der »Vielweiberei« (Mollenheckeaufstand) zeigt, ebenso wie die Quellen zu anderen Fällen von sexueller Devianz, dass sich die Normen auch in den Randgruppen der Täuferbewegung nicht verändert hatten. Es handelte sich vielmehr um eine bewusste und in den meisten Fällen ritualisierte Grenzüberschreitung, mit der die Akteure der der Sexualität innewohnenden Gefahr der Sünde begegnen wollten. Damit standen sie mit den Verfechtern einer strengen Kirchenzucht unter den Mennoniten und Hutterischen Brüdern auf einer Ebene (Katharina Reinholdt, Ein Leib, 55–154). Auch ihnen ging es letztlich darum, den Status ihrer Gemeinschaft als Braut Christi »ohne Flecken und Runzeln« zu bewahren. Insgesamt blieb das Phänomen der sexuellen Devianz im Täufertum eine Randerscheinung, von der sich alle großen Täufergruppen abgrenzten.

Literatur (Auswahl)

Stephen E. Buckwalter, »So hatt er mir ouch nit zu verbietten ein ewib ze nehmen«. Die Täufer und die reformatorische Priesterehe. In: Mennonitische Geschichtsblätter 2004, 15–30. - Claus-Peter Clasen, Medieval Heresies in the Reformation, in: Church History 32, 1963, 392–415. - Ernst Correll, Art. Ehe, in: Mennonitisches Lexikon, Bd. 1, 1913, 509–526. - Miriam Usher Chrisman, Women and the Reformation in Strasbourg 1490–1530, in: Archiv für Reformationsgeschichte 63, 1972, 142–168. - Nicole Grochowina, Zwischen Gleichheit im Matyrium und Unterordnung in der Ehe. Aktionsräume von Frauen in der täuferischen Bewegung, in: Anne Conrad (Hg.), In Christo ist weder man noch weyb« – Frauen in der Zeit der Reformation und der katholischen Reform, Münster 1999, 95–13. - Glaubenszeugnisse oberdeutscher Taufgesinnter, hg. von Lydia Müller, Leipzig 1938 . - Mary Ault Harada, Family Values and Child Care during the Reformation Era. A Comparative Study of Hutterites and some other German Protestants, Ms. Diss., Boston University 1968. - Wes Harrison, Auf der Suche nach der vollkommenen Ehe. Eine hutterische Hochzeitspredigt aus dem 17. Jahrhundert (Eph. 5, 22–33), in: Mennonitische Geschichtsblätter 1996, 82–91. - John Klassen, Women and the Family among Dutch Anabaptist Martyrs, in: Mennonite Quarterly Review 60, 1986, 548–571. - Ralf Klötzer, The Melchiorites and Münster, in: James Stayer und John D. Roth (Hg.), A Companion to Anabaptism and Spiritualism 1521–1700, Leiden und Boston 2007, 217–256. - Lucille Marr, Anabaptist Women in the North. Peers in Faith, Subordinates in Marriage, in: Mennonite Quarterly Review 61, 1987, 347–362. - Katharina Reinholdt, Ein Leib in Christo werden. Ehe und Sexualität im Täufertum der Frühen Neuzeit, Göttingen 2012. - Horst W. Schraepler, Die rechtliche Behandlung der Täufer in der deutschen Schweiz, Südwestdeutschland und Hessen, 1525–1648, Tübingen 1957. - Keith L. Sprunger, God's Powerful Army of the Weak. Anabaptist Women of the Radical Reformation, in: Richard L. Greaves (Hg.), Triumph over Silence. Women in Protestant History, Westpoint 1985, 45–74. - James M. Stayer, Vielweiberei als „innerweltliche Askese“. Neue Eheauffassungen in der Reformationszeit. In: Mennonitische Geschichtsblätter 1980, 24–41. - William R. Wohlers, The Anabaptist View of the Family in its Relationship to the Church, Ms. Diss., University of Nebraska, Lincoln 1976.

Katharina Reinholdt

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