Uttenreuther Träumer
Die Uttenreuther sind eine apokalyptische Täufergruppe, die aus den Resten des Hutschen Täufertums (Hans →Hut) in Franken hervorging und sich zwischen August 1530 und Ostern 1531 um den Uttenreuther Schmied Hans Schmid sammelte. Berühmt wurde die kurzlebige Gruppe von etwa fünfzig Personen vor allem dadurch, dass ihre Mitglieder angeblich wahllos neue „geistliche“ Ehen untereinander eingingen und die Schrift individuellen Träumen, Gesichten und Auditionen unterordneten.
Tatsächlich verstanden sich die Uttenreuther Träumer angesichts des für Ostern 1531 erwarteten Gerichts als das auserwählte Volk Gottes aus Joel 3, dem der Geist unmittelbar gegeben ist und das sich deshalb sündlos zu erhalten habe. Gerade deshalb wurden die geistlichen Ehen (→Ehe) keineswegs wahllos eingegangen, sondern unter strenger Wahrung der biblischen Ehehindernisse geschlossen: Sie dienten dazu, einerseits aus den beteiligten Familien das gemeinsame endzeitliche „Volk“ Gottes zu schaffen, anderseits aber sündhafte Lust durch geistgewirkte (und zumeist gegen den subjektiven Willen der Beteiligten gestiftete) Verbindungen zu vermeiden. Die Wahlverwandtschaften der Uttenreuther Träumer dienten – wie einige andere Riten, für die man sich auf Leviticus berief – primär der Sündenvermeidung.
Die individuellen Träume, Visionen und Auditionen der Uttenreuther Träumer mussten, bevor sie Geltung erlangen konnten, in autoritativer Auslegung durch Hans Schmid bzw. von der göttlichen „stim“ als biblisch beglaubigt werden, d. h. alle Träume mussten dem Inhalt der Schrift entsprechen, um als endzeitliche Gabe Gottes nach Joel 3 gelten zu können. Darin entsprach der Umgang der Uttenreuther Träumer mit den Träumen der Tradition spätmittelalterlicher Traumbücher, die Träume nur insoweit als prophetisch bzw. prognostisch akzeptierte, als sie dem Schriftzeugnis entsprachen.
Die Uttenreuther Träumer sind daher keineswegs als Repräsentanten eines spiritualistischen Antinomismus zu verstehen, sondern umgekehrt als Vertreter eines täuferisch-apokalyptischen Nomismus, der die Prophezeiungen der Schrift nicht anders denn wörtlich verstehen konnte.
Bibliografie (Auswahl)
Quellen
Quellen zur Geschichte der Wiedertäufer, Bd. II: Markgraftum Brandenburg (Bayern I. Abtheilung), hg. von Karl Schornbaum, Leipzig 1934.
Literatur
Anselm Schubert, Der Tag vom Traum des Herrn. Die „Uttenreuther Träumer“ und das apokalyptische Täufertum, in: Archiv für Reformationsgeschichte 97, 2006, 6–37. - Hans-Jürgen Goertz, Träume, Offenbarungen, Visionen: in ders.: Radikalität der Reformation. Aufsätze und Abhandlungen, Göttingen 2007, 164–187. - Katharina Reinholdt, Ein Leib in Christo werden. Ehevorstellungen und Ehepraxis bei den Täufern im 16. und frühen 17. Jahrhundert, Göttingen 2012.
Anselm Schubert