Miller, Marlin E.

geb. am 29. November 1938 bei Kalona, Iowa, USA, gest. am 3. November 1994 in Elkhart, Indiana, USA; Theologe und Präsident des Associated Mennonite Biblical Seminary in Elkhart, Indiana.

Marlin E. Miller wurde in eine Familie hineingeboren, die zunächst zur Lower Deer Creek Mennonite Church in der Nähe von Kalona, Iowa, gehörte. Später zog sie nach Goshen, Indiana, und schloss sich der College Mennonite Church an. Miller beendete seine Schulbildung an der Bethany Christian High School und sein Grundstudium am Goshen College. Danach besuchte er ein Jahr lang die Internationale christliche Universität in Tokio, Japan. Nach einem weiteren Studienjahr am Goshen Biblical Seminary zog er mit seiner Ehefrau Ruthann Gardner Miller 1961 nach Europa, wo er ein Jahr lang an der Universität Basel Theologie studierte und anschließend seine theologische Promotion an der Universität Heidelberg vorbereitete. 1968 wurde er summa cum laude promoviert. Während er sich zu Karl →Barth bekannte, der sein theologisches Denken am nachhaltigsten beeinflusst hatte, schrieb er eine Dissertation über das Reich Gottes in der Theologie Friedrich Schleiermachers. In diesem Theologen hatte Barth einen entschiedenen Antipoden seiner eigenen Theologie gesehen.

Es war ein Kindheitstraum Millers, einmal Missionar zu werden. So arbeiteten er und seine Frau im Auftrag des Mennonite Board of Missions in Paris mit internationalen Studenten, darunter vielen aus Afrika, die in ihrer französischen Umgebung oft ethnischen Anfeindungen ausgesetzt waren. Miller wurde 1971 in der mennonitischen Gemeinde Chatenay-Malabry zum Prediger ordiniert und versah diesen Dienst gemeinsam mit anderen Kollegen.

Zunächst wurde Miller vom Associated Mennonite Biblical Seminary in Elkhart gebeten, von 1974 bis 1975 Theologie zu lehren. Danach wurde er zum Präsidenten des Goshen Biblical Seminary berufen, einem der beiden Seminare, die in Elkhart zusammenarbeiteten. 1990 wurde er auch Präsident des Mennonite Biblical Seminary, und 1993 gelang es ihm, den Zusammenschluss beider Seminare zu einem Seminar zu erreichen. Er war Präsident des Associated Mennonite Biblical Seminary bis zu seinem plötzlichen, unerwarteten Tod nach einem schweren Herzinfarkt am 3. November 1994. Während seiner zwanzigjährigen Lehr- und Verwaltungstätigkeit in Elkhart verstand er sich als „missionary on extended leave“ (als Missionar auf verlängertem Sonderurlaub).

Miller wurde oft als „Brückenbauer“ bezeichnet. Er hatte tatsächlich Brücken zwischen Europäern und Afrikanern gebaut, zwischen Amerikanern und Europäern, Mennoniten und anderen Christen, zwischen Wissenschaften und Gemeinden. Die Stellung der Frau in Kirche und Kultur war während seiner Amtszeit als Präsident des Seminars ein umstrittenes Thema. Er half auf geschickte Weise, den Predigtdienst in den nordamerikanischen Mennonitengemeinden auch für Frauen zu öffnen, ohne dabei die Konservativen zu verstören.

Auch „Diener der Kirche“ beschreibt Miller sehr genau, und er diente auf vielerlei Weise: in Europa als Repräsentant der European Peace Section des →Mennonite Central Committee (1963–1974), das schloss auch die Teilnahme an den →Puidoux Theological Conferences über Kirche und Staat mit ein, ebenso die Ost-West-Gespräche und Konferenzen mit Reisen in die ehemalige DDR und die frühere Tschechoslowakei. Er war Präsident des Eirene International Service for Peace von 1970 bis 1974 und Mitglied der Mennonite Central Committee Ecumenical Peace Theology Group von 1987 bis zu seinem Tod. Sein irenischer Stil und sein ökumenisches Engagement legten es nahe, ihn zu beauftragen, den internationalen Dialog zwischen Reformierten und Mennoniten in Straßburg (Frankreich) 1984 mitzumoderieren. Ebenso war er Mitmoderator des lutherischen-mennonitischen Dialogs in den USA von 1979 bis 1981. Auch war er ein täuferisch-mennonitischer Beobachter der dreijährigen Beratungen der Kommission, die zu einer New Lutheran Church in den USA führen sollte (1983–1986). Schließlich war er einer der Hauptteilnehmer an der Diskussion, die im Rahmen von Faith and Order (Glauben und Kirchenverfassung) in dem nordamerikanischen National Council of Churches über Frieden und apostolischen Glauben geführt wurde. Diese Diskussion fand ihren Höhepunkt in einem auch von ihm mit herausgegebenen Buch, das kurz nach seinem Tod erschienen ist (The Church´s Peace Witness).

Miller war einer Theologie verpflichtet, die von der Kirche und für die Kirche gestaltet wurde, und aus diesem Grunde war er von 1986 bis zu seinem Tod Mitvorsitzender des us-amerikanischen intermennonitischen Komitees, das eingesetzt worden war, um ein gemeinsames Glaubensbekenntnis zu erarbeiten. Die Entwürfe von Artikeln für das erste gemeinsame Glaubensbekenntnis der Mennonite Church und der General Conference Mennonite Church (Confession of Faith in a Mennonite Perspective, 1995) gingen auf ihn zurück. Neben anderem galt sein besonders leidenschaftliches Interesse der Arbeit an einer Theologie des Friedens, die den Friedensweg Christi als Kernbestand des apostolischen Glaubens und des kirchlichen Missionsauftrags in der Welt verstand. Mindestens zwei Zuhörerkreise hatte er als Adressaten für dieses ganzheitlich ausgerichtete Evangeliumsverständnis im Sinn: Mennoniten und andere friedenskirchliche Gruppen, die vom protestantischen Pietismus und der Erweckungsbewegung geprägt und geneigt waren, das Engagement für den Frieden als ein besonderes Konfessionsmerkmal zu sehen. Der zweite Adressatenkreis waren andere christliche Gruppen, die in der Tradition der Lehre vom Gerechten Krieg standen, denen es nicht gelungen war, die biblischen oder frühchristlichen Wurzeln des Pazifismus zu erkennen, oder die es vorgezogen hatten, diese Wurzeln zu leugnen. Miller war auch dabei behilflich, die Haltung der nordamerikanischen Mennoniten zu kirchlicher Leitung und Autorität neu zu gestalten. Aufgrund seiner leitenden Funktion am Goshen Biblical Seminary und seiner Arbeit in einer Einsatzgruppe der Mennonite Church zu „Leadership and Authority“ (1976–1981) steuerte er einen mittleren Kurs zwischen hierarchischen Strukturen, denen viele nordamerikanische Mennoniten zum Opfer gefallen waren, und einem radikalen Egalitarismus, der in den 1950er und 1960er Jahren als Gegenbewegung aufgekommen war.

Bibliografie (Auswahl)

Der Übergang. Schleiermachers Theologie des Reiches Gottes im Zusammenhang seines Gesamtdenkens. Gütersloh 1970. - Marlin E. Miller und Barbara Nelson Gingerich (Hg.), The Church's Peace Witness, Grand Rapids, Michigan 1994. - Richard A. Kauffman und Gayle Gerber Koontz (Hg.), Theology for the Church: Writings by Marlin E. Miller, Elkhart, Indiana, 1997.

Lexikonartikel

Christology, Inerrancy of Scripture,Priesthood of All Believers und Theology, in: Mennonite Encyclopedia V, 1990.

Richard A. Kauffman

 
www.mennlex.de - MennLex V :: art/miller_marlin_e.txt · Zuletzt geändert: 2020/05/20 18:30 von bw     Nach oben
© 2010 - 2020 Mennonitischer Geschichtsverein e.V. | Impressum | Kontakt: webmaster@mennlex.de | Umsetzung: Benji Wiebe, mennox.de |
Artikel drucken
| ODT Export | PDF Export