Neuwied (Evangelische Mennonitengemeinde)

Die Evangelische Mennonitengemeinde Neuwied (K.d.ö.R.) gehört zur →Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (VDM) und durch diese auch zur →Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland (AMG). Das Gemeindezentrum befindet sich im Neuwieder Stadtteil Torney (Pommernstraße 9).

1. Die Anfänge

Bereits 1574 werden „Wiedertäufer“ in den Kirchenbüchern der katholischen Pfarreien Fahr und Irlich (heute Teil der Stadt Neuwied) erwähnt. Die unmittelbaren Wurzeln der Gemeinde gehen allerdings auf mennonitische Einwanderer aus dem Gebiet um Monschau und Jülich zurück, die bei der Gründung der Stadt Neuwied durch den Grafen zu Wied 1653 in die Stadt kamen. Sie waren vor allem Weber und Bauern. Der Graf zu Wied, selbst reformiert, baute seine neue Stadt mit Hilfe von Siedlungswilligen aller Konfessionen auf. Die angestrebte Religionsfreiheit, die auf wirtschaftliche Motive zurückzuführen ist, kam von Anfang an auch Mennoniten zugute. Das offizielle Privileg mit den näheren Bedingungen der Tolerierung (z. B. öffentliche Religionsausübung und Befreiung von Waffendiensten) geht auf das Jahr 1680 zurück.

Die Gottesdienste durften in den ersten Jahrzehnten nur in Privathäusern gefeiert werden. Dies war für die immer recht klein bleibende Gemeinde auch nicht problematisch. 1766 allerdings drängte Graf Alexander zu Wied die Mennoniten zum Bau einer eigenen Kirche auf einem von ihm gestifteten Areal gegenüber dem Schloss am Ufer des Rheins und unweit der Synagoge. Damit sollte die Gleichstellung mit anderen Religionsgemeinschaften zur Geltung gebracht werden. Auch wenn die Gemeinde damals mit knapp 100 Mitgliedern ihre Blütezeit erlebte, war der Bau einer Steinkirche (Holz war wegen des häufigen Rheinhochwassers nicht möglich) eine große finanzielle Herausforderung und konnte nur mit Unterstützung beispielsweise der Mennoniten aus den Niederlanden (Haarlem) gemeistert werden.

2. Marksteine der Entwicklung und Rückgang der Gemeinde

Seit 1774 trägt das Gebäude offiziell die Bezeichnung „Mennonitenkirche“. 1826 wurde eine Orgel eingebaut und 1860 – auf Drängen und mit finanziellen Mitteln des Fürstenhauses – ein kleiner Turm (Dachreiter) auf das Dach gesetzt. Wenig später stiftete die fürstliche Familie die Glocke, die heute im Neuwieder Kreismuseum ausgestellt ist.

1774 besuchte Johann Wolfgang von Goethe zusammen mit Joh. Kaspar Lavater und Joh. Bernhard Basedow die Gemeinde und zwei ihrer herausragenden Persönlichkeiten, den Prediger Lorenz Friedenreich (1728 – 1794) und den Uhrmacher Peter Kinzing (1745 – 1816). Friedenreich war vom Pietismus geprägt und stand in lebhafter brieflicher Verbindung mit seinen mennonitischen Kollegen in der Pfalz. Kinzing war ein bedeutender Uhrmacher seiner Zeit und arbeitete eng mit dem berühmten Möbelschreiner David Röntgen aus der Neuwieder Herrnhuter Brüdergemeine zusammen. Ein weiterer bedeutsamer Prediger der Gemeinde war Carl Harder (1820 – 1898), der aus Königsberg stammte. Er betätigte sich, um seinen Lebensunterhalt besser bestreiten zu können, als Hauslehrer der fürstlichen Familie zu Wied und unterrichtete u. a. die Prinzessin Elisabeth (spätere Königin von Rumänien), die unter dem Dichterpseudonym Carmen Sylva bekannt wurde.

Die Gemeinde wurde durch Auswanderungen aus wirtschaftlichen Gründen allmählich immer kleiner. Um die Wende zum 20. Jahrhundert hatte sie noch zwanzig Mitglieder mit weiter abnehmender Tendenz, die zudem weit verstreut lebten. Praktisch alle Gemeindeglieder lebten in gemischt-konfessionellen Familien. Nur mit großer Mühe konnte das Gemeindeleben aufrechterhalten werden. Gottesdienste fanden höchstens einmal im Monat statt, und die pastoralen Dienste wurden von der weit entfernten mennonitischen Nachbargemeinde Krefeld wahrgenommen. Zum Taufunterricht verbrachten Jugendliche meist einige Tage oder Wochen im Haus der Krefelder Pfarrer. Aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen gibt es kaum Nachrichten. 1935 ist eine Taufe erwähnt.

3. Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg und ökumenische Öffnung

Ab 1949 kamen viele mennonitische Flüchtlinge in den Kreis Neuwied. In Leutesdorf wurde ein Altersheim für alleinstehende alte Menschen eingerichtet und kurz darauf auch ein mennonitischer Friedhof eröffnet. Die Gemeinde wuchs sprunghaft auf mehrere hundert Mitglieder an, von denen viele jedoch in den folgenden Jahren nach Nord- und Südamerika auswanderten. 1952 entstand mit Hilfe des →Mennonite Central Committee (MCC) eine Siedlung mit dreißig Häusern auf der Torney unweit der Stadt. Im Zuge dessen entstand auch ein Gemeindehaus, in dem zunächst zusätzlich zum Gottesdienst in der Stadt andere Veranstaltungen stattfanden, wie Kinder-Bibelwochen und Familienfeiern. Nordamerikanische mennonitische Ersatzdienstleistende, sog. →Paxboys, wohnten in einem der Häuser und arbeiteten in der Bimsindustrie, wo Steine zum Bau von Mennonitensiedlungen in anderen Teilen Deutschlands hergestellt wurden. Die Gemeinde entwickelte ein blühendes Leben.

Auch eine Gemeinde aus der Tradition der →Mennoniten-Brüdergemeinden (MB) entstand in dieser Zeit in der Stadt Neuwied. Die alte Gemeinde pflegte, wenn auch nicht immer spannungsfreie, Beziehungen mit der Brüdergemeinde.

1974 kamen in Folge der sog. Ostverträge viele russlanddeutsche Mennoniten aus unterschiedlichen Traditionen aus der Sowjetunion als Umsiedler auch nach Neuwied. Die einen schlossen sich der MB-Gemeinde an, die anderen der Evangelischen Mennonitengemeinde. Gleichzeitig kamen mennonitische Rückwandererfamilien aus Südamerika nach Neuwied.

Die alte Mennonitenkirche gegenüber dem Schloss wurde zu klein. So wurde das Gemeindehaus auf der Torney in der Pommerstraße 1979 ausgebaut und die alte Kirche an die Stadt verkauft, die darin eine Städtische Galerie für Ausstellungen aller Art einrichtete.

Das Zusammenleben der verschiedenen Gruppen in der Gemeinde gestaltete sich nicht einfach. Zu verschieden waren die Prägungen und Vorstellungen. Die ökumenische Offenheit und die liberalere und weltoffenere Einstellung der Evangelischen Mennonitengemeinde in Fragen der Kleiderordnung, der Gemeindeordnung und der Theologie waren für viele Gemeindeglieder russlanddeutscher Herkunft nicht tragbar. Vor allem die Rolle der Frauen war umstritten. Frauen in der Gemeindeleitung und im Verkündigungsdienst waren für viele Russlanddeutsche nicht akzeptabel. Bald kam es zu einer Trennung und viele konservative russlanddeutsche Gemeindeglieder gründeten 1977 die Mennonitengemeinde Neuwied (e.V.). Ähnliches geschah in der MB-Gemeinde. Auch hier kam es zu Trennungen und im weiteren Verlauf zur Gründung einer anderen MB-Gemeinde und später einer Gemeinde des Bundes Taufgesinnter Gemeinden (BTG) in der Stadt. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe unabhängiger Gemeinden mennonitischen Hintergrunds aus der russlanddeutschen Prägung in der Stadt und im Kreis Neuwied. Sie bilden mit mehreren Tausend Mitgliedern zahlenmäßig die Mehrheit in der Region.

Die Evangelische Mennonitengemeinde wurde durch die Trennung wieder deutlich kleiner und die demografische Entwicklung führte zu einer weiteren Abnahme der Mitglieder. Gleichzeitig ging sie ihren Weg konsequent weiter und öffnete sich immer mehr für die Ökumene und für den Dienst von Frauen in Gemeindeleitung und Verkündigung. 1984 war sie Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) Neuwied und 1985 richtete sie den Gemeindetag Deutscher Mennoniten aus. 2006 unterzeichnete sie mit den evangelischen und katholischen Nachbargemeinden eine ökumenische Partnerschaftsvereinbarung und konnte in demselben Jahr einen großen Umbau ihres Gemeindezentrums in der Pommerstraße einweihen. 2015 zählte die Gemeinde mit 281 Gliedern zu den größeren Gemeinden der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland (AMG).

Literatur (Auswahl)

Stadt Neuwied (Hg.), Gelebte Glaubensvielfalt am Beispiel der Stadt Neuwied, Neuwied 2009. - Dirk Cattepoel, Die Mennonitengemeinde, in: Archiv für dt. Heimatpflege Köln (Hg.), 1653 – 1953. 300 Jahre Neuwied. Ein Stadt- und Heimatbuch, Neuwied 1953, 383 ff. - Ernst Crous, Lavater, Basedow und Goethe bei den Mennoniten in Neuwied, in: Mennonitische Blätter 1930, 107 f. - Susanne Isaak-Mans, Vom Nebeneinander zum Miteinander. Die Evangelische Mennonitengemeinde im Konzert der christlichen Kirchen in Neuwied/Rhein, in: Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden (Hg.), Mennonitisches Jahrbuch 2006, Lahr 2005, 101 ff. - Rainer Kobe, Neuwieder Toleranz: Die Mennonitengemeinde in Neuwied im 17. und 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 62, 2013, 107–118.

Anschrift: Engerser Str. 81, 56564 Neuwied

E-Mail: pastor@mennoniten-neuwied.de

Website: http://www.mennoniten-neuwied.de

Rainer W. Burkart

 
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