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Andreae, Jakob

geboren am 25. März 1528 in Waiblingen, gest. am 7. Januar 1590 in Tübingen; lutherischer Kirchenführer und Theologe.

In den Bemühungen, die zahlreichen Streitigkeiten innerhalb des lutherischen Lagers nach dem Tode Martin →Luthers beizulegen und eine theologische Einheit unter den Lutheranern zu schaffen, war Jakob Andreae eine führende Gestalt. Er ist mit dem Prozess fest verbunden, der zur Konkordienformel (1577) führte, einem Bekenntnis, das in der Evangelisch-lutherischen Kirche heute noch maßgeblich ist. Andreae setzte sich auch mit den →Täufern und deren Theologie auseinander. Seine Predigten gegen sie zeigen einen Umgang mit den Täufern, der sich jedoch von dem üblichen Ruf nach Verfolgung und Verbannung unterschied.

Jakob Andreae entstammte einer schwäbischen Handwerkerfamilie (sein Vater, Jakob Endriß, war Schmied), konnte aber aufgrund seiner geistigen Fähigkeiten die Lateinschule in Waiblingen besuchen, mit Stipendien sein Studium am Pädagogicum in Stuttgart aufnehmen und an der Universität in Tübingen fortführen. Dort erwarb er das Baccalaureat (1543) und den Grad eines Magister Artium (1545). Daran schloss sich ein Studium der Theologie unter der Leitung des lutherischen Theologen Erhard Schnepf an (1546).

Im Jahr 1546 heiratete er und wurde Diakon in Stuttgart. Die Einführung des Augsburger Interims im selben Jahr brachte aber grundlegende Änderungen. Im Gefolge des Schmalkaldischen Krieges und des Interims wurde der lutherische Gottesdienst in Württemberg untersagt. Während führende lutherische Prediger Württemberg verließen, blieb Andreae bis 1548 Diakon in Stuttgart, arbeitete dann ab 1549 als „Katechist“ in Tübingen und feierte den lutherischen Gottesdienst hinter verschlossenen Türen. Diese Standhaftigkeit wurde 1549 durch seine Ernennung zum Diakon an der Stiftskirche in Tübingen belohnt. In dieser Funktion wurde er 1550 gebeten, Herzog Ulrich das letzte Abendmahl zu reichen. Schon in seiner Zeit als Diakon in Stuttgart hatte Andreae am Hof gepredigt und sich das Wohlwollen des Herzogs erworben. Als das Luthertum wieder eingeführt werden konnte, wurde er 1553 zum Pfarrer und Superintendenten in Göppingen bestellt. Im nächsten Jahr wurde er zum Generalsuperintendenten befördert und zum Doktor der Theologie promoviert.

Andreae war in die reformatorische Umgestaltung Württembergs verwickelt, aber auch in die Bemühungen, eine lutherische Einheit darüber hinaus zu schaffen. Von 1552 an unternahm er ca. 125 Reisen, um als Vertreter von Herzog Christoph innerhalb und außerhalb Württembergs zu versuchen, Streitigkeiten zu schlichten und Einigkeit zu erzielen. Von 1553 bis 1559 nahm er an der reformatorischen Neuordnung Württembergs teil. Ein Stuttgarter Bekenntnis, an dem Andreae arbeitete und das von Johannes Brenz tief beeinflusst war, erschien 1559. Vielleicht als Belohnung dafür, aber sicherlich auch um seine Autorität bei zukünftigen Aufgaben zu stärken, wurde Andreae 1562 zum Kanzler und Professor an der Universität Tübingen und zum Propst der Stiftskirche ernannt.

Nach dem Tod Martin Luthers zerfiel das protestantische Lager immer mehr in einzelne Gruppierungen. Zu der Uneinigkeit zwischen Lutheranern und Calvinisten (Reformierten) kamen Streitigkeiten innerhalb des Luthertums zu verschiedenen Lehrstücken. Die erfolglosen Bemühungen, eine Einigung mit den Calvinisten zu erreichen, zwangen zur Kursänderung. Nun wurde versucht, die Einigungsbemühungen im lutherischen Lager wenigstens zu verstärken. 1568 nahmen Jakob Andreae und Martin Chemnitz eine lutherische Neuordnung der Braunschweiger Kirche vor. Der Versuch, eine breitere innerlutherische Einigung zu erzielen, scheiterte aber 1570 auf dem Konvent zu Zerbst an der Opposition Kursachsens (an den Spannungen zwischen den Philippisten und Gnesiolutheranern). Die Sechs Predigen von den Spaltungen, die Andreae 1573 gehalten hatte, führten zur Schwäbischen Konkordie. Erst nachdem sich Kursachsen vom Calvinismus abgewandt hatte, wurde auch hier auf Vorschlag Andreaes die Schwäbische-Sächsische Konkordie (1574) unterzeichnet. Eine Neuordnung der Kursächsischen Kirche, an der Andreae auf Einladung Kurfürst Augusts gearbeitet hatte, erfolgte schließlich 1576. Fortgesetzt wurden die Eingungsbemühungen auf dem Torgauer Konvent (1576), wo das Torgauer Buch (Epitome von Andreae) verabschiedet wurde, und auf einem erweiterten Treffen lutherischer Theologen im Kloster Bergen bei Magdeburg (1577). Hier entstand das Bergische Buch, an dem Andreae entscheidenden Anteil hatte. Dieses Werk stellte die Endgestalt der Konkordienformel (FC) dar. Bis sie dann 1580 als das von einer Reihe von lutherischen Fürstentümern und Städten unterzeichnete Konkordienbuch stand, musste Andreae weitere Reisen unternehmen. Durch seine Arbeit an der FC gewann er eine bleibende Bedeutung für die lutherische Theologie und Kirche.

Bedeutsam war aber auch seine Auseinandersetzung mit den Täufern und der täuferischen Theologie. In der zweiten Hälfte des Jahres 1567 und den ersten Wochen des Jahres 1568 hielt Andreae eine Reihe von Predigten in der Stadt Esslingen. Der Grund für Andreaes Anwesenheit in dieser Stadt war – zumindest vordergründig – ein Ausbruch der Pest in Tübingen, der die Universität nach Esslingen auszuweichen gezwungen hatte. Die Predigten behandelten die theologischen Spaltungen, die Andreae und seinen Herzog gerade beschäftigten. Herzog Christoph, der sicherlich einigen Predigten beigewohnt hatte, bat Andreae, die Predigten niederzuschreiben. Diese Predigten, aus eigenen Notizen und Mitschriften einiger Zuhörer zusammengesellt, konten in Tübingen im Sommer 1568 als Dreyunddreissig Predigen Von den fürnemsten Spaltungen in der Christlichen Religion, so sich zwischen den Bäpstischen, Lutherischen, Zwinglischen, Schwenckfeldern, und Widerteuffern halten erscheinen. Die letzten zehn Predigten sind gegen die →Täufer gerichtet. Weitere Ausgaben der Predigtsammlung erschienen 1573 und 1576.

Die Wahl Esslingens als Schauplatz dieser Predigtreihe war vorteilhaft. Esslingen war eine konfessionell gespaltene Stadt, die eine gute Möglichkeit bot, eine theologische (lutherische) Einigkeit anzustreben. Die katholischen, zwinglischen und lutherischen Parteien in der Stadt waren in etwa gleich stark. Es gab auch eine Gruppe von Schwenckfeldern, die von Kaspar von →Schwenckfeld in der Stadt selbst gegründet wurde. Esslingen war aber auch ein Brennpunkt täuferischer Aktivitäten. Besonders in den 1530er Jahren waren Täuferprediger hier besonders aktiv. Wilhelm →Reublin und der sonst unbekannte Prediger Alexander hatten eine große Zahl von Anhängern gewonnen. Das Täufertum war hier zunächst von den Schweizer Täufern bestimmt worden; später kamen Vertreter der Richtung Hans →Huts hinzu. Dann folgten Missionare der Hutterer (→Hutterische Bruderhöfe). Als Andreae sich in der Stadt aufhielt, gab es dort immer noch eine beachtliche Gruppe von Täufern, so dass eine Antwort auf diese angeblichen Häretiker sinnvoll erschien. Der religionspolitische Zweck der Dreyunddreissig Predigen bestand also darin, das Luthertum in der Stadt Esslingen zu etablieren und dabei den Einfluss der Katholiken, Zwinglianer, Schwenckfelder und Täufer zu beseitigen.

Diese Predigten beeinflussten nachhaltig die weiteren Bemühungen, eine lutherische Einheit zu erreichen. Die lutherische Reformation konnte in demselben Jahr in Esslingen eingeführt werden (Annahme der FC erst 1579). Die Dreyunddreissig Predigen stellten darüber hinaus ein Musterfür die oben erwähnten Sechs Predigen (1573) dar. Diese Predigten behandeltenThemen wie Rechtfertigung, gute Werke, Erbsünde, freier Wille, Adiaphora, Gesetz und Evangelium und die Eucharistie. Andreaes Methode bei diesen Predigten war die der Dreyunddreissig Predigen: die Darlegung lutherischer und die Verwerfung falscher Lehre. Die Predigten gegen die Täufer behandelten u. a. Themen wie Gerechtigkeit, Kindertaufe und Erbsünde, das Wesen der Kirche, Abendmahl, Obrigkeit, Eid, Schwert, die Ehe und Gütergemeinschaft. Diese Reihenfolge der Thesen taucht im Artikel XII der FC wieder auf und dessen Sprache ähnelt der Diktion der Predigten sehr. Aus den Sechs Predigen erwuchs die Konkordienformel. Diese sechs Predigten sind aber ohne die Dreyunddreissig Predigen nicht zu denken. Andreaes Predigten (auch die gegen die Täufer) bilden einen wesentlichen Schritt auf dem Weg zu lutherischer Einheit.

Andreae wollte seinen einfachen Zuhörern die täuferische Lehre erklären, sie widerlegen und seine Mitchristen in ihrem Glauben stärken. Sein Ziel in den Predigten war nicht nur, das Täufertum als eine falsche Lehre abzulehnen, sondern auch die täuferische Lehre ehrlich zu prüfen und zu analysieren, um den eigenen Glauben zu präzisieren. Er wollte, soweit wie möglich, ein authentisches Bild des Täufertums zeichnen, so dass die einfachen Gläubigen, die Laien, besser ausgerüstet wären, den Argumenten der Täufer zu widerstehen und sich in einer Zeit voller Verwirrung zu orientieren.

Die Methode, die Andreae anwandte, war einfach. Er wollte die Lehre der Gegner einer peniblen, aber fairen Probe unterziehen, ohne sie sofort von der Hand zu weisen. Er wollte untersuchen, was die anderen verkünden, um es am Maßstab der christlichen Wahrheit zu messen. Diese Methode wird durch Andreaes Predigtweise illustriert. Andreae führt erstens einen täuferischen Lehrsatz nach dem anderen geduldig vor und entgegnet jedem Lehrsatz genauso geduldig und in einfacher Sprache. Die Zahl der von ihm so behandelten täuferischen Gedanken ist erstaunlich groß. Er beschrieb täuferische Lehrmeinungen zu Gottesdienstform, Obrigkeit, Ehe und Beruf und behandelte unter anderem Themen wie Gerechtigkeit und gute Werke, Taufe, die christliche Gemeinde, die Prediger, das weltliche Regiment, das Schwert, den Eid, die Ehe sowie die Berufe Messerschmied, Kaufmann und Gastwirt und legte seine Meinung in einer einfachen, laiengerechten Sprache dar – oft als von den täuferischen Argumenten divergierende Interpretation verschiedener Schriftzitate. In allen seinen Predigten zitierte Andreae schließlich direkt und indirekt aus täuferischen Lehrtexten. Seine Kenntnis von täuferischen Lehrmeinungen weist auf eine intensive Beschäftigung mit den Täufern und ihrer Denkweise hin, was in seiner Zeit höchst ungewöhnlich ist.

Seine Predigten weisen auf eine Bekanntschaft mit Täufern hin, die auf persönlichen Erfahrungen ruht. Als Generalsuperintendent in Württemberg hatte er oft Gelegenheit gehabt, die Radikalen im Ostteil des Herzogtums, wo sie besonders aktiv waren, zu beoachten. Seine persönlichen Begegnungen mit einzelnen Täufern fanden auch in Form von Gesprächen statt, die von Gustav Bossert veröffentlicht wurden (Quellen zur Geschichte der Täufer I, 127 f. und 174–176). Seine Argumentationsweise in einigen der Predigten lässt auch andere, aber nicht dokumentierte Begegnungen vermuten. Andreae war außerdem ein Teilnehmer am Täufergespräch zu Pfeddersheim im August 1557, wo er eine breite Vielfalt täuferischer Meinungen unter den wohl vierzig anwesenden Täufern gehört haben mag. Nach Bossert soll Andreae der Verfasser des Berichtes dieses Gespräches gewesen sein. Dies ist allerdings umstritten. Dieses Bedenken der Wiedertäufer halber diente jedoch als Vorlage für den Text Prozeß wie es soll gehalten werden mit den Wiedertäufern, der von einer Reihe von Theologen in Worms im Oktober 1557 verabschiedet wurde. Darunter waren Philipp →Melanchthon, Johannes →Brenz, Marbach, Andreae und andere. Da der Prozeß die Todesstrafe fordert, ist Andreae in früheren Darstellungen (z. B. Mennonitisches Lexikon I, 70) als blutrünstiger Kämpfer gegen die Täufer porträtiert worden, obwohl die Passage über die Todesstrafe im von Andreae angeblich verfassten Bedenken ausradiert war. Sicherlich war Melanchthon die treibende Kraft hinter dem Prozeß, Brenz und Andreae waren dagegen ausgewiesene Gegner der Todesstrafe für die Täufer.

Andreae begegnete nicht nur einzelnen Täufern, sondern las auch ihre Texte. Wie er an solche Texte gekommen war, bleibt im Bereich der Spekulation, aber er lieferte in seinen Predigten Zitate aus täuferischen Werken, die identifiziert werden können. Die meisten stammen aus der Rechenschaft Peter Riedemanns, die oft von hutterischen Missionaren benutzt wurde. Andreae hat nicht nur die Argumentationsweise, sondern auch den Wortlaut der Rechenschaft in seine Predigten aufgenommen. Darüber hinaus zitiert er in der fünften Predigt aus einem bestimmten täuferischen Buch, dessen Titel er nur als Heut und Gestern kennt. Dieses Buch ist die Testamentserläuterung, die Sammlung von Schriftpassagen und Erklärungen, die von Pilgram →Marpeck und seinen Gefährten benutzt wurde.

Werke und Quellen (Auswahl)

Kurzer und einfältiger Bericht über des Herrn Nachtmahl, 1556. - Bericht von der Einigkeit und Uneinigkeit der Christlichen Augspurgischen Confessionsverwandten Theologen, 1560. - 107 Schlußreden von der Majestät des Menschen Christi und seiner wahren Gegenwärtigkeit, 1565. - Dreyuunddreissig Predigen Von den fürnemsten Spaltungen in der Christlichen Religion, so sich zwischen den Bäpstischen, Lutherischen, Zwinglischen, Schwenkfeldern, und Widerteuffern halten, Tübingen 1568. - Sechs Christlicher Predig Von den Spaltungen so sich zwischen den Theologen Augspurgischer Confession von Anno 1548 biss auff diss 1573. Jar nach und nach erhaben, Tübingen, 1573. - Schwäbische Konkordie, 1574. - Kurtze Erinnerung vnnd getrewe Warnung/ Vor der Caluinianer Betrug, 1582. - Kurtze Erinnerung/ Von ettlichen Schrifften und Büchern (…) zu verfälschung Aug. Confession/ vnnd außbreittung der Zwinglischen und Caluinischen falschen vnreinen Lehr außgangen, 1584.

Gustav Bossert (Hg.), Quellen zur Geschichte der Täufer I, Herzogtum Württemberg, 1930. - Heinrich Heppe, Geschichte des deutschen Protestantismus 1555–1581, 1852 ff., III, Beilage 1 (Abdruck der Sechs Predigen).

Literatur

Johann Valentin Andreae, Fama Andreana reflorescens sive Jacobi Andreae Waiblingensis vitae, Strassburg, 1630. - Gustav Bossert, Aus der nebenkirchlichen religiösen Bewegung der Reformationszeit in Württemberg (Wiedertäufer und Schwenckfelder), in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 29, 1929, 1–40. - Ders., Das Interim in Württemberg, Halle, 1895. - Martin Brecht und Hermann Ehmer, Südwestdeutsche Reformationsgeschichte, Stuttgart 1984. - Jobst Ebel, Jakob Andreae (1528–1590) als Verfasser der Konkordienformel, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 89, 1978, 79–92. - Heinrich Gürsching, Jakob Andreae und seine Zeit, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 54, 1954, 123–156. - Robert Kolb, Andreae and the Formula of Concord: Six Sermons on the Way to Lutheran Unity, St. Louis 1977. - Ulrike Ludwig, Philippismus und orthodoxes Luthertum an der Universität Wittenberg. Die Rolle Jakob Andreaes im lutherischen Konfessionalisierungsprozeß Kursachsens (1576–1580), Münster 2009. - Werner Schütz, Jakob Andreae als Prediger, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 87, 1976, 215–230. - Dennis L. Slabaugh, The Sermon as Weapon: Jakob Andreae against the Anabaptists, in: Brethren Life and Thought 38, 1, 1993, 5–23. - Ders., Die Predigt als Waffe. Jakob Andreae gegen die Täufer, in: Mennonitische Geschichtsblätter 52, 1995, 24–39. - Wilhelm Wiswedel, Die Testamentserläuterung, ein Beitrag zur Täufergeschichte, in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 41, 1937, 64–76.

Dennis L. Slabaugh

art/andreae_jakob.txt · Zuletzt geändert: 2024/06/28 17:02 von Benji Wiebe

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