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Denck, Hans
geb. um 1500 in Heybach bei Hugelfing, Oberbayern, gest. im November 1527 an der Pest in Basel, Schweiz; Täufer (mit spiritualistischem Ansatz).
Hans Dencks Zeitgenossen nannten ihn den „Papst“, den „Rabbi“ und den „Abt“ der Täufer, und Historiker sehen in ihm jetzt eine Schlüsselfigur in der Entwicklung sowohl des süddeutschen Täufertums als auch des reformatorischen Spiritualismus.
Von 1517 bis 1519 studierte Denck an der Universität in Ingolstadt, wo er höchstwahrscheinlich auch mit humanistischem Gedankengut in Berührung gekommen sein wird und ein besonderes Interesse an den „heiligen“ Sprachen, Latein, Griechisch und Hebräisch, entwickelte. Danach hat er wohl an verschiedenen Orten in der Nähe Ulms gearbeitet, ebenso in Augsburg, Donauwörth und Regensburg, bevor er 1522 nach Basel ging. Höchstwahrscheinlich war es der Ruf humanistischer Gelehrsamkeit (→Humanismus), der ihn veranlasst hatte, nach Basel zu ziehen. Hier arbeitete er als Korrektor in den Druckereien von Andreas Cratander und Valentin Curio, nebenher besuchte er auch die Universität, wo er möglicherweise den Grad eines Magister artium erwarb.
1523 wurde er zum Rektor der Schule an St. Sebald in Nürnberg berufen, wohin ihn Johannes Oecolampad aus Basel empfohlen hatte. In Nürnberg stieß er auf die Gedankenwelt der spätmittelalterlichen →Mystik und auf Schriften Thomas →Müntzers und Andreas Bodensteins von →Karlstadt. Hans →Hut behauptete, mit Denck zumindest einmal zusammengetroffen zu sein, als er sich 1524 in der Stadt aufgehalten hatte. Ebenso ist es möglich, dass auch Müntzer ihn besuchte. Im Dezember 1524 war Denck in das Verhör der drei Gottlosen Maler hineingezogen worden, der radikalen Mitarbeiter Albrecht Dürers, die sich wegen einer Vielzahl heterodoxer Anschauungen verantworten mussten. Schließlich verlangten die Behörden auch von Denck, sich in einer schriftlichen Stellungnahme zu seinen Glaubensauffassungen zu äußern. Auf Grund dieser Stellungnahme wurde Denck im Januar 1525 aus der Stadt gewiesen.
Denck könnte Müntzer in Mühlhausen besucht haben und dann in die Schweiz weitergereist sein. Im Mai wurde er wegen seiner Ansichten über die Kindertaufe in Schwyz gefangen genommen, und im Juni tauchte er in St. Gallen auf, wo er im Hause eines Täufers Unterkunft fand. Zwei zeitgenössische Berichte behaupten, Denck habe zu dieser Zeit die universale Wiederbringung alle Seelen gepredigt. Von September 1525 bis Juni 1526 hielt er sich in Augsburg auf. Frühere Annahmen, dass er hier von Balthasar →Hubmaier getauft worden sein könnte, wurden von Werner O. →Packull in Frage gestellt. Pfingsten 1526 taufte Denck Hans Hut. Möglicherweise taufte er in dieser Zeit auch Johannes →Bünderlin, auch wenn es dafür keinen direkten Beleg gibt. Bald wurden die Behörden auf Dencks Lehren aufmerksam. Inmitten der offiziellen Untersuchungen verließ Denck fluchtartig die Stadt. Während seines Aufenthalts in →Augsburg konnte er drei seiner Schriften zum Druck bringen: Wer die warheit warlich lieb hat, dann Was geredt sei, das die Schrift sagt, Got thue und mache guts und böses und schließlich Vom Gesatz Gottes, Wie das gesatz auffgehaben sei und doch erfüllet werden muß.
Im Oktober 1526 traf Denck in →Straßburg ein, wo er nicht nur mit den führenden Stadtreformatoren in Konflikt geriet, sondern ebenso mit einigen der dort ansässigen Täufer, auch mit Michael →Sattler. Im Dezember wurde er aus der Stadt gewiesen, reiste den Rhein hinunter und besuchte mehrere Gemeinden, die am Weg lagen. Im Februar 1527 war er in →Worms, wo er mit Ludwig →Hätzer die Übersetzung der alttestamentlichen Prophetenbücher aus dem Hebräischen in die deutsche Sprache zu Ende brachte. In Worms veröffentliche Denck auch seine beiden Schriften von der Ordnung Gottes und der creaturen werck und Von der wahren Liebe. Hätzer und Denck waren ebenfalls mit den reformerischen Aktivitäten eng verbunden, die Jakob Kautz in der Stadt durchführte. Am 27. Juni 1527 schlug Kautz ein Reformmanifest an die Tür der Dominikanerkirche, das er selbst und andere, möglicherweise auch Denck und Hätzer öffentlich verteidigten. Kautz wurde am 1. Juli aus der Stadt gewiesen, Denck und Hätzer verließen die Stadt ebenfalls um diese Zeit herum.
Von Worms reiste Denck höchstwahrscheinlich in Begleitung Hätzers nach Augsburg, wo er an der so genannten Märtyrersynode im August 1527 teilnahm. In dieser Versammlung spielte er wohl nicht die herausragende Rolle, die ihm einst nachgesagt wurde. Im Gegenteil, vielmehr könnten die Streitigkeiten, die er dort beobachtete, seine wachsende Enttäuschung vom Täufertum genährt haben. Nach der Märtyrersynode reiste er nach Basel, wo er Oecolampad brieflich um Zuflucht bat. Auf Bitten Oecolampads schrieb er eine Rechenschaft seines Glaubens, die Oecolampad nach dem Tod Dencks als Hans Denken Widerruf (1528) veröffentlichte.
Trotz seines angeblichen Widerrufs läuft eine konsistente spiritualistische Theologie durch die Schriften Dencks. Das zeigt sich sehr klar daran, wie er das Thema behandelt, das gewöhnlich zu dem besonderen Merkmal des reformatorischen →Spiritualismus zählt, nämlich das Verhältnis zwischen Schrift und Geist. Denck sieht in der Schrift das größte Geschenk Gottes an die Menschheit, aber er weigert sich, die Schrift als Gottes Wort zu begreifen. Vielmehr kann die Schrift, das geschriebene Wort, auf das lebendige Wort Gottes nur hinweisen. Schon im Nürnberger Bekenntnis warnte Denck davor, sich auf ungebührliche Weise auf den buchstäblichen Text der Schrift zu verlassen und ihn zu einem Götzen werden zu lassen, wie es die Schriftgelehrten tun. Weitere Schriften kehren zu diesem Thema zurück, vor allem Wer die warheit warlich lieb hat, wo vierzig paradoxe Aussagen von anscheinend gegensätzlichen Stellen der Schrift verzeichnet werden.
Um solche Paradoxa aufzulösen, besteht Denck darauf, dass man auf das Innere Wort hören müsse, ein „Etwas“, das er unfähig ist, genauer zu definieren, das aber die Quelle des Glaubens ist. Im Glauben sieht er sowohl Vertrauen auf die Verheißungen Gottes und Gehorsam gegenüber seinem Wort. Letztlich verwirft er so Martin →Luthers Heilsverständnis sola fide und dessen Beharren auf dem unfreien Willen. Er akzeptiert die Notwendigkeit der Versöhnung durch Christus, besteht aber darauf, dass die Menschen für ihre Taten haften müssen. So meint er schließlich, dass die Rolle Christi eher darin besteht, ein Beispiel für eine vollkommene Erfüllung des Gesetzes zu sein als eine Befreiung seiner Nachfolger von dessen Zwängen.
Dencks Verständnis vom Gesetz und dessen Erfüllung weist uns wieder auf das spiritualistische Herzstück seines Denkens. Er hält daran fest, dass wer auch immer das Gesetz der Liebe erfüllt, das in sein Herz eingeschrieben ist, die Forderungen aller äußeren Zwänge erfüllt, die auch diejenigen einschließen, die mit religiösen Formen und Zeremonien verbunden sind, und dass ohne Liebe keine äußeren Zeremonien erfüllt werden können. Das bedeutet, dass die innere Disposition wichtiger ist als der äußere Vollzug und dass die Zeremonien nur insoweit wertvoll sind, als sie das Vertrauen des Gläubigen von den äußeren Dingen abziehen und zum wahren geistlichen Gottesdienst hinlenken. In diesem Zusammenhang beschrieb er die →Taufe als einen Bund zwischen Gott und dem Gläubigen, in welchem der Gläubige einwilligt, mit Christus dem alten Adam abzusterben, und er beschrieb sie auch als eine „Aufnahme in die Gemeinschaft der Gläubigen“. Während er eingesteht, dass die Kindertaufe eine menschliche Ordnung ist und die Gläubigentaufe mit den Aussagen der Schrift mehr übereinstimmte, konnte keine von beiden weder gehalten noch aufgegeben werden, beides hing davon ab, in welcher Weise sie den Gläubigen auf die wahre, geistliche, innere Taufe hin- oder von ihr ablenkte.
In fast allen seinen Schriften handelt Denck über die Zeremonien und Ordnungen der Kirche in ähnlichen Begriffen. Im letzten Drittel seiner Schrift Von der waren liebe beschreibt er die Taufe, den Bann, Eide, Absonderung und Beziehungen zu den weltlichen Obrigkeiten jedoch in Begriffen, die eher streng täuferisch klingen. Dieser Abschnitt wurde 1527 in das Original des Wormser Drucks eingefügt, wurde aber in der nachfolgenden Ausgabe aus dem Jahre 1530 ausgelassen, so dass Forscher seither über die Authentizität dieses Materials gestritten haben. Einerseits passt dieser Abschnitt nicht zu Dencks Aussagen in anderen Schriften aus dieser Periode seines Lebens. Was wir über Dencks reformerische Aktivitäten in Worms aus den Artikeln des Jakob Kautz und aus der Antwort der Straßburger Geistlichen darauf entnehmen können, deutet andererseits darauf hin, dass für eine kurze Zeit Denck und seine Gefährten mit der Bildung einer täuferischen Gemeinschaft geliebäugelt haben, die dem Schweizer Modell recht nahe stand. Das mag die Ursache seines Bedauerns gewesen sein, wie er es in einem Brief an Oecolampad aus dem Jahr 1527 formulierte: „Ich stimme denjenigen nicht zu, wer sie auch sein mögen, die das Königreich Gottes an Zeremonien und Elemente dieser Welt binden, obwohl ich nicht leugnen kann, dass ich solchen Dingen einige Zeit lang selbst anhing.“
Obwohl er keinen organisierten Anhängerkreis hinterließ und seine angebliche Rolle bei der Bekehrung Hans Huts von einem apokalyptischen Revolutionär zu einem friedfertigen Täufer nicht so bedeutend war, wie früher angenommen wurde, bleibt Denck auf vielerlei Weise doch eine bedeutsame Gestalt der frühen Radikalen Reformation. Spuren seines Spiritualismus überlebten im Denken Hans Huts und Melchior →Hoffmans und fuhren fort, die täuferischen Traditionen zu beeinflussen, die von diesen beiden Anführern ausgingen. Er war ein bedeutender Katalysator für Sebastian →Francks Weg in das spiritualistische Lager und ermunterte wohl Johannes Bünderlin und Christian Entfelder, sich aus den Reihen der Täufer zu verabschieden. Seine eigene Konfrontation mit Michael Sattler in Straßburg und die folgenden Konflikte zwischen Täufern und Spiritualisten dort waren wichtige Etappen im allmählichen Auseinandertreten dieser beiden bedeutsamen Komponenten der Radikalen Reformation.
Werke
Georg Baring und Walter Fellmann (Hg.), Hans Denck. Schriften, Quellen zur Geschichte der Täufer, Bd. 6, Gütersloh 1955–1960. - Clarence Bauman (Hg.), The Spiritual Legacy of Hans Denck. Interpretation and Translation of Key Texts, Leiden 1991. - Edward J. Furcha with Ford Lewis Battles (Hg.), Selected Writings of Hans Denck, Pittsburgh 1975.
Literatur
Georg Baring, Hans Denck und Thomas Müntzer in Nürnberg 1524, in: Archiv für Reformationsgeschichte 50, 1959, 145–181. - Clarence Bauman, The Spiritual Legacy of Hans Denck: Interpretation and Translation of Key Texts, Leiden 1991. - James Beck, The Anabaptists and the Jews: The Case of Hätzer, Denck and the Worms Prophets in: Mennonite Quarterly Review 75, 2001, 407–428. - Günther Goldbach, Hans Denck und Thomas Müntzer – ein Vergleich ihrer wesentlichen theologischen Auffassungen. Eine Untersuchung zur Morphologie der Randströmung der Reformation, theol. Diss., Universität Hamburg 1969. - Mathias Gockel, A Reformer's Dissent from Lutheranism: Reconsidering the Theology of Hans Denck (ca. 1500–1527), in: Archiv für Reformationsgeschichte 91, 2000, 127–148. - Thor Hall, Possibilities of Erasmian Influence on Denck and Hubmaier, in: Mennonite Quarterly Review 36, 1961, 149–170. - Jan Kiwiet, The Life of Hans Denck, in: Mennonite Quarterly Review 31, 1957, 227–259. - Jan Kiwiet, The Theology of Hans Denck, in: Mennonite Quarterly Review 32, 1958, 3–27. - M. Ludlow, Why Was Hans Denck Thought to be a Universalist? In: Journal of Ecclesiastical History 55, 2004, 257–274. - Werner O. Packull, Mysticism and the Early South German-Austrian Anabaptist Movement 1525–1531, Scottdale, PA, 1977.
Geoffrey Dipple