Schowalter, Otto

geb. am 5. Dezember 1900 auf dem Kaplaneihof bei Bad Bergzabern (Pfalz), gest. am 5. Februar 1965 in Kirchheimbolanden (Pfalz), Deutschland; Ältester der Mennonitengemeinde zu Hamburg und Altona.

Otto Schowalter war der älteste von drei Söhnen der Eheleute Johannes Schowalter und Magdalena, geb. Hertzler. Er war von schwächlicher Natur und nicht zur Bauernarbeit seiner Familie geeignet. Deshalb durfte er die höhere Schule besuchen. So ging er nach der Grundschule (1907 – 1911) in die Lateinschule Bad Bergzabern (1911 – 1916) und von dort ins humanistische Gymnasium (1916 – 1920). Dazwischen leistete er Militärdienst in Landau. Obwohl der Vater starb, als er erst 17 Jahre alt war, ermöglichten Mutter und Brüder ihm das Studium. So begann er zunächst in München 1920 zwei Semester Philosophie, Kunstgeschichte und Architektur zu studieren. Zwar blieb die Freude an der Kunst sein ganzes Leben bestehen, dennoch wechselte er nach Tübingen und studierte Theologie, besonders bei Adolf Schlatter und Karl Heim. Beide bildeten eine ganze Pfarrergeneration mit ihrer soliden biblischen Theologie aus, die auch immer den kritisch denkenden Menschen im Blick hatte. Dort lernte er einen mennonitischen Mitstudenten kennen, Walter →Fellmann, mit dem ihn fortan eine lebenslange Freundschaft verband. Zum Wintersemester 1924/25 wechselte er nach Göttingen, wo er besonders von den doch so unterschiedlichen Dogmatikern Emanuel Hirsch, der später mit den deutschen Christen zusammenarbeitete, und dem jungen Karl →Barth beeindruckt war, dem späteren Mitbegründer der Bekennenden Kirche und maßgeblichen Theologen des Barmer Bekenntnisses von 1934. Theologisch hat ihn Karl Barth wohl nachhaltiger geprägt. Er hörte später von Hamburg aus dessen aus der Schweiz übertragene Predigten am Radio, beschäftigte sich mit Schriften Barths und empfahl mennonitischen Studierenden auf einer Freizeit 1947, das Barmer Bekenntnis zu lesen. Ebenso studierte Schowalter in Greifswald. Sein theologisches Examen legte er bei der Pfälzer Landeskirche ab.

Als einkommensloser „Hausvikar“ bei D. Christian →Neff (1927/1928) auf dem Weierhof in der Pfalz wurde er in die Täuferforschung eingeführt und zur Mitarbeit am Mennonitischen Lexikon herangezogen. Diese Mitarbeit setzte er auch in Hamburg fort. Mit Christian Neff verband ihn bis zu dessen Tod eine innige Dankbarkeit für die Ausbildung und den vertraulichen Umgang miteinander, wie die vielen Briefe belegen, die er ihm aus Hamburg, aber auch aus der Ukraine während des Zweiten Weltkrieges schrieb.

Durch Vermittlung Christian Neffs kam Otto Schowalter als Nachfolger von Hinrich van der Smissen nach Hamburg und wurde am 1. Advent 1929 in die Gemeindearbeit eingeführt. Dort sollte Schowalter sein ganzes Berufsleben und darüber hinaus bleiben. Anfänglich fiel ihm der Einstieg in die norddeutsche, vom „aufgeklärten Protestantismus“, wie er es selbst nannte, geprägte Stadtgemeinde sehr schwer. Er fühle sich wie im Exil, schrieb er an Neff, und auch als ihm die Gemeinde nach 35 Jahren viel bedeutete, blieb er der „Süddeutsche“, der in Hamburg arbeitete und sich in der Pfalz erholte.

Als Schowalter nach Hamburg kam, war er über den mehr als mäßigen Gottesdienstbesuch erschrocken. Durch systematische Einzel- und Familienbesuche stellte er Kontakte her und hoffte auch, durch die vierteljährliche Herausgabe eines Gemeindebriefes den Gottesdienstbesuch zu erhöhen. „Die Kirche ruft noch nach der Vollgemeinde“, schrieb er später zum 25-jährigen Kirchenjubiläum. Ebenfalls begann er regelmäßig Taufunterricht zu erteilen, anfänglich nur mit einzelnen Täuflingen. Hier hatte er neue pädagogische Ziele: Die Kinder sollten „nicht den Eindruck des Lernens haben, sondern der Besprechung (…). Da werden nun auch Lieder eingeübt, Spaziergänge gemacht, Spiele und dgl. Man muss den ganzen Menschen zu fassen suchen.“ Allerdings blieb er ein vergeistigter und intellektueller Ästhet, der im Umgang mit nicht so begabten Menschen und auch Täuflingen seine Schwierigkeiten hatte. Er selbst war verwundert, dass er nicht mehr so zum Bücherlesen, Studieren und zum Schreiben von Artikeln kam, wie er sich das erhofft hatte. Doch neben der zeitintensiven Besuchsarbeit stellte sich ihm in der Hafenstadt eine ganz neue Herausforderung: Ausgehungerte und verarmte Flüchtlinge aus Russland kamen ins Auswanderungslager auf der Veddel (Stadtteil von Hamburg). Sie besuchte Schowalter und half ihnen durch Verteilen von aus der mennonitischen Welt gesandten Hilfsgütern und auch bei Amtsgängen. Als er 1930 Gertrud Stauffer heiratete, die er auf dem Weierhof in der Familie Neffs kennen gelernt hatte, machten sie fortan diese Arbeit gemeinsam, beherbergten und halfen immer wieder Einzelpersonen und Familien auf ihrem Weg in eine neue Heimat nach Nord- oder Südamerika. Das überlieferte Gästebuch des kinderlos gebliebenen Ehepaares Schowalter ist für dieses offene Haus ein beredtes Zeugnis.

Schowalter beschränkte sich nicht nur auf die Gemeindearbeit in Hamburg, sondern betreute auch die selbstständige Gemeinde Friedrichstadt an der Eider und war zu Gastpredigten immer wieder in Berlin. 1935 organisierte er recht aufwendig den 1. Mennonitentag in Hamburg. Durch seine süddeutschen Kontakte versuchte er, Ängste beim Aufeinanderzugehen von →Vereinigung und →Verband der deutschen Mennonitengemeinden abzubauen. Einen Zusammenschluss sah er aber noch in weiter Ferne.

Trotz mehrerer Rückstellungsgesuche wurde er schließlich im Mai 1941 zur Wehrmacht eingezogen und zum Russlandfeldzug in die Ukraine geschickt. Er blieb der Gemeinde bis zu seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft fern. Während dieser Zeit versorgte seine Frau Gertrud Schowalter die Gemeinde.

Seine Stellung zum Nationalsozialismus bleibt offen. Er setzte sich öffentlich auch nach dem Krieg nicht damit auseinander. So hat er zwar ein von der Gestapo angefordertes Mitgliederverzeichnis der Gemeinde nicht ausgeliefert und ihm blieb auch nicht verborgen, wie sich Hans Asmussen in Altona für die Bekennende Kirche einsetzte. Wohl setzte er sich in der Diskussion um ein gemeinsames Bekenntnis der deutschen Mennonitengemeinden für ein Bekenntnis ein, in dem „die Herrschaft Christi vom Himmel bis zur Hölle beschrieben ist, damit er über alle Totalitäten und Fürstentümer, auch über die der arischen Seele, ummissverständlich als Herr eingesetzt ist und bleibt“ (Brief an Benjamin H. →Unruh, auch im Gemeindebrief der Hamburger Gemeinde, Mai 1934). In einem Brief an Christian Neff schrieb er aber aus der Ukraine: „Aufs Ganze gesehen, bin ich nicht gram darüber, auch Soldat zu sein. Es könnte vielleicht noch einmal – von allem anderen abgesehen – nützlich werden für uns. Und dann hat man auch das Gefühl, nicht abseits gestanden zu sein gegenüber dem Entscheidungskampf der Geschichte“, den er im Gegenüber zum „bolschewistischen Fanatismus“ sah.

Nach dem Krieg stand Schowalter in Hamburg vor einer neuen großen Aufgabe, die er zusammen mit seiner Frau zu bewältigen hatte: die Aufnahme sowie praktische und geistige Versorgung der vielen Flüchtlinge, die aus Westpreußen und anderen Teilen des Ostens kamen. Hatte Schowalter vor und noch während des Krieges große Sorge um den Fortbestand der Gemeinde, so hat sich die Situation nun grundlegend geändert. Zwar wanderten viele der mehreren tausend Flüchtlinge weiter oder traten nicht der Gemeinde bei. Viele blieben aber auch. Eine Siedlung mit Gemeindehaus für die Flüchtlinge und neuen Gemeindeglieder wurde von amerikanischen Paxboys in Wedel bei Hamburg gebaut. Auch bei der Gründung der Gemeinde in Kiel wirkte Schowalter als Prediger mit. Außerdem stellte er sich der Vereinigung der deutschen Mennonitengemeinden von 1952 bis 1958 als Vorsitzender zur Verfügung und half so bei der Vermittlung zwischen nord- und süddeutschen Mennoniten sowie zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. Unter seiner Leitung hat die Vereinigung sich mit anderen Friedensorganisationen darum bemüht, die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen und der zivile Ersatzdienst im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankern zu lassen.

In Hamburg bemühte Schowalter sich, die Flüchtlinge in die Gemeinde, die stark angewachsen war, eingliedern zu helfen. Noch in den 1960er Jahren veranstaltete er Gemeindenachmittage zum besseren Kennenlernen. Das Pastorat und die Nebenräume der Kirche wurden mit Flüchtlingen und Studenten belegt und voll ausgenutzt. Von hier gingen auch geistliche Impulse für die gesamte Gemeinde aus.

Ursprünglich wollte Schowalter Bibliothekar werden. Er konnte mit dem geschriebenen Wort besser umgehen als mit dem gesprochenen, wie Zeitgenossen berichten. Er formulierte jede Predigt wörtlich aus. Auch schrieb er gern Gedichte. Veröffentlicht hatte er allerdings nicht viel. Vor allem schrieb er in den Mennonitischen Blättern, für das Mennonitische Lexikon, in Gemeindebriefen, und er veröffentlichte auch Predigten.

Gegen Ende der 1950er Jahre erkrankte seine Frau schwer. Schowalter pflegte sie die letzten beiden Jahre bis zu ihrem Tod am 16. Oktober 1961. Er hing sehr an seiner Frau, sie war ihm geistig eine ebenbürtige Gesprächspartnerin. Bald schwanden auch ihm die Kräfte, und er bekam Unterstützung in der Gemeindearbeit zunächst durch Bodo Geddert und dann durch Hans-Jürgen Goertz. Am 1. Advent 1963 wurde er nach 35 Dienstjahren verabschiedet. Nachdem seine Nachfolge geregelt war und er noch bei der Einsetzung von Dr. Hans-Jürgen Goertz dabei sein konnte, aber noch bevor er sich entschieden hatte, wo er denn selbst seinen Lebensabend verbringen wolle, starb er auf einer Süddeutschlandreise 1965 in Kirchheimbolanden (Pfalz). Trauerpredigten wurden auf dem Weierhof und in Hamburg gehalten. Die Beisetzung fand auf dem Mennonitenfriedhof in Hamburg-Bahrenfeld statt.

Veröffentlichungen (Auswahl)

Bericht aus der Gemeinde zu Hamburg und Altona, in: Mennonitische Blätter, 3, 1930, 32 f. - Die Mennonitenkirche – Eine Widmung. Zum 25jährigen Bestehen der neuen Kirche, in: Gemeindebrief der Mennonitengemeinde zu Hamburg und Altona 1940, Nr. 1, 2–6. - Der Auftrag der Mennonitengemeinden in der Gegenwart, in: Botschaft und Nachfolge Berichte und Vorträge der mennonitischen Studententagung auf dem Thomashof 1947, zusammengestellt von Theo Glück, herausgegeben von der Konferenz der süddeutschen Mennoniten, Mennonitische Schriftenreihe, Heft 2, 1947, 75 – 98. - Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit (Hebr. 13,8). Festpredigt bei der Gründung der Gemeinde Kiel am 9. Okt. 1949, in: DER MENNONIT, 5/6, 1950, 35. - Unser Friedenszeugnis, in: Mennonitische Geschichtsblätter 1956, 10–20. - Frau Gertrud Schowalter, geb. Stauffer, 27. 9. 1905 – 16. 10. 1961, in: Mennonitischer Gemeindekalender 1963, 28 – 36. - Otto Schowalters Briefe an D. Christian Neff (zwischen 18. April 1929 und 29. September 1942), unveröffentlicht, Nachlass von Chr. Neff, Mennonitische Forschungsstelle Weierhof.

Literatur

Paul Schowalter, Pastor Otto Schowalter 1900 – 1965, Gedenkrede bei der Trauerfeier in Kirchheimbolanden am 9.2. 1965. - Hans-Jürgen Goertz, Gedächtnisrede auf Pastor Otto Schowalter 1900 – 1965, bei der Trauerfeier in Hamburg-Altona am 12. Februar 1965, in: DER MENNONIT, 1965, 58 – 61. - Hans-Jürgen Goertz; Aus der Zeit in die Ewigkeit: Pastor Otto Schowalter, in: Gemeindeblatt der Mennoniten 1965, 52. - Walter Fellmann, Otto Schowalter 1900 – 1965. Ein Gedenkwort, in: Mennonitischer Gemeindekalender 1966, 26 – 29. - Paul Schowalter, Ein Gästebuch erzählt, in: Mennonitischer Gemeindekalender 1966, 31–37. - Oskar Wedel, Wir unten – er oben. Erinnerungen an Otto Schowalter, in: Festschrift der Mennonitengemeinde zu Hamburg und Altona aus Anlaß der 75-Jahr-Feier der Mennonitenkirche in Hamburg-Altona, Hamburg 1990 (Privatdruck), 45 f. - Bernhard Thiessen, Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit (Hebr. 13,8). Otto Schowalter als Predigtschreiber. In: Mennonitische Geschichtsblätter, 2006, 187 – 201.

Bernhard Thiessen

 
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