Seebaß, Gottfried

geb. 2. Juni 1937 in Braunschweig, gest. 7. September 2008 in Heidelberg, Deutschland; Professor für ev. Kirchengeschichte, Präsident der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Vorsitzender der Täuferaktenkommission.

Gottfried Seebaß wuchs in einem evangelischen Pfarrhaus auf und studierte Theologie in Hamburg, Erlangen und Göttingen. 1965 wurde er in Erlangen mit einer Arbeit über Das reformatorische Werk des Andreas Osiander von Wilhelm Maurer zum Doktor der Theologie promoviert. Nach einer Zwischenstation als Wissenschaftlicher Assistent in systematischer Theologie in Hamburg, habilitierte er sich 1972 in Erlangen mit einer grundlegenden Studie über den apokalyptischen Täufer Hans →Hut: Müntzers Erbe. Werk, Leben und Theologie des Hans Hut (ungedr. Habilitationsschrift, Erlangen 1972, veröffentl. Gütersloh 2002). Diese Arbeit stellte erstmals das von mystischem Spiritualismus und Apokalyptik geprägte Täufertum Hans Huts (gest. 1527), das sich vor allem auf Andreas Bodenstein von →Karlstadt und Thomas →Müntzer zurückführt, umfassend dar und leistete damit zeitgleich mit den grundlegenden Studien von James M. Stayer und Claus Peter Clasen einen entscheidenden Beitrag zum Weg der →Täuferforschung von „Monogenesis to Polygenesis“. In seiner Studie brach Seebaß schonungslos mit dem von der traditionellen mennonitischen Geschichtsschreibung gepflegten Bild Huts als eines durch den Kontakt mit dem friedlichen Täufer Hans →Denck von revolutionär-apokalyptischen Ansichten geläuterten ehemaligen Schülers Thomas Müntzers. Seine akribische Quellenanalyse gewährte Einblick in ein bisher nicht wahrgenommenes mystisch-apokalyptisches Täufertum (→Mystik, →Apokalyptik), das durchaus bereit war, das Schwert zur Bestrafung der Gottlosen einzusetzen, wenn auch erst in der Endzeit. Seebaß machte auch auf Huts eigentümliches Verständnis von Mk. 16,15 im Sinne eines „von allen Kreaturen verkündetes Evangeliums“ (vgl. auch Kol. 1,23) aufmerksam, nach dem die Schöpfung und entsprechend auch der Mensch nach dem Fall nur durch christförmiges Leiden an ihr Ziel kommt. Mit seiner apokalyptischen →Taufe (von Hut als Versiegelung der 144000 Erwählten für die Endzeit verstanden) sowie seiner Erwartung eines Endgerichts über alle gottlosen „Schriftgelehrten“ und „Tyrannen“ für den Sommer 1528, in dem nur die mit dem Kreuz an der Stirn Versiegelten verschont, ja sogar selbst daran teilnehmen würden, wurde er zum Begründer eines ganz eigenen Zweiges des Täufertums. Dem ist aber keine dauerhafte Wirkung beschieden worden, wie Seebaß zeigt, weil Hut selbst seine charakteristische Apokalyptik als Arkanlehre behandelte und seine führenden Anhänger sehr bald von den Obrigkeiten aus Sorge vor einem neuen Bauernaufstand hingerichtet wurden.

Über seine Hut-Studie hinaus beschäftigte sich Seebaß wie kaum ein evangelischer Kirchenhistoriker seiner Generation in zahlreichen Aufsätzen (gesammelt in: Die Reformation und ihre Außenseiter, 149–349) eingehend mit dem Täufertum. Wenn er auch seinen lutherischen Ausgangspunkt niemals leugnete, weisen seine Studien stets eine differenzierte und sachliche Herangehensweise auf, etwa wenn er Johannes →Brenz bescheinigt, in seiner Auseinandersetzung mit den Täufern „die Zwei-Reiche-Lehre besser gewahrt“ zu haben „als Luther selbst“ (An sint persequendi haeretici, 98). Auf einer persönlichen Ebene zeigte sich Seebaß von der Frömmigkeit und dem Gemeindeleben der Amischen und der Mennonitengemeinden, die er anlässlich eines Besuches vom 21. bis 23. Oktober 1979 bei John S. →Oyer in Goshen, Indiana; erleben durfte, tief beeindruckt.

Von 2005 bis kurz vor seinem Tod war Seebaß Mitvorsitzender der vom Lutherischen Weltbund gerade ins Leben gerufenen Internationalen Lutherisch-Mennonitischen Studienkommission, die theologische Beratungen durchführen und zu einer gemeinsamen Stellungnahme zu den Verwerfungsartikeln des Augsburger Bekenntnisses gelangen sollte.

Seine über Jahrzehnte gewonnene Erfahrung in historisch-kritischer Editionsarbeit und Wissenschaftsorganisation setzte er tatkräftig in seiner Funktion als Vorsitzender der Kommission zur Herausgabe der Quellen zur Geschichte der Täufer („Täuferaktenkommission“) des Vereins für Reformationsgeschichte von 1999 bis kurz vor seinem Tod ein. Die Drucklegung der lange ersehnten und von ihm vorangetriebenen Edition des von Heinold Fast 1955 entdeckten →Kunstbuchs Jörg Malers durfte er noch erleben. Auch von ihm angeregt und in die Wege geleitet wurden Arbeiten für die Erstellung eines Katalogs der hutterischen Handschriften und der Drucke aus hutterischem Besitz in Europa.

Schriften (relevant für die Täuferforschung)

Monographien und Sammelband:

Müntzers Erbe. Werk, Leben und Theologie des Hans Hut, Gütersloh 2002 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 73). - Geschichte des Christentums III. Spätmittelalter – Reformation – Konfessionalisierung, Stuttgart 2006 (Theologische Wissenschaft 7). - Die Reformation und ihre Außenseiter. Gesammelte Aufsätze und Vorträge, hg. von Irene Dingel, Göttingen 1997.

Editionen:

Briefe und Schriften oberdeutscher Täufer 1527–1555. Das ›Kunstbuch‹ des Jörg Probst Rotenfelder gen. Maler (Burgerbibliothek Bern, Cod. 464), bearb. von Heinold Fast und Martin Rothkegel, hg. von Heinold Fast und Gottfried Seebaß, Gütersloh 2007 (Quellen zur Geschichte der Täufer 17 / Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 78).

Lexikonartikel:

Art. Hut, Hans (c. 1490–1527), in: Theologische Realenzyklopädie 15, 1986, 741–747. - Art. Hut, Hans (ca. 1490–1527), in: The Oxford Encyclopaedia of the Reformation, hg. v. Hans J. Hillerbrand, Bd. 2, 1996, 280–281. - Art. Müntzer, Thomas (ca. 1490–1525), in: Theologische Realenzyklopädie 23, 1994, 414–436. - Art. Reformation, in: Theologische Realenzyklopädie 28, 1997, 386–404.

Aufsätze:

An sint persequendi haeretici? Die Stellung des Johannes Brenz zur Verfolgung und Bestrafung der Täufer, in: Blätter für Württembergische Kirchengeschichte 70, 1970, 40–99 (auch: Die Reformation und ihre Außenseiter, 283–335). - Selbstanzeige der Habilitationsschrift, in: Mennonitische Geschichtsblätter 30, 1973, 118–122. - Bauernkrieg und Täufertum in Franken, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 85, 1974, 140–156 (auch: Die Reformation und ihre Außenseiter, 186–202). - Das Zeichen der Erwählten. Zum Verständnis der Taufe bei Hans Hut, in: Umstrittenes Täufertum 1525–1975. Neue Forschungen, hg. von Hans-Jürgen Goertz, Göttingen 1975, 2. Aufl., 1977, 138–164 (auch: Die Reformation und ihre Außenseiter, 203–226). - Dissent und Konfessionalisierung. Zur Geschichte des „linken Flügels der Reformation“ in Nürnberg, in: Martin Walser, Das Sauspiel. Szenen aus dem 16. Jahrhundert. Mit Materialien hg. v. Werner Brändle, Frankfurt a.M. 1978, 366–394 (auch: Die Reformation und ihre Außenseiter, 244–266). - Luthers Stellung zur Verfolgung der Täufer und ihre Bedeutung für den deutschen Protestantismus, in: Mennonitische Geschichtsblätter 40, 1983, 7–24 (auch: Die Reformation und ihre Außenseiter, 267–282). - Der „linke Flügel der Reformation“, in: Martin Luther und die Reformation in Deutschland. Vorträge zur Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg 1983, hg. v. Kurt Löcher, Gütersloh 1988, Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 194, 121–134 (auch: Die Reformation und ihre Außenseiter, 151–164). - Thomas Müntzer – eine bleibende Warnung, in: Mennonitische Geschichtsblätter 46, 1989, 9–22. - Reich Gottes und Apokalyptik bei Thomas Müntzer, in: Lutherjahrbuch 58, 1991, 75–99 (auch: Die Reformation und ihre Außenseiter, 165–185). - Der Prozeß gegen den Täuferführer Hans Hut in Augsburg 1527, in: Ketzerverfolgung im 16. und frühen 17. Jahrhundert. In Gemeinschaft mit Hand Rudolf Guggisberg und Bernd Moeller hg. v. Silvana Seidel Menchi, Wiesbaden 1992, Wolfenbütteler Forschungen 51, 213–230 (auch: Die Reformation und ihre Außenseiter, 227–243). - Zum Verständnis des Alten Testaments bei Caspar Schwenckfeld von Ossig, in: Die Reformation und ihre Außenseiter. Gesammelte Aufsätze und Vorträge. Zum 60. Geburtstag des Autors hg. von Irene Dingel, Göttingen 1997, 336–349.

Literatur

Werner O. Packull, Gottfried Seebass on Hans Hut. A Discussion, in: Mennonite Quarterly Review 49, 1975, 57–67. -

Nachrufe:

Martin Rothkegel, Gottfried Seebaß, in: Mennonitische Geschichtsblätter 2009, 242–244. - Stephen E. Buckwalter, Gottfried Seebaß, in: Mennonite Quarterly Review 83, 1, 2009, 5 f.

Stephen E. Buckwalter

 
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