Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


top:prophetie

Prophetie

Als eine religiöse Gemeinschaft, die sich am Text der Heiligen Schrift orientiert, haben die Mennoniten der prophetischen Rede wie den anderen literarischen Gattungen der Bibel hohe Aufmerksamkeit entgegengebracht. Prophetische Rede jedoch hat in der täuferischen →Theologie offensichtlich keine prägende Rolle gespielt. Weder im Mennonitischen Lexikon (1913–1967) noch in der Mennonite Encyclopedia (1955–1959) finden sich Einträge unter „Prophetie“, außer des kurzen Hinweises, den Harold S. Bender auf die →Wormser Propheten (1527) gab. Erst im Ergänzungsband zu dieser Enzyklopädie erschien ein umfangreicher Artikel über biblische Prophetie von David Ewert. Hinweise auf das Tausendjährige Reich, wie sie in der Radikalen Reformation zu finden sind, hatten zwar einige Gruppen der Täufer erfasst, aber insofern Apokalyptiker (→Apokalyptik) wie die →Zwickauer Propheten und Thomas →Müntzer mit den Täufern in Verbindung gebracht wurden und dazu beitrugen, deren Bewegung in Verruf zu bringen, entwickelte sich eine Abneigung gegen ekstatische Prophetie in täuferisch-mennonitischen Kreisen. So verwandten Anführer der Täufer wie Menno →Simons erhebliche Energie darauf, solche Anschauungen zurückzuweisen.

1. Biblische Grundlagen der Prophetie

Prophetie ist eine zentrale und kraftvolle Gattung biblischer Literatur. Die prophetische Tradition gehört zu den Grundlagen einer christlichen Theologie des Alten Testaments (s. Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testaments, 2004) und mit der Verwurzelung Jesu im Volk Israel zur biblischen Theologie insgesamt. Die Texte der sogenannten Schriftpropheten nehmen ungefähr zwanzig Prozent der Heiligen Schrift ein. Hinweise auf Propheten und Visionäre, auf ihre Taten oder Werke werden auch in epischen, gesetzlichen und historischen Abschnitten des biblischen Kanons überliefert. Die Weissagungen der prophetischen Bücher sind als poetische Texte gefasst worden und stellen einige der höchsten Errungenschaften der klassischen hebräischen Literatur dar. Prophetisches Gedankengut des Alten Testaments prägt auch wesentliche Grundlagen der christlichen Theologie, gemeint sind vor allem Elemente der Christologie, Sozialethik und Eschatologie.

Seit dem 19. Jahrhundert hat die moderne Bibelwissenschaft die traditionelle christliche Sicht von den Propheten als den Vorläufern und Vorboten Jesu Christi kritisch herausgefordert, ebenso die traditionelle jüdische Sicht von den Propheten als den Wächtern über die Thora. Nach traditioneller Einsicht war authentische prophetische Offenbarung in mosaischer Art mit dem Tod des letzten Propheten zu ihrem Ende gekommen, so wie angenommen wurde, dass die christliche Offenbarung mit dem Tod der Apostel zu ihrer Vollendung gelangt sei (Joseph Blenkinsopp, A History of Prophecy in Israel, 1996). Unbehindert von dogmatischen Einschränkungen durch die kirchliche Autorität verstanden protestantische Exegeten die biblische Prophetie als Bestandteil einer bestimmten religiösen Tagesordnung, unabhängig vom Kultus und kritisch gegenüber rituellen und rechtlichen Zwängen, die durch einen gereinigten ethischen Monotheismus zu ersetzen versucht wurden.

In frühen kritischen Untersuchungen wurde die Absicht verfolgt, die Wurzeln der prophetischen Literatur und den sozialen Ort der Propheten zu finden, indem solche Teile in den prophetischen Büchern, die auf bestimmte Propheten zurückverfolgt werden konnten, von denjenigen unterschieden wurden, die spätere Ergänzungen beisteuerten. In der Forschung jener Zeit entstand ein Bild vom Propheten als Gegensatz zum Priester, eine Vorstellung, die fortan axiomatisch wurde. Propheten wurden als „charismatische“ Randfiguren angesehen (Max Weber, Das antike Judentum, 1988), als anarchistische Repräsentanten eines reinen, nomadischen Jahweglaubens, der kaum Kompromisse mit der gelehrten kulturellen und religiösen Praxis der Könige und gemeinen Leute während der Zeit des Königtums einging. Kürzlich ist jedoch Vergleichsmaterial aus den benachbarten Zivilisationen des Nahen Ostens zu Tage gefördert und von den Exegeten weithin akzeptiert worden, dass die israelische Prophetie eng mit dem Gottesdienst im Kontext von Priestertum und Kultus verbunden war. Israelische Prophetie nahm „sakramentale“ Funktionen im Auftrag der Gottheit wahr, die sich an die Gemeinschaft wandte, und Opferdienste im Auftrag der Gemeinschaft, die sich damit an Gott wandte. Diese beiden Züge prophetischer Autorität, der institutionelle und der geistliche Zug, sollten fortan die drei großen Religionsgemeinschaften charakterisieren, die sich aus diesen Traditionen entwickelten.

Obwohl Abraham als erster in der biblischen Literatur den Namen eines Propheten erhielt (Gen. 20, 7), wurde doch Moses die eigentliche prophetische Gestalt in der Tradition Israels (Dt. 18, 1). Der ursprüngliche hebräische Begriff für Prophet (nabi) erscheint mehr als dreihundert Mal in der Bibel und beschreibt eine Vielfalt von Individuen, Männer wie Frauen, (Ri. 4,4; 2. Kö. 22, 14). Die Hauptbedeutung der Begriffe bringt eine „Berufung“ oder eine „Beauftragung“ zum Ausdruck. Propheten wurden auch traditionellerweise in einem gewissen Sinn in Kontinuität mit „Sehern“, Visionären und Ekstatikern früherer Zeiten gesehen (1. Sam. 9,9; 10, 6–13). Propheten wurden ebenfalls als Priester (Jeremia, Ezechiel) und oft auch als Beamte und Berater am königlichen Hof (Nathan, Jesaja) angesehen, als Mitglieder prophetischer Verbände oder als Einzelgänger. Letztere waren solche, die trotz der prophetischen Funktionen, die sie ausführten, die Bezeichnung des Propheten zurückwiesen (Amos 7, 14). Der Begriff wird auch gebraucht, um diejenigen zu bezeichnen, die das Prophetenamt usurpierten oder mit falschen Weissagungen auftraten (Dt. 18, 20; 1. Kö. 22,23 Ez. 22,28), die korrupt waren oder die Menschen in die Irre führten (Mich. 3, 5; Klagelieder 2,14; Zeph. 3,4).

Die Sprüche der Propheten waren Mahn- und Gerichtsworte, ebenso Trost- und Heilsworte. Propheten wurden gefürchtet, geehrt, zu Rate gezogen, ignoriert, verfolgt, gefangen gesetzt und getötet. Prophetensprüche wurden mündlich vorgetragen, jahrhundertelang zitiert, überliefert, aufgeschrieben, ergänzt und interpretiert. Viele der prophetischen Bücher geben solche umfangreichen literarischen und redaktionellen Bearbeitungen zu erkennen. Im Falle des Jeremiabuchs standen beispielsweise mehrere Texttraditionen mit unterschiedlichem Inhalt und Textreihenfolgen nebeneinander, wie von der Septuaginta und den Schriften von Qumran bezeugt wird. Gegen Ende der biblischen Zeit trat ein besonderes Genre eschatologisch prophetischer Literatur auf den Plan, das apokalyptisch genannt wurde. Während frühe oder protoapokalyptische Elemente schon bei Jesaja, Ezechiel, Joel und Sacharia gefunden werden können, bietet das Danielbuch das einzige ausgearbeitete Exemplar dieses Typs von Prophetie in der hebräischen Bibel. Andere biblische Apokalypsen sind überliefert worden, sie wurden aber nicht in den Kanon der Bibel aufgenommen.

Im Neuen Testament werden die Heilsvisionen der prophetischen Tradition zum Zentralstück der theologischen Betrachtungen in der frühen Kirche über Jesus. Hier wird Jesus als die Erfüllung der messianischen Verheißung und als ein Prophet wie Moses porträtiert (Apg. 3, 22). Die Glaubensgemeinschaft erfährt die Kontinuität des prophetischen Dienstes in ihrer Mitte als eine Gabe des Heiligen Geistes, die der apostolischen Autorität eigen ist. Prophetische Äußerungen sollen geprüft werden, und vor falschen Propheten wird oft gewarnt. In nachapostolischer Zeit scheint die Prophetie in das Lehramt der Kirche eingeordnet zu sein. Die apokalyptischen Erwartungen der früheren Generationen schlugen sich in der Offenbarung des Johannes nieder, schließlich erlöschen sie bald, als Christen der folgenden Generationen ihre Aufmerksamkeit auf die Errichtung lebensfähiger Gemeinden lenkten und die Kirchenväter ihre Grundanschauungen im Prozess der Dogmenbildung klärten.

2. Die Rolle der Prophetie im Täufertum

Mit seinem christologisch ausgerichteten →Schriftverständnis sah das Täufertum des 16. und 17. Jahrhunderts in den Propheten Vorläufer Jesu Christi, Diener des Wortes, Anwälte der Glaubensgemeinschaft und solche, die der Ethik des Friedens verpflichtet waren. In ihrer Eschatologie, die nicht auf das Tausendjährige Reich ausgerichtet war, erwarteten sie die Wiederkehr des auferstandenen Jesus Christus am Tag des Gerichts, spekulierten aber nicht über den bestimmten Zeitpunkt oder die Choreographie der erwarteten Wiederkehr. Sie glaubten vielmehr, dass das von Jesus verkündigte Königreich Gottes und die gehorsame Nachfolge Christi eine Kirche derjenigen hervorgebracht hatte, die in das Königreich eingehen werden und die jetzt schon in einer messianischen Zeit lebten. Andere Hinweise auf die Prophetie im frühen Täufertum waren die zahlreichen biblischen Warnungen vor den falschen Propheten, die sich gemeinsam mit dem Herrschaftsanspruch der offiziellen Christenheit und deren Gebrauch der Schwertgewalt „außerhalb der Vollkommenheit Christi“ (→Brüderliche Vereinigung von Schleitheim) gestellt hatten.

Im Hauptstrom des Täufertums scheint es eine Abneigung gegenüber den Exessen des Chiliasmus (Erwartung des Tausendjährigen Reiches) gegeben zu haben (→Apokalyptik). Das war eine Haltung, die sich über die Jahrhunderte hin erhalten sollte. Die Katastrophe des Täuferreiches zu →Münster prägte die Haltung der Täufer zur Prophetie und destabilisierte jede ekstatische Prophetie als unabhängige Quelle religiöser Autorität innerhalb oder außerhalb der Kirche. Die Täufer haben sich zwar dem Wirken des Heiligen Geistes geöffnet und von ihm in ihrer Auslegung der Heiligen Schrift führen lassen, auch haben sie sich als eine von diesem Geist erlöste und versöhnte Gemeinschaft verstanden, die Funktionen des aufopfernden Dienstes, der Spendung der Sakramente und der Ethik in den Gemeinden waren aber den anerkannten Führungskräften übertragen worden (→Täufer).

3. Einflüsse prophetischer Anschauungen im neueren Mennonitentum

Diese Zurückhaltung gegenüber der Prophetie änderte sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Mennoniten unter den Einfluss des →Pietismus und der Erweckungsbewegungen und mit verschiedenen Vorstellungen vom Tausendjährigen Reich in Berührung gekommen waren. Die Wiederbelebung der nordamerikanischen Mennonitengemeinden, die weitreichende Implikationen für die Art und Weise hatte, wie die Kirche sich in der Gesellschaft verstand, brachte eine neue Offenheit gegenüber religiöser Erneuerung und Formen prophetischer Lehre mit sich. Die Heraufkunft der →Moderne hat lange gehegte Anschauungen über die Separation und Konformität der Mennoniten in der Gesellschaft herausgefordert. Moderne Kriegsführung, technischer Fortschritt, wirtschaftlicher Wandel und Migration beschleunigten die Suche in den isolierten christlichen Gemeinschaften nach dem Ort überzeugter Christen in einer sich zunehmend säkularisierenden Gesellschaft. Es gab „Zeichen der Zeit“, die gedeutet werden mussten, und die Krisenliteratur biblischer Propheten und Apokalyptiker schien Diskussionen darüber anzuregen, wie die Irritierungen beseitigt und die Treue gegenüber dem Glauben in einer Zeit bewahrt werden könne, in der Technologie, Migration und Ausbildung soziale und kulturelle Veränderungen auf Schwindel erregende Weise vorantrieben.

In Nordamerika gerieten mennonitische Gemeinden nach der Mitte des 19. Jahrhunderts unter den Einfluss chiliastischer Vorstellungen und der Lehren des Dispensationalismus (eine Vorstellung, die auf John N. Darby zurückgeht, dass Gott unterschiedlich mit den Menschen zu verschiedenen biblischen Zeiten handelt: mit dem Gesetz von Moses bis Christus, mit Gnade in der Zeit der Kirche und mit Königsherrschaft im Tausendjährigen Reich). Die „Bible Conference Movement“, die hauptsächlich von Anhängern prämillenaristischen und dispensationalistischer Anschauungen geführt wurde, kombinierte das Milieu erwecklicher Bewegungen mit neuerlich bedeutsam gewordenen Interpretationen bisher noch unerfüllter biblischer Weissagungen. Die sich schnell ausdehnende Bewegung des Fundamentalismus, die einen Einfluss auf die nordamerikanischen Mennoniten ausüben sollte, erklärte die Anschauungen vom Prämillenarismus zu den Grundforderungen des Glaubens. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbreiteten sich dispensationalistische Formen eschatologischer Anschauungen schnell und wurden zu einer der stärksten Antriebskräfte im nordamerikanischen Christentum. Junge mennonitische Gemeindeleiter, die am Moody Bible Institute (gegründet 1886) studiert hatten, kehrten in ihre Kirchen mit dispensationalistischem Gedankengut zurück. Über die weite Verbreitung der Scofield Reference Bible (1909/1917), einem wichtigen Werkzeug zur Interpretation dispensationalistischer Anschauungen, begannen viele Mennoniten diesen machtvollen Interpretationsrahmen zu nutzen, um sich die außer Kontrolle geratene moderne Welt zu erklären. Einfluss übte auch das Buch Jesus is Coming (1878) von W. E. Blackstone aus, dessen Verbreitung zwischen 1908 und 1916 von wohlhabenden Gönnern besonders energisch gefördert wurde. Die Herausforderung einer Theologie des Tausendjährigen Reiches führte unter den Mennoniten zunehmend zu Spannungen und Konflikten in den Gemeinden und Konferenzen und vertiefte den Riss zwischen fortschrittlichen und konservativen Flügeln der Gemeinschaft. Das führte unter anderem zur Schließung und Reorganisation des Goshen College (Indiana) für ein Jahr zwischen 1923 und 1924.

Eine Reihe von Entwicklungen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gaben den Haltungen der Kirche zur Prophetie ihre Gestalt. Als die unbehagliche Allianz der amerikanischen und sowjetischen Kooperation in den politischen Antagonismus des Kalten Krieges hineinschlidderte, war es für viele Mennoniten nicht schwer, die mächtige globale Bedrohung durch den Kommunismus, den Schrecken der atomaren bzw. nuklearen Aufrüstung und die Doktrin von der gegenseitigen Vernichtung (Mutually Assured Destruction), das offensichtliche Aufblühen des demokratischen Kapitalismus und die Errichtung des Staates Israel mit der verschlüsselten Ideologie vom Ende der Welt einander gleichzusetzen. Das wurde noch vom Schicksal der russischen Mennoniten in den Jahren nach der Russischen Revolution (1917), vom Krieg und dem desaströsen Schicksal der religiösen Gemeinschaften in der Sowjetunion bestätigt, von dem in der weiteren Bruderschaft im Westen erzählt wurde.

Weitere dispensationalistische Einflüsse machten sich in dem Kontext der neupfingstlerischen Erneuerung in der Christenheit weltweit geltend, gelegentlich unter dem Dach der charismatischen Bewegung. Größere Freiheit in der Gestaltung des Gottesdienstes, geistliche Erneuerung, Bibelstudium und das Auftreten der „Jesus People“ führten eine neue Generation junger Mennoniten dem Einfluss populärer evangelikaler Autoren zu: wie Hal Lindsay, der das Thema der Prophetie vom Ende der Welt besonders krass herausstellte.

Aber es war nicht nur endzeitlich orientierte Prophetie, die unter den Mennoniten Eingang fand. Im Zuge der Hilfswerksarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg kam eine Generation junger Mennoniten unter den Einfluss des „Social Gospel“ und wurde mit neuen Formen des sozialen Aktionismus bekannt. Anliegen für Gerechtigkeit in Befreiungs- und Unabhängigkeitsbewegungen rund um die Welt zogen die Aufmerksamkeit der Hilfswerksarbeiter und Missionare auf sich. Die veröffentlichten Schriften Mahatma Gandhis begannen, überall im Westen Verbreitung zu finden, und beeindruckten auch die Mennoniten, deren eigener →Pazifismus nach Herausforderungen und Gelegenheiten suchte, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt zu schaffen. Die wachsende Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner und die Antikriegskampagne der 1960er Jahre weckten das Bewusstsein einer jungen Generation von Mennoniten, die nach dem Krieg geboren waren und die biblischen Propheten mit dem Ethos dieser Bewegungen assoziierten. Die Reden und Schriften Martin Luther Kings Jr. halfen, diese Assoziationen in den Köpfen der jungen Menschen zu festigen. David Ewert (Art. „Prophecy“ in Mennonite Encyclopedia) weist auf den Weg hin, auf dem die Konzentration auf die biblische Prophetie bei vielen von einer vorhergesagten Orientierung auf das Ende der Welt zur Sozialethik wechselte. Prophetie wurde nun nicht als Voraussage verstanden, sondern eher als eine moralische Forderung, die Wahrheit vor ihrer Zeit auszusprechen und jetzt schon gegen die Macht in dieser Welt zu setzen. Millard Linds Lehren und Schriften an dem Associated Mennonite Biblical Seminary in Elkhart (Indiana) über das politische und religiöse Ethos hebräischer Prophetie übte einen tiefen, aufbauenden Einfluss auf eine ganze Generation biblischer Exegeten, Theologen und Vertreter der Ethik unter den Mennoniten aus (Millard Lind, Monotheism, Power, Justice, 1990).

Erst kürzlich wurden mennonitische Exegeten und Theologen in verstärktem Maße auf die Herausforderungen aufmerksam, die von der Apokalyptik ausgehen. Lange Zeit wurde die Apokalyptik exklusiv mit den programmatischen Prärogativen des Prämillenarismus und Dispensationalismus in Verbindung gebracht, nun hat die neuere Apokalyptik-Forschung die Tür zu Wegen geöffnet, die Offenbarung des Johannes mehr im Einklang mit den historischen Bemühungen um Gewaltlosigkeit und mit eschatologisch begründeter Hoffnung zu sehen (Loren Johns (Hg.), Apocalypticism and Millenialism, 2000). Anstatt der Visionen der Gewalt, privilegierter Entrückung und proisraelischer Einstellung zahlreicher evangelikaler Christen wurde von John Howard →Yoder eine Theologie des Agnus victor (des geschlachteten Lamms, das Sieger ist) in der Johannesapokalypse wiederentdeckt und ausführlich in Politics of Jesus (1972) zur Geltung gebracht. Gegen das Gespenst potentiell destabilisierender Elemente prophetischen Exzesses, wie es zum Beispiel bei Klaas Epp unter den russischen Mennoniten am Ende des 19. Jahrhunderts der Fall war, schien eine erneuerte eschatologisch begründete Hoffnung nicht nur möglich, sondern für die mennonitische Theologie auch unerlässlich zu werden.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts präsentiert sich ein weltweites Mennonitentum, das eine immer größer werdende und inspirierende Vielfalt an den Tag legt. Angeregt von weit auseinander gehenden Ansichten über Kirchenpolitik und Sozialethik, Politik und Eschatologie suchen diese Gemeinschaften ihr gemeinsames Erbe in dem versöhnenden Werk Jesu Christi. Das Zentrum dieses Erbes bleibt eine Christologie, die vom Erbe der hebräischen Propheten stark geprägt ist – institutionell an den ursprünglichen religiösen Einrichtungen der Kirche orientiert, geistlich vom fortschreitenden Werk des göttlichen Geistes vorangetrieben, prophetisch in der Verpflichtung, der Welt im Namen Jesu Christi zu dienen, und schließlich mit der Hoffnung ausgestattet, die Botschaft vom Kommen Jesu Christi im Glauben und Leben zum Ausdruck bringen zu können.

Literatur (Auswahl)

Believers Church Bible Commentaries on Prophetic Books, Scottdale, Pa., 1986. - Joseph Blenkinsopp, A History of Prophecy in Israel, Louisville, KY, 1983 und 1996. - James Brenneman, Art. True and False Prophecy, in: Dictionary of the OT Prophets, hg. von Mark J. Boda and J. Gordon McConville, Grand Rapids, MI, 2012.- Walter Brueggemann, The Prophetic Imagination, 2. Aufl., Minneapolis, MN, 2001. - David Ewert, Art. „Prophecy“ in: Mennonite Encyclopedia, Bd. 5, 1990, 728–730. - Loren Johns (Hg.), Apocalypticism and Millennialism: Shaping a Believers Church Eschatology for the Twenty-First Century, Kitchener, Ont., und Scottdale, Pa., 2000. - Millard Lind, Monotheism, Power, Justice: Collected Old Testament Essays, Elkhart, Ind., 1990. - Joe Springer u. a., Biblical Concordance of the Swiss Brethren, 1540, Kitchener, Ont., 2001. - Murray Stuart, Biblical Interpretation in the Anabaptist Tradition, Kitchener, Ont., 2000. - Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testaments, Bd. 2, Die Theologie der Prophetischen Überlieferungen Israels, 10. Aufl., Gütersloh 2004. - Max Weber, Das antike Judentum, in: ders. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie III, hg. von Marianne Weber, 8. Aufl., Tübingen 1988.

Paul Keim

top/prophetie.txt · Zuletzt geändert: 2024/06/28 17:33 von 127.0.0.1

Donate Powered by PHP Valid HTML5 Valid CSS Driven by DokuWiki