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Wormser Propheten
Als „Wormser Propheten“ werden die von Ludwig →Hätzer und Hans →Denck ins Deutsche übersetzten Prophetenbücher des Alten Testaments bezeichnet, die im April 1527 von Peter Schöffer d. J. unter dem Titel Alle Propheten nach hebraischer sprach verteütschet in Worms gedruckt wurden. Sie erschienen als erste protestantische Prophetenübersetzung zunächst als Einzeldruck und wurden 1529 in die von Schöffer gedruckte Wormser Vollbibel, die erste protestantische Vollbibel in deutscher Sprache, integriert. Vermutlich arbeiteten Hätzer und Denck mit Mitgliedern der Wormser jüdischen Gemeinde (→Juden) zusammen, die sie bei der Übersetzung der Propheten unterstützt haben sollen.
1. Entstehungshintergrund
1524 erschien in Worms eine anonyme Flugschrift mit dem Titel Trostbrieff der Christlichen kirchendiener zu Wormbs an die frommen Aposteln und bekenner Jesu Christi, so itzt zu Meintz, Ringau unnd allenthalben im Bistum gefangen liegenn, iren lieben brüdern. Auffällig ist der mystisch-spiritualistische Duktus der Leidens- und Kreuzesnachfolge, der in seiner Intensität, in seinem Stil und seiner Argumentation nicht so recht zu den anderen Schriften passen will, die sich dem Wormser Reformationsdiskurs dieser Jahre zurechnen lassen. Otto Kammer wirft die Frage auf, ob nicht Jacob Kautz der Autor dieser Schrift gewesen sein könnte, da er vermutlich seit 1524 in Worms predigte. Ob er sich bereits zu diesem Zeitpunkt gegen die Kindertaufe einsetzte oder die Anregungen dazu erst durch die Ankunft der anderen Täufer in Worms erhielt, lässt sich nicht sagen. Falls er jedoch der Autor dieser Schrift war, könnte Kautz die Schlüsselfigur zu einer mystisch-spiritualistischen Gruppe in Worms gewesen sein. Bezeichnenderweise lässt sich gerade der mystisch-spiritualistische Duktus in den Sieben Artikeln von Jacob Kautz 1527 finden, was wiederum für seine Autorschaft des Trostbriefs spricht. Friedrich Roth geht in seiner Interpretation des Trostbriefs soweit zu behaupten, dass die Täufergemeinde in Worms seit 1524 bestanden habe (Otto Kammer, Die Anfänge der Reformation, 233 f.; Friedrich W. E. Roth, Zur Geschichte der Wiedertäufer, 105).
Nach 1524 wurden in Worms von Peter →Schöffer viele täuferische Schriften gedruckt, was die Vermutung nahelegt, dass sich Schöffer schon früh mit den Ideen der Täufer anfreundete. Als Autoren dieser Schriften sind vor allem Hans Denck, Jacob Kautz und Ludwig Hätzer zu nennen. Zudem druckte Schöffer 1527 den anonymen Dyalogus von frembden glauben. Glauben der kirchen. Tauff der Kinnder, der mittlerweile Andreas Bodenstein von →Karlstadt zugeschrieben wird.
Pfingsten 1527 erhielten die innerreformatorischen Auseinandersetzungen in Worms öffentliche Brisanz, als Kautz an die Dominikanerkirche ein Plakat schlug, das in sieben Artikeln die wichtigsten Grundsätze der Täufer zusammenfasste und zur Disputation darüber aufforderte, worauf die Reformatoren Ulrich Preu und Johann Freiherr wenige Tage später sieben Gegenartikel vorlegten, in denen sie die Lehre der Täufer zurückwiesen. Zudem folgten am Morgen des 13. Juni 1527, also in der Pfingstwoche, in der zahlreiche Bauern aus dem Umland zur Messe in die Stadt strömten, öffentliche Predigten über die Artikel durch Kautz und zwei andere Täufer. Auch Preu und Freiherr erläuterten ihre Artikel auf der Kanzel, so dass die innerreformatorischen Streitigkeiten öffentlich ausgetragen wurden. Im Wormser Thesenstreit wurden Themen behandelt, die nicht nur in Worms die Zeitgenossen beschäftigten. So ist hier zum einen der Abendmahlsstreit zwischen Martin →Luther und Ulrich →Zwingli, der nach 1525 ausbrach, zu nennen, in dem es darum ging, die Seinsweise, in der Christus beim Abendmahl gegenwärtig ist, zu bestimmen. Zum anderen wurde die Tauffrage vor dem Hintergrund erstmaliger Sanktionen gegen die →Täufer verhandelt, denn im Januar 1527 wurde Felix →Mantz in Zürich ertränkt und im Mai Michael →Sattler in Rottenburg am Neckar verbrannt. Über das Schicksal Sattlers dürften die Wormser zumindest seit der Veröffentlichung und Verbreitung der Flugschrift Getrewe warnung der prediger des euangelij zu Straßburg vber die artickel, so Jacob Kautz Prediger zu Wormbs kürtzlich hat lassen außgohn … darin sich Hans Dencken vnnd anderer wiedertaeuffer schwere yrthumb erregen, betreffend im Juli 1527 unterrichtet gewesen sein. Die Autoren der Flugschrift sprachen sich deutlich gegen die Täufer aus und nutzten die Verbrennung Sattlers strategisch, um ihrer versuchten Demaskierung der Täufer Kautz und Denck als falsche Propheten Nachdruck zu verleihen. Peter Schöffer ließ sich durch die Sanktionen und Agitationen gegen die Täufer jedoch nicht davon abhalten, die Schriften Sattlers, so z. B. die →Brüderliche vereynigung etlicher Kinder Gottes (vermutlich 1527 – 1529), die als Schleitheimer Artikel bekannt wurden, zu drucken.
Erst im Verlauf des Jahres 1527 distanzierte sich der Rat zunehmend von Kautz, während Kautz noch 1526 vom Rat zur Predigt in der Dominikanerkirche veranlasst worden war. Auch der Prädikant Heinrich Hilarius bekannte sich 1527 öffentlich zur Erwachsenentaufe und musste sich gemeinsam mit Kautz vor dem Rat verantworten, ohne dass sie ihre täuferische Überzeugung aufgaben. Zudem nahm Kautz nach Angaben des Chronisten Friedrich Zorn Melchior →Hoffman einige Tage bei sich auf und ließ sich von ihm unterrichten. Die Zahl der Anhänger der täuferischen Predigt wuchs beständig, schließlich handelte der Rat: Melchior Hoffman musste die Stadt bei Anbruch des Tages, Kautz nur wenige Wochen später im Juli 1527 verlassen.
Viele Wormser ließen sich von der täuferischen Lehre offenbar durch Schrift und Predigt überzeugen, so dass sich eine täuferische Bewegung in Worms herausbildete. Das Mandat des Reichskammergerichts vom 4. Januar 1528, in dem allen Wiedergetauften mit der Todesstrafe gedroht wurde, sowie das spätere Reichsmandat vom 23. April 1529 schufen eine reichsrechtliche Aufforderung, gegen die Täufer vorzugehen. Der Wormser Rat reagierte erneut gegen die täuferische Bewegung: Es wurden 1528 mehrere Wormser Täufer ins Gefängnis gebracht und die anderen ausgewiesen, nur diejenigen, die ihrem Glauben abschworen, durften in der Stadt bleiben. Im Mai 1529 wurde das Mandat des Zweiten Speyerer Reichstages (→Reichstage) an einem Sonntag nach dem Gottesdienst feierlich und öffentlich auf dem Markt verlesen. Auch Schöffer musste nun Worms verlassen und ging nach →Straßburg. Mit der Ausweisung und Sanktionierung der Täufer in Worms konnte der Rat die täuferische Bewegung erfolgreich unterdrücken, obwohl sie offenbar nach 1529 noch einmal kurz wiederauflebte.
2. Entstehung und Druck der Prophetenübersetzung
Denck und Hätzer, die sich bereits u. a. aus Straßburg kannten, zogen 1527 nach Worms in eine Umgebung, in der es eine täuferische Gemeinschaft und innerreformatorische Auseinandersetzungen über Taufe und Abendmahl gab. Sie nutzten die bestehende Infrastruktur, kommunizierten und verschriftlichten ihre Ideen und arbeiteten an der Prophetenübersetzung weiter. Offenbar drängte Schöffer auf eine Fertigstellung der Übersetzung zur Frühjahrsmesse, zudem erfüllte sie, so J. F. Gerhard Goeters, ein „wirkliches Bedürfnis der Zeit“ (J. F. Gerhard Goeters, Ludwig Hätzer, 100 f.), da fast die gesamte Bibel durch Luther in die deutsche Sprache übertragen worden war, nur nicht dieser Teil des Alten Testaments. Vermutlich bekamen sie hierfür Unterstützung aus der jüdischen Gemeinde (dazu ausführlich Ulrich Oelschläger, Die Wormser Propheten, 82 f.).
Schöffer vollendete im April 1527 die erste Folioausgabe mit dem Titel Alle Propheten / nach Hebraischer / sprach verteutscht / O Gott erlöss die gfangnen und einer Vorrede von Hätzer, gleichzeitig erschien eine Duodezausgabe mit vielfachen Textänderungen, zudem stellte Schöffer im Oktober 1527 eine Taschenausgabe her, in der die Vorrede Hätzers fehlte, möglicherweise um den zahlreichen Gegnern und Kritikern der Übersetzung keinen Grund für ihre Angriffe zu liefern. 1529 wurde die Prophetenübersetzung in die erste deutschsprachige protestantische Vollbibel Biblia beyder Allt vnd Newen Testaments Teutsch aufgenommen, die wahrscheinlich von Kautz kompiliert wurde. Sie wurde in ihrer Bedeutung durch die 1531 erschienene erste Zürcher Vollbibel und 1534 durch die Lutherbibel verdrängt.
3. Wirkungsgeschichte
Bemerkenswerterweise wurden innerhalb weniger Jahre zwölf selbstständige Ausgaben der „Wormser Propheten“ gedruckt, was sich als Hinweis auf die Wichtigkeit dieser Übersetzung deuten lässt (vgl. die tabellarische Auflistung bei Ulrich Oelschläger, Die Wormser Propheten, 78). Erst mit dem Erscheinen der lutherischen Prophetenübersetzung 1532 wurde die erste verdrängt. Luther selbst hatte sich negativ über die Prophetenübersetzung geäußert, weil er zum einen Hätzer und Denck als „falsche Christen und Rottengeister“ einstufte, zum anderen, weil Juden an der Übersetzung mitgearbeitet hatten.
Obwohl sich Zwingli und Luther auf die Übersetzung stützten, wird wohl die Nähe zur täuferischen Bewegung und der jüdische Einfluss den Ausschlag für die Ablehnung in Wittenberg und Zürich gegeben haben. Dennoch bestehen auffällige Ähnlichkeiten zwischen der Zürcher und der Wormser Prophetenübersetzung. So ist die Abhängigkeit von der Wormser Übersetzung besonders im Buch des Propheten Daniel offensichtlich. Traudel Himmighöfer kommt des Weiteren zu dem Schluss, dass Zwinglis Vorwurf, Hätzer und Denck begingen aus theologischer Motivation eine Fälschung, unbegründet gewesen sei, denn es war nicht die Wormser, sondern die Zürcher Übersetzung, die sich vom Urtext entfernt hatte (Traudel Himmighöfer, Die Zürcher Bibel, 350).
1734 publizierte der evangelische Theologe Gustav Georg Zeltner einen ersten Kommentar zu den „Wormser Propheten“, den Ulrich Bister jüngst herausgegeben hat. Trotz der frühen Veröffentlichung der „Wormser Propheten“, ihrer Übersetzungsgenauigkeit und ihrer Aufnahme in die vom Wormser Maler Anton Woensam mit 45 Holzschnitten reich bebilderte Wormser Vollbibel von 1529 ist derzeit bis auf Zeltners Kommentar kaum mehr Resonanz wahrzunehmen.
Literatur
Friedrich W. E. Roth, Zur Geschichte der Wiedertäufer, in: Mennonitische Blätter XL, 1893, 105–110. - Georg Baring, Die „Wormser Propheten“, eine vorlutherische evangelische Prophetenübersetzung aus dem Jahre 1527, in: Archiv für Reformationsgeschichte 31, 1934, 23–41. J. F. Gerhard Goeters, Ludwig Hätzer (ca. 1500–1529). Spiritualist und Antitrinitarier. Eine Randfigur der frühen Täuferbewegung, Gütersloh 1957. - Traudel Himmighöfer, Die Zürcher Bibel bis zum Tode Zwinglis (1531). Darstellung und Bibliografie, Mainz 1995. - James Beck, The Anabaptists and the Jews. The Case of Hätzer, Denck and the Worms Prophets, in: Mennonite Quarterly Review 75, 4, 2001, 407–427. - Otto Kammer, Die Anfänge der Reformation in der Stadt Worms, in: Blätter zur pfälzischen Kirchengeschichte 68, 2001, 219–251. - Ulrich Bister (Hg.), Die Wormser Propheten, Hammerbrücke 2003. - Ulrich Oelschläger, Die Wormser Propheten von 1527 – eine vorlutherische Teilübersetzung der Bibel, in: Der Wormsgau 25, 2007, 67–94. - Alejandro Zorzin, Peter Schöffer d. J. und die Täufer, in: Buchwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. von Ulman Weiß, Epfendorf 2008, 179–213 (Druckverzeichnis Schöffers).
Sabine Todt