Nachfolge Jesu Christi

Mit dem Täufertum des 16. Jahrhunderts verbindet sich das Stichwort von der „Nachfolge Jesu Christi“. Harold S. →Bender hat darin in einem berühmten Vortrag 1943 nicht nur ein Thema, sondern das zentrale Thema des christlichen Glaubens gesehen, wie die Täufer ihn verstanden (Harold S. Bender, The Recovery of the Anabaptist Vision, 67–88). Seither ist Nachfolge Jesu vor allem als Ausdruck täuferischer Gewaltlosigkeit untersucht (Clarence Bauman, Gewaltlosigkeit im Täufertum, 1968) und als Schlüsselbegriff in den systematischen Bemühungen um eine Theologie des Friedens (John H. Yoder, Nachfolge, 1964) eingesetzt worden. Umso mehr fällt auf, dass die Encyclopedia of the Reformation (1996) ohne einen Eintrag zur „Nachfolge“ auskommt und im Nachfolgeartikel des Taschenlexikons Religion und Theologie (1983) die Täufer ganz und gar übergangen werden. Das gilt, was Nachfolge betrifft, ebenso für den umfangreichen Artikel in der Theologischen Realenzyklopädie (1994). Auch im Ökumene Lexikon wird Nachfolge nicht mit einem eigenen Artikel zur Geltung gebracht, obwohl das für die lutherischen Kirchen bahnbrechende Buch Dietrich Bonhoeffers zur Nachfolge Christi (1937) in seiner beachtlichen Wirkung auf andere Kirchen, über die Lehrtätigkeit Harold S. Benders auch auf die Mennoniten in aller Welt, zu erwarten gewesen wäre. In der neueren Forschungsliteratur zur Geschichte der Reformation ist es inzwischen jedoch fast kirchengeschichtlicher Gemeinplatz geworden, den Akzent, den die Täufer gewöhnlich auf das praktische Leben der Gläubigen legten, vor allem mit ihrem Verständnis von der Nachfolge Jesu gleichzusetzen.

1. Nachfolge Jesu im Neuen Testament

In der neutestamentlichen Forschung ist das Thema „Nachfolge“ oft und auch kritisch untersucht worden. Die Bemühungen haben sich auf die Erforschung der jüdischen und hellenistischen Wurzeln des Nachfolgebegriffs einerseits und auf den Unterschied zwischen Nachfolge und Nachahmung andererseits konzentriert (Anselm Schulz, Nachfolgen und Nachahmen, 1962; Hans Dieter Betz, Nachfolge und Nachahmung Jesu Christi im Neuen Testament, 1967; Martin Hengel, Nachfolge und Charisma, 1968). Es ist schon oft beobachtet worden, dass die synoptischen Evangelien Jesus als denjenigen darstellen, der in die Nachfolge ruft, die Christen in den Briefen des Neuen Testaments dagegen nie als Nachfolger Jesu beschrieben werden. Während bislang eine starke Skepsis vorherrschte, inwieweit die Evangelisten überhaupt ein Bild des historischen Jesus gezeichnet haben, und das Augenmerk auf die Theologie der frühen Gemeinden gerichtet wurde, verstärkte sich inzwischen der Eindruck, dass die Tradition, nach der Jesus Jünger um sich sammelte und seine Jünger im Unterschied zu anderen Rabbinen anleitete, nicht selber Meister werden zu wollen (Mt. 10, 24 f.), tatsächlich die historische Wirklichkeit widerspiegelt (Hans Dieter Betz, Nachfolge und Nachahmung Jesu Christi im Neuen Testament, 12). Jesus wird Menschen zu einer Antwort und Hingabe aufgefordert haben, wie sie selten anzutreffen war, und es ist bezeugt, dass Menschen später in die Nachfolge eintraten, auch wenn sie in den Tod führte. Die Tatsache, dass dieser Ruf oft den Unterdrückten der Gesellschaft galt (z. B. Kollaborateuren und Zöllnern), unterscheidet diesen vom Ruf der Zeloten, die ebenfalls zum Tragen des Kreuzes aufforderten. Sie richteten diesen Ruf aber nicht an die Kollaborateure, denn mit ihnen sollte so zu verfahren, wie Pinehas es einst tat: Sie sollten umgebracht werden, um den Zorn Gottes aufzuhalten (4. Mose 25). Wie Jesus die Nachfolge verstand, zeigt sich vor allem in der Forderung zur Feindesliebe und im Absolutheitsanspruch, den er mit dem Ruf in die Nachfolge verbindet; und wie Paulus in veränderter heilsgeschichtlicher Situation darüber dachte, lässt sich besonders deutlich an Rö. 6 ablesen. Grundsätzlich ist zwischen einem vor- und einem nachösterlichen Verständnis der Nachfolge im Neuen Testament zu unterscheiden, zwischen historisch authentischen Jesusworten und späterer Gemeindebildung (vgl. Ulrich Luz, Art. Nachfolge, 678–686).

(1) Die Forderung Jesu, die Feinde zu lieben (Mt. 5, 43–48), ist wohl historisch verbürgt und Jesus nicht erst später in den Mund gelegt worden. Diese Forderung scheint ganz wesentlich zu seiner Lehre zu gehören und sich bewusst von jenen Stellen des Alten Testaments zu distanzieren, die eine andere Lehre vertreten („Auge um Auge, Zahn um Zahn“). Wichtiger aber ist noch, dass sich damit eine Absage an die Lehre der Qumran-Sekte verbindet, die ihre Feinde dem Hass und der Vernichtung preisgaben, und dass damit eine scharfe Kritik an den Zeloten ausgesprochen wird, die Gewalt als Mittel zur Errichtung der Gottesherrschaft auf Erden verherrlichten (Martin Hengel, Die Zeloten, 1961). Allerdings bedeutet Feindesliebe nicht „Verzicht auf den eigenen Anspruch“ (Rudolf Bultmann, Jesus, 97), sondern nach Matthäus „konkrete Tat“ (Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, 315). So ist Jesus weit davon entfernt, Zurückgezogenheit und Quietismus zu propagieren, vielmehr versteht er seine Jünger als Menschen, die Frieden schaffen werden (Mt. 5, 9). Die Aufforderung, die Feinde nicht zu hassen, sondern zu lieben, ist in der religiösen Umwelt Jesu und des frühen Christentums nicht einzigartig. „Grundsätzlich gilt die Devise uneingeschränkter Menschenliebe“ beispielsweise in der philosophischen Tradition der Griechen (Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, 308). Zu beachten ist jedoch ein zweifacher Unterschied. Zum einen wird nicht zwischen persönlichen und allgemeinen Feinden unterschieden, und zum anderen ist die Menschenliebe bei Jesus nicht in der allgemeinen Weltharmonie, sondern im Willen Gottes begründet. „Die extreme Forderung der Feindesliebe entspricht im besonderen der extremen Liebe Gottes im Anbruch seines Reiches gegenüber Sündern und Deklassierten“ (ebd., 309). Die Feindesliebe, die Jesus meint, ist nach Matthäus letztlich ein Hinweis auf das Leiden und das Kreuz Jesu, in dem der Frieden als gewaltlose Überwindung des Bösen seinen Grund hat. Für den Christen ist die Weise, dem Feind Liebe entgegen zu bringen, die Weise, Jesus Respekt und Ehrerbietung zu bezeugen. Christus als Herrn nachzufolgen, bedeutet, seine Weise, Böses durch Gutes zu überwinden, anzunehmen.

(2) Kein Evangelist bringt den Absolutheitsanspruch Jesu, wie er sich mit dem Ruf zur Nachfolge verband, deutlicher und fordernder zum Ausdruck als Lukas (14, 26). Schon die Parallelstelle Mt. 10, 37 f. schwächt diesen Anspruch ab. Beide Stellen zeigen jedoch, dass die Forderungen Jesu dringlicher sind als jede Bindung an Familie und Besitz, auch wichtiger als die Rücksicht auf sich selbst. Trotz aller Radikalität werden andere Beziehungen als nur diejenigen zum Herrn nicht ausgeschlossen. Sie werden in die Bindung an den Herrn mit hineingenommen, der den Einzelnen in die Nachfolge ruft und ihn zum Glied in der Gemeinschaft macht, die jetzt schon dem Aufbruchsimpuls des Reiches Gottes folgt und seiner Vollendung entgegengeht. In dieser Gemeinschaft verwirklicht sich die Nachfolge. Hier vereinigen sich Glaube und Gehorsam. Nachfolge wird im Glauben möglich, und in der Nachfolge zeigt sich der Glaube. Beides lässt sich nicht voneinander trennen.

(3) Das Ineinander von Glaube und Gehorsam, das sich im synoptischen Verständnis der Nachfolge zeigt, konnte in den paulinischen Briefen nicht in der Metaphorik der Nachfolge dargestellt werden, da es hier nicht mehr darum ging, dem irdischen Jesus zu folgen, sondern den gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus zu bekennen: mit ihm zu sterben, mit ihm aufzuerstehen und in einem neuen Leben zu wandeln (Rö. 6). Jesus wurde nicht als Vorbild empfohlen, das nachgeahmt werden müsste; vielmehr gilt es, dem gehorsam zu sein, der sich selbst erniedrigte und „ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz“ (Phil. 2, 8). Gesinnt zu sein, wie Jesus gesinnt war (Phil. 2, 1), heißt, am Heilsgeschehen teilzunehmen und nicht jede Entscheidung Jesu während seines Erdenlebens nachzuahmen. Von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi wird das Leben derer umfangen, die sich zu ihm als ihrem Herrn bekennen, Paulus bringt das mit seinen Bildern vom Sterben, Auferstehen und neuen Wandel ebenso deutlich zum Ausdruck wie das synoptische Bild von der Nachfolge. So wird die Nachfolge „zum Inbegriff des christlichen Lebens überhaupt“ (Ulrich Luz, Art. Nachfolge, 683).

2. Nachfolge im reformatorischen Aufbruch und im Täufertum

Der biblische Gedanke von der Nachfolge Christi ist über die Kirchenväter von verschiedenen Theologen des Mittelalters aufgegriffen und auf ganz unterschiedliche Weise weiterentwickelt worden: einmal wurde mehr der innerliche Charakter der Frömmigkeit (Gelassenheit, Demut, Leiden), ein anderes Mal mehr der Gehorsam im Lebenswandel betont. Der Ruf zur Nachfolge war auch Grund zur Kritik am Reichtum der Kirche und dem Wohlleben des Klerus. Aus dem Mönchtum, in dem dieser Gedanke oft fest verankert war, brach er in die Armutsbewegungen der Laien aus und begann, einen starken Einfluss auf die allgemeine Frömmigkeit auszuüben. Sehr stark war die Rezeption des Nachfolgegedankens in der mittelalterlichen Mystik, vor allem wenn sie den Akzent auf das Kreuz Christi und das Leiden der Frommen legte, besonders in den Predigten Johannes Taulers: „Für all die Freude und den Trost, den Gott ihnen („die den heftigsten Durst nach Leiden“ haben) gegeben hat, suchen sie dem liebevollen Vorbild ihres Herrn nachzufolgen und verlangen danach in der härtesten, schimpflichsten, schmerzhaftesten Weise, die man (nur) ertragen kann“ (Johannes Tauler, Predigten, 437). Im Traditionsgefälle der mittelalterlichen Mystik schrieb Thomas à Kempis sein Erbauungsbuch De imitatione Christi (1441), das über die Kreise der „Brüder vom gemeinsamen Leben“ (Devotio moderna) weite Verbreitung fand und besonders die Spiritualität der Laien beeinflusste. Pilgram →Marpeck bemerkte, dass viele seiner Glaubensgenossen die Theologia Deutsch und das Nachfolgebüchlein des Thomas von Kempen besonders schätzten. Hier verbanden sich innerliche Heilsaneignung mit einer hohen Moralität der Lebensführung. Unverkennbar ist ihr Einfluss auf antiklerikale Strömungen am sogenannten Vorabend der →Reformation. Im Traditionsgefälle der mittelalterlichen Mystik haben auch einige Gestalten gewirkt, die später in den Bewegungen der Täufer zu finden waren (→Mystik).

In Kontrastbildern der frühen Reformationszeit wurde gelegentlich auf das einfache Leben hingewiesen, das Jesus führte, und mit der prunkvollen Hofhaltung des Papstes, der Kardinäle und Bischöfe im Petersdom zu Rom kontrastiert (Lucas Cranach d. Ä., Passional Christi und Antichristi, 1519). Die pädagogische Absicht, die mit dieser Bilderfolge verbunden war, ist unverkennbar: Die Betrachter sollten Jesu Beispiel folgen und das Verhalten des Klerus verschmähen.

Martin →Luther hat den Nachfolgegedanken wohl aus der mystischen Tradition, vor allem aus der von ihm selbst herausgegebenen Theologia Deutsch (1518) übernommen und auf die Rechtfertigung des Sünders sola gratia bezogen: In der Nachfolge vollzieht sich das gnädige Handeln Gottes am Menschen, und der Mensch antwortet darauf im Gehorsam des Glaubens. So verstand Luther die „Gleichförmigkeit“ des Gerechtfertigten mit Christus, hatte aber jeden Gedanken an eine fromme Leistung vermieden, der sich mit der Nachfolge als imitatio verbinden konnte. Als tägliche Buße des Menschen wurde die Nachfolge zum Lobpreis der göttlichen Gnade (Martin Luther, Werke 2, 518, Ablassthesen, Werke 1, 233–238). Thomas →Müntzer, der sich ebenfalls schon früh mit der deutschen Mystik beschäftigt hatte, nutzte den Gedanken der Nachfolge, um den Menschen aufzufordern, dem leidenden Christus ans Kreuz zu folgen, d. h. das mortifikatorische Werk Gottes im Inneren zu erleiden und auf diese Weise zum Glauben zu gelangen. Die Nachfolge war zum Bestandteil des Heilsprozesses geworden. Sie war in erster Linie „Läuterung des Menschen auf dem Weg zum Glauben“ (Hans-Jürgen Goertz, Innere und äußere Ordnung in der Theologie Thomas Müntzers, 132) und erst in zweiter Linie Verhalten und Handeln des Auserwählten nach der Erfahrung des Glaubens, es sei denn, dass auch das Handeln der Auserwählten im politischen und sozialen Bereich als Läuterung der Welt auf dem Weg in das Reich Gottes im Sinne einer Erweiterung des inneren Heilsprozesses auf die sozialen Verhältnisse verstanden wurde.

Eine besondere Rolle spielte die Nachfolge Jesu unter den Täufern. Darauf hatte Harold S. Bender betont hingewiesen, blieb jedoch eine Analyse der täuferischen Schriften zu diesem Thema schuldig. Er gründete die Behauptung, dass die Nachfolge das Grundmotiv der Täufer gewesen sei und alles andere, was sie noch zu sagen hatten, bestimmt habe (Harold S. Bender, The Anabaptist Theology of Discipleship, 27), auf die Aussagen der Gegner oder Außenstehender. Eine Analyse der täuferischen Schriften hat erst Clarence →Bauman 1968 in einem Kapitel seiner Dissertation über Gewaltlosigkeit im Täufertum vorgenommen (S. 170–188) und das Urteil Benders bestätigt. Er hat im frühen Schweizer Täufertum auf Aussagen von Felix →Mantz hingewiesen (1526) und auf eine Passage in der →Brüderlichen Vereinigung von Schleitheim (1527). Felix Mantz schrieb aus dem Gefängnis an seine Brüder: „Christus hat niemals jemand gehasset, also hassen seine rechte Diener auch niemand und folgen also Christo auf dem rechten Weg nach, wie er vorgegangen ist. Dieses Licht des Lebens habe sie vor sich und freuen sich, darinnen zu wandeln“ (Leonhard v. Muralt und Walter Schmid (Hg.), Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, Bd. 1, 219). Hier wird die Nachfolge Jesu zum Kriterium, an dem sich die Gläubigen von den Ungläubigen unterscheiden. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die niemand hassen oder niemandem etwas zu Leide tun, auf der anderen Seite diejenigen, die unter falschem Schein „unschuldig Blut vergiessen“ und deshalb keine „Christen seyn“ können (ebd., 219). So bestätigt diese Stelle, dass die Nachfolge tatsächlich als Grundmotiv der frühen Täufer ausgewiesen werden kann. Das bestätigt auch der berühmte Artikel über die obrigkeitliche Schwertgewalt im Schleitheimer Bekenntnis: „Christus hat gelitten (nit geherrschet) und hat uns ein fürbild glassen, das ir söllen nachfolgen seinen fusstapfen“ (Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, Bd. 2, 32). Mantz hatte falsche Propheten, Lehrer und Hirten im Visier und entsprach dem antiklerikalen Kontrastbild. Im Schleitheimer Bekenntnis markiert die Nachfolge die Distanz der Täufer zur obrigkeitlichen Gewalt und begründet die Weigerung, obrigkeitliche Ämter zu übernehmen. In beiden Fällen ist es der irdische Jesus, dem es nachzufolgen gilt. Gleichzeitig sind sich die Täufer in Schleitheim darüber bewusst, dass die Nachfolge einen wesentlichen Beitrag zur Einheit der Gemeinde leistet, also ein korporatives Verhalten und Handeln ist. Allerdings wird hier nicht der irdische Jesus bemüht, sondern der auferstandene Christus: „Was Christus, unser houpt uff uns, gesynnet ist, das alles sollen die glider des lips Christi durch inn gesinnet sein, darmit kein spaltung in dem lip sige, dar mit er zerstört werde (…). So nun Christus also ist, wie von ihm geschriben ist, so müssend die glider ouch also syn, darmitt syn lib gantz und einig blibe zuo siner selbs besserung und erbuwung“ (ebd., 32 f.). Noch einen Aspekt haben Mantz und die Schleitheimer Brüder gemeinsam: In beiden Fällen geht es nicht um die Nachfolge als imitatio, losgelöst von der Gnade Gottes, die dem Menschen im Glauben zugeeignet wird, sondern um das Nachfolgen „im Licht“ (und nicht zum Licht hin) und Christus sind die Nachfolger nicht durch sich, sondern „durch inn“ gleich gesinnt. Das deutet darauf hin, dass Nachfolge mehr im Sinne der participatio als der imitatio (was Ulrich →Zwingli den Täufern vorwarf) verstanden wird oder nach Bauman die imitatio nur innerhalb der participatio einen Sinn erhält (Clarence Bauman, Gewaltlosigkeit im Täufertum, 188).

Im Täufertum ist kein Traktat zur Nachfolge entstanden; wenn es aber dennoch sinnvoll ist, in der Nachfolge ein „Grundmotiv“ der Täufer zu sehen, dann in der Weise, dass in zahlreichen Äußerungen im schweizerischen, oberdeutschen, auch im hutterischen, und im niederdeutschen Täufertum darauf Bezug genommen wird. Die Äusserung mit der theologisch stärksten Kraft stammt von Hans →Denck: „Das mittel aber ist Christus, welchen nyemandt mag warlich erkennen, es sey dann, das er im nachvolge mit dem leben. Und nyemandt mag im nachvolgen, dann soviel er in zuvor erkennt“ (Hans Denck, Schriften, Bd. 2, 45). Hier hat Denck aus dem Geist der Theologia Deutsch geschöpft und theologische Erkenntnis mit der Nachfolge, also moralischer Lebensführung, verbunden und christologisch verankert. Unmittelbarer lässt sich Erkennntnis Christi und Nachfolge Christi nicht miteinander verbinden. So ist sichergestellt, dass im Heilsgeschehen, das sich im Inneren des Menschen noch einmal vollzieht, der Mensch, dem das Heil gilt, in die Lage versetzt wird, diesem Geschehen zu folgen und in actu zu erkennen, was ihm widerfährt. Hier zeigt sich, dass die Nachfolge als participatio den Gläubigen an die Person Jesu Christi bindet, wobei zwischen Jesus und Christus nicht unterschieden wird, und die gesamte Existenz des Menschen davon erfasst ist. In der Nachfolge entscheidet sich, ob der Berufene in der „gemainschafft des evangelii“ bleibt oder von seinem Herrn gerichtet und verbannt wird (ebd., 45). Ähnliche Äußerungen, die ebenfalls wie bei Hans Denck mehr individualistisch als korporativ angelegt sind, finden sich vor allem bei Hans →Hut. Auch Pilgram →Marpeck hat sich zur Nachfolge geäußert und besonders vor einem formalistischen Verständnis der Nachfolge gewarnt, in Jesus nur den Menschen zu sehen und ihn rein äußerlich nachzuahmen (William Klassen, Covenant and Community, 65). In der Nachfolge wird vielmehr der im Glauben des Menschen wirksame Christus in dieser Welt gegenwärtig.

Im niederdeutschen Täufertum ist das Nachfolgemotiv theologisch nicht so auffallend aufgenommen worden. Bei Melchior →Hoffman ist es schwer, wenn überhaupt zu finden. Wohl spricht er davon, dass die Gläubigen eine mehrstufige „Lehre und Schule des Herrn“ durchzumachen hätten, um nach der Rechtfertigung aus Gnade allein die „zweite Seligkeit“ zu erlangen. Diejenigen, die in der „Lehre Christi bleiben, um danach zu wandeln, das sind die rechten Dizipulen des Herrn“ (Melchior Hoffman, Ordonanntie, 154 und 166). Bewusst verwandte dagegen Menno →Simons die Nachfolge-Metapher, vor allem im Hinblick auf die Heilsbedeutung des Kreuzes Jesu Christi: „Rechtet u met uwe gedachten/ woorden en werken/ op den gekruysten Christum Jesum/volget sijne voetstappen na“ (Menno Simons, Opera omnia theologica, 329). Auch hier unterstreicht die Nachfolge den Tatcharakter des Glaubens. Das ist zwar theologisch nicht sonderlich originell oder auffällig, doch „auf dem Hintergrund eines Lebens, das um der Verkündigung des Evangeliums willen täglich in Gefahr stand, gewinnt dieser Ruf in die Nachfolge sein Gewicht, seine Glaubwürdigkeit und seinen Charakter als persönliches Zeugnis“ (Christoph Bornhäuser, Leben und Lehre Menno Simons´, 74).

Das Nachfolgemotiv, das den meisten Täufern gemeinsam ist, variiert in der konkreten Ausführung – einmal ist es ein theologischer Zentralbegriff und ein anderes Mal nur eine erläuternde Metapher in den Überlegungen, wie Glaube und Werke einander zuzuordnen seien, hier wird mehr die ethische Herausforderung thematisiert, dort mehr die mystisch konzipierte Verwandlung des Inneren bzw. der Empfang des Glaubens in einem mortifikatorischen Akt. Generell aber bestätigt es den Grundzug, die Nachfolge Jesu Christi als participatio am Heil zu sehen, mit dem Gott dem Sünder in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi begegnet. Sodann weist das Nachfolgemotiv im Allgemeinen auf die Liebe hin, mit der Gott den Sünder liebt und mit dem der Glaubende den Mitmenschen begegnet. Es weist ebenso über sich hinaus auf die Weigerung hin, anderen mit Zwang oder Gewalt zu begegnen bzw. nach deren Freiheit oder Leben zu trachten. In der Nachfolge entsteht eine Gemeinschaft der Liebe und des Friedens, auch eine Gemeinschaft des Leidens an der Welt, wie es sich im Täufertum besonders schmerzhaft an den zahllosen Märtyrerschicksalen gezeigt hat. In allem verschafft sich die Nachfolge ihre korporative Gestalt in der Welt (→Martyrium).

3. Nachfolge in der neueren Diskussion

Das Nachfolgemotiv hat das Täufertum stark geprägt und wesentlich zur Erneuerung der mennonitischen Gemeinden im 20. Jahrhundert beigetragen. Die größte Wirkung ist allerdings von Dietrich Bonhoeffers Buch über Die Nachfolge (1937) ausgegangen. Sein Verständnis der Nachfolge, das sich jeder „billigen Gnade“ widersetzt und die ethische Forderung in den Seligpreisungen der Bergpredigt Jesu nicht weginterpretiert, hat über Harold S. Bender die Interpretation des Täufertums neu belebt und dazu beigetragen, das Friedenszeugnis der Täufer, das mit dem Nachfolgeverständnis verbunden wurde, in der Gegenwart zur Sprache zu bringen (→Friedenstheologie). Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ die Wirkung Bonhoeffers im nordamerikanischen Mennonitentum nach, da sich viele von seiner Verstrickung in den aktiven Widerstand gegen Adolf Hitler irritiert fühlten und diese Verstrickung als eine Preisgabe friedenstheologischer Einsichten werteten. In den letzten Jahrzehnten haben die Mennoniten das Geheimnis um Bonhoeffers Mitwirken am Attentat auf Hitler zugunsten der vielen Aspekte in dessen Theologie, Frömmigkeit und Biographie, die eine Affinität zu ihrer eigenen Tradition aufwiesen, auf sich beruhen lassen. Um so intensiver haben mennonitische Theologen sich aber fortan selbstkritisch um eine Wiederbelebung der friedenstheologischen Ansätze der so genannten Historischen Friedenskirchen bemüht und in Gesprächen mit Partnern aus verschiedenen Kirchen, wie in den →Puidoux Theological Conferences und in Beratungen des Ökumenischen Rates der Kirchen, zu vertiefen und zu aktualisieren versucht. Tonangebend waren die theologischen Bemühungen John Howard →Yoders, dessen Buch über The Politics of Jesus (1972) im Grunde eine Ethik der Nachfolge Jesu für die Gegenwart ist (s. neuerdings Hans-Jürgen Goertz, John Howard Yoder – radikaler Pazifismus im Gespräch, 2013). Das wird im Untertitel der deutschen Übersetzung besonders deutlich zum Ausdruck gebracht: Die Politik Jesu – der Weg des Kreuzes (1981). Der Weg der Kreuzesnachfolge, auf dem imitatio und participatio zusammenfallen, ist der Weg, auf dem es nicht um die Frage geht, wie die Welt zu ändern sei, sondern wie der Christ seinem Herrn folgt. Sofern Verantwortung für die Welt darin besteht, Kontrolle über den Gang der Welt auszuüben, wird diese Art der Verantwortung von Yoder abgelehnt; Verantwortung für Staat und Gesellschaft wird dagegen wahrgenommen, wenn die Kirche auf dem Weg des Kreuzes, auf dem jede Art der Ausübung von Gewalt verworfen wird, ein deutliches Zeugnis von dem Heil ablegt, das sich in der „messianischen Gemeinschaft“ jetzt schon verwirklicht und der Mehrheitsgesellschaft als „Vorbild“ für die Gesellschaft und als „Vorgeschmack“ des Reiches Gottes vor Augen gehalten wird. Zwar heißt seine Schrift Nachfolge als Gestalt politischer Verantwortung (1964), doch ist die Politik, die sich am Verhalten Jesu orientiert, etwas anderes als die Politik im Staat und in der Gesellschaft. Diese Position radikaler Nachfolge Jesu hat der Friedensdiskussion unter den Mennoniten weltweit wichtige Impulse vermittelt, sie hat aber auch zu neuem Nachdenken über Sinn und Funktion der Verantwortung des einzelnen Christen und der Kirche für die Politik in Gesellschaft und Staat wachgerufen. So haben J. Lawrence →Burkholder und Gordon D. →Kaufman nach einer vermittelnden Position gesucht und sich für ein stärkeres direktes gesellschaftliches Engagement friedensorientierter Kirchen eingesetzt. Diese Position wurde gelegentlich ein „culturally engaged pacifism“ genannt (Lauren Friesen, Culturally Engaged Pacifism, 1991, 15–25). Roland J. Sider sieht die Situation, in der die Absurdität nuklearer Kriegsführung erkannt wird, als einen Anlass dafür an, dass Christen aus der friedenskirchlichen Tradition sich nun erst recht darauf einlassen, den Gang der Geschichte im Sinne des Friedens zu beeinflussen: „For Sider, discipleship implies taking responsibility for history and demonstrating the love of God through nonviolent direct action“ (Harry Huebner, Art. Discipleship, 239; Roland J. Sider, Reconciling People, 1984). Auf diese Weise wird das Thema der Nachfolge Jesu unter den Mennoniten und in den ökumenischen Gesprächen weiterhin wach gehalten (Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder, 145–188; Ronald Sider, God´s Reconciling People, 1984; John Richard Burkholder und Barbara Nelson Gingerich (Hg.), Mennonite Peace Theology: A Panorama of Types, 1991).

Auch diese kontroverse Diskussion wird in einem Rahmen geführt, der sich über das Mennonitentum hinaus geöffnet hat. So hat Jürgen Moltmann sich mit mennonitischen Theologen intensiv über den Zusammenhang von Nachfolge und gesellschaftlicher Verantwortung beraten: Following Jesus Christ in the World Today (1983), und mennonitische Theologen haben geantwortet: Dialogue Sequel to Jürgen Moltmann´s Following Jesus Christ, 1984). Genutzt wurde das Nachfolgemotiv schließlich von Vertretern der →Befreiungstheologie, die in einer revolutionären Situation die Möglichkeiten einer Nachfolge- und Friedenstheologie auszuloten versuchen (z. B. Jon Sobrino, Cristológia desde América Latina, 1976). In dieser erweiterten Diskussion zeigt sich deutlich, dass der Begriff der „participatio“ Raum lässt, dem Ruf in die Nachfolge nicht auf gesetzliche Weise antworten zu müssen. Die ethischen Entscheidungen Jesu brauchen nicht unbedingt direkt übernommen zu werden, sondern es kann erwogen werden, wie sie sich ihrer Tendenz nach verwirklichen lassen könnten.

Bibliografie (Auswahl)

Quellen

Hans Denck, Schriften, Bd. 2, hg. von Walter Fellmann, Gütersloh 1956. - Heinold Fast und Martin Rothkegel (Hg.), Briefe und Schriften oberdeutscher Täufer 1527–1555. Das Kunstbuch des Jörg Probst Rotenfelder gen. Maler, Quellen zur Geschichte der Täufer, Bd. 17, Gütersloh 2007. - Melchior Hoffman, Ordonanntie Godts, 1530 (Bibliotheca Reformatoria Neerlandica, hg. von S. Cramer und J. Piper, Teil 5, ’s-Gravenhage 1909, 145–170. - Thomas von Kempen, Die Nachfolge Christi, nebearbeitet von Richard Hoyer, Köln o. J. - Martin Luther, Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1983–2001. - Lydia Müller, Glaubenszeugnisse (Hg.), Glaubenszeugnisse oberdeutscher Taufgesinnter, Bd. 1, Leipzig 1938. - Menno Simons, Opera omnia theologica, Amsterdam 1681. - Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, Bd. 1: Zürich, hg. von Leonhard v. Muralt und Walter Schmid, Zürich 1952. - Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, Bd. 2: Ostschweiz, hg. von Heinold Fast, Zürich 1973. - Hildegard Schnabel (Hg.), Lucas Cranach d. Ä., Passional Christi und Antichristi, Faks. Druck, Berlin 1972. - Johannes Tauler, Predigten. Vollständige Ausgabe. Übertrag. und hg. von Georg Hofmann, Freiburg, Basel und Wien 1961.

Literatur

Clarence Bauman, Gewaltlosigkeit im Täufertum. Eine Untersuchung zur theologischen Ethik des oberdeutschen Täufertums der Reformationszeit, Leiden 1968. - Klaus-Martin Beckmann, Art. Nachfolge Christi, in: Taschenlexikon Religion und Theologie, 4. Aufl., Göttingen 1983, 3 f. - Harold S. Bender, The Recovery of the Anabaptist Vision, in: Mennonite Quarterly Review 18, 1944, 67–88 (dt.: Das täuferische Leitbild, in: Guy F. Hershberger (Hg.), Das Täufertum – Erbe und Verpflichtung, Stuttgart 1963, 31–54). - Ders., The Theology of the Discipleship of Christ, in: Mennonite Quarterly Review 24, 1950, 25–32. - Hans Dieter Betz, Nachfolge und Nachahmung Jesu Christi im Neuen Testament, Tübingen 1967. - Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge, München 1937. - Christoph Bornhäuser, Leben und Lehre Menno Simons'. Ein Kampf um das Fundament des Glaubens (ca. 1496–1561), Neukirchen-Vluyn 1973. - Rudolf Bultmann, Jesus, Tübingen 1958 (1926). - John Richard Burkholder und Barbara Nelson Gingerich (Hg.), Mennonite Peace Theology: A Panorama of Types, Akron, PA, 1991. - Leo Driedger und Donald B. Kraybill, Mennonite Peacemaking: From Quietism to Activism, Scottdale, PA, 1994. - Lauren Friesen, Culturally Engaged Pacifism, in: John Richard Burkholder und Barbara Nelson (Hg.), Mennonite Peace Theology, 15–25. - Hans-Jürgen Goertz, Innere und äußere Ordnung in der Theologie Thomas Müntzers, Leiden 1967. - Ders., John Howard Yoder, radikaler Pazisfismus im Gespräch, Göttingen 2013. - Martin Hengel, Die Zeloten, Leiden 1961. - Ders., Nachfolge und Charisma, Berlin 1968. - Harry Huebner, Art. Discipleship, in: Mennonite Encyclopedia V, 238–239. - William Klassen, Covenant and Community, Grand Rapids, MI, 1968. - Ders., Nachfolge, in: Hans-Jürgen Goertz (Hg.), Die Mennoniten, Stuttgart 1972, 41–52. - Heinz Wolfgang Kuhn, Nachfolge nach Ostern: Kirche. Festschrift für Günther Bornkamm, Tübingen 1980, 105–132. - Ulrich Luz, Karl Suso Frank und John K. Riches, Art. Nachfolge Jesu, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 23, 1994, 678–710. - Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, 1. Teilband, Evangelisch-katholischer Kommentar zum Neuen Testament, Zürich, Einsiedeln, Köln und Neukirchen-Vluyn 1985. - Jürgen Moltmann (Hg.), Nachfolge und Bergpredigt, München 1981. - Jürgen Moltmann, Following Jesus Christ in the World Today: Responsibility fort he World and Christian Discipleship, Occasional Papers Nr. 4, Elkhart, Ind., und Winnipeg 1983; Dialogue Sequel to Jürgen Moltmann's Following Jesus Christ in the World Today, Occasional Papers Nr. 5, Elkhart, Ind., und Winnipeg 1984; neuerdings: Willard M. Smartley (Hg.) The Politics of Discipleship and Discipleship in Politics. Jürgen Moltmann Lectures in Dialogue with Mennonite Scholars. Eugene, OR, 2006. - Mark Thiessen Nation, John Howard Yoder. Mennonite Patience, Evangelical Witness, Catholic Convictions. Grand Rapids, MI, und Cambridge, Engl., 2006. - Joanna Shenk, Widening the Circle: Experiments in Discipleship, Harrisonburg, VA, 2011. - Ronald J. Sider, Reconciling People, in: Proceedings of the Eleventh Assembly Mennonite World Conference, Straßburg 1984. - Jon Sobrino, Christologie der Befreiung, Bd. 1, Mainz 1998 (Cristológia desde América Latina, 1976). - Glen H. Stassen, und David P. Gushee, Kingdom Ethics: Following Jesus in a Contemporary Context, Downers Grove Ill., 2003. - Ekkehard Stegemann, Das Markusevangelium als Ruf in die Nachfolge, Diss. Heidelberg 1974. - John Howard Yoder, The Politics of Jesus, Grand Rapids, MI, 1972 (2. Auf. 1994; dt.: Politik Jesu – der Weg des Kreuzes, Maxhdorf 1983, 2. Aufl., Schwarzenfeld 2012). - Ders., Discipleship in the Sermon on the Mount, in: Paul Martens, Mark Thiessen Nation, Matthew Porter und Myles Werntz (Hg.), Revolutionary Christianity. The 1966 South American Lectures, Eugene, OR, 2012, 47–58.

William Klassen und Hans-Jürgen Goertz

 
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