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Konfessionalisierung (im Täufertum)
„Konfessionalisierung“ ist ein Forschungsmodell, das die Beziehung zwischen Religion und Politik in der Frühen Neuzeit zu erklären versucht, vor allem wie sie sich in den ersten Generationen nach 1530 entwickelte. Das war eine Zeit, in der neue kirchliche Strukturen im entstehenden Protestantismus und im Katholizismus sich nach den anfänglichen Wirren reformatorischer Bewegungen und politischer Reaktionen herauszubilden begannen. Die Forschungen, die sich um die Konfessionalisierung bemühen, neigen dazu, den Beziehungen zwischen territorialen Kirchen und Landesherren unmittelbar nach der Einführung der →Reformation besondere Aufmerksamkeit entgegen zu bringen. So wurden die Täufer nicht sonderlich beachtet. In den letzten Jahrzehnten wurde die Konfessionalisierungsforschung neu ausgerichtet und das Interesse auch auf die Beziehung zwischen Täufertum und Politik gelenkt. Dieser Wandel bringt zum Vorschein, dass die täuferischen Gruppen, die den Aufbruch der Reformation überlebten, bestimmte institutionelle Züge angenommen und sich von lose organisierten Bewegungen zu fest gefügten Kirchen entwickelt haben. Im Zuge dieser Entwicklung waren die Täufer gewöhnlich ernsthaft darum bemüht, den politischen Status quo in den Herrschaften, in denen sie lebten, zu erhalten.
1. Konfessionalisierungsforschung
Das 16. Jahrhundert hat eine beachtliche Aufmerksamkeit bei Historikern und Theologen erfahren, die sich um das Täufertum und die Radikale Reformation bemüht haben. Eine Schlüsselfrage, die sich in den letzten Jahrzehnten besonders intensiv gestellt hat, ist: Was geschah nach der Reformation? Im Rahmen radikalreformatorischer Studien haben sowohl George H. →Williams als auch James M. Stayer die Meinung vertreten, dass für die Jahre zwischen 1570 und 1580 von einem Ende des reformatorischen Radikalisierungsprozesses gesprochen werden könne. Während Williams das Ende der Radikalen Reformation in einem „Bündel von Ereignissen um 1578 und 1579“ gekommen sah, betont Stayer, der keinerlei Vorbehalte gegen diese zeitliche Fixierung hat, doch einen allmählichen Prozess der Veränderung, wie er sich unvermeidbar in der Dynamik radikaler Bewegungen zu vollziehen pflegt. Die „stets aufbrausenden Energien“ in radikalen Anfängen, wie Stayer sie beschreibt, erloschen nach und nach, als Herrscher und Abtrünnige über mehrere Generationen hin miteinander zu leben lernten.
Das Konfessionalisierungskonzept stellt einen Rahmen bereit, in dem über diese Veränderungen, besonders aus sozialer und politischer Perspektive genauer nachgedacht werden kann, und kombiniert zwei Aspekte der früheren Forschung miteinander: Konfessionsbildung und Sozialdisziplinierung. Im Anschluss an Ernst Walter Zeeden haben sich Historiker seit den 1950er Jahren um die Herausbildung der Konfessionen bemüht und gezeigt, wie sich parallele Strategien im Luthertum, Katholizismus und Calvinismus entwickelten, um separate Identitäten in den Generationen auszubilden, die auf die frühe Reformation folgten. Seit den späten 1970er Jahren haben Historiker wie Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard sich dafür eingesetzt, die Erforschung der Konfessionsbildung zu einem Modell auszuweiten, das in der Lage ist, eine vorabsolutistische Phase der europäischen Sozial-, Politik- und Kirchengeschichte auf den Begriff zu bringen. Mit ihrer einflussreichen These wurde erläutert, wie die weltlichen Herrscher den territorialen Klerus als Agenten im Prozess der Sozialdisziplinierung nutzten (Gerhard Oestreich), um folgsame Untertanen und Bürger zu erziehen. Diese Definition hat R. Po-chia Hsia (1989) veranlasst, Täufer und andere Minderheitsgruppen als Außenseiter und Opfer des Konfessionalisierungsprozesses zu beschreiben. In zahlreichen Studien zum konfessionell aufgeteilten Europa wurden gewöhnlich nur solche Gruppen berücksichtigt, denen in den Verträgen des Westfälischen Friedens von 1648 Rechte gewährt wurden, sofern sie Vorkämpfer im Prozess der Konfessionalisierung und Sozialdisziplinierung zu sein versprachen. Wie die Theorie der Konfessionalisierung angelegt war, sahen Historiker in den Landesherren und Kirchenführern die eigentlichen politischen Protagonisten in der europäischen Geschichte. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Täufer für eine historische Analyse jener Zeit nicht wichtig.
Seit den 1980er Jahren wurde über die Konfessionalisierung heftig diskutiert. Dabei ging es vor allem darum, wie die Beziehungen zwischen Herrschenden und Untertanen zu denken seien. Schließlich stellte sich nach und nach ein Konsens ein, dass die politische Betrachtungsweise, wie Reinhard und Schilling sie einst eingeführt hatten, erweitert werden müsse. Mit anderen Worten: Politische Macht wurde nicht nur von obrigkeitlichen Behörden und obrigkeitsgestützten Territorialkirchen ausgeübt, sondern auch in Familien, Dörfern und Gemeinden.
Wie sich die Definitionen von Politik und Konfessionalisierung in den Diskussionen über frühneuzeitliche Religionsausübung und öffentliches Leben gewandelt haben, waren die Möglichkeiten, über die Täufer in diesem Bezugsrahmen nachzudenken, gestiegen. Allen voran hat Hans-Jürgen Goertz das Konfessionalisierungskonzept für die Täuferforschung geöffnet (erstmals in Aufsätzen 1994 und 1995). Seiner Meinung nach lenkten die Mennoniten nach der Mitte des 16. Jahrhunderts die gegen den auswärtigen Klerus gerichtete antiklerikale Agitation ihrer radikalen Vorfahren in einen Impuls um, um eine strenge Disziplin in der eigenen Gemeinde aufrechtzuerhalten – in der biblischen Sprache der Mennoniten: Gemeinden „ohne Flecken und Runzeln“ zu errichten. Anstatt die Welt zu verändern, trachteten sie jetzt danach, sich selber zu kontrollieren. Dieser Wandel ereignete sich, als die großen christlichen Gruppen sich selbst immer mehr zu Konfessionskirchen entwickelten. Was in Kreisen der Mennoniten einzigartig und wichtig war, so meinte Goertz, sei die Tatsache gewesen, dass der spätere Drang der Täufer, sich verbindliche Gemeindeordnungen zu geben, sich zu einer Art von Sozialdisziplinierung entwickelte, so dass die weltliche Obrigkeit mit ihren Behörden sich hier selber nicht zu engagieren brauchte. In ihrem Bemühen, keinen Verdacht aufkommen zu lassen, sie seien Nachfahren von Thomas Müntzer und den Täufern zu Münster, wurden aus den Mennoniten sich selbst verwaltende Gemeinschaften „konformer Nonkonformisten“. Sie verliehen ihrer religiösen Nonkonformität einen politisch konformen Charakter und kamen der obrigkeitlich dirigierten Sozialdisziplinierung durch eine Selbstdisziplinierung der Gemeinde zuvor (vgl. Hans-Jürgen Goertz, Kleruskritik, 183–198).
Seit den 1990er Jahren haben sich die Untersuchungen zum Täufertum und den Themen, die von Zeeden, Oestreich, Schilling, Reinhard und Goertz aufgegriffen worden waren, stark vermehrt und drei Schwerpunkte gebildet: 1. Einige Untersuchungen betonen die Wege, auf denen die Aktionen einiger nachreformatorischer Täufer auf die Grenzen der Sozialdisziplinierung und der Initiativen hinwiesen, die von frühneuzeitlichen Herrschaften zur Zentralisierung ihrer Territorien unternommen wurden (vgl. Roland Hofer und John D. Roth). 2. Es gibt Untersuchungen, die sich mit besonderer Aufmerksamkeit der Art und Weise zuwandten, wie andere konfessionelle Gruppen die Polemik gegen Nonkonformisten, z. B. gegen die Täufer, nutzten, um ihre eigene konfessionelle Identität auszugestalten (vgl. Jonathan Grieser, Hanspeter Jecker, Thomas Kaufmann). 3. Eine ansehnliche Anzahl von Täuferforschern haben Untersuchungen zum nachreformatorischen, „konfessionalisierten“ Täufertum oder, um ein Konzept von Thomas Kaufmann auszuleihen, zu einer einzigartigen Formation von „Konfessionskulturen“ vorgelegt (vgl. Andrea Chudaska, Michael Driedger, Karl Koop, Werner O. Packull, Astrid v. Schlachta, Samme Zijlstra). Auch wenn diese Forscher nicht notwendigerweise das Konfessionalisierungskonzept in derselben Weise benutzen, zeigen ihre Untersuchungen doch insgesamt, dass eine bemerkenswerte Anzahl frühmoderner Täufer doch soziologische Charakteristiken entwickelte, die denen der „konfessionalisierten“ Territorialkirchen ähnlich waren, auch wenn sie sich letztlich voneinander unterschieden. Die Täufer erfanden bestimmte Rituale, disziplinierende Praktiken, Leitungshierarchien, familiäre Netzwerke, Märtyrerbücher, Katechismen und Glaubensbekenntnisse, um sich einen Sinn für Gruppenidentität in einem Zeitalter intensiven konfessionellen Wettbewerbs zu bewahren. Nachdem sie sich gefestigt hatten, neigten täuferische Gemeinden auch dazu, einstige Verweigerungsgesten gegenüber weltlichen Autoritäten abzulegen. Sie waren nicht nur religiös disziplinierte und genau identifizierbare Gemeinden, sondern auch politisch disziplinierte und konformistische Gruppen.
2. Das schweizerische Täufertum
Über weite Jahrzehnte der Frühen Neuzeit hin war die →Verfolgung ein starker Faktor in den Beziehungen zwischen Täufern und weltlichen Obrigkeiten in der Schweiz und den süddeutschen Territorien. Während die katholischen Territorien die meisten Hinrichtungen von Täufern im 16. Jahrhundert verzeichnen, waren es die schweizerischen Gerichtsbarkeiten Zürichs und Berns, wo die Behörden am nachhaltigsten zu repressiven Maßnahmen gegriffen haben. Im reformatorischen Aufbruch waren die Täufer vor allem in den städtischen Zentren aktiv, gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts war es aber den Verfolgungsbehörden gelungen, die täuferischen Aktivitäten in den Städten zu beenden. Dennoch fühlten sich reformierte Obrigkeiten, besonders in Bern, sogar bis ins 18. Jahrhundert hinein immer noch von der konfessionellen Uneinigkeit bedroht, die von der täuferischen Präsenz auf dem Land ausging. Angesichts der militärischen Bedrohungen, die vom benachbarten Frankreich ausgingen, war das nicht ohne Grund. Für Bern lassen sich drei große Verfolgungswellen feststellen: von 1648 bis 1671, von 1693 bis 1695 und von 1709 bis 1711. Das waren die Höhepunkte behördlicher Repression.
Die Täufer haben verschiedene Verhaltensweisen entwickelt, um mit den schwierigen Umständen in den südlichen deutschsprachigen Territorien fertig zu werden. Mark Furner hat verschiedene Überlebensstrategien beschrieben, die von den Täufern auf der Berner Landschaft angewandt wurden. Täufer, die nicht in Refugien wie den Bruderhöfen in Mähren Zuflucht gesucht hatten, fanden oft größere Freiräume auf einsamen Höfen oder in Dörfern, die von den Zentren städtischer und landesherrlicher Verwaltungsbehörden weit entfernt waren. Wo immer es ging, vermieden sie die Berührung mit territorialen Behörden, doch wenn das unausweichlich war, waren sie in der Regel bereit, auf Kompromisse in Angelegenheiten einzugehen, die für sie nicht wesentlich waren, und wenn sie bedrängt wurden, versuchten sie sich auszureden. Wenn sie gezwungen wurden, legten einige auch einen →Eid ab, obwohl sie Eide für illegitim hielten, um die Wahrheit eigener Aussagen zu beschwören. Solche Vorgehensweisen halfen die Grenzen zwischen Täufern und Nichttäufern in der ländlichen Bevölkerung zu verwischen. Einige Täufer weigerten sich, in Glaubensangelegenheiten auf Kompromisse einzugehen, und bestanden darauf, ihren Glauben öffentlich zu bezeugen, andere waren bereit, sich in einen Nikodemismus zu flüchten, d. h., äußerlich befolgten sie die Riten der vorherrschenden Kultur, während sie innerlich ihren täuferischen Überzeugungen treu blieben. Obwohl Spannungen zwischen den Befürwortern der unterschiedlichen Verhaltensweisen zur Abspaltung der →Amischen in den 1690er Jahren geführt hatte, war der Nikodemismus ein wirksames Mittel, zwischen dem Glauben und den praktischen Erfordernissen des Überlebens in einer feindseligen Situation zu vermitteln, die von Konfessionalisierungsmaßnahmen der obrigkeitlichen Behörden geprägt war.
In einigen Gegenden konnten die Täufer leicht in den dörflichen Netzwerken untertauchen. Zu familiären Netzwerken in Dörfern der Schweiz und Süddeutschlands gehörten oft nicht nur Täufer, sondern auch lokale Amtsträger, denen gewöhnlich aufgetragen war, Maßnahmen gegen Abweichler zu ergreifen. Ein anderer Faktor, der die Wirksamkeit antitäuferischer Mandate schwächte, war die Vorgehensweise adliger Herren in Süddeutschland. Claus-Peter Clasen hat bis zu 38 Adlige gezählt, die vor dem Dreißigjährigen Krieg Täufer angestellt oder geschützt hatten. Den Täufer Schutz gewähren, war für lokale Amtsträger eine Möglichkeit, dem Druck politischer Zentralisation zu widerstehen.
Aufgrund der gelegentlich engen Zusammenarbeit zwischen einigen dörflichen Amtsträgern und einigen Täufern über mehrere Generationen hinweg begannen einige führende Täufer in der Schweiz gegen Ende des 16. Jahrhunderts die kompromissfeindlichen separatistischen Prinzipien der Schleitheimer Artikel von 1527 (→Brüderliche Vereinigung) noch einmal zu überdenken. In den 1570er Jahren bemerkte beispielsweise ein Schweizer Täufer, der das Protokoll der Frankentaler Gespräche zwischen reformierten und täuferischen Vertretern (→Religionsgespräche) kommentierte, dass Herrscher, die tugendhaft lebten, durchaus Christen und Christen obrigkeitliche Amtsträger sein könnten (vgl. Arnold Snyder, The (Not-So) „Simple Confession“, 2000). Es gibt auch spätere Beispiele, die auf einen Trend zur Annäherung der Täufer an weltliche Obrigkeiten trotz der gelegentlichen Verfolgungswellen in der Schweiz und in Süddeutschland hinweisen. Im frühen 18. Jahrhundert beteuerten schweizerische und rheinländische Täufer ihre Loyalität gegenüber weltlichen Behörden in den →Bekenntnissen, in denen sie ihr konfessionelles Selbstverständnis zum Ausdruck brachten. In der Ernsthaften Christenpflicht (1708) legten die Autoren Fürbitte bei Gott für die weltlichen Herrscher ein, die Gott gehorsam sind. Die Ernsthafte Christenpflicht enthielt einige Gebete in diesem Sinn und steht im Gegensatz zu den früher geäußerten Ansichten der Schleitheimer Artikel. Spätestens zu Beginn des 18. Jahrhunderts beschrieben sich die Schweizer Täufer in dem Gebetsbuch als politisch gehorsame Untertanen von obrigkeitlichen Herren, die ihre Fürbittgebete als Gottes fromme Diener verdient hätten.
3. Hutterer in Mähren und Ungarn
Der Trend zu größerer politischer Konformität ist auch in →Mähren nach 1535 deutlich zu erkennen. Trotz gelegentlicher Episoden der Verfolgung und interner Zwietracht waren täuferische Flüchtlinge hier in der Lage, ein soziales Leben aufzubauen, das nach dem einzigartigen Modell hutterischer →Gütergemeinschaft gestaltet wurde (→Hutterische Bruderhöfe). Um die frühen 1540er Jahre hatte Peter →Riedemann eine verbindliche Ordnung für eine disziplinierte hutterische Gemeinde geschaffen, die zwar ihren separatistischen und spiritualistischen Wurzeln treu blieb, sich aber von den auf die Umwelt gerichteten radikalen Intentionen distanziert hatte. Nach dem Modell der Schleitheimer Artikel wurde es unter den Hutterern in den Jahren, die auf das Wirken Riedemanns folgten, zu einer Maxime, dass Christen keine obrigkeitlichen Ämter bekleiden dürften und Herrscher keine Christen sein könnten. Dennoch entwickelten die Hutterer eine enge, symbiotische Beziehung zum größtenteils autonomen Adel in Mähren. Mitglieder der Adelsfamilien Bokowitz, Kaunitz, Leipa, Liechtenstein, Waldstein und Zerotin beispielsweise erlaubten hutterischen Gemeinschaften, sich unter ihren Schutz zu stellen. Adlige Familien beschäftigten hutterische Arbeiter in einer Reihe von Berufen, und die Hutterer entfalteten ihre besondere Art zu leben unter diesen günstigen Umständen. Sie glichen ihr Ideal einer Absonderung von der sündhaften Welt an die Wirklichkeit der Kooperation und teilweisen Integration in die Gesellschaft des Landes an. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts hatten die Hutterer ein System normativer Praktiken, Standards für die Organisation der Bruderhöfe und konfessionelle Texte geschaffen, die eine disziplinierte, religiös separate, politisch quietistische Gemeinde von Generation zu Generation sicherstellten (Astrid von Schlachta, Hutterische Konfession und Tradition, 2003).
Die symbiotische Beziehung der Hutterer zum adligen Schutzherren wurde in Ungarn weiter gepflegt, wohin die Hutterer und andere protestantische Gruppen im Zuge der Rekatholisierung Mährens und den darauf einsetzenden Verfolgungen im frühen 17. Jahrhundert auswichen. 1640 beteiligten sich Hutterer sogar daran, Versorgungswagen zur Verteidigung ihrer Herren gegen die türkischen Heere zu führen. Solche Beispiele stützen Andrea Chudaskas Anwendung des Konzepts einer „konformen Nonkonformität“, um die Hutterer während des 17. Jahrhunderts zu beschreiben.
4. Niederländische und norddeutsche Täufer
Muster nachhaltiger Annäherung zwischen Täufern und weltlichen Herrschaften wurden in den Niederlanden und Norddeutschland am stärksten ausgebildet. In diesen Gegenden richteten die Täufer sich nicht nur auf dem Lande, sondern auch in den städtischen Zentren ein. Dort wurde eine bemerkenswerte Anzahl der Täufer zu Mitgliedern eines wachsenden frühmodernen Handelsbürgertums.
Nach der gewaltsamen Unterdrückung der Melchioriten in Münster 1535 splitterten sich die Täufer im nördlichen Kontinentaleuropa in eine Reihe von Gruppen auf. Über die Zeit hin waren die nordeuropäischen Täufer am erfolgreichsten, die sich bemüht hatten, Gemeinden aufzubauen, deren Mitglieder sich öffentlich zu ihrem Glauben bekannten, moralisch integere, friedfertige und politisch loyale Gläubige waren. Diese Männer und Frauen stellten sich auf die Seite der nichttäuferischen Obrigkeiten, wenn es galt, den radikalen Aktivismus zurückzuweisen, der sie vom Ursprung her mit dem münsterischen Täufertum verband. Nach 1540 war Menno →Simons der erfolgreichste Anführer der Täufer in den Niederlanden, Ostfriesland, Holstein und Preußen. Obwohl sie den münsterischen Radikalismus verwarfen, blieben die →Mennoniten in vielerlei Hinsicht Melchioriten. Am bekanntesten ist die monophysitische Christologie Melchior →Hoffmans, die unter ihnen weiterwirkte, aber die gemäßigtere Einstellung der Mennoniten gegenüber den weltlichen Obrigkeiten war in manchem doch eine Fortsetzung der melchioritischen Positionen, z. B. eine Variante nonkonformistischer Friedfertigkeit, die die Täufer in Münster unter dem Druck der Belagerung der Stadt durch bischöfliche und reichsständische Truppen aufgegeben hatten.
Wie anderswo im frühneuzeitlichen Europa war das öffentliche Bekenntnis zu täuferischen Überzeugungen im Norden Europas ein gefährlicher und radikaler Akt in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Da die Täufer sich vorgenommen hatten, in separaten, disziplinierten Gemeinden zu leben, waren die Nachkommen in ihrer mennonitischen Version des melchioritischen Täufertums eine allseits sichtbare Zielscheibe obrigkeitlicher Gewaltmaßnahmen geworden. Diejenigen, die unglücklicherweise in die Hände dieser Behörden gefallen waren, erhielten oft die Gelegenheit zu widerrufen, eine Verweigerung des Widerrufs konnte aber im 16. Jahrhundert noch in einer öffentlichen Hinrichtung enden. Sowohl Protestanten wie Katholiken erinnerten sich oft an den Tod ihrer eigenen Märtyrer – und da machten die Mennoniten und andere Taufgesinnte in den Niederlanden keine Ausnahme. Aus dem Offer des Herren (1562) und dem Märtyrerspiegel (1660), vor allem aber aus dem Schicksal des Adrian Cornelisz, lässt sich schließen, dass in der Mitte des 16. Jahrhunderts die Anerkennung obrigkeitlicher Autorität zu den wichtigeren Positionen der Mennoniten zählte. Es galt zuerst Gott und dann den weltlichen Herrschern zu gehorchen. In dieser Hinsicht glich die Haltung der niederländischen Taufgesinnten derjenigen der Schweizer Täufer und der Hutterer zu dieser Zeit.
Ein wesentlicher Faktor, der sich auf Muster von Konfessionalisierung unter den niederländischen und norddeutschen Täufern bzw. Mennoniten bezieht, war die Veränderung der politischen Realitäten. Am Ende des 17. Jahrhunderts veränderte die Teilung der Niederlande in den habsburgischen Süden und die größtenteils protestantischen Vereinigten Provinzen im Norden die politische Landschaft, und das hatte Konsequenzen für die Täufer. In den südlichen Niederlanden nahm die Verfolgung zwar an Intensität ab, war aber noch nicht erloschen. Die letzte Hinrichtung eines Täufers in katholischen Territorien war 1597. Im Norden erhielten die Taufgesinnten ausreichenden Rechtsschutz, um mit ihren offiziellen reformierten Herren in Frieden leben zu können. Während die calvinistischen Prädikanten ihre weltlichen Verbündeten zu nötigen versuchten, konfessionelle Konformität in ihren Herrschaften durchzusetzen, gewährte das Herrscherhaus der Oranier den Taufgesinnten oder anderen konfessionellen Minderheiten viele Freiheiten, solange diese keine Rechte verlangten, ihren Glauben öffentlich bezeugen oder politisch so leben zu dürfen wie alle anderen Bürger auch. Wohlhabende Anführer der Taufgesinnten unterstützten diese Tendenz, indem sie die Verteidigung der niederländischen Nation von Zeit zu Zeit zu finanzieren halfen. Solche Unterstützung war für die Taufgesinnten nicht ohne Einfluss bei den Verhandlungen mit örtlichen Behörden in den Niederlanden, zumal die Oranier de facto als Schutzherr der täuferischen Minderheit galten. Das Herrscherhaus betrachtete die mennonitische Eides- und Wehrdienstverweigerung oder die Praxis der Erwachsenentaufe nicht als Bedrohung der öffentlichen Ordnung. Von den achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts an bis zum Ende der Frühen Neuzeit war die Republik der Niederlande das größte, sicherste und stabilste Territorium für die frühneuzeitlichen Täufer in Europa, so dass die niederländischen Gemeinden der Mennoniten sowohl religiös als auch wirtschaftlich gediehen. Das Goldene Zeitalter der Niederlande war auch das Goldene Zeitalter für die Taufgesinnten.
Außerhalb der Niederlande waren die Lebensbedingungen für die Täufer weniger freundlich. „Wiedertäuferei“ wurde in den Handbüchern des Reichsrechts auch im 17. Jahrhunderts als ein öffentliches Verbrechen unter Strafe gestellt; und obwohl es einige Präzedenzfälle im 17. Jahrhundert gab, in denen die Mennoniten von den Wiedertäufern unterschieden wurden, blieben die Mennoniten reichsrechtlich gesehen Außenseiter. Wie die Mennoniten in den Niederlanden jedoch waren auch die Glaubensgenossen in der Diaspora, die mit ihnen in Verbindung standen, größtenteils wohlhabend – so in Altona, Hamburg, Glückstadt, Friedrichstadt, Krefeld und Neuwied, auch in östlichen Gebieten wie im Weichseldelta. Einer der Gründe für den Erfolg der Taufgesinnten an diesen Orten war der günstige Ausgang der Verhandlungen über eine besondere rechtliche Befreiung von den antitäuferischen Rechtsentscheidungen, die noch aus der Reformationszeit stammten. Allgemein war die rechtliche Grundlage für →Toleranz und Religionsfreiheit in diesen Gebieten Privilegien, Vereinbarungen also zwischen einzelnen Landesherren und den Mennoniten oder anderen Gruppen an den Grenzen des Reichs. Diese Privilegien mussten jedes Mal erneuert werden, wenn ein neuer Landesherr die Macht übernahm; diese Privilegien waren keine abstrakten und für lange Zeit gültigen modernen Rechte. Die obrigkeitlichen Behörden erwarteten von den Mennoniten im Gegenzug zum Schutzrecht, das ihnen gewährt wurde, persönlich zum Ausdruck gebrachte Loyalität gegenüber ihrem Landesherren. Weiterhin sollten die Mennoniten nicht unter der Bevölkerung für ihre Glaubensgemeinschaft werben und ein ruhiges, gehorsames und ein Leben nach dem Gesetz führen. Als sich Mennoniten in Städten niederließen, die von keinem Landesherrn, sondern von einem Rat der Bürger regiert wurden, änderten sich die rechtlichen Regelungen für sie gelegentlich. Doch ebenso wenig wie die landesherrlichen Privilegien gewährten auch diese Regelungen ihnen volle politische Partizipation am Leben der Stadt, sondern nur das beschränkte Recht, das den Kaufleuten und Handwerken einer konfessionellen Minderheit erlaubte, am lokalen Wirtschaftsleben im Gegenzug zu politisch konformem Verhalten teilzunehmen.
Ein wichtiger Faktor, der die Beziehung der Täufer zur weltlichen Obrigkeit bestimmte, war auch die starke Tradition, in der sich die Verschriftlichung von Glaubensbekenntnissen in den Niederlanden und in Norddeutschland ausbildete (→Bekenntnis). Die Praxis der Glaubenstaufe (→Taufe II) forderte gewöhnlich, dass die Gläubigen ein öffentliches Bekenntnis ihres Glaubens ablegten, bevor sie in die Gemeinde aufgenommen wurden. In den ersten Jahrzehnten nach der Verbreitung des Täufertums im nördlichen Europa wurde die Mehrheit solcher Bekenntnisse von Einzelpersonen verfasst; und eins der besten Zeugnisse, in denen die frühen Glaubensauffassungen der Täufer zu erkennen sind, waren ihre Aussagen vor Gericht. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts jedoch wurden gemeinsame Bekenntnisse zunehmend die Norm in niederländischen und norddeutschen Täuferkreisen. Diese Dokumente kodifizieren Standards theologischer Aussagen, Gemeindeleitung und Ethik. Heute sind sie eine wichtige Quelle, die Aufschluss über Konfessionsbildung und Konfessionalisierung gibt.
Die kollektiven Glaubensbekenntnisse sind nicht ohne Grund entstanden. Im Laufe des 16. Jahrhunderts wurden Schlüsselmerkmale – die Aversion gegenüber Zwang in Glaubensangelegenheiten und das Bestehen auf der aktiven Teilnahme aller Gläubigen am Leben der Gemeinde – ein Hinderungsgrund, stabile Glaubensgemeinschaften entstehen zu lassen. Die grundsätzlich egalitäre Natur täuferischer Gemeindeleitung ermutigte oft Gruppen, sich im Streit voneinander zu trennen. Die Folge war eine Reihe von Unterschieden in der niederländischen Republik und darüber hinaus zwischen Waterländern, hochdeutschen, flämischen und friesischen Gemeinden – und in den 1660er Jahren auch zwischen Zonisten und Lammisten, um nur einige der taufgesinnten Gruppen zu nennen. Jede Gruppe hatte unterschiedliche theologische Positionen zu Fragen der Ethik und der Gemeindeleitung eingenommen. Diese Unterschiede begannen einen jeweils eigenen, gut bewachten Charakter auszubilden, als Kinder dazu erzogen wurden, sich einen bestimmten Kodex von Normen anzueignen. „Sitz im Leben“ dieser Unterschiede ist die Vorbereitung und Unterweisung der Kinder vor der Taufe. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts waren es die heranwachsenden Kinder der mennonitischen Familien und nicht so sehr Neubekehrte, die den Bestand der Gemeinden für die Zukunft sicherten. Die Gemeinden mussten nun nicht mehr mit intensiver Verfolgung fertig werden, mussten mit einem weniger aggressiven, aber immer noch deutlich intoleranten Verhalten klar kommen, das ihnen in der „Welt“ entgegenschlug, in der Grenzen des Rechts die Mitglieder verschiedener religiösen Gruppen in Europa voneinander trennten. Unter diesen Umständen stützen die Gemeindeleiter sich auf diese Bekenntnisse, um die Gruppenidentität (→Identität) ihrer Gemeindeglieder festzuschreiben. Das angestrebte Ergebnis, das nie wirklich erreicht wurde, war der Aufbau einer vereinten, routinisierten und disziplinierten Gemeinde, die nach allgemeinen biblischen Prinzipien lebte. Sich wohlverhaltende Gemeindeglieder und gut geführte Gemeinden waren nicht nur wichtig, um Frieden und Einigkeit unter den Taufgesinnten zu wahren, sondern auch um sich die jüngst erworbene Gunst und den Schutz weltlicher Obrigkeiten zu erhalten.
Sowohl die Weigerung, dem Bösen mit Waffengewalt zu widerstehen, als auch darauf zu bestehen, dass alle Christen dem Staat gegenüber gehorsam sein sollen, erscheinen in den kollektiven Glaubensbekenntnissen nach der Mitte des 16. Jahrhunderts an hervorgehobener Stelle. Gewöhnlich wurden diese Glaubensbekenntnisse mit Aussagen zur Trinität Gottes und zur Schöpfung eröffnet, dann fuhren sie mit Prinzipien der Ethik und der Gemeindeführung weiter, bevor sie mit Anschauungen vom Jüngsten Gericht endeten. Die Prinzipien der Wehrlosigkeit und die Verweigerung des Eides hatten das Potential, die Täufer in einen Konflikt mit den Obrigkeiten des 16. Jahrhunderts zu bringen, da sie das traditionelle Miteinander christlicher und bürgerlicher Bereiche zu stören drohten. Die Wehrlosigkeit musste jedoch keine negative Einstellung zu den Obrigkeiten bedeuten, und die Betonung, die auf den Gehorsam gegenüber der Obrigkeit gelegt wurde, diente dazu, jeden Hinweis auf Aufruhr herunterzuspielen, die irgendein feindseliger Zeitgenosse sonst in den Dokumenten meinte finden zu können.
Das niederländische Bekenntnis von Dordrecht 1632 ist ein wichtiges Beispiel für die Einstellung der Täufer zur weltlichen Obrigkeit (der Text wurde zu Beginn des Märtyrerspiegels abgedruckt). Drei Artikel – „Van het Ampt der wereltlijke Overheydt“, „Van de Wederwraecke“ und „Van het Eedtsweeren“ – handeln von dieser Beziehung. Darin wird zum Ausdruck gebracht, dass die weltliche Obrigkeit von Gott eingesetzt sei, zum Schutz der Frommen und zur Bestrafung der Bösen. Christen seien verpflichtet, sich der Obrigkeit zu unterstellen, indem sie Steuern zahlen und die Pflichten übernehmen, die zu den Geboten Gottes nicht in Widerspruch stehen. Ähnliches findet sich auch in evangelischen Bekenntnissen, z. B. in der Confessio Belgica. Christen sollen stets für das Wohl ihres Landes und ihre Herrscher beten und jede Anstrengung unternehmen, die Gesetze zu beachten und ein untadliges Leben führen. Auch ist den Gläubigen untersagt, zu Mitteln der Gewalt zu greifen, auch nicht zur Selbstverteidigung, ebenso ist ihnen das Schwören eines Eides verboten; genügen muss die Versicherung, die Wahrheit ausgesagt zu haben oder ein Versprechen mit schlichten Worten zu bekräftigen. Die Autoren dieses Glaubensbekenntnisses bemühten sich, religiöse Nonkonformität mit politischer Konformität zu vereinbaren. Das Dordrechter Bekenntnis war für mennonitisches Verhalten gegenüber dem Staat bis zum Ende des 18. Jahrhunderts maßgeblich. Es stand auch in vielen Täufergruppen in Norddeutschland wie im Elsass und in der Pfalz unter Täufern schweizerischen Ursprungs in hohem Ansehen.
Während sich eine große Anzahl mennonitischer Gruppen auf Glaubensbekenntnisse stützten, um ihre kollektive Identität im 17. Jahrhundert zu definieren, haben nicht alle den normativen Charakter auf dieselbe Weise betont. Die niederländischen Lammisten sind das beste Beispiel dafür. Dennoch akzeptierten tatsächlich alle Gruppen Rö. 13 als biblische Grundlage ihrer politischen Anschauungen. Da dieser biblische Abschnitt als Grundlage für den politischen Umgang auch in vielen anderen zeitgenössischen Bekenntnisschriften galt, hatte das Verhalten der Mennoniten zur weltlichen Macht mit den politischen Normen der reformierten und lutherischen Zeitgenossen vieles gemeinsam. Alle akzeptierten die Gehorsamsforderung gegenüber den herrschenden Institutionen.
Dokumente wie die Glaubensbekenntnisse gaben den theologischen Rahmen ab, in dem die Mennoniten ihr alltägliches Leben führten und in dem sie konfessionalisiert wurden. Die Beziehung zwischen Glauben und Praxis war hier nicht einfach, denn der Alltag richtete sich nicht immer nach den normativen Aussagen. Drei Beispiele dafür sind der Eid, die Wehrlosigkeit und die Übernahme obrigkeitlicher Ämter. 1. Die Praxis der Eidesleistung war unter den Mennoniten in den Niederlanden und in Norddeutschland viel komplexer, als die Anweisungen in den Bekenntnissen zu erkennen geben. In einigen Gerichtsbarkeiten akzeptierten die weltlichen Obrigkeiten eine einfache Bekräftigung und verzichteten auf das Nachsprechen des Eidesformel. Anderswo benutzten die Mennoniten aber eine Mischform von Bekräftigung und heiligem Schwur, eine Kombination aus schlichter Bekräftigung und feierlicher Geste. Es gibt auch genug Belege dafür, dass einige Mennoniten, darunter auch Leiter von Gemeinden, die sonst Befürworter einer einfachen Bekräftigung waren, im 17. Jahrhundert einen feierlichen Eid ablegten. 2. Gemeindemitglieder, die zum Wehrdienst eingezogen werden sollten, bezahlten in der Regel für einen nichtmennonitischen Ersatzmann; und diejenigen, die sich für den Waffendienst entschieden, wurden gewöhnlich mit dem Bann gestraft. Verfügungen gegen Gewaltanwendung und Rache wurden durch die Tätigkeit im Handel, der im Leben der Mennoniten eine große Rolle spielte, kompliziert. Kaufleute reisten in der Regel auf ihren Schiffen in Konvois, zu denen auch mit Waffen ausgerüstete Schiffe gehörten; und es gibt Belege dafür, dass mennonitische Kaufleute gelegentlich ihre eigenen Schiffe bewaffneten oder in einigen Fällen sogar Waffenhandel betrieben – trotz des Protestes mancher Glaubensgenossen. 3. Obwohl einige Mennoniten die Übernahme obrigkeitlicher Ämter aus prinzipiellen Gründen ablehnten, hatten die meisten niederländischen und norddeutschen Landesherren den Minderheiten, wie den Mennoniten, ohnehin verboten, öffentliche Ämter zu bekleiden. Aus diesem Grunde war dieses Problem ethisch nicht so umstritten wie die Eidesleitung oder der Wehrdienst. Im Dordrechter Bekenntnis aber gab es keine explizite Verwerfung der Übernahme von Ämtern. In Friedrichstadt an der Eider, De Rijp, der Gegend um die Zaan und Teilen Frieslands, alle diese Regionen verfügten über eine relativ ansehnliche und blühende mennonitische Bevölkerung, so dass es nicht überrascht, wenn Mennoniten hier politische Ämter im 17. Jahrhundert übernommen hatten. Diese Beispiele zeigen, dass es eine Vielfalt von täuferischen Einstellungen zur niederländischen und norddeutschen Obrigkeit gab.
5. Ausblick
Die Konzepte der Konfessionsbildung, Konfessionskultur, Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung sind besonders hilfreich, um die Aufmerksamkeit der Forschung auf die Institutionalisierung und die politische Transformation der täuferischen Gemeinschaften in den Generationen unmittelbar nach der Reformation zu lenken. So bedeutsam diese Grundzüge auch waren, gab es noch andere, die dem Leben der Täufer in der Frühen Neuzeit seine Gestalt gaben. Interne Faktoren, die manches Mal den Trend zu konfessioneller Orthodoxie schwächten, gingen ein anderes Mal mit spiritualistischen und irenischen Impulse einher, die sich als Schlüsselelemente der täuferischen Kultur seit der Reformation erwiesen hatten. Diese spiritualistischen und irenischen Impulse hatten sich in der niederländischen Republik des 17. Jahrhunderts am stärksten unter den lammistischen Taufgesinnten entwickelt, von denen viele auch an den Versammlungen der Kollegianten teilnahmen und sich in der frühen →Aufklärung engagierten. Die Lammisten bemühten sich darum, sich über mehrere Generationen hin eine bestimmte Gruppenidentität zu bewahren; und wie die meisten Taufgesinnten verhielten sie sich politisch konform und quietistisch. Doch ihre Anführer neigten ebenso dazu, an angeblich antibiblischen Bekenntniszwang anderer mennonitischer Gruppen zurückzuweisen. Dieses Beispiel, das eine antikonfessionelle Konfessionskultur der Lammisten genannt werden könnte, lässt die Herausforderung und Komplexität ahnen, die diese ansonsten sehr hilfreichen Konzepte begleiten. Diese Konzepte nehmen einen bedeutsamen Platz in der Forschungsdiskussion ein, sie stoßen allerdings auch auf ihre Grenzen.
Im Allgemeinen nehmen die Spezialisten der frühneuzeitlichen Geschichte an, dass das Zeitalter der Konfessionalisierung mit der Aufklärung zu ihrem Ende gekommen sei. Diese Auffassung trifft teilweise besonders auf die Geschichte der Täufer in den Niederlanden zu. In der frühen Aufklärung während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts trugen die lammistisch-zonistischen Streitigkeiten zur Intensivierung mennonitischer, besonders zonistischer Orthodoxie und zu vermehrten Spaltungen in den Gemeinden der Taufgesinnten bei. Sogar die Bekenntnisgegner unter Galenus Abrahamsz nutzten gelegentlich Glaubensbekenntnisse, um ihr Selbstverständnis als religiöse Gemeinschaft zu definieren, obwohl sie Bekenntnisse weniger streng als die Zonisten zur Geltung brachten. Mit einer Intensivierung der Rechtgläubigkeit kamen jedoch auch Reaktionen gegen sie auf. In der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts scheinen die meisten niederländischen Taufgesinnten die irenischen und kosmopolitischen Ideale der hohen Aufklärung den alten Gewohnheiten des Konfessionalismus in der Form des 17. Jahrhunderts vorgezogen zu haben. Die antikonfessionellen Impulse der Taufgesinnten übten zwischen 1795 und 1800 einen großen Einfluss in den Parlamenten der Batavischen Republik aus. Mehrere wichtige Anführer der Mennoniten waren Mitglieder dieser Parlamente, die ererbte konfessionelle Grenzen durchbrachen und die Trennung von Kirche und Staat in den frühen Entwürfen der niederländischen Verfassung durchzusetzen halfen. So trugen sie zur Schwächung einer der rechtlichen Säulen der frühneuzeitlichen Politik bei: der Gewährung von öffentlichen Privilegien, die auf konfessioneller Zugehörigkeit beruhten.
Die künftige Forschung wird sich besonders um die Frage bemühen müssen, wie stark sich die konfessionelle Gesinnung noch über das „Zeitalter der Konfessionalisierung“ hinaus erhielt. Joel F. Harrington und Helmut Walser Smith vertraten 1997 die Meinung, dass „konfessionelle Identitäten und Spaltungen zu den Tiefenstrukturen der deutschen Geschichte gehörten“ (Joel F. Harrington und Helmut Walser Smith, Confessionalization, 101), sofern sie das politische und kulturelle Leben bis weit in das 19. Jahrhundert hinein geprägt hätten. Kürzlich hat Mark Jantzen gezeigt, wie stark konfessionelle Identität unter den Mennoniten noch wirkte, als sie über ihre Befreiung vom Militärdienst mit aufeinanderfolgenden Regierungen Preußens seit den 1770er Jahren über ein Jahrhundert hin verhandelten. Im Gegensatz dazu wandten sich andere preußische Mennoniten (der prominenteste war Hermann von →Beckerath) öffentlich gegen die Befreiung von Bürgerpflichten aus besonderen konfessionellen Gründen. James Urry hat eine wichtige Überblicksdarstellung zur mennonitischen Politik in Europa, Russland und Kanada veröffentlicht, dennoch müssen viele Fragen zu den langen Entwicklungen mennonitischen politischen Verhaltens im 18. und 19. Jahrhundert noch genauer untersucht werden. Schließlich ist darauf zu achten, wie sich das konfessionelle Selbstverständnis der Mennoniten sich weltweit unter dem Einfluss der →ökumenischen Bewegung (vgl. auch →Bilaterale Konfessionsgespräche) verändert hat.
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Michael Driedger